Von der Sammlungsbewegung „Aufstehen“ hört man wenig. So ehrenwert die Gründung war, so ist sie von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Aber warum eigentlich? Medienwirksam sind ihre Aktionen. Die Gründung der Sammlungsbewegung „Aufstehen“ oder der Protest von Sahra Wagenknecht in Gelber Weste vor dem Reichstag zeigen das. Es sind sozusagen moralische Weckrufe an die Nation. Notwendig, aber unwirksam. Gleichermaßen wie beim selbsternannten Moralapostel der Sozialdemokratie, Kevin Kühnert. Viel Medienlärm um nichts.
Doch woran scheitert Sahra Wagenknechts Bewegung? Dafür gibt es mehrere Gründe. Einige liegen außerhalb ihres Einflussraums, andere sind in ihrer Person zu finden. Warum solch ein Irrweg? Vielleicht weil die Kurz- und Schnelllebigkeit der Medienbranche Oberflächlichkeit und Diskontinuität unterstützt. Weder sympathisiert noch verabscheut der „einfache Mann“ die Sammlungsbewegung. Sie ist ihm einfach egal.
Vielleicht weil Arbeitsgemeinschaften in ganz Deutschland schön und gut sind. Entschieden wird nicht im Café, sondern auf der Straße. Mit Kaffee und Kuchen können Massen nicht erreicht werden. Vielleicht weil „Aufstehen“ von den anderen Parteien als Konkurrentin angesehen wird, was ihr erschwert sich zu etablieren. Vielleicht weil Parteiinteressen der Linken mit Zielen von „Aufstehen“ konfligieren. Das führt zu einem unnötigen Interessenkonflikt. Hierdurch verpulverte Energie wäre in das Projekt besser aufgehoben. Vielleicht weil mit „Aufstehen“ „von oben“ versucht wird eine Bewegung „von unten“ zu etablieren. Das kann nur schief gehen. Vielleicht weil Wagenknecht keine Identifikationsfigur für den „kleinen Mann“ ist. Somit fehlt es ihr an Glaubwürdigkeit.
Berliner haben eine hohe Schmerzgrenze
Wagenknecht und Konsorten an der Spitze stehen nicht auf, sondern lassen sich medial tragen. Sie wollen nicht wissen,
- dass, um eine größere mediale Aufmerksamkeit zu erhalten, es mehrerer unkonventioneller Kampagnen über einen längeren Zeitraum bedarf. Keine neuen 08/15-Demonstration.
- dass Berliner eine hohe Schmerzgrenze haben: Berliner Flughafen, Berliner Behördensystem und Berliner Mietpreise. Bei den Brandenburgern, Sachsen oder Thüringern wären solche dysfunktionalen Zustände nicht tragbar. Warum nicht also auf dieses Potenzial zurückgreifen, um auf die Straße zu gehen?
- dass die Gelbwesten in Frankreich gezeigt haben wie es geht. Ohne politischen Rückhalt ist ihr Vorgehen die einzige Möglichkeit für „Aufstehen“ nicht „sitzen“ zu bleiben.
- dass das Prinzip „entweder-oder“ gilt. Entweder bleibt Sahra Wagenknecht Parteivorsitzende der Linken oder sie widmet sich ganz der Sammlungsbewegung. „Sowohl-als auch“ geht nicht, gibt‘s nicht, wird nicht. Schließlich versteht sich „Aufstehen“ als überparteiliche Bewegung.
- dass mit den Führungsköpfen „Aufstehen“ zeigt was sie ist. Eine Bewegung für sich selbst. Ein Stammtisch linker Intellektueller. Nichts machen, sondern sinnieren. Man sitzt feuchtfröhlich mit Bier am Tisch und philosophiert über Hegels „Phänomenologie“ vor dem Hintergrund gesamtgesellschaftlicher Prozesse. Doch das interessiert den „kleinen Mann“ nicht. Was er will, sind ein sicherer, gut bezahlter Job, mit dem er sich ein Heim, ein Auto, den Urlaub und sein Hobby finanzieren kann.
- dass Massen sich nicht mit Argumenten begeistern lassen .Konkrete Änderungen und Emotionen sind das Entscheidende. Egal ob Rosa Luxemburg oder Jeanne D‘Arc. Beide kämpften leidenschaftlich für ihre Sache und schritten zur Tat. Das fühlten und sahen ihre Anhänger, und deswegen schenkten sie ihnen auch Glauben.
Und jede Sammelbewegung braucht noch eins: eine neue Galionsfigur. Am besten ein politisch unbeschriebenes Blatt. Zu tief sitzen die durch das politische Establishment verursachten Vertrauensrisse im Herzen der Bevölkerung. Funktionäre, Delegierte, Repräsentanten gibt es hierzulande schon genug. Sollen sie repräsentativ aufstehen? Für wen?