Gastautor / 02.12.2019 / 14:00 / Foto: Unbekannt / 24 / Seite ausdrucken

Warum ein Bischof zurücktreten musste

Der sächsische Landesbischof sah sich vor einigen Wochen zum Rücktritt genötigt. Ein Vorwurf: Texte, die er als Student vor fast 30 Jahren in der längst eingegangenen kleinen Zeitschrift Fragmente schrieb, seien äußerst rechtslastig. Während die Debatte um den Bischof tobte, waren die Texte, um die es ging, öffentlich leider kaum noch zugänglich. Jetzt kann man sie im Wortlaut nachlesen, um sie selbst zu bewerten.

Von Thomas A. Seidel

In den zurückliegenden Wochen tobte ein heftiger Streit über die politische und theologische Einordnung und Wertung der „fragmente“-Texte des Philosophiestudenten Carsten Rentzing. Der Landesbischof Dr. Carsten Rentzing hat (abgesehen von einer nachträglichen Erläuterung vom 15.11.2019) kampflos und kommunikationsfrei das Feld geräumt. Die Auseinandersetzung darüber, was in unserem Land in Kirche und Politik, in Kultur und Medien sagbar, schreibbar, unsäglich, gefährlich oder gar verfassungsfeindlich ist, geht weiter. Sie muss weiter gehen: in Synoden, Kirchgemeinden, Familien, Nachbarschaften, Parteien, Medien – in der Mitte der Gesellschaft!

Da die „fragmente“-Texte bislang nicht zugänglich waren, bestimmte allein die interessengeleitete Zitatenauswahl die jeweilige Sicht auf die Dinge:

„rechtsextreme Texte“ (Arnd Henze, WDR, 12.10.2019), „neurechter Publizist“ (Philipp Greifenstein, EULE), "elitär, in Teilen nationalistisch und demokratiefeindlich" (Kirchenleitung der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens, 14.10.2019), „Nicht Rentzing, sondern Tocqueville gälte es anzuklagen“ (Marc Gallina) oder „politisch inkorrekt – theologisch nicht zu beanstanden“ (Matthias Pankau, idea, 19.10.209)

„Selber lesen macht klug“.

„Wir stehen auf den Schultern von Riesen“ (Bernhard von Chartres, 1120) – „…doch den Überblick müssen wir uns schon selbst verschaffen“ (Sigmar Gabriel, in seiner Festrede beim Festakt der LutherKonferenz am 16.11.2019, www.luther-stiftung.org). Für die Denker der Renaissance, für Johannes Reuchlin, Erasmus von Rotterdam und natürlich auch für die in der Renaissance-Tradition stehenden Reformatoren war das Prinzip „ad fontes“, „zu den Quellen“, unverzichtbar für ein verantwortliches Denken, Reden und Handeln. Es galt als „schändlich“ und „verwerflich“, Thesen aufzustellen oder Bewertungen vorzunehmen, die nicht umfassend anhand von Textquellen und im fairen Streit der Meinungen („Disputationen“) auf ihren Wahrheitsgehalt hin untersucht wurden. Man könnte auch Martin Luthers Motivation und Motto zur Bibelübersetzung knapp auf den Punkt bringen: „Selber lesen macht klug“.

Dies galt auch für die deutsche Aufklärung. Nach Immanuel Kant bedeutet Aufklärung „Austritt aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit“. Um der Gefahr zu begegnen, dass aus „selbstverschuldeter Unmündigkeit“ „selbstverschuldete Unmenschlichkeit“ wird, dass aus notwendiger und berechtigter Kritik demokratieschädliche Denunziation oder medialer Rufmord werden, braucht es den unverstellten Zugang zu den „Quellen“. Idea macht dieses Quellen-Studium nun (mit Genehmigung des Autors) möglich. Sie finden alle „fragmente“-Texte (1989-1992) hier unter www.idea.de/fragmente

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Eberhard Will / 02.12.2019

Vielen Dank an Thomas A. Seidel für den Hinweis auf die Idea-Papers. Gerade habe ich sie gelesen. Ich bin alt genug, um sicher zu sein, dass noch Anfang der 70er Jahre zumindest die halbe CDU so dachte. Insofern war der Student Rentzing Anfang der 90er schon ein bischen hinter der Zeit. Aber dass die pharisäerhaften Pfaffen aus dem skeptischen Konservativen heute gleich einen Verfassungsfeind konstruierenzeigt, dass ihre Nächstenliebe nur ein Egotrip ist. Was haben denn die Trittins und die Kretschmanns dieser Republik und die DDR-Prälaten in jungen Jahren so geschrieben - mit und ohne Pseudonym? Früher oder später wird das Land hinter den Kulissen des Kampfes gegen Rechts in einer linksgrünen Gesinnungsdiktatur angekommen sein. Alle werden freiwillig mitmachen, weil die sozialen Kosten des Andersredens irgendwann jedem zu hoch werden. So kommt es halt schleichend , wenn die eigene Verfassung die Menschenrechte der Bürger nicht mehr vor dem übergriffigen Staat schützt, sondern die Menschenrechte der Weltbevölkerung vor den egoistischen Interessen der Staatsbürger.

Robert Jankowski / 02.12.2019

Ein sehr konservativer Bischof. Na und nun? Wahrscheinlich hat er sich dazu noch politisch unklug verhalten und nervte die EKD mit seiner öffentlich gemachten Einstellung sehr. Den Mann dann aus dem Weg zu räumen, zeigt nur, dass die EKD nicht mehr mit konservativem Gedankengut umgehen kann. Für eine Kirche eine seltsame Einstellung. Eine Kirche die in sich nicht konservative Strömungen und reformatorische Ideen vereinigen kann, ist eigentlich schon tot. Der schlimme gegenseitige Umgang bestätigt mich in meinem Austritt aus der evangelischen Kirche.

Bernhard Maxara / 02.12.2019

Für so grundrichtige und unwiderlegbare Tatsachen, wie sie ihm idiotischerweise zur Last gelegt werden, den Rücktritt antreten zu müssen, sollte Herrn Dr. Rentzing zu weit grundsätzlicheren Schritten ermuntern, z.B. seinerseits öffentlich den Rücktritt des Prof. Dr. Bedford-Strohm zu fordern, der mit seinen Einlassungen sein Bischofsamt gröblich verletzt und Spaltung betreibt, wo er zu Einigungsarbeit verpflichtet wäre.  (Siehe den heutigen Beitrag Herrn Broders)

Gunter Jorczik / 02.12.2019

Vielen Dank Herr Seidel! Sehr interessant, obwohl ich theologisch weniger gebildet bin. Ich kann in diesen Fragmenten eines offenbar hochgebildeten - damaligen - Studenten nichts an schockierend ‘rechtem’ Gedankengut erkennen. So tief ist mittlerweile die Kirche schon gesunken, dass ein Bischof Rentzing nach zig Jahren aus dem Amt gemobbt wird, weil er wohl politisch nicht in das Merkel-System passt. Traurig, traurig und m. E. sehr unchristlich.

Jörg Themlitz / 02.12.2019

Eigentlich verkneife ich es mir, mich zu religiösen Fragen und dem drum herum zu äußern. Da mein Wissen zur Wissenschaft der Seele (Religion) eher aus Fragmenten besteht. Ich habe versucht die Darlegung von oben genannten Herrn Greifenstein nach zu vollziehen. Wenn der Bischof äußerte, „Positionen, die ich vor 30 Jahren vertreten habe, teile ich heute nicht mehr.“, ist das ein Beweis dafür, dass er in den letzten Monaten nicht aus dem Posten gemobbt wurde. Sicherlich sind in den letzten Jahren “Wissenschaften” zu solchen erklärt worden (nicht die Religion gemeint), die nichts mit Wissenschaft und noch nicht mal mit wissenschaftlichen Arbeitsmethoden etwas zu tun haben. Dass dort das Prekariat der Altlinken unterschlüpft und als einzige Lebensberechtigung sich die Entdeckung von neurechten Positionen auf die Fahnen geschrieben hatt, na ja. Aber warum müssen alle die Meinungsäußerungsfreiheit der Altlinken auch noch bezahlen? Da Altlinke eher Probleme haben, Themen zu durchdringen, in der Gesamtheit und logisch zu erfassen, geilen sie sich an Einzelheiten auf. Herr Greifenstein wirft dem ehemaligen Bischof einen Rechehfehler vor. Ist selbst aber nicht in der Lage, zwischen “Werktag” O. Ton Bischof und “Arbeitstagen” O. Ton Herr Greifenstein zu unterscheiden. Und rechnet damit seinerseits falsch. semper idem

Andreas Rühl / 02.12.2019

Tja, wieder ein Stein mehr in dem Gebäude des Totalitarismus, das um jedwede Form des freien Denkens und Sagens errichtet wird. Wie sagt Frau Merkel so schön: Jeder kann auch weiterhin sagen, was er will. Aber er muss 30 Jahre später damit rechnen, dass man ihm aus dem Amt treibt. Liest man die Texte quer, kann ich nichts Anstößiges finden, manchmal sogar Hellsichtiges, aber auch viel Naives oder “Nachgedachtes”. Es sind sicher keine Texte, in stilistisch glänzen oder gar Weltbewegendes zu sagen haben. Es liest sich ein bisschen so, als habe ein Theologiestudent eine Überdosis Nietzsche in sich aufgenommen und erschrickt jetzt vor sich selbst. Das ist durchaus amüsant. Gleichwohl bleibe ich dabei, dass immer dann, wenn Augustinus um die Ecke kommt, für Deutschland dabei nichts Gutes herausgekommen ist. So ein bisschen wirkt das immer, als müsse nun ein Ordnungsgedanke her, der die Leere füllen muss, die die Abschaffung päpstlicher Auctoritas beim Protestanten hinterlassen hat. Dass derartiges Denken in Konflikt gerät mit der hippen Moderne, muss nicht weiter wundern. Aber rechtsradikal, “neurechts” oder was auch immer ist das nicht, sondern fast schon ein wenig bräsiges Theologisieren, dem man anmerkt, dass die Kühnheit des Denkens, das Verwegene und Widersprüchliche, nicht zur Natur des Autors passt. So einer, denkt man sich, wird beim ersten Gegenwind einknicken und aufgeben. Und so ist es auch. Da hilft all der Nietzsche nicht.

Robert Bauer / 02.12.2019

Der Junge hat im kleinen Finger mehr Intellekt als die komplette EKD samt deutscher Bischofskonferenz in ihren Hirnen. Schade, daß er kein Kämpfer ist.

Ilona Grimm / 02.12.2019

Das EKD-Mobbing gegen Bischof Rentzing war natürlich ganz und gar der christlichen Nächstenliebe geschuldet. (Ironie Ende) -//-Was der EKD Rat grundsätzlich nicht beachtet, weil er nur über rudimentäre Bibelkenntnisse verfügt: Matth. 7: •1 Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet. •2 Denn nach welchem Recht ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden; und mit welchem Maß ihr messt, wird euch zugemessen werden. (Verse 3-5 bei Interesse selber heraussuchen.) Ich bin sehr dankbar, dass achgut.com diese „Fragmente“ einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich macht; ich habe schon bei Rentzings Rücktritt vergeblich danach gesucht. Gemessen an dem, was Bedford-Strohm und die Seinen so von sich geben, sind die Fragmente natürlich räächtz, ganz klar. So wie die ganze Bibel furchtbar räächtz und weder politisch korrekt noch gendergerecht ist. Und so, wie JEDER gläubige evangelische Christ (ungleich Kultur- und Amtskirchen-Christ) ja auch vom EKD-Ratsvorsitzenden räächtz eingeordnet wird. -//- Dass Rentzing so sang- und klanglos das Feld geräumt hat, gibt Zeugnis von seiner abgrundtiefen Enttäuschung (Frustration) über den Kurs der EKD und ihres Rates. Die Aufrechten werden hinausgeekelt; das fängt bei den Kirchenvorständen an und hört bei den Bischöfen auf. Soviel ich weiß, war Rentzing der letzte der Wahrhaftigen in dieser Riege.

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