In Sachsen wird im Spätsommer gewählt und vor allem in nichtsächsischen Landen rätseln viele, woher die Schwäche der SPD kommt. Eine Antwort ist vielleicht das Weltbild der SPD-Spitzenkandidatin.
Petra Köpping war früher in der DDR eine junge SED-Bürgermeisterin und ist jetzt in Sachsen eine SPD-Ministerin. Sie ist Herrin in einem Haus mit dem schönen Namen „Sächsisches Staatsministerium für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt“ und sie ist Spitzenkandidatin der SPD für die sächsische Landtagswahl. Zwischenzeitlich hatten Umfragen die Partei in Sachsen schon mal unterhalb der Fünf-Prozent-Hürde gesehen. Doch das führte bei Genossin Köpping nicht dazu, dass sie Zweifel am richtigen Kurs ihrer Partei entwickelt. Glaubt sie, dass sich viele Wähler einfach nur irren, wenn sie aus ihrer Sicht falsch wählen? Einen kleinen Einblick in das Weltbild der sächsischen Spitzenkandidatin bot am Mittwoch ein Interview, das sie der Welt gegeben hat.
Die zentrale Frage wird dort klar gestellt: „Frau Köpping, in aktuellen Umfragen ist die AfD in Sachsen fünfmal so stark wie die SPD, die derzeit bei sieben Prozent liegt. Was wollen Sie als Spitzenkandidatin der SPD dagegen tun?“
Dass Politiker in bedrängter Lage Zuflucht zu billigen Textbausteinen suchen, ist nicht besonders verhaltensoriginell. Aber dass sie die seit zehn Jahren kaum ausgetauscht hat, schon:
„Erstens muss man sich mit den Themen der AfD auseinandersetzen, indem man ganz klar sagt, was die AfD eigentlich will und was das für den Einzelnen bedeutet. Ich habe das Gefühl, dass viele Menschen das gar nicht wissen. Die denken, es wird sich alles ändern, wenn sie sagen, ‚jetzt sind wir mal gegen die da oben‘.“
Bevor Sie jetzt einschlafen, gibt es von der Genossin aber doch Zitierenswertes:
„Zweitens sehe ich die Gefahr, dass die AfD verharmlost wird. Viele halten sie nicht für rechtsextrem, obwohl der Verfassungsschutz den AfD-Landesverband in Sachsen als gesichert rechtsextremistisch eingestuft hat. Doch anstatt an der AfD zu zweifeln, bezweifeln manche nun, dass der Verfassungsschutz legitim und seine Einstufung der AfD rechtlich korrekt ist.“
Wie kann man nur am Verfassungsschutz zweifeln? Der hat seine Einstufung doch bestimmt gut begründet, oder? Nun ja, bislang gibt es nur eine zweieinhalbseitige Medieninformation, in der mitgeteilt wird, dass es ein 134-seitiges Gutachten geben soll, das die Einstufung des AfD-Landesverbandes Sachsen als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ begründe. Achgut-Autor Stephan Kloss hatte das Landesamt für Verfassungsschutz um eine Kopie des Gutachtens gebeten (siehe seinen Artikel hier). Und was antwortete ihm die Behörde? „Das Gutachten ist ein als Verschlusssache eingestuftes Dokument, das ausschließlich intern verwendet wird.“ Ja, und dann wundert sich die Genossin Ministerin, dass sächsische Bürger an einer Einstufung zweifeln, deren Begründung der Geheimhaltung unterliegt? Sie sollte stolz auf Bürger sein, die Mitteilungen misstrauen, die nicht hinreichend begründet werden.
Erfolge deutlicher zeigen
Aber das Weltbild von Genossin Köpping ist ein anderes. Unabhängig davon, was Sie von der AfD halten: Was würden Sie als Markenkern der AfD ansehen? Möglicherweise stimmt das nicht ganz mit dem überein, was die sächsische SPD-Spitzenkandidatin dazu sagt. Auf die Frage „Welche Themen der AfD halten Sie denn für besonders wichtig?“ antwortet sie tatsächlich: „Ein zentrales Thema ist die Wirtschaftspolitik. Die Wirtschaft lebt in Sachsen zu 70 Prozent vom Export, und die AfD will aus der Europäischen Union austreten. Das wäre für unsere Wirtschaft verheerend.“
Während die Bilanz der Regierung hervorragend ist. In Petra Köppings Welt scheint es Rezession, Deindustrialisierung und Inflation nicht zu geben.
„Wir haben in den letzten 33 Jahren viel erreicht. Wir bekommen über 30 Milliarden Euro Investitionen nach Sachsen, durch die Ansiedlung von Industrie, durch zwei neue Forschungsinstitute, durch einen neuen Bundeswehrstandort. Das sind alles Dinge, die es in der Größenordnung in diesem Bundesland noch nie gegeben hat. Diese Erfolge müssen wir deutlicher zeigen.“
Ach ja, die Genossen haben ihre Erfolge nur nicht richtig erklärt. So ähnlich hat Margot Honecker das Scheitern der SED-Diktatur in Interviews aus Chile auch gern begründet. Aber die Welt fragte hinsichtlich des AfD-Markenkerns noch einmal nach:
„Eine Sache haben Sie nicht genannt, die auch sehr viele Wähler zur AfD treibt, nämlich die Migrationspolitik der etablierten Parteien. Ist das für Sie ein Anlass zur Selbstkritik?“
Und kommt jetzt Selbstkritik? Nein, hier bedient sich Genossin Köpping einfach eines Textbausteins aus dem Jahr 2015: „Migration wird es immer geben. Das ist ein Fakt. Die Frage ist, wie wir damit umgehen. Und da sagen wir: Geflüchtete Menschen müssen schnell die Möglichkeit bekommen, zu arbeiten. Arbeit sorgt dafür, dass Akzeptanz da ist. Jeden Tag redet irgendeine Branche von Arbeitskräfte- und Fachkräftemangel.“
Was für eine Aussage der Staatsministerin für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt. Da werden die Sachsen jetzt bestimmt in sich gehen und SPD wählen. Vielleicht sollte Genossin Köpping sich einmal die Wirklichkeit im öffentlichen Raum in vielen sächsischen Städten anschauen. Oft reicht schon der Blick auf den jeweiligen Bahnhofsvorplatz, um zu sehen, was sich in den letzten Jahren verändert hat, aber worüber man nicht sprechen soll, weil es sonst Ärger gibt. Aber spätestens in der Wahlkabine äußert es sich dann. Da hilft auch keine ministerielle Wahrnehmungsverweigerung. Im Gegenteil.
Peter Grimm ist Journalist, Autor von Texten, TV-Dokumentationen und Dokumentarfilmen und Redakteur bei Achgut.com.