Wolfgang Röhl / 27.10.2015 / 09:34 / 3 / Seite ausdrucken

Warum „Bild“ für Flüchtlinge kämpft

Die Kampagne der „Bildzeitung“ gegen den Wettervorhersageunternehmer Jörg Kachelmann war eine Meisterleistung, lügenblatttechnisch gesehen. Als Kachelmann wegen des Verdachts auf Vergewaltigung einer früheren Freundin im März 2010 am Frankfurter Flughafen verhaftet wurde, dämmerte es den Bild-Leuten noch vor dem Rest der Medienmeute, dass da eine publizistische Goldader aufgebrochen war. Eine markante Fernsehnase, damals noch relativ reich, nicht wirklich grundsympathisch, scheinbar in diverse, teils unschöne Affären mit Frauen verheddert. Das klassische Boulevardstück vom Mann mit den zwei oder drei Gesichtern. Ein ganzes Jahr und noch viel mehr zehrte das Blatt von dem Fall. Ließ Kachelmann sogar beim Gefängnishofgang nachstellen und den Prozess gegen ihn von Alice Schwarzer kommentieren. Womit das Urteil des Bildgerichtshofs von vorneherein feststand.

Dass Kachelmann am Ende freigesprochen wurde, minderte den Verdienst von Bild ebenso wenig wie die 635.000 Euro Schmerzensgeld, die Kachelmann später gegen den Springer-Verlag erstritt. Vom Gericht eins übergebraten gekriegt? Nebbich. Bild oder bild.de haben ja keinen Ruf zu verlieren, wie, sagen wir, der „Spiegel“ oder das „Handelsblatt“. Und falls Springer das Schmerzensgeld tatsächlich rausrücken muss (das Urteil ist noch nicht rechtskräftig), so kann der Verlag es als eine Art Honorar betrachten für die ungezählten saftigen Bild-Schlagzeilen („Er wollte Sadomaso-Sex mit mir“). Kurz, die Bild und ihr online-Ableger hatten in Sachen Kachelmann alles richtig gemacht.

Ein ähnlich gutes Gespür bewies die Bild-Gruppe bei ihrer Kampagne gegen die „Pleite-Griechen“. Zwar war jedem politisch Denkenden immer klar, dass sich Athen mit seinen Unverfrorenheiten weitgehend durchsetzen würde. Doch Klamauk-Aktionen wie das Verteilen von Drachmen-Noten durch Bild-Reporter in Griechenland oder Infantilismen wie „Ihr griecht von uns nix“ waren wichtig für die Leser-Blatt-Bindung. Die „Bild kämpft für Sie“-Attitüde zielte ja nie auf Ergebnisse ab. Sie bedient lediglich die Illusion, Bild sei der Anwalt des „kleinen Mannes“. Ordentlich auf die Kacke zu hauen, ist als Akt der Sozialhygiene immer populär. Selbst wenn der kleine Mann ahnt, dass das Wutgeschnaube bloß Theater ist.

Jetzt reiben sich alle die Augen. In der Frage, wie mit dem ungebremsten Einstrom nach Deutschland umzugehen ist, hat sich die Bild von allem Anfang an als mild und großherzig positioniert. Bild erklärt in „Fakten-Checks“, dass Migranten „uns“ nicht die Arbeitsplätze wegnehmen, „Flüchtlinge“ nicht überdurchschnittlich kriminell werden und wenn doch, dann nur wegen des Arbeitsverbots und der damit einhergehenden Langeweile. Dass Asylbewerber „eher weniger Geld“ bekommen als Hartz-IV-Empfänger, „nur etwa acht Prozent der Flüchtlinge keine Schulbildung“ haben und andere beruhigende Dinge mehr. Welche sich die Zeitung beispielsweise von der Macht-hoch-die-Tür-NGO „Pro Asyl“ erzählen lässt.

Bild berichtet einfühlsam und topografisch genau von den Schlepper-Routen, auf denen „Gefahren lauern“ und stellt die Frage, ob ein „Talkshow-Verbot für rechte Hetzer“ helfen könnte, „Stimmungsmache gegen Flüchtlinge“ zu vereiteln.

Das alles findet man so ähnlich auf den Websites der Staatssender, in der „Süddeutschen Zeitung“, der „Zeit“ oder im „Tagesspiegel“. Wobei dort, wo die Kommentarfunktionen nicht abgeschaltet sind, ein rauer Gegenwind aus der Leserschaft bläst – interessanterweise auch und gerade auf „Zeit online“.

Während die Redakteure der ebenfalls im Hause Springer erscheinenden „Welt“, von ein paar Irrlichtern abgesehen, in Sachen „Flüchtlingskrise“ immer öfter die Alarmglocken läuten, wiegelt man bei Bild ab. Und das, obwohl die Verlierer der massenhaften Einwanderung in die sozialen Netze und in die prekären Wohnviertel deutlich stärker unter der Bild-Kundschaft zu finden sein werden als in gutbürgerlichen Zirkeln.

„Immigration is good for the rich“, titelte die „Sunday Times“ vor Jahren. Da befand sich Bild-Chef Kai Diekmann wohl gerade auf seiner „Erweckungsreise“ („Die Zeit“) durch Silicon Valley.

Gibt es einen Grund, warum ausgerechnet Bild sein Herz für Migranten entdeckt hat? Ein blattmacherisch nachvollziehbares Motiv, gegen die Lebenswirklichkeit der Stammleser anzuschreiben, ist nicht recht erkennbar. Die Einschätzung mancher Medienbeobachter, das Blatt sei nun mal mit der Kanzlerin verbandelt, trägt wohl kaum. Dass Mad Merkel angezählt ist, pfeifen die Spatzen von der Reichstagskuppel. Und niemand wechselt schneller die Seiten als Bild, wenn ein Regime zu schwächeln beginnt.

Aber da gibt es noch den subjektiven Faktor. Obwohl die Bild ja von Hause aus – gewissermaßen notwendigerweise - ein Haufen Dreck ist, Spottgeburt aus frischen Blutlachen, Nippelblitzern und kalten Bauern (klicken Sie nur mal auf bild.de, erleben Sie das Inferno!), sind die Redakteure privatim doch oftmals freundliche, manchmal sogar sympathische Zeitgenossen. Und ja, diese bestens bezahlten, doch in der Hackordnung der vermeintlich seriösen Presswerker ganz unten angesiedelten Schmutzwühler wollen geliebt werden!

Erinnern wir uns an die Verleihung des Henri-Nannen-Preises im Hamburger Schauspielhaus vor drei Jahren. Damals erhielten zwei Bild-Reporter Lametta in der Kategorie „Beste investigative Leistung“ für die Vernichtung der Karriere eines ehemaligen Bundespräsidenten, der Petitessen verbrochen hatte. „Über diesen Preis freuen sich alle Kollegen bei BILD“, jubelte die Redaktion.

Endlich mal mit den Richtigen in einem Boot!

Leider mochte ein für diesen Scoop (siehe auch unter: „Bobby-Car“) ebenfalls ausgezeichneter Kollege der „SZ“ nicht gemeinsam mit den Bild-Parias aufs Treppchen steigen. Wegen des „Kulturbruchs“, wie der Kultur-Alleininhaber verkündete.

Die „Flüchtlingskrise“, stelle ich mir vor, eröffnet den Schmuddelkindern eine Okkasion, Rubbing shoulders mit all den guten Menschen der Republik zu betreiben. Bei der ganz großen Koalition aus Politikern, Leitartiklern, Fernsehmoderatoren, Bischöfinnen, Ethikbeauftragten, Friedensforschern, Teddybärenschmeißern und Flüchtlingsschalstrickenden mitzutun. Dumm nur, dass kaum einer von denen der Bild ihr Engagement abkauft. Die meisten argwöhnen, Bild wolle sich mit der Flüchtlingsmasche nur mal wieder imagehalber anschleimen. Sogar einige Fußballclubs verweigerten, sich für die Bild-Aktion „Wir helfen“ einspannen zu lassen.

Oder ist der Plan ein ganz anderer? Die verkaufte Auflage des ehedem größten europäischen Druckerzeugnisses rauscht ungebremst gen Keller. Sie steht jetzt bei nur mehr knapp 2,1 Millionen, ein Minus von 52,7 Prozent seit 1998. Dagegen legt die Internettochter bild.de an Reichweite zu. Soll die aufwändig zu produzierende und mühsam zu vertreibende Holz-Bild mittelfristig zugunsten der digitalen Bild eingestellt werden?

Falls das die Absicht ist, befindet sich Diekmann auf dem richtigen Weg. Ich drücke schon mal die Daumen.

 

 

 

 

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Leserpost

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Tilo Bley / 29.10.2015

Vor längerer Zeit hatte ich einmal ein Gespräch mit einem Studenten der Medienwissenschaft, der mir erzählte, sie hätten einmal in ihrer Studiengruppe versucht, das Wirken der BILD-Zeitung auf eine kürzestmögliche, prägnante Formel zu bringen. Das Ergebnis sei gewesen, BILD "verbreitet ein Übermaß überflüssiger Informationen, spektakulär aufbereitet". Dem konnte ich soweit zustimmen, nur fehlt mir hierbei noch die Komponente "gezielte Desinformation" bzw. "Weglassen wichtiger Fakten für eine möglichst objektive Meinungsbildung" (zwei Seiten ein und derselben Medaille). Was das betrifft, hat BILD allerdings kein Alleinstellungsmerkmal, sondern befindet sich in "guter" Gesellschaft weiterer (nicht nur) Pressemedien, selbst sogenannter seriöser. Der im Artikel erwähnte SPIEGEL hat diesbezüglich leider auch nicht mehr viel zu verlieren, verglichen mit seinen besten Zeiten glanzvollen, objektiven Journalismus. Einige Titelblätter aus den letzten Jahren, und nicht nur die Titelblätter, sondern auch die dazugehörigen Machwerke im Heft, waren für mich erschreckend. Es gab mal eine Phase vor einigen Jahren, als ein ehemaliger BILD-Chefredakteur für den Chefredakteurs-Posten des SPIEGEL im Gespräch war. Damals gab es geharnischte Proteste der angestellten Journalisten dagegen. Aber mal ehrlich... angesichts dessen, was sich der SPIEGEL in der letzten Zeit zum Teil von sich gab (bzw. dessen Autoren), wäre das eigentlich auch nicht mehr so schlimm gewesen, wenn dieser Posten doch so besetzt worden wäre.

Reiner Engler / 27.10.2015

Einfach nur genial.Allerdings habe ich den letzen Passus des Röhl'schen Beitrags nicht verstanden. Die Holzpresse ist im freien Flug nach unten. Das weiss jeder, der ab und an die meedia.de-Webseite besucht. Das Internet soll es nun richten.Aber was hat dies mit der merkwürdigen "Flüchtlingseuphorie" von BILD zu tun? Etwa die Formel "Flüchtling-Smartphone-Internet"? Vielleicht kann mir ein Achse-Leser diesbezüglich auf die Sprünge helfen.

Ich / 27.10.2015

Die Auflagenzahl der Bild ist bester Indikator für den desolaten Zustand der Bevölkerung. Als eines der größten Hetzblätter wiegelt sie regelmäßig Bevölkerungsgruppen gegeneinander auf.Sie forciert Hass auf Muslime, Erwerbslose, Flüchtlinge, andere Randgruppen... Dabei gelingt es ihr durch tendenziöse Berichterstattung und Lügen mit vorgefertigter Meinung die wenig gebildete und uninteressierte breite Masse mit genau der Meinung zu versorgen, die ein intolerantes Land braucht, in dem es viel Menschenfeindlichkeit gibt.Teile und herrsche, das macht die Bildzeitung mit der Gesellschaft. Der Leser spielt dabei eine eigenartige Rolle. Die Bild setzt eine für den Leser nachteilige Politik um und lässt ihn dafür auch noch zahlen... Armes Deutschland. Und diese Leser reden dann tatsächlich davon, dass andere Schichten ein Bildungsdefizit hätten... Die Bild setzt um, was in Deutschland ist. Die Diktatur des Proletariates. Das Reich der Dummheit...

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