Felix Schnoor
Bis letzten Mittwoch, dem Tag des ersten TV-Duelles zwischen US-Präsident Barack Obama und Herausforderer Mitt Romney, waren sich nahezu alle Journalisten und Kommentatoren einig: Das Weiße Haus bleibt auch die kommenden Jahre in den Händen der Demokraten. Sie machten sich lustig über Romneys angebliche Patzer (Jerusalem als die Hauptstadt Israels bezeichnet zu haben, gehörte dazu), echauffierten sich über das teure Pferd seiner Frau, und schrieben genüsslich darüber, wie der junge Familienvater Mitt vor fast 30 Jahren seinen Hund Seamus auf einer Fahrt in den Urlaub aus Platzmangel auf dem Autodach transportierte.
Der Präsident hingegen konnte sich und seine miserable Bilanz der letzten vier Jahre hinter diesem Schauspiel verstecken, während seine Berater keine Gelegenheit ausließen, den ehemaligen Gouvernour von Massachusetts im Kampf um die Präsidentschaft als gefühlskalten Kapitalisten darzustellen, was dann in dem Vorwurf gipfelte, dass jener als Chef von Bain Capital, einer von ihm mitgegründeten Private Equity Gesellschaft, für den Krebstod der Frau eines ehemaligen Stahlarbeiters verantwortlich ist.
Obwohl sich diese Vorwürfe als haltlos erwiesen haben, blieb ein medialer Aufschrei als Reaktion auf diese mehr als geschmacklose Verleumdung aus. Die Obama-Kampagne hat mit Hilfe großer Teile der Maistream-Medien zudem ziemlich erfolgreich das Gerücht verbreitet, Romney wolle die Reichen auf Kosten der Mittelschicht entlasten. Das war und ist aber genauso falsch, als wenn irgendjemand behaupten würde, die USA bestünden aus 57 Bundesstaaten.
Bis letzten Mittwoch war Romney in der Dauer-Defensive, er lag in den Umfragen zurück, musste über seine Steuererklärungen sprechen und die Frage beantworten, ob er nun zu wenig oder zu viel Steuern zahlt und wurde auf Grund eines zugegebenermaßen blöden Videos kritisiert, auf dem er reichen Spendern seine durchaus verständliche Wahlkampfstrategie auf eine recht hölzerne Art erläutert.
Dann aber kam die besagte TV-Debatte. Es war die erste von insgesamt dreien und somit die wichtigste. Die meisten Meinungsmacher waren allerdings der Ansicht, dass diese Debatte am Trend des Wahlkampfes nichts ausrichten könne. Am Ende kam es anders: Die Debatte wird auf jeden Fall unter die Kategorie „Game Changer“ in die Geschichte eingehen. Entweder, weil Obama an diesem Tag die Wahl fast verloren hätte oder weil dieser Tag der Anfang vom Ende seiner Präsidentschaft war. Letzteres dürfte wahrscheinlicher sein, denn das Rennen ist nun tatsächlich auf den Kopf gestellt. Mitt Romney führt inzwischen nicht nur in den Umfragen, auch die Berichterstattung über den Wahlkampf wird für Obama zunehmend ungemütlich. Anscheindend sind die Medien nicht bereit, ihre ohnehin schon angeschlagene Glaubwürdigkeit für „ihren“ Präsidenten komplett zu opfern. Plötzlich interessieren Romneys Steuererklärungen niemanden mehr, stattdessen dreht sich alles um die Frage, wie dieser uninspirierte und lethargische Auftritt des großen Kommunikators und begnadeten Rhetorikers Barack Obama zu erklären ist.
Es gibt mehrere mögliche Erklärungen.
Arroganz: Zunächst einmal ist interessant zu erwähnen, dass – so wird aus dem Umfeld Obamas berichtet – der Präsident direkt nach der Debatte dachte, er hätte sie gewonnen. Außerdem hätte er sich in dem Glauben, Romney sei kein ernstzunehmender Gegner, kaum vorbereitet. Tatsächlich besichtigte er am Tag vor der Debatte lieber ausfühlrich den Hoover-Staudamm, während sich Romney in einen Hangar zurückzog und mit Senator Rob Portman jedes mögliche Szenario dieses Duells immer wieder durchging. Es wäre nicht das erste Mal, dass Obama durch Arroganz auffällt. Man denke nur an seine Aussage „You didn’t build that“, mit der er Millionen von Selbstständigen diskreditierte oder sich Anfang des Jahres als den viertbesten US-Präsidenten der Geschichte bezeichnete. Auch dass er die Gesundheitsreform ohne die Republikaner mit einzubeziehen durchboxte, gehört in diese Aufzählung.
Die letzten 3,5 Jahre: Der Präsident hat eine haarstreubende Bilanz im Oval Office: Rekordarbeitslosigkeit, Rekordverschuldung, immer mehr Menschen sind Abhängig von Essensmarken, die Parteien sind zerstritten wie lange nicht usw. Diese Bilanz lässt sich nur schwerlich unter Druck verteidigen. Selbst, wenn er nicht für alles die Verantwortung trägt, so hat sich zumindest unter ihm nichts verbessert.
Mystifikation: Ein Großteil der Amerikaner, vor allem natürlich Linke, aber nicht nur, wollten 2008, nach acht Jahren Bush, einen klaren Wechsel in der Politik, so wohl bezogen auf die Inhalte, als auch was den Stil angeht. Und da kam ihnen Obama gerade recht. Ein junger, aufstrebener Senator aus Illinois, der bereits auf dem Parteitag 2004 bewiesen hatte, dass er zu großen Worten fähig ist. Dass er noch rein garnichts an handfesten Erfolgen in seine Karriere vorzuweisen hatte und vor allem als Senator eher blass blieb, spielte keine Rolle.
Der amerikanische Publizist Jonah Goldberg zitierte vor einigen Tagen in der National Review ein irisches Sprichwort: „Hunger makes the best sauce“ - Hunger ist der beste Koch. Die Demokraten seien hungrig gewesen und hätten Obama kaum hinterfragt. Andere Kommentatoren sprechen von eine Blase, die nun geplatzt sei oder von einem “Emperor Has No Clothes Moment” (Joe Scarborough). Die Diskrepanz zwischen dem, was Obama damals angekündigt hat, nämlich Hope und Change, und dem, was er nun tatsächlich zu verbuchen hat, war wohl bei keinen Präsidenten vor ihm größer. Damit dies aber auffällt, bedurfte es die Möglichkeit für die Zuschauer, beide Kandidaten ungefiltert wahrzunehmen: Das TV-Duell war fair, es war vorab festgelegt, dass beide in etwa die gleiche Redezeit bekommen und dass sie sich nicht gegenseitig ins Wort fallen.
Außerdem hielt sich der Moderator Jim Lehrer zurück und überlies den Kandidaten weitesgehend das Feld. Für viele der Zuschauer war es das erste Mal, dass sie Mitt Romney ungefiltert wahrnahmen und nicht abhängig von den Medien waren, die nur ausgewählte Ausschnitte seiner Reden wiedergaben. Vor allem aber hatten sie einen direkten Vergleich zwischen Obama und Romney und es stellte sich heraus, dass der republikanische Herausforderer wenig mit der Person zu tun hatte, die Obama und die Medien in den letzten Monaten kreiert hatten.
Romney ist ein hervorragender Debattierer: Glaubt man den Umfragen, so hatte sich Romney bereits in den Primaries in 16 von 20 Debatten gegen seine Kontrahenten durchgesetzt. Obwohl das Feld dort aus teilweise merkwürdigen Gestalten bestand, waren ein Newt Gingrich oder ein Rick Santorum doch ernstzunehmende Gegner. Außerdem hat sich der „Multimillionär“, wie er gern verächtlich von vielen Journalisten genannt wird, sehr intensiv auf das Duell vorbereitet. Obama bekanntlich nicht, was aber nicht an der mangelnden Zeit gelegen haben dürfte (siehe oben), schließlich hatte er ja auch Zeit für David Letterman. Außerdem hat Romney in seinem Leben viele Erfolge vorzuweisen, die eine Menge Amerikaner beeindrucken und diese hat er gekonnt ausgespielt.
Wie geht es nun aber weiter? Aktuell ruhen die Hoffnungen der Demokraten auf zwei schrägen Vögeln: Auf Bibo und auf Vize-Präsident Joe Biden. Der neueste Werbespott der Demokraten zeigt den großen gelben Vogel, in den USA Big Bird genannt, und suggeriert, Romney würde die Sesamstraße abschaffen, während ihm die Missstände an der Wallstreet egal seien. Dieser Spot macht die Verzweiflung, die im Demokraten-Lager herrscht, fast greifbar und dürfte ins Leere laufen.
Joe Biden kommt dann in der Nacht von Donnerstag auf Freitag ins Spiel. Dann steht die einzige TV-Debatte an zwischen dem aktuellen Vizepräsidenten und dem Mann, der dieses Amt gern in Zukunft ausüben möchte, Paul Ryan. Obwohl Biden in der Vergangenheit durch viele Versprecher und unglückliche Formulierungen aufgefallen ist, sollte man ihn nicht unterschätzen. Er saß 36 Jahre im Senat und hat im Gegensatz zu Ryan entsprechend viel Erfahrung.
Und dann kommen ja noch zwei TV-Debatten zwischen Obama und Romney und es ist davon auszugehen, dass Obama deutlich besser aufgelegt sein wird als beim letzten Mal.
Sofern Romney sich aber nichts größeres mehr zu Schulden kommen lässt, wird er der nächste Präsident der Vereinigten Staaten werden. Denn zum einen wurde das erste Duell von knapp 70 Mio. Amerikanern gesehen (zum Vergleich 2008 waren es nur 52 Mio.), was darauf schließen lässt, dass sie grundsätzlich einen neuen Präsidenten wollen, sich aber noch davon überzeugen mussten, dass Romney auch Präsident kann (und er konnte bekanntlich überzeugen), zum anderen ist auch die außenpolitische Bilanz Obamas spätestens seit dem Anschlag auf den Botschafter Stevens nicht mehr vorzeigbar, sodass er die kommenden Auseinadersetzungen unter normalen Bedingeungen nicht gewinnen kann.
Erschwerend hinzu kommt für ihn die aktuelle Dynamik der Berichterstattung, die aus seinem unterirdischen Auftritt am letzten Mittwoch resultiert. Je mehr er strampelt, desto tiefer wird er versinken und dieser Trend wird nicht umzukehren sein, sofern Romney nicht noch etwas vollkommen idiotisches tut. Dieser hat jetzt alle Trümpfe in der Hand, seine Gegner sind verzweifelt und agieren wie Hühner, denen man den Kopf abgeschlagen hat. Es wird kein Comeback für Obama geben, dafür aber ein Comeback Amerikas.