Jesko Matthes / 04.01.2018 / 17:30 / Foto: Angelo Faiazza / 7 / Seite ausdrucken

Warum die Linke nicht mehr sexy ist

Es gab Zeiten, da war die Linke sexy. Die Rechte war bieder, prüde, verklemmt, der Spießer ein Faschist. Uschi Obermaier war sexy. Gudrun Ensslin war sexy. Sie sagten besonders viel aus über das Frauenbild der Linken. Minirock durfte sein, Terrorismus auch – Hauptsache, intelligent gemacht. Und Ensslin war in der Studienstiftung des Deutschen Volkes. Rainer Langhans und Andreas Baader waren auch sexy, sie sagten besonders viel aus über das Männerbild der Linken. Afrolook-Esoteriker durfte sein, knallharter Rebell und dialektisch geschulter Outlaw mit Knarre aber auch. Auf Intelligenz kam es in männlicher Links-Seitenlage etwas weniger an, Frechheit siegte. Frechheit war links. Korrektheit war rechts. Das war damals, in der guten, alten Zeit, in der Terroristen noch Deutsche waren, Miniröcke noch links, Sex mit Kindern noch progressiv, Spießer noch rechts.

Mal im Ernst: Fanden Sie Rita Süßmuth sexy? Sie war derart sexy, dass man keinen Wortwitz über sie machen durfte. In dem legendären AIDS-Präventions-Sketch mit Ingolf Lück und Hella von Sinnen durfte es 1990 nicht heißen: „Rita, was kosten die Kondome?“ Man darf es auch heute nur von Hella von Sinnens Lippen lesen, denn nachsynchronisiert wurde: „Tina, was kosten die Kondome?“ Es gab Zeiten, da war nur die Linke sexy, die Rechte durfte es nicht sein, sie wollte es auch gar nicht. Die Rechte stand für Ehe, Familie, Kinder, Gartenzwerge und notfalls Kondome. Adenauer, Kiesinger und Kohl waren nicht sexy. Oder doch? Legendär ist, wie viele Frauen sie gewählt haben, aber das galt auch für Brandt und Schmidt und noch für Schröder. Was sagt mir das über Frauen? Und: Wie viele Männer wählen noch „Mutti“ Merkel?

AIDS, der Zusammenbruch des Sozialismus und die Öko-Apokalypse

Dann kam HTLV-3, später HIV genannt, kam AIDS. Plötzlich brachte „freie Liebe“ mehr als Spaß, Beziehungsstress und den Tripper, der sich mit Penicillin oder Stanilo wegspritzen ließ. Freie Liebe brachte das Risiko, das sich nicht per Antibiotikum, Pille oder Abtreibung eingrenzen ließ. Sie brachte Krankheit und Tod. Ungefähr zu der Zeit muss die Sache gekippt sein. Der Siegeszug der Linken führte also zwangsläufig anderswo lang, Sigmund Freud sei Dank: wenn nicht durch Eros, dann durch Thanatos. Die Welt ging unter durch Pershing-2 und Cruise Missiles, nicht durch Prag 1968, NVA und SS-20. Sie ging unter durch das Waldsterben, Glykol, die Startbahn West, Atomkraft, BSE. Freiwillig sagte die Linke dem Sex Lebewohl und witterte überall fortan nichts als den Tod.

Merke: Die Linke glaubt weder an Sex noch an die eigene Unsterblichkeit; spätestens seit ihrer narzisstischen Kränkung 1989 wurde sie noch neurotischer und rabiater, sie zieht seither der Unsterblichkeit wie dem eigenen Untergang die Öko-Apokalypse vor. Zur Öko-Apokalypse gehört auch, dass jene, die damals, vor 40, 50 Jahren, die Atmosphäre mit Agit-Prop und Terror vergifteten und den „Judenfreund“ Axel Springer „faschistisch“ fanden, heute saturierte ältere Damen und Herren sind, die Minirock, Jeans und Brioni getragen haben, Fahrrad, „Ente“ und danach bevorzugt rostige Mercedes-Heckflosse mit Anti-Atomkraft-Aufkleber gefahren sind, noch bevor sie sich auf die Existenz in der Seniorenresidenz vorbereiten mussten und gegen Hate-Speech vorgingen.

Sie haben Ehen und Scheidungen, Affairen und weitere Ehen hinter sich, die müde Rebellion ihrer Kinder, denen sie ihr Austauschjahr in den USA gern finanziert haben, auch. Diese Kinder sind „Generation Golf“ oder, die Spätgeborenen, „Generation Y“, von vornherein saturiert oder cool, und plötzlich fragen sich Papi und Mami, ob es nicht besser ist, sich etwas aufbauen und erkämpfen zu müssen, weil das sexy ist, weil sie selbst es der Nazi-Trümmer-Aufbau-Generation ihrer eigenen Eltern abgerungen haben – weil es ansonsten auch eine gute Ausrede dafür ist, im Alter wert- oder struktur-konservativ zu werden, während das Herz weiter schlägt, noch eine Weile und natürlich links.

Am Ende des Langen Marsches

Alt werden ist selten sexy, und so wurde auch die Linke alt, sie wurde die neue Rechte. Sie begann, die Fleischtöpfe zu verteidigen, die Karrieren zu sichern, den Langen Marsch durch die Institutionen mit dem Bezug von Pensionen und Renten und der Finanzierung von Ferienhäusern in Spanien oder der Toskana abzuschließen, denn das Mediterrane bleibt immer sexy. Schauen Sie die Nike von Samothrake, die Venus von Milo und Michelangelos David an. So wurde die Linke das, was sie nie war und nie sein wollte, sie wurde ästhetisch, sie wurde korrekt. Sie benutzte auf einmal Kondome, aus Angst vor AIDS, vermied weiter die „BILD“, aus Angst vor Springer, weil der Judenfreund nun einmal Faschist war. Sie beendete aus Angst vor der eigenen Courage den Nationalstaat zugunsten der EU, rettete nebenbei den deutschen Wald vor seinem Sterben, recycelte Plastik und erfand das Dosenpfand, dazu Multi-Kulti – alles aus Angst vor dem eigenen Untergang.

Besonders einfallsreiche Linke, nämlich die religiösen, erklärten Gott für tot oder zur Göttin, den Gottessohn und die Jungfrauengeburt zur Fiktion. Ich kann damit leben. Aber, merke: Nach der sexuellen Aufklärung kommt die religiöse Aufklärung, und am Ende wird dann automatisch alles harmonisch, alles nett: Auf den Rasen pinkeln verboten, Denken verboten, Provozieren verboten, als Frau allein Joggen verboten, Minirock verboten, Antisemitismus gibt es links und islamistisch nicht, denn Breitmaulfrösche, die gibt es hier nicht. Heute heißt die modifizierte Lenin'sche Gleichung: Globalisierung ist Ökostrom plus Netzwerkdurchsetzungsgesetz. So feige, so von Angst zerfressen, so sicherheitsversessen, allerdings nur, was die eigene Sicherheit im Graue-Panther-Stadium angeht, so kondomig enden Linke.

So nett, so korrekt und so verzweifelt konservativ ist sie heute also, die Linke. Nur, nett sein (korrekt und verzweifelt konservativ) ist nicht sexy. Nett ist die kleine Schwester von Scheiße. Wie komisch, wie sehr zum Totlachen: die Spontis – lesen Sie zu ihnen bitte diesen köstlichen Text aus dem Jahre 1982 –  wussten das. Tja, sie waren Spontis, nicht Fundis, nicht Realos, nicht Herz-Jesu-Marxisten, Undogmatische, Putztruppe, RAF-Sympathisanten, RAF-Aussteiger, Bekiffte – dann plötzlich Hochschullehrer, Minister, Professoren, Schauspieler, Pop- und Rock-Sänger mit fettem Plattenvertrag und noch fetterem Bankkonto, Studienseminarleiter mit Ehefrau zur Rechten und studentischer Geliebter zur Linken, alternde barocke Herrscher und Gender-feministische Professorinnen.

Ein genüssliches Harakiri

Nicht, dass ich über das drohende Ende der Linken durch dieses langsame, genüsslich selbst programmierte Harakiri zum Sponti werden und jubeln würde. Ich liebe allerdings meine linke Frau, weil sie ehrlich links ist. Sie erzählt mir beim Abendbrot, wie wichtig Gewerkschaften sind, um mich dann aufzuhetzen, weil ich mittelständischer Kleinunternehmer geworden bin und Arbeitsplätze schaffe – und endlich einmal nicht so chronisch nett zum Team sein und stattdessen den Chef heraushängen lassen soll. Wenn ich mir das angehört habe, lege ich aus Jux Bots auf, „Was wollen wir trinken“, oder Inti Illimani, „El pueblo unido“ – und ich tanze dazu und singe mit, und ich weiß, warum: Weil es heute nicht mehr die Linke ist, die säuft, tanzt und darauf hofft, dass die „Kleinen Leute“ auch international zueinander finden und sich gegen das wehren, was ihnen seit 30 Jahren von der selben, arrivierten, linken Elite eingetrichtert worden ist, die sich mit der Globalisierung und „Multikulti“ ins Bett gelegt hat und selbst den männlich-chauvinistischen, frauenfeindlichen und antisemitischen Islamismus importiert, toleriert und fördert. Wenn das passiert, dass ich tanze zu den alten linken Liedern, dass ich mich mit über 50 solidarisiere und gegen die neuen linken Mächtigen aufbegehre, dann halte ich mich für links – dann hält sich die senile, saturierte, vor lauter Angst immer verzweifelter konservative Linke immer noch für jung und hungrig und progressiv.

Liebe Alte Linke, es ist überhaupt nicht sexy, die eigenen Leute zu vergessen und währenddessen seine rosaroten Schäfchen ins kosige, trockene, linksgrüne Altenteil zu bringen. Das ist einfach nur widerwärtig heruntergekommen, traurig und lächerlich zugleich.

Foto: Angelo Faiazza CC-BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

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Thomas Nuszkowski / 04.01.2018

Die Linke wurde zu progressiv. Sie hat sich ihrer Kleidung entledigt. Und nun erkennt man ihre abgrundtiefe Hässlichkeit. Deswegen wird sie nicht mehr als sexy wahrgenommen. Sie WAR nie sexy. Sie hatte nur ein sexy Image/(Ver-)Kleidung.

Werner Arning / 04.01.2018

Links war sexy, weil es mit Rebellion, mit Neugierde, mit Lebenslust, mit Suche nach Wahrheit, mit Freiheit, mit Mut zum Widerspruch zu tun hatte. Von alle dem ist nichts übrig geblieben. Jetzt ist links das Gegenteil. Links steht für Konvention, Unterordnung, Unfreiheit, Ängstlichkeit, Zwang, Vorschrift, Arroganz und links ist machtbewusst, unkritisch, herrisch, undemokratisch, kleinkariert, dogmatisch, verlogen, manipulierend, hysterisch, hat Schaum vor dem Mund und duldet keinen Widerspruch. Geht es noch unsexier?

Dr. Rainer Berger / 04.01.2018

O.K., unterschreib ich.

Klaus Ponto / 04.01.2018

Kann mich Petra Genter nur anschließen.

Frank Holdergrün / 04.01.2018

An “Petra Genter / 04.01.2018 Wunderbar. Einfach nur Wunderbar. Alles, was auf meiner Seele brennt, nur viel schöner angezündet.” Wunderschön formuliert. Geht mir ganz genauso.

Thomas Gruber / 04.01.2018

Die zukünftigen Faschisten werden sich nicht mehr Faschisten nennen, sondern Anti-Faschisten.

Petra Genter / 04.01.2018

Wunderbar. Einfach nur Wunderbar. Alles, was auf meiner Seele brennt, nur viel schöner angezündet.

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