Ich möchte nicht, dass ein Diktator oder König darüber entscheidet, wie ich mein Leben zu führen habe. Ich möchte aber auch nicht, dass die demokratische Mehrheit dies tut. Ich will selbst darüber bestimmen in dem Bewusstsein, dass es absolute Freiheit in der Gemeinschaft nicht geben kann und meine Freiheit ihre Grenze an der Freiheit der anderen findet. Es ist aber ein himmelweiter Unterschied, ob ich in meiner Freiheit beschränkt werde, um ein friedvolles Miteinander zu ermöglichen oder ob dies geschieht, um die politische Heilsideen der Mehrheit oder einer lautstarken Minderheit umzusetzen.
Thomas Hobbes hatte zutreffend erkannt, dass ein staatliches Gewaltmonopol eine Friedensordnung schafft, die letztlich allen Bewohnern nützt. Er erkannte leider nicht, dass dieser Vorteil in sein Gegenteil umschlägt, wenn der Staat sein Gewaltmonopol nutzt, um Ziele zu erreichen, die über die Gewährung dieses Friedens hinausgehen. Dann nämlich, wenn der Staat anfängt Politik zu machen und politische Ziele, die stets nur die Ziele einer bestimmten Gruppe von Bürgern sind, allen aufzwingt.
Leider wird in Demokratien genau dieses Verhalten von der Mehrheit nachgefragt. Denn wer die Möglichkeit erhält, sich Geld in die Tasche zu wählen, wird über kurz oder lang genau das tun. Ebenso wird er versuchen, seine politischen Ideen per Stimmzettel umzusetzen. Das bedeutet letztlich, seine Sicht der Welt allen anderen aufzuzwingen. Doch die Menschen sind verschieden. Was für den einen richtig ist, kann für den anderen falsch sein. Subjektiv unterschiedliche Wertvorstellungen und objektiv andere Lebenssituationen bewirken, dass jede „politische Lösung“ von Sachverhalten Menschen zurücklässt, die gegen ihren Willen zu etwas gezwungen wurden. Politik zu machen, heißt Partei zu ergreifen und die Wünsche einiger zum Maßstab für alle zu erheben, und zwar – das darf man nicht vergessen – notfalls mit Gewalt.
In Demokratien sind die Opfer politischer Mehrheitsentscheidungen damit sogar wehrloser, als sie es im Hobbes’schen Naturzustand des Kampfes „Aller gegen Alle“ wären. Das Gewaltmonopol des Staates richtet sich nun gegen sie, und sie müssen es etwa dulden, dass ihnen große Teile ihres Einkommens und Vermögens weggenommen und in andere Taschen umverteilt werden, ohne dass sie sich dagegen wehren dürfen. Damit verliert das ursprüngliche Konzept seine Wirkung, und hinter der Fassade des friedlichen Staates tobt stattdessen ein immerwährender – diesmal politischer – Kampf rivalisierender Gruppen um den Erlass begünstigender Regelungen. Der erreichte Friede ist nur noch ein scheinbarer und beruht auf der wirksamen Unterdrückung abweichender Interessen.
Wenn der Staat aufhört, Schiedsrichter zu sein
Es ist deshalb kontraproduktiv, dem Staat eine Macht einzuräumen, die über die Gewährleistung der inneren und äußeren Sicherheit hinausgeht. Denn wenn der Frieden einmal hergestellt ist, dann ist die einzige legitime staatliche Aufgabe, dafür zu sorgen, dass Bewohner ihren Willen nicht mit Gewalt anderen aufzwingen. Und nur zur Durchsetzung dieses Grundsatzes darf der Staat selbst auch Gewalt anwenden. Das ist keine neue Erkenntnis, sie findet sich bereits bei den Denkern John Locke, Wilhelm von Humboldt, Ludwig von Mises oder auch bei Ludwig Erhard, demzufolge die Probleme beginnen, wenn der Staat aufhört, Schiedsrichter zu sein und anfängt, selber mitzuspielen. Mit einem solchen Programm kann man bei Wahlen freilich keinen Blumentopf gewinnen. Man tritt nämlich an gegen Mitbewerber, die dem Bürger versprechen, ihm alle Lebensrisiken abzunehmen und diverse Gratisleistungen zukommen zu lassen.
Aber Gesellschaftsordnungen, die bereits konstruktionsbedingt gegen das Prinzip „Wer zahlt, bestimmt“ verstoßen, haben keine dauerhaften Überlebenschancen. Denn wenn die Mehrheit der Nicht- oder Wenigzahler regelmäßig darüber entscheidet, was mit den Beiträgen der Vielzahler passiert, werden sich Letztere schließlich von jener Ordnung abwenden. Entweder dadurch, dass sie den räumlichen Geltungsbereich des Systems verlassen oder dadurch, dass sie ihre Produktivität einschränken. Das System verliert so nach und nach seine Leistungsträger und kollabiert schließlich aufgrund wirtschaftlicher Probleme.
Dabei ist der Grund für die unheilbare Krankheit der Demokratie eigentlich ganz leicht zu erkennen: ein Recht, über das ein einzelner Bürger nicht verfügt, nämlich Mitbürgern etwas wegzunehmen („Du sollst nicht stehlen“) kann er auch nicht an eine Regierung delegieren. Die „demokratische Legitimation“ einer Regierung ist daher nichts als Chimäre, denn die Wegnahme rechtmäßig erworbenen Einkommens oder Vermögens gegen den Willen der Betroffenen ist immer Unrecht, auch wenn sie von einer Mehrheit, gleich welcher politischen Schattierung, gutgeheißen wird. Dasselbe gilt für alle anderen Einmischungen in die private Lebensführung.
Solange auch die Opposition das nicht verstanden hat, ist keine Besserung in Aussicht. Es wird dann beim nächsten Wechsel unverändert so weitergehen, nur mit anderen Vorzeichen. In Ungarn etwa hat die demokratisch gewählte Regierung jüngst verlautbart, dass ihr Ziel eine vollkommen rauchfreie Gesellschaft sei. Vermutlich ist so etwas auch hier mehrheitsfähig. Die Idee, dass darüber der Einzelne entscheiden soll, kommt in diesem Konzept schon gar nicht mehr vor. Dabei gibt es Alternativen.
Titus Gebel ist Unternehmer und promovierter Jurist. Er gründete unter anderem die Deutsche Rohstoff AG und ist Autor des Buches Freie Privatstädte – Mehr Wettbewerb im wichtigsten Markt der Welt.