Kann man sich eine Zeitung vorstellen, die zum Tod eines kriminellen Neonazis einen Nachruf mit dem Titel „Unerschrocken rechtsradikal“ bringt? Eher nicht. Aber das Neue Deutschland huldigt einer Ex-RAF-Terroristin.
Die frühere RAF-Terroristin Inge Viett ist im Alter von 78 Jahren gestorben. Die „junge welt“ referiert ihren bewegten Lebenslauf unter dem Rubrum „Bewaffneter Kampf“, und im Neuen Deutschland (nd, „Journalismus von links“) widmet ihr Jana Frielinghaus gar einen warmherzigen Nachruf.
Sie hat Viett, wie sie gleich zu Anfang sagt, mal persönlich gesehen und als „klein, schlank, durchtrainiert, energisch“ in Erinnerung. In ihrem Text erwähnt sie deren Aufwachsen „als Pflegekind in düsteren, konservativen, von Gewalt geprägten Verhältnissen in einem Dorf bei Eckernförde in Schleswig-Holstein“. Gegen die „bedrückenden gesellschaftlichen Verhältnisse in der BRD“ habe Viett früh aufbegehrt.
Kein Wunder, dass Viett dereinst im Arbeiter- und Bauernparadies landen sollte. Nachdem sie sich zuerst in der linksterroristischen „Bewegung 2. Juni“ und später in der „Rote Armee Fraktion“ (RAF) an Anschlägen, Banküberfällen, Gefangenenbefreiungen und Entführungen beteiligt und einen französischen Polizisten schwer verwundet und in den Rollstuhl gebracht hatte (er starb früh an den Folgen) sowie nach zahlreichen Aufenthalten in der arabischen Welt (Irak, Libanon, Südjemen, überall, wo man Terroristen schätzte und ausbildete) wurde Viett 1978 von einem Stasi-Major angesprochen und nutzte den Kontakt, um sich nach einem gescheiterten Terrorakt einer Haftstrafe durch Flucht in die DDR zu entziehen.
Erfüllende Jahre in der DDR
Nach einem eher kurzen Gastspiel bei der RAF tauchte sie 1982 dauerhaft in der DDR unter und lebte dort unter falschem Namen, war auch als IM der Staatssicherheit ausgerechnet für eine Unterabteilung der Abteilung für internationale Terrorabwehr registriert.
Dazu Frielinghaus:
„Die Jahre in der DDR hat Inge Viett als die erfüllendsten ihres Lebens bezeichnet – ohne das Provinzielle, das in Teilen denunziatorische Klima und Demokratiedefizite kleinzureden. Zugleich schmerzte es sie, wie gering viele Bürger der DDR deren Errungenschaften und Werte wie Antifaschismus und Solidarität schätzten.“
Nach der Wende, im Sommer 1990, wurde Viett an die Bundesrepublik ausgeliefert und 1992 zu 13 Jahren Haft verurteilt, musste aber nur die Hälfte der Strafe absitzen. Von ihrer RAF-Vergangenheit hat sie sich nie distanziert, wenngleich sie über ihre Zeit als Terroristin reflektierte. Jana Frielinghaus zeigt sich beeindruckt von den „berührenden Selbstbefragungen einer Frau, die ihr eigenes Handeln sehr kritisch beurteilte – und zugleich dafür plädiert, den ersten Sozialismus-Versuch auf deutschem Boden nicht in Bausch und Bogen zu verdammen“. Das hatte Inge Viett mit der Linkspartei und anderen gemein, die aktuell daran arbeiten, dem „ersten Sozialismus-Versuch auf deutschem Boden“ einen zweiten folgen zu lassen, wegen des großen Erfolges.
Seit ihrer Haftentlassung war Viett „in der antikapitalistischen Linken aktiv“ (junge welt) und träumte weiter vom Kommunismus, der auch mit „kämpferischer Praxis“ erreicht werden sollte. Wegen der Billigung von Straftaten wurde sie 2011 noch einmal zur Zahlung einer Geldstrafe von 1.200 Euro verurteilt, ansonsten lebte sie unbehelligt vom Klassenfeind ihr Leben in Berlin. Auch ihr Terroristenkollege Christian Klar (unter anderem neun Morde) wurde nach seiner ebenfalls vorzeitigen Haftentlassung von Sympathisanten auf Händen getragen, machte bei Theater-Intendant Klaus Peymann am Berliner Ensemble ein Praktikum als Bühnentechniker und war später beim Linken-MdB Dieter Dehm als freier Mitarbeiter für die technische Betreuung von dessen Abgeordnetenwebsite tätig. Das kam damals raus, als Dehms Antrag auf einen Hausausweis des Bundestags für Klar abgelehnt wurde.
Manchmal kann dieser Staat so unmenschlich sein.