Claudio Casula / 13.08.2022 / 10:00 / Foto: Achgut.com / 66 / Seite ausdrucken

Warum Ralf Schuler von der Fahne geht

Ralf Schuler, Leiter der Parlamentsredaktion von BILD, hat seinen Abschied von der als konservativ geltenden Axel Springer SE angekündigt. Der namhafte politische Journalist möchte sich nicht zum Sprachrohr von Aktivisten machen lassen.

In funktionierenden Demokratien ist die sogenannte Watchdog-Rolle, das Beobachten und Prüfen von insbesondere politischen und wirtschaftlichen Eliten durch Journalisten, von eminenter Bedeutung. Jahrzehntelang ging das auch in der Bundesrepublik leidlich gut. Zeitungen oder Magazine deckten immer mal wieder Skandale auf und in den Redaktionen herrschte Genugtuung, wenn die Übeltäter über die Affäre und/oder ihren Umgang damit zu Fall kamen. Diese Zeiten sind längst vorbei.

Der politische Journalismus, man kann es leider nicht anders sagen, ist zu großen Teilen auf den Hund gekommen. Der Watchdog, der früher aufpasste, was „die da oben“ machten, sieht seine Aufgabe inzwischen darin, Kollegen vom Hof der Mächtigen zu bellen, die sich anschicken, „denen da oben“ auf die Finger zu sehen. Exemplarisch lässt sich das an den „Faktencheckern“ zeigen, die regelmäßig „feststellen“, dass das politische Personal völlig zu Unrecht kritisiert wird. Was etwa die derzeitige Kulturstaatsministerin Claudia Roth betrifft, zählte die Neue Zürcher Zeitung fünf solcher Fälle in drei Jahren bei den „Faktencheckern“ von Correctiv. 

Von „Refugees Welcome“ über „Fridays for Future” und „Black Lives Matter” bis zur LGBTQ-Bewegung: Die allermeisten Medien, zuvörderst die Öffentlich-Rechtlichen, machten sich das Anliegen und die „Narrative“ von relativ kleinen Aktivistengruppen vollständig zu eigen und pushten deren Agenda auf breiter Front, bis der so bearbeitete Zeitungs- oder Fernsehnachrichtenkonsument die Botschaft wohl oder übel akzeptierte. Und die Politik setzte sie um.

Nun leben wir in einer Zeit, in der es mit der Unabhängigkeit der Medien nicht mehr allzu weit her ist. Der nicht zu Unrecht so genannte Staatsfunk hängt vollständig am Tropf der vom Staat eingetriebenen Gebührengelder, in den Aufsichtsgremien sitzen zahlreiche Politiker, und so beißt man nur in den seltensten Fällen die Hand, die einen füttert. Kritischer Journalismus wird zur Ausnahmeerscheinung, in der Regel stimmt der Medienschaffende in den allgemeinen Chor ein. Kritisiert er Dinge, wie es auch die verfemten „Rechten“ tun, findet er sich umgehend im Lager der wahlweise als „Klima-„ oder „Coronaleugner“, „Homophobe“, „Rassisten“ oder „Demokratiefeinde“ Gelabelten wieder. Wer tut sich das schon an?

FAZ wie taz – und Springer?

Während viele Artikel in der einst konservativen FAZ genauso in der taz stehen könnten, erschien Axel Springer lange wie ein Fels in der Brandung. Für Linke war der Verlag schon immer ein rotes Tuch. Die Zeiten änderten sich und Axel Springer mit ihr, wobei an den Unternehmensgrundsätzen nicht gerüttelt wurde. Die einst konservative WELT wurde liberal, ohne dass es die Springer-Hasser mitbekommen hätten. Riefen sie anno '68 „Springer-Presse, halt die Fresse“, pöbeln sie heute auf Twitter wenig einfallsreich unter dem Hashtag #HaltDieFresseBild.

Dabei ist auch die BILD nicht mehr, was sie früher war. Statt Kritik an Merkels Migrationspolitik zu üben, fuhr sie im Herbst 2015 eine „Refugees welcome – wir helfen“-Kampagne, die Schwulenbewegung wird seit vielen Jahren abgefeiert und zur AfD hält man zuverlässig einen 1,5-Kilometer-Sicherheitsabstand ein. Während Merkel auffällig geschont wurde, bekam die „Alternative“ immer nur auf die Mütze, daran hat sich bis heute nichts geändert. Und es war der stellvertretende Chefredakteur der BILD Paul Ronzheimer, der forderte: „Lauterbach muss Gesundheitsminister werden!“

Kann man alles gut finden, muss man aber nicht. Leser wenden sich ab, und nach der Redakteurin Judith Sevinç Basad, die im Juni bei BILD kündigte, hat nun auch Ralf Schuler, Leiter der Parlamentsredaktion bei BILD, seinen Abschied angekündigt und in einem Brief an Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner und BILD-Chefredakteur Johannes Boie, der im Magazin Cicero nunmehr hinter der Bezahlschranke zu lesen ist, seine Gründe erläutert. 

„Tödliche Bedrohung des Markenkerns“

Hatte Judith Sevinç Basad Axel Springer vorgeworfen, „vor der unerträglichen Tyrannei der woken Aktivisten eingeknickt“ zu sein, spricht Ralf Schuler im Zusammenhang mit dem – dem Vernehmen nach im Hause durchaus umstrittenen – Umgang mit der LGBTQ-Bewegung von „Richtungsentscheidungen des Medienhauses (…), die ich nicht mittragen kann und möchte.“ Das Unternehmen mache sich „zum Banner-Träger einer Bewegung, die einen festen Gesellschaftsentwurf mit Sprach- und Schreibvorschriften anstrebt und glaubt berechtigt zu sein, der Mehrheitsgesellschaft einen politischen Kanon bis hin zum Wechsel des Geschlechtseintrags oder Quotierungen diktieren zu können.“

Während WDR-Moderatoren den Gender-Gaga derart verinnerlicht haben, dass sie schon von einer „Intensivkrankenschwesterin“ sprechen, ist da ein namhafter Journalist, der sich nicht verbiegen lassen will. Ein offensichtlich idiotischer Begriff wie „Intensivkrankenschwesterin“ käme ihm nicht über die Lippen, was nur für ihn spricht. Schuler stellt klar: „Jedwede Diskriminierung ist von Übel. Sich gegen Diskriminierung zu wenden, bedeutet aber nicht, sich die Agenda der LGBTQ-Bewegung zu eigen zu machen, wie wir es derzeit tun.“

Er stehe „keiner politischen Bewegung ,fest zur Seite‘“ und halte dies auch „ganz grundsätzlich NICHT für die Aufgabe von Journalisten“. Es gehe auch „nicht nur um das Thema der sexuellen Identität, sondern es geht im viel größeren Sinne darum, ob die Marke BILD als klassische Boulevard-Marke im besten Sinne Massenmarke bleibt oder sich lautstarken Micro-Milieus oder internationalen Wirtschaftseliten verpflichtet fühlt. Ich hielte das für eine tödliche Bedrohung des Markenkerns.“

Get woke, go broke

Wie gesagt: Abgesehen davon, dass eine kritische Haltung den Journalisten auszeichnet und ihm das „gemein machen mit einer Sache“ nach Hajo Friedrichs seligen Angedenkens nicht gut zu Gesicht steht, ist am Leser vorbeizuschreiben der Auflage kaum förderlich. Nicht umsonst heißt es: „Get woke, go broke.“ Und es macht einen auch nicht bei denen beliebter, die im Multimedia-Verlag Axel Springer seit jeher den Gottseibeiuns sehen. Das Anbiedern an den Zeitgeist ist Ralf Schulers Sache nicht, war es noch nie. Schon 2013 beschied er einem Leser seines Blogs:

„Ich habe 25 Jahre meines Lebens gegen meinen Willen in der DDR verbracht, habe dort nicht studieren können, habe mich in der Produktion „bewährt“, einen höllischen Militärdienst absolviert und mich schließlich in eine Nische bei einem Spartenblatt geflüchtet. Ich habe in der DDR weder geschrieben noch gesagt, was man von mir verlangte, obwohl es damals um die Existenz ging. Und ich sehe nicht ein, warum ich heute irgendwem nach dem Munde schreiben oder reden sollte, da ich jederzeit zur taz, zur Jungen Welt oder sonstwelchen Blättern wechseln könnte und keinesfalls dort arbeiten muss, wo ich arbeite. Ich habe Mechaniker für Metallverarbeitung gelernt und alle möglichen Jobs gemacht. Mit anderen Worten: Ich tue, was ich für richtig halte oder ich lasse es.“

Es wäre zu wünschen, dass sich mehr Journalisten ein Beispiel daran nehmen. Viele ballen schon lange die Faust in der Tasche, trauen sich aber nicht, den Mund aufzumachen. Dabei wäre es dringend nötig, dass die „vierte Gewalt“ ihren Job wieder ernstnimmt. Dass der „Watchdog“ seinen Blick wieder in die richtige Richtung schweifen lässt. Die Regierung mindestens genauso aufs Korn nimmt wie die Opposition. Und auch Aktivistengruppen, die vorgeblich gegen Diskriminierung kämpfen, durchleuchtet und ihren radikalen Kern erkennt. Dann könnten nicht lautstarke Minderheiten Politik und Medien kapern und der übergroßen Mehrheit regelmäßig ihren Willen aufzwingen.

Ralf Schuler gebührt Dank, darauf aufmerksam gemacht zu haben. In Zeiten des penetranten Gratismutes übrigens zu einem hohen persönlichen Preis. Wir ziehen den Hut.

Foto: Achgut.com

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Leserpost

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heinrich hein / 13.08.2022

Früher las ich regelmässig die Faz. Heute würde ich dieses Schmierenblatt nicht einmal mehr zum Anzündes des Kamins anfassen. Das frühere Nachrichtenmagazin „Spiegel“, das Hausblatt derer von Münchhausen fasse ich seit nunmehr 14 Jahren nicht mehr an (auch nicht den online-Dreck). Und ich vermisse rein gar nichts.

Bernd Michalski / 13.08.2022

Das mit dem Abstand zur AfD gibt mir echt zu denken. Mehr will ich mal gar nicht sagen …

Wilhelm Lohmar / 13.08.2022

@Rudolf George: Sehr geehrter Herr George, immerhin war man in den USA vernünftig genug, diesen ganzen Unsinn 1933 wieder abzuschaffen. Für Deutschland darf man sich ein vergleichbares Umdenken aber wohl kaum erhoffen.

Oli Resch / 13.08.2022

Ich ziehe auch den Hut vor Herrn Schuler. Jemand der zu seinen Überzeugungen steht auch wenn es viel Geld kostet.  So etwas findet man heutzutage nur noch selten in Deutschland. Übrigens auch eine willkommene Abwechslung zu Herrn Steinhöfel, dem derzeit hier auf achgut sehr viel Raum gegeben wird. Und der selbst doch auch nur über jedes vorgehaltene Stöckchen des linksgrünen Mainstreams springt, indem gegen die Landesvertretung BW vorgeht, die ihn doch tatsächlich in die “Nähe zu AfD rückte” und weswegen er sich “herabgesetzt” und “in seinem Ansehen beschädigt sieht”  usw. Und der dann tatsächlich auch noch das erwirkte Unterlassungsurteil dagegen als so etwas wie einen grossen Erfolg darstellt. Dass er die AfD, die einzig verbleibende wirklich konservative Partei, damit ganz im Sinne des linksgrünen Mainstream in die rechtsextreme Ecke steckt scheint ihn nicht zu interessieren.

A. Ostrovsky / 13.08.2022

Ja, ich finde das wirklich großmütig, wenn die, die das Schiff gegen den Eisberg gefahren haben, dann sogar noch SOS funken. Ich stelle mir vor, wie schlimm das wäre, wenn es niemand hören würde.

Jutta Schäfer / 13.08.2022

Ich wünsche mir noch sehr viele Ralf Schulers, die ihr journalistisches Gewissen (wieder)entdecken. Die Freien Medien sind der richtige Ort für sie. Das Geschriebsel des übrigen rotgrünen Bodensatzes interessiert über kurz oder lang niemanden mehr.  Der Mainstream macht sich selbst überflüssig. Journalismus erfordert neben vielem anderen die Fähigkeiten des eigenständigen Denkens, eine rasche Auffassungsgabe, sprachliche Präzision und vor allem kritische Distanz. Nichts von all dem findet sich beim grünlinken Mainstream.

Bernhard Maxara / 13.08.2022

Da sieht man, was für eine Eselei es war, an allen Gymnasien Latein nicht mehr durchwegs als Pflichtfach zu führen, sonst wüßte wenigstens ein Teil der Gendergagatölpel, daß bei der Schwest-er wie auch bei der Mutt-er die lateinische Endung “-er” eingeflossen ist, die sowohl für männliche als auch hin und wieder für weibliche Substantive steht. So “gender” - korrekt waren die alten Römer. - Der Fall steht symptomatisch für den Bildungsgrad des Personaggio der woken Phantasten und ihrer Klientel.

H.Milde / 13.08.2022

Bei Springer gibt es nmW. so eine Art “Bekenntnis/Betribesverfassung”, daß die Angestellten unterschreiben, in der ua. die Verbundenheit zu Israel, aber va. zu den US Bestandteil ist. Nur, sind die US, so wie sie damals zu Axel Springer ´s Zeiten waren, die gleichen die sie heute sind, oder vorzugeben scheinen? Ist Washington D.C. noch das Amerika iS. von 1776, oder ist es selbst inzwischen, von wem auch immer, innerlich gekapert worden? -> sa “Joe” Bidens Ableger und dessen Verbindungen zu der KPCh, ua? Regieren also immer noch “we, the people”, oder nur noch Big Money/Tech/ToxPharma, BLM-Queerdingsbums-GREEN-NGOs ua., auf wessen Payrolls diese auch immer stehen mögen? Stehen die US vllt. schon wieder vor einer inneren Sezession -> sa Razzia bei Trump? Wem könnte das nutzen? Also geht der “Big quit”, va. nach Reichelts Rausmobbing, ua. , munter weiter.  Die “W€lt”, hat vllt. noch ein paar Aufrechte, aber wie lange auch noch?

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