Wenn konservative Republikaner die Terroranschläge des 11. September 2001 als Metapher in ihre Argumente einbauen, ist das immer ein effektiver Schachzug. Die erhoffte Wirkung bleibt nämlich auch dann nicht aus, wenn der Opportunismus hinter dem Manöver sich dem Publikum geradezu aufdrängt. Gutes Marketing funktioniert selbst bei maximaler Transparenz, und das gilt auch für politisches Marketing.
Als der konservative Intellektuelle Michael Anton jedoch drei Monate vor der letzten Präsidentschaftswahl ein wortgewaltiges Essay aufsetzte, in dem er die Möglichkeit eines Wahlsiegs von Hillary Clinton mit dem entführten Flug 93 verglich, war das eher ein Akt der Verzweiflung. Damals standen die Republikaner nämlich nicht geschlossen hinter Trump – die Torwächter des orthodoxen Konservatismus sahen ihn als Teil des Problems, nicht der Lösung. Und so entschied sich Anton in seinem Plädoyer für maximale rhetorische Aufrüstung: „2016 ist die Flug-93-Wahl. Stürm das Cockpit oder stirb. [...] Es gibt keine Garantien. Außer eine: Wenn du es nicht versuchst, ist der Tod sicher. Um die Metapher zu verstärken: Eine Präsidentschaft von Hillary Clinton ist russisches Roulette mit einer halbautomatischen Feuerwaffe. Mit Trump hast du wenigstens die Chance, die Revolvertrommel zum Drehen zu bringen und dein Glück zu versuchen“ .
Wie hoch zu pokern Anton sich damals gezwungen sah, lässt sich an mehreren Faktoren festmachen. Dass Trump lediglich weniger tödlich sein würde als die Alternative, war ein notwendiges Zugeständnis an die damals schwer gegen ihn voreingenommenen konservativen Republikaner. Anton hielt es außerdem für nötig, sein Essay in der besten Tradition des achtzehnten Jahrhunderts unter einem römischen Pseudonym zu veröffentlichen, um karriereschädigenden Anfeindungen rechter Trump-Gegner zu entgehen. Und: Als die Schlacht schließlich gewonnen war, hievte die Trump-Regierung Anton auch aus Dankbarkeit für diesen fulminanten Text in das Amt eines Kommunikators im Nationalen Sicherheitsrat. Guter Rat ist teuer, und Anton hatte bewiesen, dass er sein Geld wert ist. Er hatte den konservativen Widerstand damals erheblich aufgeweicht, wenn auch nicht gebrochen.
Seither hat Trump selbst das Heft in die Hand genommen und die Konsolidierung der Republikaner aggressiv vorangetrieben. Den traditionellen Bestandteilen der internen, informellen Parteikoalition hat er sich individuell angedient. Die Wirtschaftsliberalen klatschen respektvoll Applaus angesichts steuerlicher Entlastungen und einer Deregulierung, die ihrem Namen – anders als in den Bush-Jahren – gerecht wird. Traditionalistische Evangelikale feiern Trump aufgrund freundlicher Dekrete zur Religionsfreiheit sowie zunehmend greifbarer Solidarität mit Israel und international verfolgten Christen. Verfassungspatrioten loben seine effektive Auffrischung der Gerichte mit jungen, konservativen Juristen und begrüßen sein mutiges Vorgehen gegen den paralegalen Verwaltungs- und Regulierungsstaat auf Bundesebene. An jeder Front in seiner Partei hat Trump sich langsam den Respekt erarbeitet, der ihm zunächst verwehrt geblieben war.
„High-tech lynching“
Freilich: All das hätte noch nicht gereicht, um siegessicher in die Zwischenwahlen im November zu galoppieren. Denn hier hatten die Demokraten laut Umfragen bis jetzt die besseren Karten. Aber bis jetzt war vor Brett Kavanaugh.
Mit der Benennung und erfolgreichen Bestätigung des konservativen Kandidaten für den obersten Gerichtshof ist Trump und seinen Republikanern im Senat ein echter Coup gelungen – und zwar nicht trotz, sondern gerade wegen des explosiven Widerstands, den seine Gegner jenseits jeder Unschuldsvermutung (dazu bei einem Vorwurf, dessen Gegenstand fast vierzig Jahre in die Vergangenheit reicht) aufzubauen wagten.
Der politisch-mediale Versuch, den kreuzbraven Kavanaugh in eine juristische Version von Harvey Weinstein und Konsorten umzumünzen, ist nach hinten losgegangen. An der Basis der Demokratischen Partei lässt sich mit so einer popkulturellen Einbettung erfolgreich Stimmung machen, aber für viele normale Amerikaner war der Kontext ein anderer, ein zeitübergreifender. Sie fühlten sich an den schon länger am Supreme Court tätigen Richter Clarence Thomas erinnert, der in den frühen 1990er Jahren eine ähnliche Tortur im Senat über sich hatte ergehen lassen müssen (was dieser damals einprägsam als „high-tech lynching“ bezeichnete, als Rassismus der Demokraten gegen einen Schwarzen wie ihn, der politisch nicht auf ihrer Linie stand – und steht.)
Das multimediale Mobbing gegen Kavanaugh hat aber auch – und vor allem – die Trump gegenüber kritisch eingestellten Konservativen elektrisiert. Diesen Eindruck gewinnt man dieser Tage an sämtlichen Schaltstellen des politischen Nervensystems der Republikanischen Partei. Es ist eine Entwicklung, von welcher der nun erfolgreich benannte Kavanaugh nicht mehr zu profitieren braucht, aber für Trump könnte sie sich als politische Goldmine entpuppen.
Ein bezeichnendes Beispiel ist der Sinneswandel des Rod Dreher, eines besonders unter konservativen Katholiken einflussreichen Intellektuellen, der sich ursprünglich überhaupt nicht für Trump begeistern konnte. Auch Kavanaugh habe ihn erst nicht interessiert, aber dann habe dessen „Schicksal“ ihn geradezu wachgerüttelt angesichts der schieren Aggressivität der Demokratischen Kampagne gegen den Juristen.
Aus reinem Selbstschutz republikanisch zu wählen
Dreher berichtet auf "The American Conservative" von einem Freund, der Kavanaugh „persönlich kennt“ und „immer ein Niemals-Trump-Republikaner“ gewesen sei: „Die Entwicklung hat ihn verändert. […] Sie hat ihn radikalisiert [...] Mit mir macht sie das gleiche. Ich habe nicht auf einmal mehr Vertrauen in oder Zutrauen zu Donald Trump oder der Republikanischen Partei […] Aber nach dem, was Kavanaugh passiert ist und weiterhin passiert, habe ich ernsthaft Angst vor der Demokratischen Partei und den Eliten – insbesondere den akademischen und medialen Eliten – die sie anführen. Ich höre von anderen Konservativen, die sich von den Republikanern entfremdet haben und die nun beabsichtigen, aus reinem Selbstschutz Republikanisch zu wählen, so lange, wie wir es hinbekommen“
Erick Erickson, ein konservativer Blogger, der sich als beinharter Gegner des Präsidenten schon vor dessen Wahl einen Namen gemacht hat, schrieb unlängst ganz ähnliche Gedanken nieder. Es sei schlicht „widerlich“, dass gewisse Trump-Hasser unter den Republikanern sich in der Kavanaugh-Frage auf die Seite der Linken gestellt hätten, bloß weil es Trump war, der den Juristen nominierte: „Ich befinde mich in einer seltsamen Position, wo ich – einer der ursprünglichen Niemals-Trump-Konservativen – mir zum ersten mal vorstellen kann, 2020 für Trump zu stimmen […] Trump hat vielleicht Kavanaughs Anklägerin Christine Blasey Ford auf eine Weise kritisiert, die ich für einen Präsidenten unangebracht finde, aber seine Gegner haben das jahrtausendealte Prinzip der Unschuldsvermutung einfach verworfen [...] Trump ist weder ein Botschafter für meine Werte noch der eloquenter Vertreter meiner Prinzipien, den ich bevorzugen würde. Aber er ist ein sicherer Hafen in einem linksliberalen Sturm, welcher sowohl meine Werte zu zerstören als auch unsere verfassungsrechtliche Republik zu kippen droht […] Präsident Trump ist nicht mein Feind, und zu viele Linke sehen mich als den ihren an“
Es wäre einfach, die Reaktionen von Dreher und Erickson als Anekdoten abzutun, aber die von ihnen beschriebenen Gefühle schlagen sich längst auch in den Umfragen für die kommenden Zwischenwahlen in November nieder. Das der Trump-Unterstützung unverdächtige National Public Radio schlussfolgert, dass der bei solchen Wahlen entscheidende „Enthusiasmus-Vorsprung“ der Demokraten sich quasi in Luft aufgelöst hat. Die neuen Ergebnisse seien im Kontext des „heißen parteiischen Bestätigungskampfs um die Brett-Kavanaugh-Nominierung“ zum obersten Gerichtshof zu sehen.
Es scheint, dass Trump nun auch die letzten verbliebenen Ausharrer im Republikanischen Lager erfolgreich mobilisieren kann. Die Kulturkrieger hatte er auch vorher schon auf seiner Seite, aber jetzt werden sie nie wieder von ihm weichen. So steht der lang ersehnten „Wiedervereinigung“ der amerikanischen Rechten nichts im Weg. Am allerbesten formuliert es ein weiterer, ebenfalls kürzlich geläuterter Konservativer: „Ich war ein Niemals-Trumper, bis die Demokraten über Kavanaugh verrückt wurden. Jetzt gebt mir schon eine dieser roten Mützen“ .
Dieser Beitrag erschien zuerst auf der Website des Deutschen Arbeitgeberverbandes. Den Blog von Moritz Mücke finden Sie hier. Dort kann er auch kontaktiert werden.