Ulli Kulke / 05.02.2019 / 06:25 / Foto: Duch.seb / 85 / Seite ausdrucken

Warum ein Tempolimit überfällig ist!

Die Aufregung war groß vor 60 Jahren, als sich Ende der 50er das Tempolimit abzeichnete – in geschlossenen Ortschaften wohlgemerkt. „Warum soll der Kraftfahrer dann wider alle Vernunft etwa hinter einem Lastwagen herschleichen, weil das geplante Geschwindigkeitsgesetz nur 50 Kilometer für die Ortsdurchfahrt vorschreibt?“, zitierte der Spiegel in seiner Titelgeschichte im Oktober 1956 den Vizepräsidenten des ADAC, Hans Bretz, „wir werden dann im Ortsverkehr noch größere Pannen als bisher erleben.“ Eine vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit bedeute „eine enorme Belastung für den Verkehrsfluss.“

Und die schnell wachsende Zahl der Verkehrstoten? „Soll man das Schwimmen verbieten, weil dabei jährlich Hunderte von Menschen ums Leben kommen?“, fragte Bretz provokant. „Der Fortschritt der Technik hat zweifellos dazu beigetragen, das menschliche Leben zu verlängern, aber der Fortschritt der Zivilisation kostet auch Opfer.“ Wo gehobelt wird, da fallen auch Späne, meinte er eben. Auch der Spiegel war damals noch bemüht um die freie Fahrt für freie Bürger, bestritt, dass Tempo lebensgefährlich sein könne und führte die Vielzahl der Verkehrsunfälle eher darauf zurück, dass auch „Lloyd- und Isettafahrer auf den Gashebel drücken, um die letzte Kraftreserve herauszuholen und Überholkunststücke anzustellen, die oft misslingen.“ Was der Spiegel andeuten wollte: Baut mehr schnelle Autos, auch für die Städte, dann passieren weniger Unfälle.

Daimler, Porsche, alle Autohersteller schossen gegen jede Tempobegrenzung auch innerhalb der Ortschaften, wollten sich die Politiker mit der Finanzierung des Straßenbaus und einer Verkehrswacht kaufen – und bekannten sich ganz offen zu ihrer Lobbyarbeit. Betrieben wurde das Tempolimit damals übrigens von einem CDU-Politiker: Oskar Rümmele, Vorsitzender des Bundestags-Verkehrsausschusses. Der SPD-Politiker Helmut Schmidt trat dagegen in Opposition: „Rümmele soll sich lieber darum kümmern, dass die Straßen endlich verkehrsgerecht ausgebaut werden.“

Die Protagonisten von damals leben – vermutlich – alle nicht mehr. Dennoch wird man ihnen kein Unrecht tun, wenn man sagt, dass sie ihren Widerstand gegen Tempo 50 innerorts heute nicht mehr aufrechterhalten würden. Sie dürften wohl selbst ein wenig schmunzeln über ihre damaligen Argumente. Die generelle Geschwindigkeitsbegrenzung in geschlossenen Ortschaften ist kein Thema mehr, fast niemand will sie abschaffen. Ähnlich verhält es sich mit dem 1972 eingeführten generellen Tempo 100 auf Landstraßen, das die Aufregung wieder kurz hochkochen – aber unmittelbar nach Einführung die komplette Beruhigung auf dem Fuß(pedal) folgen ließ. Natürlich, viele fahren schneller, aber ich kenne persönlich niemand, der diese Regelungen wieder aufheben wollte.

Das Leben ging weiter

Es war immer wieder das selbe. Als 1989, noch im alten West-Berlin, für die vorher unlimitierte Avus Tempo 100 beschlossen wurde, standen die wildesten Szenarien im Raum. Der letzte Freiraum im freien Teil der Stadt war weg, und angeblich sollte dies keine einzige KfZ-Werkstatt in West-Berlin überleben, weil man ja nun keine gescheite Probefahrt mehr durchführen konnte. Hupende Autokorsi, Anzeigenboykott gegen Zeitungen mit der „falschen“ Haltung zum Thema. Die Stadt war gespalten. Und dann? Schon Wochen nach Aufstellung der Schilder war das Thema erledigt. Das Leben ging weiter.

Ich prophezeie, dass auch nach einem Tempolimit auf Autobahnen die Aufregung nach ein paar Tagen schon verflogen sein wird. Na schön, jetzt geht es tatsächlich um den letzten Freiraum für Tempo liebende Autofahrer. Auch als Stadt und Landstraße „gefallen“ waren, konnte man, nachdem der Opel Kapitän, der Volksporsche oder heute das SUV in der Garage abgestellt war, nachts von der nächsten Autobahnraserei träumen – und am nächsten Morgen sich dann doch wieder im Stau in Richtung Stadt einreihen. Bei einem allgemeinen Tempolimit auch auf den Schnellstraßen hieße es dann heute: Aus der Traum! Es wäre dennoch an der Zeit.

Was die Diskussion ein wenig beruhigen sollte: Damals, mit Tempo 50 innerorts, gehörte die Bundesrepublik zu den Pionieren in Europa. Fast überall sonst durfte man vorm Dorfgasthaus noch mit dem Bleifuß protzen. Heute ist es genau andersherum. Nirgendwo sonst auf der Welt darf noch gerast werden – abgesehen von der Isle of Man, wo dann der innerbritische Tempo-Tourismus auch immer wieder zu schweren Unfällen führt.

Die Geschichte der Tempolimits in Deutschland zeigt, dass es keine Frage der Ideologie ist, sondern damals wie heute eine Frage der Vernunft. Auch wenn Verkehrsminister Scheuer – indirekt – die ganze übrige Welt für unvernünftig erklärt, weil sie das Tempo begrenzt.

Man muss schon eine starke Abneigung gegen Statistiken haben oder sie prinzipiell allein zum Anlass nehmen, sie mit hergesuchten, geänderten Randbedingungen für ungültig zu erklären, wenn man die Fakten abstreitet. Eine Autobahn-Strecke zwischen Hamburg und Berlin – bis dahin ohne Tempolimit – wurde im Jahr 2003 auf maximal 130 Stundenkilometer begrenzt. Ergebnis: In den drei Jahren von 2004 bis 2006 gab es auf dem Abschnitt nur noch halb so viele Unfälle wie im Zeitraum 2000 bis 2002. Okay, die Anzahl der Unfälle auf deutschen Autobahnen ging im Vergleich dieser Jahre auch insgesamt ein wenig zurück, aber lediglich um gut sechs Prozent. Die Forscher, die die Unfallzahlen analysiert und verglichen haben, gehen davon aus, dass der Rückgang der Crashs zu 26 Prozent auf das Tempolimit zurückzuführen ist. Das heißt, sie haben nicht pauschal interpretiert, sondern einschlägige Randbedingungen berücksichtigt. So oder so handelt es sich um einen himmelschreienden Unterschied.

Tempo hat etwas mit Unfällen zu tun – was Wunder.

Und es geht dabei nicht nur um Blechschäden. Was Leib und Leben angeht, war der Rückgang mindestens genauso bedeutsam: 1850 Menschen wurden auf jenem Streckenabschnitt im Siebenjahreszeitraum vor Tempo 130 verletzt, in den sieben Jahren danach waren es nur noch 799 (Tote: 38 zu 19!). Wohlgemerkt handelt es sich bei der 62 Kilometer langen Etappe auf der A24 zwischen den Dreiecken Wittstock und Havelland um eine extrem flache Topografie mit sehr weiten Kurvenradien – mithin um eine Strecke, die vorher zu Tempo 250 oder mehr einlud. Und die Untersuchungen in Brandenburg sind nicht die einzigen einschlägigen. Erhebungen in Nordrhein-Westfalen kamen zu einem ähnlichen Ergebnis.

Die Hälfte der 13.000 deutschen Autobahnkilometer ist dauerhaft frei von Tempolimits, auf einem Drittel ist die Geschwindigkeit dauerhaft begrenzt, der Rest ist zeitweise und wechselnd limitiert. Deshalb ist es schon bedeutsam, wenn insgesamt auf den deutschen Autobahnen zwei von drei Verkehrsopfern auf den Etappen ohne Tempolimit sterben (in Bayern, dem Land der schnellen Autos sind es sogar drei von vier). Dieses Verhältnis aber erhält seine Brisanz erst dann, wenn man die Beschaffenheit der Strecken mit und ohne Tempolimit vergleicht: Es ist geradezu ein Wunder, dass an den allergefährlichsten Abschnitten (Baustellen, bergige Strecken, enge Kurven, starker Verkehr) nicht überproportional viel mehr, sondern weniger passiert.

Doch das Wunder ist erklärbar: An all diesen Stellen herrscht nämlich dauerhaft Geschwindigkeitsbegrenzung. Und wenn ausgerechnet an den übrigen, eben nur scheinbar ungefährlichen Abschnitten überproportional viel passiert, so zeigt auch dies deutlich, dass Tempo etwas mit Unfällen zu tun hat (was Wunder!). Und es sagt natürlich auch viel über die Ursachen dafür aus, dass in einem Jahr (2017) auf den Autobahnen 409 Menschen sterben und knapp 6000 verletzt werden. Ganz allgemein gilt im Autoverkehr nach wie vor: Zu schnelles Fahren ist die Unfallursache Nummer eins (mit einem Viertel in der Statistik).

Es geht aber nicht nur um Statistik. Nicht allzu viel Vorstellungskraft ist nötig, um zu erkennen, dass das offenbar unfallträchtige Neben-, Mit und Durcheinander von einer rechten Spur mit Tempo 60 oder 80 sowie mittleren und linken Spuren mit Tempo 250 oder mehr eben nicht nur Menschenleben und Autokarossen schädigt, sondern auch die Konzentrationsfähigkeit. Der Reaktions- und Bremsweg beträgt schon bei 200 km/h einen Viertelkilometer, und damit fast doppelt so viel wie bei 130 km/h (ganz zu schweigen von Tempo 250!). Das ist nicht nur eine unfallträchtige Bewandtnis.

Raserei schafft Stress 

Weil dies im Unterbewusstsein eines jeden Menschen, der sehen und Bewegungen interpretieren kann, verankert ist, produziert die antizipierte Gefahr die Nerven ganz gehörig. Nicht nur bei denen, die überholt werden, bei jedem Überholvorgang, sondern auch bei denen, die selbst überholen und das als wohligen Nervenkitzel verbrämen und sich dabei gehörig was vormachen. Mit anderen Worten: Raserei schafft Stress. Und den brauchen wir nicht im Straßenverkehr, weil der eben auf die Dauer auch unfallträchtig ist. Insofern gehen auf das Konto der Raserei auch Unfälle, bei denen das Tempo selbst vordergründig gar keine Rolle gespielt hat. 

Unnötige Stressproduktion ist asozial. Die Straßen gehören nicht denen allein, die sich hierüber hinwegsetzen wollen. Die Freiheit, die bei dem Thema immer so gern ins Spiel gebracht wird, endet dort, wo andere Verkehrsteilnehmer über Gebühr beeinträchtigt oder belästigt werden, das sagt schon Paragraf 1 der Straßenverkehrsordnung. Lärm zu machen (Musik) gehört auch zu unseren Freiheiten, ruhestörender Lärm nicht (Geschwindigkeit produziert übrigens auch Lärm). Und nicht vergessen: Der Inbegriff der Freiheitsliebe, das Land der „unbegrenzten“ Möglichkeiten, erfreut sich seit Jahrzehnten eines rigiden und dennoch unumstrittenen Tempolimits.

Ein Tempolimit wäre nur dann unstatthaft, wenn es die Allgemeinheit in ihrem Fortkommen signifikant beeinträchtigen würde. Das ist nicht der Fall: Die Durchschnittsgeschwindigkeit sinkt bei einer allgemeinen Begrenzung nur minimal. Von 142 (sechsspurig) und 137 (vierspurig) auf 132 bzw. 127 bei einer Begrenzung auf 130 Stundenkilometer. Dies zeigt auch: Die unsägliche allgemeine Nerverei auf der Autobahn wird von nur wenigen Autofahrern verursacht – trifft aber alle. Diese Zahlen stammen ebenfalls aus der zitierten Studie aus Brandenburg.

Nach der Studie darf man im Übrigen keine Beeinträchtigungen, sondern vielmehr Vorteile erwarten – und zwar für alle. Sie ergab nämlich auch: Je moderater die Geschwindigkeit, desto größer ist die Aufnahmekapazität der Schnellstraßen. Tempo 130 könnte sie um 100 Autos pro Stunde erhöhen. Und, Pendler aufgepasst: Es gäbe weniger Staus. Der sogenannte „Stau aus dem Nichts“, darüber sind sich alle Verkehrsexperten einig, entsteht vor allem durch starke Geschwindigkeitsdifferenzen. Raserei schafft Stau.

Was wollen wir der Welt damit beweisen?

Es hilft alles nichts: Auch bei noch so ausflüchtenden Forderungen nach besseren Straßen, mehr Spuren, weniger Baustellen, mehr Autobahnen, weniger Kurven, mehr Platz – der immer dichtere Verkehr auf allen Spuren: mehr LKWs, mehr Pendler, mehr Amazon-Paketboten, er wird über kurz oder lang ein Tempolimit unumgänglich werden lassen. Auch der Hinweis auf die Nachteile für die deutsche Autoindustrie – der allein hinter Verkehrsminister Scheuers Appell an die rasende „Vernunft“ steht – wird sich auf die Dauer schon gar nicht halten lassen. Irgendetwas kann an dem Argument sowieso nicht stimmen, wenn Sportwagen aus dem tempobegrenzten Italien schließlich besonders beliebt sind. Und, Andreas Scheuer, aufgepasst, apropos Vernunft: Soll es wirklich vernünftig sein, wenn in unserem Land, das so sehr von seinem Einfallsreichtum, von zukunftsweisenden Erfindungen, von seiner Ingenieurskunst, von seiner Infrastruktur abhängt, dass in so einem Land die Zukunft an einer hundertjährigen Verkehrstechnik, aufgepeppt mit neuartiger Tonnenideologie hängt? Dass wir immer mehr Zweieinhalbtonner mit 350 oder 500 PS aus Ingolstadt, Schwabing oder Zuffenhausen mit 250 Sachen über die Autobahn jagen, allesamt Fünfsitzer, in denen meist nur ein einziger Mensch sitzt, eingepanzert? Ist es das?

Was wollen wir der Welt damit beweisen? Dass wir alle verrückt sind? Und Argumente von der Qualität anbringen, wie sie vor 60 Jahren gegen Tempo 50 innerorts vorgebracht wurden? Wo gehobelt wird, da fallen auch Späne? Baut mehr schnelle Autos, dann passiert weniger? Und so weiter?

Es wird Zeit, dass sich auch in den deutschen Entwicklungsbüros mal jemand Gedanken macht, wie in einer Welt von 10 Milliarden Menschen der Verkehr organisiert sein kann und wie sich unsere Konzerne daran beteiligen können. Und zwar jenseits der idiotischen Hoffnung auf E-Autos. Irgendwie dürfte es mit dem Individualverkehr nämlich eng werden. Nein? Okay, dann empfehle ich einen Ausflug nach Peking, Jakarta oder in ähnlich verstopfte Metropolen. Die Aufhebung des Tempolimits in China oder Indonesien wird da auch nicht helfen.

Eines habe ich hier gar nicht zur Sprache gebracht: CO2, Feinstaub, Klima und so weiter. Warum? Es gibt bessere Gründe für ein Tempolimit. Oder, um in Andreas Scheuers Sprache zu argumentieren: Vernünftigere.

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Alex Meier / 05.02.2019

Dass man ohne Limit in Deutschland als einzigem Land auf der Welt noch rasen darf, ist absurd und anachronistisch. Wer gegen das Tempolimit ist und argumentiert, Bollidenfahrer würden mit dieser Verantwortung vernünftig umgehen, der irrt gewaltig. Dann kann er sich ja gleich dem Juso-Beschluss „Abtreibung ohne Limit“ anschließen… von wegen, im 9. Monat würde sowieso keine Frau abtreiben. Genauso wie es Idioten gibt, die mit 300 über die Autobahn brettern, würde es Idiotinnen geben, die Abtreibungen im 9. Monat durchführen lassen… Eigentlich könnte dieses Thema ein Brücke zwischen den politischen Lagern werden, wo sich Vernünftige von links und rechts treffen, aber das wird wohl nix. Siehe Trump und TTIP…..PS: wohlhabenden Touristen aus Übersee und Fernost werden Deutsche-Autobahn-Pauschalreisen angeboten, inclusive Sport-Leihwagen, damit die hier das Gaspedal mal richtig durchtreten können. Die Anbieter solcher Arrangements würden wohl tatsächlich ein neues Business suchen müssen.

Wilfried Cremer / 05.02.2019

Plausibel argumentiert. Nach denselben strengen Maßstäben müsste dann aber auch, bzw. sogar eher noch, das Motorradfahren komplett verboten werden, nicht wahr?

Jo Wolf / 05.02.2019

Die Sache mit dem Tempolimit auf Autobahnen könnte eine simple Sache sein, wenn wir in der BRD nicht so eine korrumpierte Politiker-Kaste hätten: Volksentscheid! Es wäre auch egal für welche Variante sich die Bürger mehrheitlich entscheiden,....am nächsten Tag würde sich die Welt weiter drehen und nicht solche Probleme produzieren a la Brexit. Mehr Demokratie wagen, aber mit den Gestalten in Berlin? *lol*

Rainer Alexy / 05.02.2019

Au weia, das wird ja einen neuen Kommentarrekord geben, da bin ich mir sicher. Nur mit einem Rücktritt der Kanzlerin wäre das noch zu überbieten. Ich weiss, gehört nicht hier hin, aber jeder darf mal einen schlechten Witz versuchen. Ein Tempolimit wünsche ich mir schon (vergeblich) seit 50 Jahren. Man sollte schon einen LKW mit 120 km/h überholen können, ohne von einer Rakete eingeholt zu werden. Dem Autor ist zu danken für die umfassende Darstellung. Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Ich bin immer froh, wenn ich fahrenderweise Deutschland verlassen habe und es wieder mehr Frieden auf den Straßen gibt. Ich war schon in den USA unterwegs, als es noch die allgemeine Geschwindigkeitsbegrenzung von 55 Meilen/h gab. Herrlich. Hat sich ja auch geändert heute. Ich schätze das französische System mit der Abstufung 130/110/90/70/50/30 km/h, je nach Straßenklassifizierung. Das kürzlich erfolgte Absenken von 90 auf 80 km/ bei zweispurigen Straßen ausserorts halte ich aber für unangemessen und eher der Kategorie Dieselverbote zuzurechnen. Und dann würde ich gerne noch anregen, die inflationsartig zunehmenden Tempo 30 Zonen (gerne von 7 bis 17 Uhr) mal etwas einzudämmen. Für 2 mal 15 Minuten Schüleraufkommen würde ich eher amerikanische Lösungen vorschlagen, zB. gelbe Warnlichter mit Geschwindigkeitsbegrenzung, die von den Schulen eingeschaltet werden können. Geradezu poetisch finde ich die Schilder in den USA: 15 m/h when children are present. Eigentlich ein schöner Gedanke, aber das geht in Deutschland schon mal garnicht.    

Thomas Hechinger / 05.02.2019

Eigentlich bin ich gegen Verbote, wie sie uns allenthalben aufgezwungen werden, damit wir “richtig leben”. Stattdessen setze ich lieber auf die Grundvernunft und Eigenverantwortlichkeit der Menschen. Es gibt aber Ausnahmen. Das Rauchverbot in Gaststätten ist so eine. Heute kann man dort das Essen zu sich nehmen, ohne mit dem schädlichen Rauch zugequalmt zu werden. Auf der anderen Seite gönne ich jedem Raucher seine Zigarette, solange er andere mit seinem Laster nicht beeinträchtigt. Es ist seine Risikoabwägung von Genuß gegen Lebenszeit. Ich halte es zum Beispiel für völlig unangemessen, wenn Raucher auf Flughäfen in Glaskäfige eingesperrt und mit ihrer Sucht zur Schau gestellt werden: “Schau, Aaron-Luis, das sind Raucher”, sagt die grüne Mama, ihrer eigenen Überlegenheit bewußt, zu ihrem Kleinen, wenn sie mit ihm den Raucherzoo umrundet. Demütigung von Menschen, nein, das muß nicht sein. Mit der Geschwindigkeit auf Autobahnen ist es ähnlich. Wer den Kick braucht, kann Bungeespringen, Extremklettern oder sonst etwas machen, womit er andere nicht in Gefahr bringt. Die Straßen sind für alle da, und zum Schutz der Allgemeinheit ist ein Tempolimit sinnvoll.

Peter Gentner / 05.02.2019

Das ist ja alles schön und gut. Trotzdem ist es ein Kampf der Ideologie, oder zumindest der Prinzipien wenn es um ein generelles Tempolimit geht. Nach allen Punkten die der Autor dagegen aufgeführt hat, ist es doch die Frage nach dem Warum. Die Verkehrstoten sind schnell widerlegt. In der folgenden Aufstellung ist zu sehen, dass Deutschland weit hinter Italien, Frankreich und Österreich liegt, wenn es um die totale Zahl der Verkehrstoten / Million Einwohner geht. Selbst Luxemburg liegt deutlich darüber. Für 2017: https://ec.europa.eu/germany/news/20180410-strassensicherheit_de In allen diesen Ländern gibt es ein streng kontrolliertes Tempolimit. Bezüglich des Schadstoffausstoßes liegt das zunächst im Reich der wilden Spekulationen. Aber hier belegt ja Deutschland seit Jahren einen Spitzenplatz.

Detlef Rogge / 05.02.2019

Das Automobil übernahm einst die Rolle der Pferdekutsche. Der klimatisierte Innenraum einer zeitgemäßen Limousine lockt mit der vertrauten Behaglichkeit eines Wohnzimmers, in dem man bei Tempo 200 nebenbei Speisen, Plaudern und sogar Telefonieren kann. Die Einflüsse der Außenwelt bleiben weitgehend ausgeschlossen; der Fahrer hört und spürt bei eingeschränkter Sicht, anders als sein Ahne auf dem Kutschbock, so gut wie nichts mehr von seiner Umwelt, auch nicht das Gefahrvolle der Geschwindigkeit, was einer partiellen Demontage seiner Sinne gleichkommt. Der Autofahrer hat mit der Erlebniswelt eines Kutschers so gut wie nichts mehr gemein. Robert Pirsig schrieb, Autofahren sei wie Fernsehen, nur ohne Ton, und die Windschutzscheibe dabei der Bildschirm. Im Gegensatz zum Automobilisten blieb dem Motorradfahrer dagegen das Genuine der ursprünglichen Fortbewegungsart weitgehend erhalten, er unterscheidet sich funktional kaum von einem Reiter. Auch der Nachfahre des Reiters sieht sich mit der Umwelt unmittelbar konfrontiert und verbunden. Temperatur, Nässe, Gerüche und Geräusche wirken ungehindert auf seine Sinne ein. Nässe und schadhafte Straßenbeläge führen leicht zu katastrophalen Konsequenzen. Während sich die Sicherheit für Autofahrer durch die Entwicklung von Gurten, Airbags und ausgeklügelten Knautschzonen stetig verbessern ließ, sitzt der Kradfahrer schicksalsergeben ebenso ausgeliefert auf seinem Gefährt wie einst vor 5000 Jahren der Reiter auf seinem eben domestizierten Pferd. Ich fahre seit mehr als vierzig Jahren Motorrad, da kennt man die Grenzen der Physik bei hoher Geschwindigkeit. Eben so lange bin ich zugegebenermaßen als Außenseiter für ein Tempolimit von 100 km/h auf Autobahnen und 80 km/h auf Landstraßen. Das erlebe ich nicht mehr.

Andreas Goertz / 05.02.2019

Die Argumentation ist ja ich sich ganz passen, an der entscheidenden Stelle aber unvollständig und somit wertlos: “Die Hälfte der 13.000 deutschen Autobahnkilometer ist dauerhaft frei von Tempolimits, auf einem Drittel ist die Geschwindigkeit dauerhaft begrenzt, der Rest ist zeitweise und wechselnd limitiert. Deshalb ist es schon bedeutsam, wenn insgesamt auf den deutschen Autobahnen zwei von drei Verkehrsopfern auf den Etappen ohne Tempolimit sterben (in Bayern, dem Land der schnellen Autos sind es sogar drei von vier). Dieses Verhältnis aber erhält seine Brisanz erst dann, wenn man die Beschaffenheit der Strecken mit und ohne Tempolimit vergleicht: Es ist geradezu ein Wunder, dass an den allergefährlichsten Abschnitten (Baustellen, bergige Strecken, enge Kurven, starker Verkehr) nicht überproportional viel mehr, sondern weniger passiert.” Hier fehlen ein ganz wesentlicher Aspekt: nämlich die Berücksichtigung der Verkehrsdichte. Es könnte nämlich sein (ich vermute, dem ist nicht so, aber ohne die entsprechenden Daten ist die Aussage schlicht nicht signifikant), dass auf den allergefährlichsten Strecken genau deshalb weniger passiert, weil dort sehr viel weniger Personenkilometer zurück gelegt werden. Das reine Abstellen auf die limitierten oder unlimitierten Streckenlängen ist leider statistischer Unsinn, weil ohne ergänzende Informationen nahezu aussagefrei. Auch die real gefahrenen Geschwindigkeiten bei den Unfällen sollten mit berücksichtigt werden, vor allem: wie groß ist der Anteil der Unfälle auf limitierten Strecken, bei denen mindestens einer der Beteiligten das Limit überschritt (bzw. sich alle Beteiligten daran hielten) und wie groß ist der Anteil der Unfälle auf unlimitierten Strecken, bei denen mindestens ein Beteiligter schneller als ein gedachtes Tempolimit von 130 km/h fuhr (bzw. alle Beteiligten langsamer unterwegs waren)

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