Gastautor / 18.11.2022 / 14:00 / Foto: Mini Misra / 26 / Seite ausdrucken

Warum die Menschen wieder Bürger sein sollten

Von Paul Romey.

Die Politik geht mit den Menschen zunehmend ähnlich um wie die Könige im Mittelalter mit den unfreien Gruppen der „Dienstmannen“. Ihnen können Rechte jederzeit entzogen und auf Veranlassung der Regierung gnädig wieder zugeteilt werden. Es wird Zeit, dass die Bürger die ihnen bedingungslos zustehenden Rechte einfordern.

Schon zu Beginn der Corona Zeit meldete sich die Holocaust-Überlebende Vera Sharav zu Wort und mahnte die Freiwilligkeit bei medizinischen Versuchen an, die als Resultat der Nürnberger Prozesse Eingang in die Erklärung von Helsinki fand. Diese moralische und ethische Richtschnur ist bis heute Grundlage ärztlichen Handelns. Noch mehr, der Nürnberger Codex ist das wichtigste Dokument in der Medizin.

Der grundlegende Gedanke hierbei ist, dass jeder Mensch die Autorität über sein Leben und somit auch über seinen eignen Körper besitzt. Wenn jedoch dem Individuum Schaden zugefügt wird, nimmt somit auch die Gemeinschaft Schaden, da jede Gemeinschaft aus Individuen besteht.

Alle in der Corona Zeit getroffenen Maßnahmen, die nicht nur von der deutschen, sondern von vielen Regierungen auf dem Planeten parallel verabschiedet worden sind, zielten auf die Beschneidung der persönlichen Freiheiten ab, um ein augenscheinlich „neuartiges Virus“ unter Kontrolle zu bekommen. Wie in zahlreichen Publikationen und wissenschaftlichen Studien nachgewiesen werden konnte, war dieses Vorhaben weitestgehend erfolglos, jedoch gelang die Kontrolle der Bürger fast vollständig mit nur wenigen Ausnahmen. Denk-, Sprech-, und Ausgangsverbote mit einer Prise Kontaktschuld prägen zunehmend den Alltag vieler Menschen.

Warum ist das so? Grundlegend ist hier nicht die akademische Bildung, sondern das Bewusstsein darüber, dass der Mensch als solcher schützenswert ist und die ihm zugestandene Würde auch in der Praxis nicht angetastet werden darf. Auf die Frage, worauf sich unser moderner Staat gründet, erfahren wir vom Staatsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde im Jahr 2010:

„Vom Staat her gedacht, braucht die freiheitliche Ordnung ein verbindendes Ethos, eine Art ‚Gemeinsinn‘ bei denen, die in diesem Staat leben. Die Frage ist dann: Woraus speist sich dieses Ethos, das vom Staat weder erzwungen noch hoheitlich durchgesetzt werden kann? Man kann sagen: zunächst von der gelebten Kultur. Aber was sind die Faktoren und Elemente dieser Kultur? Da sind wir dann in der Tat bei Quellen wie Christentum, Aufklärung und Humanismus.“

Der „Mensch“ hat den Bürger ersetzt

Diesen Gedanken aufgreifend, möchte ich auf die folgende Entwicklung hinweisen: In der Merkel-Ära änderte sich unter anderem die Ansprache der Regierung mit den Deutschen. Die Vokabel „Bürger“ ersetzte die Merkel-Regierung mit dem Wort „Mensch“. Das mag harmlos oder auch nahbar klingen, es hat jedoch konkrete Auswirkungen auf unser Denken und folglich auf unser Handeln. Auf der Bedeutungsebene ist der Mensch ein Individuum, welcher für sich genommen einen menschlichen Körper und menschliche Bedürfnisse hat. Im politischen Kontext wird er gerne einzeln genannt, um ihn atomisiert und hilflos erscheinen zu lassen. Der nun im Sprachgebrauch eliminierte „Bürger“ hat jedoch ihm inhärente Rechte. Sie wurden im Grundgesetz in den Artikeln 1 bis 19 abgefasst. Die Unveräußerlichkeit dieser Rechte ist unmittelbar mit dem Begriff des „Bürgers“ verbunden.

Mit dem Austauschen der Begriffe verwandelte sich die Selbstwahrnehmung der Deutschen. Viele machten eine Entwicklung hin zum Kindlichen, ohne es zu bemerken. Sätze wie „heute durfte ich wählen gehen“ und andere sind ein Symptom, da sie zeigen, dass derjenige, der so etwas sagt, eine Autorität benötigt, um wählen zu gehen. Jedoch ist es das Recht eines jeden Bürgers, wählen zu gehen.

Daraus folgt, dass es im Leben eines jeden unterschiedliche Ebenen gibt. Das Bürgertum schützt gewissermaßen den Menschen, denn es ermöglicht ihm, auf der politischen Ebene aktiv zu werden. Dazu gehört das aktive und passive Wahlrecht, beinhaltet aber auch die Pflicht, sich am gesellschaftlichen Leben aktiv und selbstbewusst zu beteiligen. Problematisch wird es dann, wenn die staatliche Autorität beginnt, sich in private und intime Angelegenheiten einzumischen. Der Widerstand soll durch eine infantilisierende Kommunikation gebrochen werden, sodass die Bevölkerung im besten Falle sogar dankbar für die eigene Entrechtung ist.

Grundrechte sind unveräußerlich

Darüber hinaus stellt dieser sprachliche Eingriff einen weiteren Versuch dar, die Bürger von ihren Wurzeln zu trennen. Denn als Bürger wurde im Hochmittelalter derjenige bezeichnet, der in einer Burg oder in einem befestigten Ort wohnt. Die physische Begrenzung gibt einem Schutz und eine Orientierung, die nötig ist, um sein eigenes Leben, aber auch die gesellschaftlichen Verhältnisse zu organisieren und strukturieren; dem Menschen fehlen diese Aspekte. Er wirkt orientierungslos in der Welt ohne die Grenzen des Nationalstaates.

Die aktuelle Bundesregierung geht mit den Menschen ähnlich um wie die Könige im Mittelalter mit den unfreien Gruppen der Ministerialen (Dienstmannen) umgegangen sind. Ihnen können Rechte jederzeit entzogen und auf Wunsch der Regierung gnädig wieder zugeteilt werden. Meist werden hierfür symbolische Gesten oder andere Zugeständnisse der Unfreien eingefordert.

Daher wird es Zeit, an die Tradition des Bürgertums zu erinnern und die teilweise blutigen Versuche, die bürgerlichen Rechte zurückzuerobern. Verwiesen sei darauf, dass es in der Geschichte der Menschheit nie eine Herrschaftsform gegeben hat, unter welcher die Mächtigen die Rechte an die Bürger freiwillig zurückgegeben haben. Ganz explizit wende ich mich gegen jede Form der Gewalt. Ich befürworte jedoch ein selbstbewusstes Auftreten der Bürger, die der eigenen unveräußerlichen Grundrechte gewahr sind und diese auch einfordern.

 

Paul Romey studiert Deutsch und Englisch auf Lehramt an der Eberhard Karls Universität in Tübingen. Seit zwei Jahren engagiert er sich für Öffentlichkeitsarbeit bei der Vereinigung „Studenten stehen auf“.

Foto: Mini Misra

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Leserpost

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U.Hering / 18.11.2022

Nun, Herr Szabo, Sie schrieben: Europa basiere “auf der griechisch-römischen Zivilisation, auf dem Christentum und der europäischen Aufklärung”, was insofern zutrifft. Diese Erkenntnis darf aber nicht ausblenden, daß es gerade in stürmischen Zeiten der europäischen Geschichte immer wieder des Einsatzes “robusterer” Mittel bedurfte, um diese “auf Kurs” zu halten. Natürlich wird ein Eleve des griechisch-römisch basierten christlichen Abendlandes schauern, wenn man ihm von aufklärerischen Terror eines Maximilien de Robespierre spricht. Aber die klare Gradlinigkeit der Proskriptionen des Lucius Cornelius Sulla spricht für das genannte zivilisatorische Fundament: Feinde der res publica wurden öffentlich benannt; ihre Beseitiger und die res publica teilten sich das derelicte Vermögen des Verblichenen. Eine durch und durch europäische Lösung eines drängenden Problems! Oder?

U.Hering / 18.11.2022

Sehr geehrter Herr Yehudit, Sie schrieben: “gab es schon jede Menge gute “Kairos””. Müßte es da, wo Sie den Plural ausdrücken wollten, nicht “kairoi” heißen”? - Und: Sollte man sich des Griechischen bedienen, wenn man dessen nicht mächtig ist?

U. Hering / 18.11.2022

Verehrter Herr Luhmann, für Ihre Fortführung und Präzisierung meines vorgetragenen Gedankengangs danke ich Ihnen aufrichtig. Genau das - und noch ein paar Sachen mehr - war es, was ich meinte. Mit freundlichen Grüßen, U. Hering.

Hans-Peter Dollhopf / 18.11.2022

Herr Gruberoder, “. . .  der fehlenden zweiten Kasse im Supermarkt.” Was wäre das für ein Privateigentum an Discountern in einer freien Welt, in der Kundschaft gegenseitige Vorteile für Anbieter wie Nachfrager anders einpreisen dürfte, als durch Maulen?

W. Renner / 18.11.2022

Ich war schon immer Bürger und werde es auch bleiben. Ebenso werden Kollektivisten immer meine politischen Feinde sein. Was die Menschen umtreibt und wie sie umgetrieben werden, befremdet mich zusehends.

Thea Wilk / 18.11.2022

Lieber Paul Romey, es reicht leider nicht, dass die Menschen wieder Bürger sein SOLLTEN, entscheidend ist, ob sie Bürger sein WOLLEN. Sie schreiben es ja selber im Artikel: „die Bevölkerung im besten Falle sogar dankbar für die eigene Entrechtung ist.“ Und diese dankbare Bevölkerung bringt man nicht zum Umdenken mit Zitaten über das verbindende Ethos von Ernst-Wolfgang Böckenförde. Ich stimme Ihnen und Böckenförde ja völlig zu! Aber die Mehrheit tickt anders. Es braucht heute wieder einen (oder am besten viele) Lord George Weidenfeld, der im 2. Weltkrieg bei der BBC gearbeitet und die deutsche Propaganda analysiert hat, um Gegenpropaganda zu machen. Weidenfeld hat 2005 in einem Interview eine kontinuierliche Propaganda für die demokratische, westliche Aufklärung gefordert: „das Wort ‘Propaganda’ ist entwertet worden, vor allem auch durch Goebbels und seine Leute. Aber im Grunde ist es die gleiche Sache, es sind die gleichen Techniken - nennen Sie es politisches Marketing, Aufklärung, politische Information, wie Sie wollen. Es geht mir nicht so sehr um spin doctors, um taktische Reaktionen von Tag zu Tag. Es geht mir eher darum, dass man Grundhaltungen durchhält und diese auch vermittelt, sie jederzeit auffrischt, professionell an den Mann und an die Frau bringt, seine eigene Sache dadurch auch verteidigt. Das ist ungleich schwieriger in einer Demokratie, wo die Problemstellungen zugleich öffentlicher und subtiler sind als in totalitären Systemen. Aber es ist eine Aufgabe, die gemeistert werden muss.“—- Aus: Gespräch mit Lord Arthur George Weidenfeld (Berlin, Hotel Adlon 12. November 2004). Abgedruckt in: Lutz Hachmeister/Michael Kloft (Hrsg.), 2005. Das Goebbels Experiment. Propaganda und Politik. Deutsche Verlagsanstalt, München. Siehe auch Spiegel-Artikel vom 22.02.2005 mit einer gekürzten Version, der im Internet auffindbar ist.—- Ich wünsche Ihnen und der Initiative, bei der Sie sich engagieren, Ideen, Kraft und Glück.

Marc Blenk / 18.11.2022

Lieber Herr Romey, prima Artikel, dessen Inhalt ich uneingeschränkt beipflichte. Ich möchte Ihnen und der Vereinigung „Studenten stehen auf“ an dieser Stelle meinen Dank und meinen großen Respekt aussprechen. Sind es doch, was die jüngere Generation anbelangt, oft Vertreter ihre Organisation, die man auf den Demos gegen die Coronamaßnahmen zu Gesicht bekommt. Ich glaube, dass es gerade als junger Bürger vornehmlich an den Unis und im allgemeinen juvenilen Umfeld besonders schwierig ist, sich gegen den allgemeinen Wahnsinn standhaft zu zeigen. Dass sie dazu bereit sind, eht sie. Wir (und hier ist ein Wir tatsächlich angebracht) brauchen eine junge Avantgarde, die lernt und lehrt.

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