Thilo Sarrazin / 18.08.2017 / 06:15 / Foto: Tim Maxeiner / 35 / Seite ausdrucken

Warum geht es der SPD so schlecht?

Sechs Wochen vor der Bundestagswahl schwanken die Umfragewerte der SPD zwischen 22 und 25 Prozent. In den Augenwinkeln des Kanzlerkandidaten Martin Schulz sieht man die Panik sitzen. Die beiden vorhergehenden Spitzenkandidaten Steinmeier und Steinbrück hatten es 2009 und 2013 jeweils auf 23,0 und 25,9 Prozent gebracht. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Martin Schulz das schlechteste Wahlergebnis für die SPD seit November 1932 erzielt, damals war die SPD auf 20,4 Prozent  gekommen. 16,9 Prozent hatten damals die KPD gewählt, so kamen die beiden linken Parteien kurz vor dem Ende der Weimarer Republik zusammen auf 37 Prozent. Aus dieser Zeit rührt das Trauma von der Spaltung der Linken.

Im Westdeutschland gelang es der SPD zunächst, größere Konkurrenz links von ihr zu verhindern. Sie bezahlte das mit starken Spannungen innerhalb der Partei. Anfang der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts begann der Aufstieg der Grünen, mit der Einheit kam die Linke. In den Umfragen liegen beide Parteien jetzt bei 8 bis 9 Prozent, das bedeutet für das linke Spektrum ein Gesamtergebnis von 39 bis 42 Prozent. Selbst wenn die drei Parteien sich koalitionsfähig miteinander vertragen könnten, ist dies doch weit entfernt von einer realistischen Machtoption. Es war ein schwerer Fehler von Martin Schulz, zunächst mit genau dieser Machtoption gespielt zu haben - wohl weil sie die einzige ist, die den Kanzlerkandidaten auch zum Kanzler machen könnte. Nur bei drei Bundestagswahlen - 1998, 2002 und 2005 - ergab sich für die drei linken Parteien eine rechnerische Mehrheit, sonst niemals in der gesamten Nachkriegszeit.

Willi Brandt und Helmut Schmidt konnten nur regieren dank einer liberalen FDP, die sich für wenige Jahre, im wesentlichen aus Gründen der Außenpolitik, nach links öffnete. Der Kampf der SPD um die bürgerlichen Wähler in der Mitte führte zum Aufstieg zunächst der Grünen und dann der Linken. Die FDP ist aber noch nicht wieder im Bundestag etabliert. Auch für eine Koalition mit ihr ist die SPD schlicht nicht mehr groß genug. So bleiben als realistische Alternativen nur der Gang in die Opposition oder ein Weitermachen als Juniorpartner in einer Unionsregierung unter Angela Merkel, die bald länger regiert haben wird als Konrad Adenauer.

Die vier großen Versprechen der SPD – perdu

Aufstieg und Erfolge der SPD waren in den 150 Jahren ihrer Geschichte mit vier großen Versprechen verbunden. Bei allen vieren hat sie ihre Markenstärke verloren:

  • Das materielle Versprechen  Die sozialistischen Ideen entstanden parallel zu Industrialisierung und Kapitalismus. Aufgabe der Sozialisten war es, den kleinen Leuten, insbesondere den Arbeitern, einen gerechten und möglichst großen Anteil am wachsenden Kuchen zu sichern.
  • Das Sicherheitsversprechen Der Besitzlose, der vom Angebot seiner Arbeitskraft leben muss, bedarf des besonderen staatlichen Schutzes, insbesondere wenn er keine Arbeit findet oder seine Arbeitskraft durch Alter und Gesundheit beeinträchtigt ist. Darum wurde die SPD zur moralischen Mutter des Sozialstaats.
  • Das Identitätsversprechen Die sozialistische Idee gab dem Arbeiter Stolz und ein Gefühl der Zugehörigkeit. Eigene Zeitungen und ein reges Vereinsleben gaben Heimat weit über das Politische hinaus.
  • Das idealistische Versprechen Der Sozialismus versprach auch moralisch eine bessere Welt: Aufstieg durch Bildung sollte an die Stelle des Privilegien von Geburt und Besitz treten. Die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen sollte verschwinden. Gerechtigkeit sollte Gleichheit an die Stelle von Ungleichheit setzten. Der Starke sollte gezügelt, der Schwache gefördert werden. Unwissen, Kriege, Armut, Hunger und Not sollten Relikte von gestern werden.

Von Anfang an - bis heute - kämpften in der SPD die pragmatischen Reformer und Revisionisten mit marxistischen Ideologen und fundamentalistischen Weltverbesserern. Gemeinsam und gegeneinander errangen sie einen nahezu totalen Sieg über die Gesellschaft: Die Weltverbesserer und marxistischen Ideologen gründeten mit den Grünen und der Linken jeweils ihre eigene Parteien. Die Revisionisten und Reformer aber begnügten sich nicht mit der SPD. Sie beherrschen heute die CDU/CSU und größtenteils auch die FDP.

Die SPD als vergessene Hülle am Wegesrand der Politik

Konservatives bürgerliches Denken hat seinen Raum und Resonanzboden weitgehend verloren. Der Sozialismus ist heute quasi überall. Seine historische Larve, die SPD, droht als vergessene Hülle am Wegesrand der Politik zu verdorren. Die SPD müsste sich quasi neu erfinden, um eine Zukunft als große Partei zu haben. Dazu braucht sie neue Ideen, frischen Geist und eine charismatische Führung, die beides vermittelt und in Tatkraft umsetzt. Das Problem mit Martin Schulz ist: Man kann ihn sich gut vorstellen als Sozialarbeiter in Würselen oder Leiter der dortigen Volkshochschule, als Ideengeber und Wegweiser in eine ungewisse Zukunft dagegen eher nicht.

Die Frage stellt sich: Was würden Karl Marx, Friedrich Engels oder Ferdinand Lassalle heute denken oder fordern, wenn sie als junge Männer in die Gegenwart träten? Ich weiß es nicht, und Martin Schulz weiß es leider offenbar auch nicht. Die alte sozialistische Agenda hat durch erfolgreiche Umsetzung ihre weitgehende Erledigung gefunden. Da müssen wir viel pflegen und bewahren, eine Aufgabe für solide politische Handwerker.

Aber die zentrale Kernfrage der Gegenwart ist für mich, wie wir das westliche Lebensmodell gegen Unwissenheit, Atavismus und Fanatismus und den Ansturm eines neuen religiösen Mittelalters bewahren können. Dazu vermisse ich eine Antwort von Martin Schulz, er formuliert ja nicht einmal die Frage. Der Blick des Sozialerbeiters auf die Welt ist notwendig, aber als politisches Konzept, das überzeugen und mitreißen soll, ist er nicht ausreichend. Wenn der Wähler den Eindruck hat, dass seine Wünsche und Besorgnisse bei Angela Merkel oder Horst Seehofer genauso gut oder schlecht aufgehoben  sind, hat er keinen Anreiz, Martin Schulz zu wählen.

Foto: Tim Maxeiner

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Ferdinand Merten / 18.08.2017

Die SPD, Gruenen und LINKE haben auch 2013 eine Mehrheit der Mandate im Bundestag errungen. Im Prinzip haette es also fuer RRG gereicht. Natuerlich war das nur der besonderen Situation von 2013 geschuldet weil damals mit den 4.7% der AfD, den 4.8% der FDP und weiteren 6.3% fuer alle anderen Kleinparteien (Piraten, NPD, FW etc) so viele Stimmen wie noch nie aufgrund der 5%-Huerde aus der Zaehlung rausfielen (mit 15.8% fast jede sechste Stimme).

Heinrich Niklaus / 18.08.2017

Treffende Analyse! Eines aber fehlt!  Ich bin überzeugt, dass die heute zu beobachtende Dominanz links-grünen Denkens in gesellschaftspolitischen Fragen ganz wesentlich von den links-grünen Medien mitbestimmt wird. Die „Unbelangbaren“ Medien wollen mitregieren und ihr gesellschaftspolitisches Weltbild durchsetzen. Ihre eigentliche Aufgabe als „Vierte Gewalt“ zur Kontrolle der „Mächtigen“ haben sie fast vollständig aufgegeben. Wie wir das wieder in den Griff bekommen, ist mir völlig unklar. Zumal es der im links-grünen Mainstream dahin schwimmenden Merkel-Politik nicht im Traum einfallen dürfte, daran etwas zu ändern.

Axel Heinz / 18.08.2017

Warum geht es der SPD so schlecht ... Nun Hr.Sarrazin, ich glaube, weil immer mehr Menschen glücklicherweise die Lügen dieser Partei* durchschaut und satt haben ! Als Beispiele einige Werbeplakate für die anstehende BTW und die (vergangenen) Europawahlen der SPD: “Damit die Rente nicht klein ist, wenn die Kinder groß sind” ROT-Grün hat 2004 die Absenkung des Rentenniveaus auf 43 % des Nettoeinkommens bis 2030 beschlossen (§ 154 Abs. 3 SGB VI) Welche Kinder möchte man fragen - über die Fördermaßnahmen der SPD* hierzu hüllt man am besten den Mantel des Schweigens ... Man sollte mal nachrechnen, was das für die eigene Rente bedeutet ... “Wer 100% leistet darf nicht 21% weniger verdienen” Ein Beispiel wie die SPD mit Neid und Faktenunterschlagung Politik macht, die insinuiert, dass hier eine Gerechtigkeitslücke vorläge. Äpfel mit Birnen zu vergleichen - darin waren die Vertreter dieser Partei* schon immer gut, wenn es denn den eigenen Zielen dient. “Ein Europa der Demokratie. Nicht der Bevormundung” Da lassen wir am besten Jean-Claude Junker zu Wort kommen: “Wenn Europa die Aufnahme in die EU beantragen würde, müsste man dies wegen Demokratiedefizite ablehnen” Wenn der SPD-Spitzenkandidat das Wort “Gerechtigkeit” in den Mund nimmt, fallen mir sofort zwei Schlagwörter ein: “Sitzungstagungsgelder” und “LuxLeaks-Affaire” Diese belegen eindeutig das Gerechtigkeitsempfinden eines Hr.Schulz ! * damit will ich keinesfalls behaupten, dass die CDU in diesen oder ähnlichen Situation signifikant hintenan stehen würde ...

Torsten P.Neumann / 18.08.2017

Bei mir war es die Lächerlichkeit von Siggis “Wir schaffen das”, weshalb ich von der Wahl der SPD Abstand nahm. Bei Schulz kommt noch hinzu, daß er mit dem Thema Gerechtigkeit Wahlkampf machen will, mit dem Thema Einwanderung hingegen nicht. (Dabei denke ich jedesmal an den Syrer, der mit 4 Frauen und 23 Kindern ankam, die Hand aufhielt, und jetzt leistungslos bis zu € 300.000 pro Jahr kassiert. Das Handelsblatt errechnete daß die Steuern von 96 deutschen Handwerkern dafür aufgewendet werden). Daß die anderen Parteien nicht besser sind, stimmt natürlich, aber ich denke die wird es auch noch erwischen.  Einer muß ja schließlich den Anfang machen wenn die Fahrt bergab geht, traditionell ist das nun mal die SPD.

Rudolf George / 18.08.2017

Ich möchte der Analyse noch eine allgemeine Beobachtung hinzufügen: nicht nur in der SPD, sondern in allen Parteien fehlt es an Politikern, die mehr als Sprechschablonen sind. Charisma und Inspiration sucht man beim Politikpersonal weitgehend vergeblich. Frau Dr. Merkel ist das Sinnbild einer bleiern trögen Beliebigkeit, die sich wie ein grauer Mantel über den gesamten Politikbetrieb gelegt hat. Es ist Wahlkampf, aber keiner merkt es. Sogar die AfD scheint sich in dieses Schema gefügt zu haben, oder wann hat man zuletzt selbst aus dieser Partei einen Aufreger gehört?

Herwig Mankovsky / 18.08.2017

Merkel setzt blitzschnell jede blödsinnig-linke Ideen, von den Medien willig, weil sensationsgeladen hochjazzt, um, dass den ,,original” Linken keine Zeit bleibt, es für sich zu reklamieren. Das Hase-Igel-Syndrom. Dass die denkfaule, medienhörige Wählerschaft das auch noch abstimmungsmäßig honoriert, lässt mich verzweifeln.

Werner Arning / 18.08.2017

Machen sich außer der SPD derzeit nicht auch alle anderen “klassischen” Pateien überflüssig? Die Grünen haben ihre Ziele weitestgehend erreicht. Was bleibt, ist nur noch etwas Ideologie. Die CDU schafft den Konservatismus selber ab, erklärt ihn quasi zum Auslaufmodell. Die FDP scheint einzig nach einer Machtoption zu suchen und weiß wohl selber nicht was Liberalität bedeutet. Die Linke hängt längst überkommenen Gesellschaftsmodellen der Vergangenheit an, die sich als undurchführbar erwiesen haben. Keine dieser Parteien bietet auch nur im Absatz Antworten auf Probleme und Fragen unserer Zeit. Die SPD befindet sich also in “guter” Gesellschaft. Unser Parteiensystem als solches steht zur Debatte. Ihr Zusammenbruch ist vielleicht unumgänglich. Parteien als leere Hülle und Jobbeschaffer für Juristen, Lehrer und Sozialpädagogen braucht niemand. Bei den Wahlen in Frankreich wurde schon angedeutet, wie dieser Zusammenbruch beginnen könnte.

Karla Kuhn / 18.08.2017

” Man kann ihn sich gut vorstellen als Sozialarbeiter in Würselen oder Leiter der dortigen Volkshochschule, ...” Den möchte ich nicht als Sozialarbeiter und gleich gar nicht als Leiter der Volkshochschule sehen. Was soll er denn lehren ? Wie man schöne Seifenblasen macht ?

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Thilo Sarrazin / 18.03.2024 / 06:15 / 121

Abstieg im Land der Tüftler und Denker

2010 hatte ich in „Deutschland schafft sich ab“ die Fortsetzung des Verfalls der Bildungsleistung prognostiziert. Es kam tatsächlich noch schlimmer. Vor einigen Tagen stieg ich…/ mehr

Thilo Sarrazin / 03.02.2024 / 06:15 / 102

Das Landhaus des Bösen

Nicht immer schärfere Töne gegen die AfD helfen der Demokratie, sondern mehr Erfolge bei dem Thema, das sie groß gemacht hat: Kontrolle der Grenzen und…/ mehr

Thilo Sarrazin / 08.01.2024 / 12:00 / 93

Die SPD im Panik-Modus

Mit der SPD geht es abwärts. Bundesweit liegt sie bei 14 bis 15 Prozent, in den Ost-Ländern noch tiefer, in Sachsen ist sie auf drei…/ mehr

Thilo Sarrazin / 12.12.2023 / 10:00 / 55

Jetzt kommt die Stunde der Wahrheit

Das Bundesverfassungsgericht hat es der Ampel-Regierung untersagt, die nicht verbrauchten Kreditermächtigungen des Corona-Hilfsfonds auf den Fonds für Energieversorgung und Klimaschutz zu übertragen. Das kann das…/ mehr

Thilo Sarrazin / 09.11.2023 / 06:15 / 72

Die deutsche Staatsraison droht leerzulaufen

13 Jahre nach „Deutschland schafft sich ab“ übersteigt die anhaltend hohe Einwanderung aus der islamischen Welt meine Prognosen von damals bei Weitem. Die daraus erwachsenden Probleme dominieren…/ mehr

Thilo Sarrazin / 26.10.2023 / 12:00 / 102

Die Angst der CDU vor der AfD

Die deutsche Politik ist gegenwärtig weit davon entfernt, sich mit der Problematik des ungebremsten Zustroms über offene Grenzen ernsthaft auseinanderzusetzen. Schon das öffentliche Nachdenken über…/ mehr

Thilo Sarrazin / 11.07.2023 / 06:00 / 154

Migration um jeden Preis

Der Bundesrepublik fehlen Facharbeiter. Deswegen brauchen wir Zuwanderung. Dass die meisten Migranten, die in Deutschland ankommen, weder eine abgeschlossene Schul- noch eine Berufsausbildung haben, müsste…/ mehr

Thilo Sarrazin / 22.06.2023 / 10:00 / 159

Warum die AfD im Aufwind ist

Der SPD hat es offenbar nicht geholfen, dass sie sich im Sommer 2020 vom Migrations- und Islamkritiker Thilo Sarrazin getrennt hat. Er hatte immerhin ein…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com