Ralf Schuler, Leiter der Parlamentsredaktion von BILD, hat seinen Abschied von der als konservativ geltenden Axel Springer SE angekündigt. Der namhafte politische Journalist möchte sich nicht zum Sprachrohr von Aktivisten machen lassen.
In funktionierenden Demokratien ist die sogenannte Watchdog-Rolle, das Beobachten und Prüfen von insbesondere politischen und wirtschaftlichen Eliten durch Journalisten, von eminenter Bedeutung. Jahrzehntelang ging das auch in der Bundesrepublik leidlich gut. Zeitungen oder Magazine deckten immer mal wieder Skandale auf und in den Redaktionen herrschte Genugtuung, wenn die Übeltäter über die Affäre und/oder ihren Umgang damit zu Fall kamen. Diese Zeiten sind längst vorbei.
Der politische Journalismus, man kann es leider nicht anders sagen, ist zu großen Teilen auf den Hund gekommen. Der Watchdog, der früher aufpasste, was „die da oben“ machten, sieht seine Aufgabe inzwischen darin, Kollegen vom Hof der Mächtigen zu bellen, die sich anschicken, „denen da oben“ auf die Finger zu sehen. Exemplarisch lässt sich das an den „Faktencheckern“ zeigen, die regelmäßig „feststellen“, dass das politische Personal völlig zu Unrecht kritisiert wird. Was etwa die derzeitige Kulturstaatsministerin Claudia Roth betrifft, zählte die Neue Zürcher Zeitung fünf solcher Fälle in drei Jahren bei den „Faktencheckern“ von Correctiv.
Von „Refugees Welcome“ über „Fridays for Future” und „Black Lives Matter” bis zur LGBTQ-Bewegung: Die allermeisten Medien, zuvörderst die Öffentlich-Rechtlichen, machten sich das Anliegen und die „Narrative“ von relativ kleinen Aktivistengruppen vollständig zu eigen und pushten deren Agenda auf breiter Front, bis der so bearbeitete Zeitungs- oder Fernsehnachrichtenkonsument die Botschaft wohl oder übel akzeptierte. Und die Politik setzte sie um.
Nun leben wir in einer Zeit, in der es mit der Unabhängigkeit der Medien nicht mehr allzu weit her ist. Der nicht zu Unrecht so genannte Staatsfunk hängt vollständig am Tropf der vom Staat eingetriebenen Gebührengelder, in den Aufsichtsgremien sitzen zahlreiche Politiker, und so beißt man nur in den seltensten Fällen die Hand, die einen füttert. Kritischer Journalismus wird zur Ausnahmeerscheinung, in der Regel stimmt der Medienschaffende in den allgemeinen Chor ein. Kritisiert er Dinge, wie es auch die verfemten „Rechten“ tun, findet er sich umgehend im Lager der wahlweise als „Klima-„ oder „Coronaleugner“, „Homophobe“, „Rassisten“ oder „Demokratiefeinde“ Gelabelten wieder. Wer tut sich das schon an?
FAZ wie taz – und Springer?
Während viele Artikel in der einst konservativen FAZ genauso in der taz stehen könnten, erschien Axel Springer lange wie ein Fels in der Brandung. Für Linke war der Verlag schon immer ein rotes Tuch. Die Zeiten änderten sich und Axel Springer mit ihr, wobei an den Unternehmensgrundsätzen nicht gerüttelt wurde. Die einst konservative WELT wurde liberal, ohne dass es die Springer-Hasser mitbekommen hätten. Riefen sie anno '68 „Springer-Presse, halt die Fresse“, pöbeln sie heute auf Twitter wenig einfallsreich unter dem Hashtag #HaltDieFresseBild.
Dabei ist auch die BILD nicht mehr, was sie früher war. Statt Kritik an Merkels Migrationspolitik zu üben, fuhr sie im Herbst 2015 eine „Refugees welcome – wir helfen“-Kampagne, die Schwulenbewegung wird seit vielen Jahren abgefeiert und zur AfD hält man zuverlässig einen 1,5-Kilometer-Sicherheitsabstand ein. Während Merkel auffällig geschont wurde, bekam die „Alternative“ immer nur auf die Mütze, daran hat sich bis heute nichts geändert. Und es war der stellvertretende Chefredakteur der BILD Paul Ronzheimer, der forderte: „Lauterbach muss Gesundheitsminister werden!“
Kann man alles gut finden, muss man aber nicht. Leser wenden sich ab, und nach der Redakteurin Judith Sevinç Basad, die im Juni bei BILD kündigte, hat nun auch Ralf Schuler, Leiter der Parlamentsredaktion bei BILD, seinen Abschied angekündigt und in einem Brief an Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner und BILD-Chefredakteur Johannes Boie, der im Magazin Cicero nunmehr hinter der Bezahlschranke zu lesen ist, seine Gründe erläutert.
„Tödliche Bedrohung des Markenkerns“
Hatte Judith Sevinç Basad Axel Springer vorgeworfen, „vor der unerträglichen Tyrannei der woken Aktivisten eingeknickt“ zu sein, spricht Ralf Schuler im Zusammenhang mit dem – dem Vernehmen nach im Hause durchaus umstrittenen – Umgang mit der LGBTQ-Bewegung von „Richtungsentscheidungen des Medienhauses (…), die ich nicht mittragen kann und möchte.“ Das Unternehmen mache sich „zum Banner-Träger einer Bewegung, die einen festen Gesellschaftsentwurf mit Sprach- und Schreibvorschriften anstrebt und glaubt berechtigt zu sein, der Mehrheitsgesellschaft einen politischen Kanon bis hin zum Wechsel des Geschlechtseintrags oder Quotierungen diktieren zu können.“
Während WDR-Moderatoren den Gender-Gaga derart verinnerlicht haben, dass sie schon von einer „Intensivkrankenschwesterin“ sprechen, ist da ein namhafter Journalist, der sich nicht verbiegen lassen will. Ein offensichtlich idiotischer Begriff wie „Intensivkrankenschwesterin“ käme ihm nicht über die Lippen, was nur für ihn spricht. Schuler stellt klar: „Jedwede Diskriminierung ist von Übel. Sich gegen Diskriminierung zu wenden, bedeutet aber nicht, sich die Agenda der LGBTQ-Bewegung zu eigen zu machen, wie wir es derzeit tun.“
Er stehe „keiner politischen Bewegung ,fest zur Seite‘“ und halte dies auch „ganz grundsätzlich NICHT für die Aufgabe von Journalisten“. Es gehe auch „nicht nur um das Thema der sexuellen Identität, sondern es geht im viel größeren Sinne darum, ob die Marke BILD als klassische Boulevard-Marke im besten Sinne Massenmarke bleibt oder sich lautstarken Micro-Milieus oder internationalen Wirtschaftseliten verpflichtet fühlt. Ich hielte das für eine tödliche Bedrohung des Markenkerns.“
Get woke, go broke
Wie gesagt: Abgesehen davon, dass eine kritische Haltung den Journalisten auszeichnet und ihm das „gemein machen mit einer Sache“ nach Hajo Friedrichs seligen Angedenkens nicht gut zu Gesicht steht, ist am Leser vorbeizuschreiben der Auflage kaum förderlich. Nicht umsonst heißt es: „Get woke, go broke.“ Und es macht einen auch nicht bei denen beliebter, die im Multimedia-Verlag Axel Springer seit jeher den Gottseibeiuns sehen. Das Anbiedern an den Zeitgeist ist Ralf Schulers Sache nicht, war es noch nie. Schon 2013 beschied er einem Leser seines Blogs:
„Ich habe 25 Jahre meines Lebens gegen meinen Willen in der DDR verbracht, habe dort nicht studieren können, habe mich in der Produktion „bewährt“, einen höllischen Militärdienst absolviert und mich schließlich in eine Nische bei einem Spartenblatt geflüchtet. Ich habe in der DDR weder geschrieben noch gesagt, was man von mir verlangte, obwohl es damals um die Existenz ging. Und ich sehe nicht ein, warum ich heute irgendwem nach dem Munde schreiben oder reden sollte, da ich jederzeit zur taz, zur Jungen Welt oder sonstwelchen Blättern wechseln könnte und keinesfalls dort arbeiten muss, wo ich arbeite. Ich habe Mechaniker für Metallverarbeitung gelernt und alle möglichen Jobs gemacht. Mit anderen Worten: Ich tue, was ich für richtig halte oder ich lasse es.“
Es wäre zu wünschen, dass sich mehr Journalisten ein Beispiel daran nehmen. Viele ballen schon lange die Faust in der Tasche, trauen sich aber nicht, den Mund aufzumachen. Dabei wäre es dringend nötig, dass die „vierte Gewalt“ ihren Job wieder ernstnimmt. Dass der „Watchdog“ seinen Blick wieder in die richtige Richtung schweifen lässt. Die Regierung mindestens genauso aufs Korn nimmt wie die Opposition. Und auch Aktivistengruppen, die vorgeblich gegen Diskriminierung kämpfen, durchleuchtet und ihren radikalen Kern erkennt. Dann könnten nicht lautstarke Minderheiten Politik und Medien kapern und der übergroßen Mehrheit regelmäßig ihren Willen aufzwingen.
Ralf Schuler gebührt Dank, darauf aufmerksam gemacht zu haben. In Zeiten des penetranten Gratismutes übrigens zu einem hohen persönlichen Preis. Wir ziehen den Hut.