1960 hat Syrien 4,5 Millionen Einwohner. Seit 2011 gibt es 4,2 Millionen ins Ausland geflohene Bürger sowie über 300.000 Kriegsopfer. Eine Menschenzahl in Höhe der Gesamtbevölkerung von 1960 ist heute außer Landes oder tot. Gleichwohl weiß jeder, dass Syriens Bevölkerung dadurch nicht auf Null gefallen ist. Sie steht mit 18 Millionen immer noch beim Vierfachen von 1960. Waren – vor dem Töten und Fliehen – die 22,5 Millionen von 2011 unüberschaubar mehr, als die Arbeitsmärkte unterbringen konnten, so liegen auch die 18 Millionen von heute immer noch sehr weit über der ökonomischen Aufnahmekapazität des Landes. Deutschland stände bei einer Vervierfachung seit 1960 nicht bei 82, sondern bei 290, die Schweiz bei 22 statt 8 und Österreich bei 28 statt knapp 9 Millionen. Ungeachtet ihrer innovativen Betriebe ständen alle drei Länder vor unlösbaren Herausforderungen. In Syrien fehlte eine entsprechende Industrie bekanntlich nicht nur 1960, sondern sie fehlt auch heute.
Will man verstehen, warum – trotz aller Gräuel – Assad mit seinen Verbündeten aus Moskau und Teheran nicht nur erbarmungslos, sondern planvoll weiter massakriert und vertreibt, dann rührt das aus seiner Einsicht, dass die bereits Begrabenen sowie die vorerst nur Verjagten keineswegs ausreichen, um das Land demographisch zu befrieden. Obwohl durch das gegenseitige Eliminieren junger Männer der Kriegsindex von 3,8 auf 3,5 herunter ist, folgen halt immer noch auf 1.000 rentennahe Männer von 55-59 Jahren 3.500 zornige Jünglinge, die etwas werden wollen. Deutschland spürt mit einem Index von 0,66 gerade mal ein Fünftel dieses Drucks, in Österreich und der Schweiz (beide 0,8) sind es ein gutes Viertel.
Natürlich geht es den Herrschern nicht allein um das Reduzieren der Menschenzahl, sondern auch um die Verbesserung der nicht-sunnitischen Anteile an der nach Kriegsende verbleibenden Bevölkerung. Alawiten und verwandte Richtungen, die 2011 nur 13 Prozent der Syrer stellten, bewegen sich auf die Marke von 20 Prozent. Ihre Angst vor der eigenen Auslöschung ist mit allem Recht lange schon groß. Genozidale Bestrebungen von sunnitischer Seite sind mindestens seit 1982 in Hama belegt, als Muslimbrüder die besser gebildeten alawitischen Eliten ausrotten wollen, im ungemein brutalen Gegenschlag aber ihrerseits mindestens 20.000 – meist zivile – Anhänger verlieren.
Die Angst vor Rache dürfte zuvor nie gesehene Ausmaße erreichen
Nach den Massakern des vergangenen halben Jahrzehnts dürfte die Angst vor Rache zuvor nie gesehene Ausmaße erreichen. Im Sender Al Jazeera fordert etwa am Mai 2015 der populäre Publizist Dr. Faisal al-Kasim quer durch den arabischen Raum die Ausrottung aller Alawiten einschließlich ihrer Kinder.Verständlicherweise will auch der schiitische Iran seinen syrischen Satelliten nicht dadurch verlieren, dass Sunniten heimkehren. Schließlich will man eine Achse bis zum Golan bilden, um beim Vernichtungskrieg gegen die Juden Israels in die Vorhand zu kommen.
Da die Alawiten die aktuelle Verbesserung ihrer demographischen Lage nicht wieder verspielen wollen, darf man auf die Gründe gespannt sein, mit denen Repatriierungen von Flüchtlingen aus der Türkei, dem Libanon, Jordanien und Deutschland verzögert oder abgelehnt werden. Je mehr sunnitische Syrer es vertreibt, desto sicherer erachtet das Regime seine eigene Lage. Im Zweifelsfall werden immer irgendwo Schüsse hörbar sein, so dass Syrien auf Jahrzehnte nicht als sicheres Herkunftsland eingestuft werden darf.
Berlin und Brüssel können an dieser – durchaus treffend als „Umvolkung“ gekennzeichneten – Politik Assads exemplarisch lernen, warum auch bei zukünftigen Flüchtlingsheeren die zuversichtlich angekündigte Politik massenhafter Rückführungen scheitern muss. Woher auch immer die Gefährdeten kommen, daheim bleibt man auch ohne sie mit Menschen allemal überreich beschenkt. Die Neukomposition der Bevölkerungen in Europa ist mithin nur das Spiegelbild der planvoll geänderten ethnischen Zusammensetzung in den Kriegsstaaten.