Stefan Frank / 12.06.2020 / 14:00 / 9 / Seite ausdrucken

Warum die Hisbollah für Putin keine Terrororganisation ist

Die Hisbollah sei keine Terrororganisation, sondern bekämpfe vielmehr den Terrorismus – das sagte Alexander Zasypkin, der russische Botschafter im Libanon in einem Interview mit dem libanesischen Fernsehsender OTV.

Das am 18. Mai auf Arabisch geführte Gespräch ist von der amerikanischen Medienbeobachtungsstelle MEMRI mit englischen Untertiteln versehen worden. In einem einminütigen Clip, der Ausschnitte aus dem Interview enthält, sagt Zasypkin:

„Was die Hisbollah betrifft, betrachten wir sie in gar keiner Weise als Terrororganisation. Im Gegenteil, es ist eine Organisation, die den Terrorismus bekämpft. Das ist alles. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Darum sind alle von den Amerikanern oder der Arabischen Liga getroffenen Entscheidungen nach unserer Sicht falsch und wir widersetzen uns ihnen. […] Darum verurteilen wir die amerikanischen Sanktionen.“

Russland unterhält zur Hisbollah offizielle Beziehungen. Im Dezember 2014 traf der stellvertretende russische Außenminister Mikhail Bogdanov Hisbollahführer Hassan Nasrallah in Moskau; an der Unterredung nahm auch Zasypkin teil.

In den folgenden Jahren kooperierten Russland und die Hisbollah im syrischen Bürgerkrieg. Russland stellte die Luftwaffe, die Hisbollah die Bodentruppen. „Ohne ihre Luftwaffe können wir nicht vorrücken, und sie könnten uns keine Luftunterstützung geben, ohne unsere Informationen vom Boden“, zitierte der amerikanische Blog Daily Beast im April 2017 einen Hisbollahkommandanten, der sich „Kommandant Bakr“ nannte. Ein Ausbilder der Hisbollah namens „Assir“ sagte derselben Website, die Russen seien „mehr und mehr von der Hisbollah beeindruckt“ und verließen sich „lieber auf sie als auf die syrische Armee“, wenn es darum gehe, russische Waffenlager zu bewachen.

Die Hisbollah habe zudem Zugriff auf die russischen Waffen. Tatsächlich präsentierte die Hisbollah bei einer Parade in Qusayr in der syrischen Provinz Homs im November 2016 russische Panzer, Haubitzen und anderes schwere Militärgerät.

Gemeinsames Interesse

In Syrien fanden Moskau und die Hisbollah ein gemeinsames Interesse bei der Unterstützung des Diktators Baschar al-Assad gegen zumeist sunnitische Aufständische. Für die Hisbollah ist Assad der Garant dafür, dass das Land Rückzugsraum und Versorgungslinie bleibt. Für Russland ist Syrien seit Sowjetzeiten der wichtigste Verbündete im Nahen Osten.

Im Vorfeld des Jom-Kippur-Kriegs gegen Israel im Oktober 1973 versorgte die Sowjetunion Syrien (wie auch Ägypten) mit modernen Waffen. Zur selben Zeit eröffnete die Sowjetunion in der syrischen Mittelmeerstadt Tartus eine Marinebasis – die einzige im Mittelmeer, wo russische Schiffe auftanken können. Sie existiert noch heute und ist der letzte verbliebene russische Militärstützpunkt im Ausland.

Die syrisch-sowjetischen Beziehungen wurden durch den von Hafiz Assad – dem Vater des derzeitigen Präsidenten – im Oktober 1980 in Moskau unterzeichneten Vertrag über Freundschaft und Zusammenarbeit erweitert. Der syrische Verteidigungsminister Mustafa Tlass drohte 1984, dass die Sowjetunion im Falle eines Konflikts mit Israel „innerhalb von acht Stunden zwei sowjetische Luftlandedivisionen“ nach Syrien entsenden und notfalls auch Atomwaffen einsetzen würde.

„Niemals terroristische Handlungen auf russischem Boden“

Nach dem Ende des Kalten Krieges bestand der Nutzen von Terrororganisationen wie der Hisbollah aus Sicht des Kreml lange Zeit vor allem in der Möglichkeit, den Interessen der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten bei Bedarf schaden zu können.

Dass Terroristen keine Terroristen seien, solange sie ihre Anschläge nicht in Russland verüben, ist übrigens offizielle russische Politik, die Regierungsvertreter schon mehrfach zum Ausdruck gebracht haben. Im November 2015 sagte der stellvertretende russische Außenminister Mikhail Bogdanov gegenüber der russischen Nachrichtenagentur Interfax:

„Einige sagen, die Hisbollah sei eine terroristische Organisation. Wir pflegen Kontakte und Beziehungen zu ihnen, weil wir sie nicht als terroristische Organisation betrachten. Sie haben niemals terroristische Handlungen auf russischem Territorium begangen.“

Nicht auf russischem Territorium – da liegt der Hase im Pfeffer. Alexander Shein, Russlands Botschafter in Israel, erklärte im Juni 2017 im russischsprachigen israelischen Fernsehen, weshalb nach Moskaus geltender Terrorismusdefinition weder die Hisbollah noch die Hamas als Terroristen bezeichnet werden könnten:

Hisbollah sieht Russland nicht als Bedrohung

„Wir betrachten diese Organisationen nicht als Terroristen. Es stimmt, sie sind radikale Organisationen, die manchmal an extremistischen politischen Ansichten festhalten.

Lassen Sie mich erklären, warum wir sie nicht als terroristische Organisationen bezeichnen – und bezeichnen können. Das russische Recht – der Oberste Gerichtshof hat, einer Berufung der Staatsanwaltschaft folgend, Terrororganisationen als solche definiert, wenn sie absichtlich Terrorakte auf russischem Territorium oder gegen russische Interessen im Ausland durchführen – Einrichtungen, Botschaften, Büros oder Bürger.“

Auf radikale Sunniten im Kaukasus ist die russische Regierung bekanntlich nicht gut zu sprechen. Doch die schiitische Hisbollah sieht Russland nicht als Bedrohung, und solange Terroranschläge im Ausland verübt werden, spielt das, soweit es die russische Regierung betrifft, keine Rolle.

Das muss man im Gedächtnis behalten, als nötiges Hintergrundwissen, wann immer die russische Regierung Ereignisse im Nahen Osten oder anderen Konfliktregionen der Welt kommentiert.

Massenmörderische Organisation

Die Hisbollah wird von Israel, den Vereinigten Staaten und der EU als Terrororganisation eingestuft. Sie wird für zahlreiche Terrorakte verantwortlich gemacht, unter anderem den Anschlag auf israelische Touristen am Flughafen von Burgas in Bulgarien am 18. Juli 2012.

Dabei wurden fünf Israelis und der bulgarische Busfahrer getötet und 32 weitere Personen verletzt.

Der Anschlag erfolgte am 18. Jahrestag des ebenfalls von der Hisbollah verübten Bombenanschlags auf das jüdische Gemeindezentrum AMIA in Buenos Aires. Damals wurden 85 Menschen getötet und mehr als 300 verletzt.

Zwischen 2012 und 2015 wurden in Thailand, Großbritannien und Zypern Lager der Hisbollah aufgedeckt, in denen diese mehrere Tonnen Chemikalien für den Bombenbau lagerte. 2016 drohte Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah mit Raketenangriffen auf den – inzwischen stillgelegten und entleerten – Ammoniaktank in Israels nördlicher Hafenstadt Haifa. Die Explosion, so schwärmte er, werde „wie eine Atombombenexplosion“ sein und „800.000 Menschen töten“.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Mena-Watch.

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claude de jean / 12.06.2020

Die Russen haben absolut Recht. Was Assad betrifft,ohne die Unterstützung des Volkes,wäre der Überfall der Nato und den Saudies gelungen. Wenn Assad als Diktator bezeichnet wird,was ist bitte schön dann Merkel? Die hat nicht mal 25% Zustimmung und macht was sie will…

Hans-Peter Dollhopf / 12.06.2020

Herr Müller. Neulich bemerkte hier einer von uns Lesern ganz sachlich, dass im sowjetischen Afghanistankrieg der Westen nicht Talibans unterstützte, sondern Mudschaheddin. Durch diese bekam aber das bereits seit vielen, vielen Jahrzehnten vollkommen korrumpierte Vaterland aller Werktätigen erneut zu spüren, dass die Unterwerfung unter Allah und die Herrschaft der Arbeiterklasse, ob auf russische Weise parallel nie funktioniert. In der freien und offenen Gesellschaft der bisherigen USA, publizieren administrativ Verantwortliche, was Sache sein könnte, gewünscht war und sein sollte. Erst neulich referenzierte dazu einer von uns Lesern als Beispiel auf Zbigniew Brzeziński. Aus Russland erfährt man über Einsichten und Ausblicke bei den jeweils Herrschenden wenig Elaboriertes. Darum ist auch ihre Einschätzung der Bedeutung der Partei Gottes nur situational begreifbar. Eine Gesellschaft, die es nicht versteht, in Fragen von Leben und Tod mit sich selbst frei zu kommunizieren, die hat keine Zukunft. Die russische Administration mag ihrer eigenen Gesellschaft keine Vorstellung der weiteren Zukunft anbieten. Russland lebt als Ganzes quasi vor sich hin, aber das natürlich im fragwürdigen Schutze von Wunderwaffen, klaro, ebbes wie mit fragwürdigen Verbündeten!

Volker Kleinophorst / 12.06.2020

Geopolitisch hat Russland keine Wahl. Sie müssen auf die Schiiten setzen, denn Iran, Irak, Syrien schützen den weichen Bauch Russlands. Warum ist den USA wohl der Iran so wichtig? Dazu der unverzichtbare Marinestützpunkt Tartus. Zusätzlich: Die Sunniten von Saudi Arabien, Pakistan bis hin zur IS und Taliban sind (manche waren) intensiv mit den USA verbandelt. Weiteres zum Thema inklusive Ukraine:  Zbigniew Brzeziński, Die einzige Weltmacht: Amerikas Strategie der Vorherrschaft. (Kann man sich aus irgendwelchen Gründen sehr einfach und kostenfrei als pdf runterladen.) Spannender als jeder Krimi und da von 1997 kann man das ein oder andere schon überprüfen und sich mal fragen, warum die dummen Verschwörungstheoretiker so oft Recht haben. Meine Antwort: Sie lesen, sie hören zu und haben auch schon mal in einen historischen Atlas geguckt. PS.: Trump würde da unten gerne aussteigen.

Maik Holer / 12.06.2020

Nicht vergessen. Syrien bekam auch die Deutsch-Französische Gemeinschaftsproduktion MILAN(Panzerabwehrrakete) geliefert!Von wem genau wollte man damals nicht sagen…ich meine jetzt nicht die Lieferungen an die YPG.

Hharald Unger / 12.06.2020

Hezbollah’s Kriegslogistik steht tief im Gebiet fka Deutschland. Was von Putin zu erwarten ist, wenn es im Nachgang des Kaskaden Blackouts im Gebiet zur Syrianisierung und Libyanisierung auf Steroiden kommt, kann anhand seines Wirkens in Syrien und Libyen vorhergesagt werden.

Roland Müller / 12.06.2020

Nein Herr Frank, keine aufständischen Sunniten, sondern durch die Bank Kriminelle, welche mordend und plündernd durch die Lande ziehen.  Mit Ihrer Mär vom sunnitischen Aufstand, sollten Sie bei BILD anheuern, statt auf achgut zu nerven.

Roland Müller / 12.06.2020

Das die Hisbollah gute Arbeit im Kampf gegen den sunnitischen Terror in Syrien geleistet hat, will wohl niemand ernsthaft bestreiten.

Angelika Meier / 12.06.2020

Probleme könnte die russische Erklärung bekommen, wenn sich rausstellen sollte, dass es freundschaftliche Beziehungen zwischen islamistischen Organisationen im Ausland gibt (wie Hisbollah und Hamas) und islamistischen Organisationen auf russischem Boden. Das Ganze erinnert an Klassiker aus der Geschichte. Z.B. die freundschaftlichen Beziehungen im damals noch christlichen Europa zwischen dem Allerchristlichsten König von Frankreich und dem osmanischen Sultan. Um den verhassten Habsburgern zu schaden. Das benötigte damals auch großer theologischer Interpretation.

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