Walter Krämer / 07.06.2016 / 06:15 / Foto: Calspan Corporation / 3 / Seite ausdrucken

Warum sind so viele Risikostudien Schrott?

Kein Tag vergeht, ohne dass nicht irgendwo in der deutschen Medienlandschaft eine der vielen Tausend Studien Wellen schlägt, die weltweit jährlich zu den diversen Risiken und Gefahren, weniger oft auch zu den rosigen Seiten unseres Lebens und unserer Gesundheit einer mal mehr, mal weniger überraschten Öffentlichkeit als wissenschaftliche Erkenntnisse unterbreitet werden.

Radfahren macht impotent, Milch macht impotent, zu viel Fernsehgucken macht impotent, Herzinfarkt durch Mittagsschlaf (man wollte herausgefunden haben, dass eine Stunde regelmäßigen Mittagschlafs das Herzinfarktrisiko für Männer um 50 Prozent erhöht), Vegetarier leben länger, Schokolade macht dünn, dicke Kinder sind doof, Kaffee beeinflusst Fruchtbarkeit (Frauen, die mehr als fünf Tassen Kaffee täglich trinken, sollen 11 Prozent länger brauchen, um schwanger zu werden), mediterrane Kost senkt das Diabetes-Risiko, und so weiter und so fort.

Krebs-Studie sind der Bestseller der Alarmisten

Besonderer Aufmerksamkeit dürfen sich dabei jene Studien sicher sein, die einer immer wieder erschrockenen Öffentlichkeit ein erhöhtes Risiko für Krebs verkünden. Bekannte Übeltäter der jüngeren Vergangenheit sind etwa Atomkraftwerke, Herbizide in der Landwirtschaft und rotes Fleisch. Die weltweit wohl renommierteste wissenschaftliche Fachzeitschrift Science hat einmal eine lange Liste solcher Krebs-Alarme einer gründlichen Analyse unterzogen. Diese betrafen neben den bekannten Verdächtigen auch Dinge wie elektromagnetische Felder (35 Prozent höheres Brustkrebsrisiko bei Frauen), alkoholhaltige Mundspülung (um 50 Prozent erhöhtes Mundkrebsrisiko), Höhensonne (um 30 Prozent höheres Hautkrebsrisiko) oder den regelmäßigen Verzehr von Joghurt, der angeblich das Risiko von Eierstockkrebs bei Frauen verdoppeln soll.

In keinem einzigen dieser Fälle konnte das Studienergebnis durch unabhängige Nachfolgestudien bestätigt werden, es war jedes Mal ein Fehlalarm. In aller Regel hatte man eine wichtige weitere erklärende Variable vergessen, etwa die Info, ob die an Krebs erkrankte Person auch raucht. Und so ist auch eine Vielzahl anderer Studien zu angeblichen Gesundheitsrisiken wissenschaftlich nicht viel mehr als Schrott. Um zu sehen, warum, sollte man zunächst einmal derartige Studien nach ihrer Machart unterteilen. Da sind zunächst einmal kontrollierte Experimente: Eine Gruppe von Patienten erhält ein neues Medikament, eine Kontrollgruppe nicht. Idealerweise ist die Kontrollgruppe der behandelten Gruppe bezüglich Alter, Geschlecht und sonstiger soziodemografischer Merkmale maximal ähnlich; weder die behandelten noch die unbehandelten Patienten noch die Ärzte wissen, zu welcher Gruppe wer gehört.

Der Goldstandard heißt: Doppelblindversuch

Das ist der Goldstandard: ein Doppelblindversuch. Was dabei herauskommt, ist in aller Regel verlässlich. Allein durch Zufall kann es vorkommen, dass auch ohne jeden Effekt die untersuchte Behandlung als überlegen aus dem Experiment herausgeht. Da heißt in der Statistik auch „Fehler 1. Art“: Man hat vermeintlich etwas gefunden, aber in Wahrheit ist nichts da. (Einen tatsächlich vorhandenen Effekt zu übersehen ist dagegen ein Fehler 2. Art).

Dieser Fehler erster Art ist aber kontrollierbar und kein Problem. Probleme, und zwar riesige Probleme, treten mit wachsender Schärfe auf, je weiter man sich von diesem Goldstandard des Doppelblindversuchs entfernt. Und leider sind die allermeisten Studien, die in den Medien regelmäßig zu Panikattacken führen, sehr weit von Doppelblindversuchen weg. Der Standard sind sogenannte Beobachtungsstudien wie etwa eine, die zu der Schlagzeile: „Kaffee verursacht Gelenkrheumatismus“ führte. Das ist ein typisches Ergebnis einer sogenannten Beobachtungsstudie: Man hat zwei Gruppen von Menschen: die mit und die ohne Gelenkrheumatismus. Dann wird gefragt: Wie unterscheiden sich diese Menschen sonst noch? Antwort: Die mit Rheuma trinken öfter Kaffee. Ergo: Kaffee ist der Grund für Rheuma.

Es ist nur allzu klar, was hier für Trugschlüsse möglich sind. Vielleicht ist es ja gerade umgekehrt: Menschen mit Rheuma sind öfter in der Kälte und trinken deshalb öfter Kaffee. Oder anders ausgedrückt: Man unterscheidet nicht immer korrekt zwischen Korrelation und Kausalität. Das ist der mit Abstand häufigste Fehler in medizinischen und sonstigen Studien aller Art.

Der Unterschied zwischen Korrelation und Kausalität

Korrelation bedeutet: Zwei Variablen bewegen sich systematisch in die gleiche Richtung. Ein Beispiel bei Menschen ist die Körpergröße und das Gewicht: Je größer, desto schwerer. Nicht in jedem Einzelfall, aber im Großen und Ganzen schon. Das ist positive Korrelation. Oder bei gebrauchten PKW das Alter und der Preis: Je älter, desto billiger. Das ist negative Korrelation. Und hier ist sogar ein Rückschluss auf die Kausalität erlaubt: Das Alter ist die Ursache für den Preis.

Aber viele Korrelationen entstehen auch ohne jede Kausalität. So existiert z. B. bei Männern eine hohe negative Korrelation zwischen dem Einkommen und der Anzahl der Haare auf dem Kopf: je weniger Haare, desto mehr Geld. Es nützt aber nichts, sich eine Glatze zu scheren, die Korrelation kommt deshalb zustande, weil bei vielen Männern mit wachsendem Lebensalter das Einkommen wächst und die Haare ausfallen.

In der Wissenschaftszeitschrift Nature war einmal ein auf ähnliche Argumente gründender Beweis zu lesen, dass zumindest in Deutschland doch der Klapperstorch die Kinder bringt: Der Korrelation von Storchenbrutpaaren und Geburten erreichte in dem betrachteten Zeitraum in Deutschland fast das Maximum von 1. Und das reicht vielen Studien schon als Argument. Natürlich lieferte Nature den wahren Grund der Korrelation gleich mit: Ein in beiden Zeitreihen vorhandener gleichläufiger Trend. Wann immer zwei Datenreihen beide steigen oder beide fallen, sind sie automatisch hoch positiv korreliert. So beobachtet man die Deutschland auch eine hohe Korrelation zwischen den Belegungszahlen unserer Trinkerheilanstalten und den Apfelsinenimporten aus Portugal. Also machen Apfelsinen uns zu Säufern? Nein, beide Datenreihen sind seit dem Zweiten Weltkrieg angestiegen.

Wer weiß denn, dass Raucher häufiger als Nichtraucher ermordet oder vom Bus überfahren werden?

Dieses Übersehen von Alternativerklärungen gilt selbst für eine der wenigen unbestrittenen Erfolgsgeschichten der modernen Medizinstatistik, die Entdeckung, dass Rauchen Lungenkrebs erzeugt. Aber wer weiß denn schon, dass Raucher auch weitaus häufiger als Nichtraucher ermordet oder vom Bus überfahren werden? Und zwar aus dem gleichen Grund, aus dem sie rauchen: weil sie risikofreudigere Menschen sind. Es gibt in der Psychologie die sogenannte „Raucherpersönlichkeit“. Die würde auch dann ein bis zwei Jahre früher sterben als ein Nichtraucher, wenn sie nie im Leben auch nur eine Zigarette raucht. Mit anderen Worten, die acht bis zehn Jahre kürzere Lebenserwartung starker Raucher kann man nicht komplett dem Rauchen in die Schuhe schieben.

Aber das sind Nebensächlichkeiten. Worauf es ankommt: Wenn Sie am Montag in der Zeitung lesen „Schachspielen fördert Schlaganfall“ oder „Alzheimer durch Kaffeesahne“, keine Panik. Fragen Sie erst mal nach, wie dieses Resultat gefunden worden ist. In aller Regel ist das nur ein zufälliges Artefakt einer schlampig ausgewerteten Statistik.

Foto: Calspan Corporation nhtsa via Wikimedia Commons

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Jan Stunnenberg / 07.06.2016

Wunderbar auf dem Punkt gebracht. Ich kann nur hinzufügen: Korrelation ist zwar Voraussetzung für Zusammenhang, jedoch nicht bestimmend für Kausalität.

Wolfgang Richter / 07.06.2016

Die mit am beeindruckensten rüber kommenden Zahlen sind die zu Sterbefällen infolge Feinstaub oder Passivrauchen, die mit Zehntausenden von Toten jährlich das Volk aufschrecken, obwohl bei der amtlichen Todesursachenfeststellung derartige Daten überhaupt nicht erhoben werden, alles Zahlen aus dem Kaffeesatz oder der Glaskugel. Sofern mit derartigen Behauptungen nicht nur Lobbyismus betrieben wird, sondern auch Geld zu verdienen ist, ggf. aus Steuer- und Spendentöpfen, bin ich gerne bereit, entsprechend erhellende Thesen aufzustellen. Das Spektrum könnte reichen von Dunkelziffern zu nicht erkannten Mordraten für Deutschland, die EU oder die Welt bis hin zu nicht erkanntem Wurmfraß an Holzbooten und darauf beruhende Leckagen mit Totalverlust.

Stefan Ahrens / 07.06.2016

Dann bitte wenigstens stilistisch wertvoll: “Schachspiel schafft Schlaganfall!”(Alliteration) Wer mehr von solchen falschen Statistiken lesen will, sollte Unstatistik.de aufrufen, wo monatlich die “Unstatistik des Monats” gekürt wird. Krebserregendes war auch schon dabei.

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