Liberale Geister möchten gern glauben, auch mit Extremisten ließe sich verhandeln. Dabei war es schon immer falsch, Feinden der Freiheit auch nur den kleinen Finger zu reichen. Von der RAF zu Greenwar, das ist nur eine Frage der Zeit.
Wenn ich mit meinem treuen alten Selbstzünder von Südwesten in die Stadt Hamburg fahre, mein Navi plötzlich Alarm trommelt und die Strecken vor, auf und hinter der Köhlbrandbrücke in Stau-Rot anzeigt, dann ahne ich was. Wird sich wohl nicht um einen Unfall handeln, der für die Verstopfung des Nadelöhrs zu den Containerhäfen verantwortlich ist. Eher mal wieder um eine „Aktion“ der „Klimaschutzbewegung“ (Welt) Extinction Rebellion.
Auf gut Deutsch, Mitglieder der umweltextremistischen XR-Vereinigung ketten sich zum Beispiel an die Mittelleitplanke des Hamburger Wahrzeichens. Worauf die Polizei, um die Gesundheit der Ökorecken besorgt, den Verkehr großflächig zum Erliegen bringt. Viele hundert LKW, die von und zu den Verladekais unterwegs sind, stehen dann brummend und abgasdampfend still. Ebenso tausende Autos, Lieferwagen, Handwerkergefährte. Manchmal vergehen Stunden, bis es der Polizei gelingt, die Akteure vom Tatort zu entfernen. Natürlich mit Samthandschuhen, denn Sympathisanten filmen alles eifrig mit. Wehe, einem Umweltheroen wird dabei ein Härchen gekrümmt – NDR und Hamburger Morgenpost würden den Einsatzleiter grillen.
Der volkswirtschaftliche Schaden durch Anschläge der Endzeitsekten XR oder Ende Gelände ist enorm, die durch den Stillstand entstehende Umweltverschmutzung heftig. In puncto Klimaschutz sind sie ungefähr so zielführend wie ein auf den Bürgersteig scheißender Hund, dessen Herrchen erklärt, es handele sich dabei um eine Aktion der Stadtreinigung. Dennoch berichten Hamburger Medien – bis auf die Lokalausgabe der Bild praktisch allesamt Partisanen der rotgrünen Stadtstaatregierung – wenig über die Nötigungen. Vielleicht möchten sie nicht allzu deutlich machen, welchen Irrsinn der auch von ihnen befeuerte Klimakatastrophenhype zeitigt. Kraxeln dagegen ein paar Identitäre klimaneutral aufs Brandenburger Tor und schwenken dort irgendwelche Transparente, hallt es in allen Medienlüften wie Geschrei. Und der Deutschlandfunk zitiert den Berliner Bürgermeister mit dessen Ansicht, so etwas sei „schlicht widerlich“.
„Die jungen Moraldarsteller höflich auslachen“
Nun gibt es hier und da Journalisten, denen das Treiben der Ökonarren ab und an auf den Senkel geht. Einige wenige tun das sogar kund. Natürlich nicht im öffentlich-rechtlichen Staatsfunk, aber schon mal im privat aufgestellten Print- und Onlinesektor. Leute wie Jan Fleischhauer vom Focus veröffentlichen gern mal, mit zünftiger Verspätung, gut abgehangene Gedanken, welche in gewissen Kreisen schon länger zirkulieren. Zuletzt war es Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt, der ordentlich gegen einige Klimadompteure ablederte. Das ist – Welt-Leser kennen ihn – jener Mann, der auf eine so unwiderstehliche Art vom Autorenfoto lächelt, dass man den Eindruck gewinnt, er würde sich am liebsten selber heiraten. Poschi, wie ihn seine wenigen Freunde nennen, beherrscht die Kunst, sich auf dem Ticket eines Liberalkonservativen durch die Zeitläufte zu schlängeln, ohne groß als Rechter anzuecken.
Zu diesem Zweck versetzt sein Spielbein nahezu mechanisch Tritte gegen die Schienbeine der AfD, indes er mit dem Enthusiasmus für sein „Pörschlein“ (Eff-Jott Raddatz) Grüne gegen sich aufbringt. Mit der äquidistanten Nummer hält er sich seit sechs Jahren auf seinem Chefposten, perfekt austariert wie ein Sporttaucher im Zustand der Schwerelosigkeit. Nein, diesen Mann von Welt wird der Springer-CEO Mathias Döpfner nicht kegeln müssen wie den gewesenen Bild-Chef Julian Reichelt.
Poschardt kann aber auch sehr gut schreiben. Die schmierenkomische „Mischung aus Größenwahn und Heulsusigkeit“, die er bei Straßenblockierern („Wann werden wir denn verhaftet? Es ist kalt“) konstatiert, ist für ihn einer der Gründe, warum man „die jungen Moraldarsteller höflich auslachen sollte.“ Auch die eigentlichen Treiber des hysterischen Gerödels benennt er klar: „Medien, insbesondere der öffentlich-rechtliche Rundfunk“, die „längst zu PR-Abteilungen dieser Art von ambitionsloser bourgeoiser Selbstbeschäftigung geworden sind“.
(Unter Medien, das nur nebenbei, fällt natürlich auch die Welt. Ich führe eine kleine Liste mit Spitzenleistungen medialer Infantilität. Darin findet sich auch die Überschrift eines Gastbeitrags in Poschardts Blatt von Ende 2019: „Greta ist noch lange nicht stolz auf uns“. Warum „wir“ darob besorgt zu sein hätten, ob eine Halbwüchsige mit Hau, entsprungen dem Volksheim eines Wohlstandsbullerbü, auf irgendwas „stolz“ ist oder ob die nordische Birke rauscht, wer erklärt „uns“ das?)
Wider den Kreuzzug der Bekloppten
Aufschlussreich wird Poschardts luzides Stück über den Kreuzzug der Bekloppten in einer beiläufigen Formulierung:
Was bei Greta Thunberg noch revolutionär war, bei Luisa Neubauer kultiviert, hat spätestens bei den in roten Clownskostümen durch die Städte hüpfenden Vertretern von Extinction Rebellion eine Phase der Realsatire erreicht.
Der Satz subsumiert in meinen Augen trefflich das notorische Unvermögen des Bürgertums, gesellschaftliche Entwicklungen in ihren Anfängen zu orten. Zunächst zwei Petitessen. Wenn Fridays for Future eine Revolution ist, dann wäre es die erste, die mit Wohlwollen und Unterstützung breitester Bevölkerungsgruppen marschiert, hofiert von nahezu sämtlichen Meinungsmachern, eingeladen auf Gipfelkonferenzen der UNO. So viel Akklamation erhielt nicht mal Fidel Castro, als er siegreich in Havanna einzog. Und dass höhere hanseatische Töchter wie Neubauer kultiviert seien, weil sie in Talkshows nicht unflätig werden, gut aussehen und mit Messer und Gabel umgehen können, mag man angesichts von Sätzen wie diesem bezweifeln: „Ist das Kinderkriegen unseren Mitmenschen gegenüber verantwortungsvoll, da statistisch gesehen nichts einen größeren CO2-Fußabdruck hinterlässt als ein Kind?“
Menschenfeindlichkeit hat viele Gesichter. Auch ein paar hübsche Schnuten.
Aber das ist, wie gesagt, bloß Kleinkram. Das Hauptproblem bei Leuten, die beklagen, eine eigentlich sympathische oder wenigstens akzeptable Bewegung sei irgendwie aus dem Ruder gelaufen, ist dies: Sie haben nicht mitgekriegt, dass das Boot letzten Endes immer auf Kurs geblieben war. Nie bemerkt, was da offensichtlich auf sie zukam. Man muss dazu nicht die ewigen Weimar-Vergleiche bemühen, es geht auch kleiner.
Wer sich beispielsweise in der kurzen Phase des Radikalenerlasses (1972 bis 1979) einreden ließ, dieser Beschluss zur Überprüfung der Verfassungstreue von Staatsdienern sei nicht zuvörderst auf kommunistische Lehrkräfte gemünzt, sondern hauptsächlich ein Berufsverbot für harmlose Linksdenkende (der „Postbote“ wurde damals in einer maßgeblich durch die DDR gesteuerten Kampagne zum Symbolopfer staatlichen Unrechts aufgezäumt), wird sich ein halbes Jahrhundert später die Augen reiben.
Sich ein moderates X für ein radikales U vormachen lassen
Der größte Teil der Lehrerschaft steht mittlerweile fest auf dem Boden einer rot-grün-feministischen Grundordnung. Wer seine Kinder zur Skepsis an den herrschenden Klima-, Migrations- oder Gender-Märchen erzieht, muss den Kids zugleich beibringen, ihre Meinungen im Unterricht zu camouflieren. Anderenfalls könnte es bei den Zeugnissen Überraschungen geben. De-Industrialisierung, Antiamerikanismus, Auflösung der verhassten „Kleinfamilie“ und Wohlstandsverzicht (ein populärer Haltungsratgeber von anno 1981 trug den Titel „Die vielen Dinge machen arm“) gehörten von Anbeginn zur Agenda der Post-Achtundsechziger. „Die Hippies haben gewonnen“ heißt ein kurzes Hörbuch von Michael Miersch, in dem die Anfänge der heute grassierenden Ökohysterie, der Fortschrittsängste und des Gesundheitswahns skizziert werden. Die Zeichen standen lange an der Wand. Schon in der Ära Kohl, ja, noch davor.
Ach, der gut erzogene, gutgesinnte und schön blöde Bürgermensch hat zumeist geflissentlich übersehen, wenn sich was zusammenbraute. Er wollte und will ja nur zu gern fortschrittlich sein. Nicht wahr, die Förderung von „sauberem“ Strom für den Preis einer Kugel Eis pro Haushalt und Monat – diesen trittinschen Taschentrick wollte er ja glauben. Rechnen hätte geholfen. Beziehungsweise ein Ausflug auf Portale, wo man was von Stromproduktion versteht. Jetzt macht der Eiskugelgläubige ein düpiertes Gesicht, wenn er auf die Stromrechnung guckt. Flächendeckende Blackouts hält er trotzdem für eine Verschwörungstheorie. Zwar, Pläne, wegen der Abschaltung verlässlicher Erzeuger künftig in Deutschland Strom zu rationieren wie in der indischen Pampa, liegen längst auf dem Tisch. Sie werden sogar im Bundestag vorgetragen. Allein, unser Freund des allzeit kultivierten Diskurses hält das Ganze für eine arge Dystopie.
Dieser Typ Mensch hat keine Phantasie für die Wirklichkeit.
Er ist einer, der immer nach den „Vernünftigen, die es doch in jeder Bewegung gibt“, sucht. Immer bereit, sich ein moderates X für ein radikales U vormachen zu lassen. Ich erinnere mich an eine Kollegin, die mal freudig bezirzt von einem Treffen mit Gregor Gysi zurück in die Redaktion kam. Die Dame, wohnhaft in Hamburgs noblem Stadtteil Blankenese, schwärmte von dem zwielichtigen Berliner Leftie wie dereinst der Backfisch von Rex Gildo. Den Einwand, bei dem eloquenten Advokaten handele es sich bloß um das bildungsbürgerkompatible Cover einer umgetopften stalinistischen Gangsterpartei, mochte sie nicht hören. „Mein Lieber! Der Mann denkt visionär, formuliert brillant.“ Solche Fans gab‘s schon immer. Ein Teil von ihnen wohnte einst im Hotel Lux. Manche allerdings nur übergangsweise, bis es nach Sibirien ging.
Fanatisiert durch immer neue Horrorszenarien
Immer offen sein! Mit den Leuten vom Bund für Umwelt und Naturschutz sprechen, warum nicht? Dass es sich dabei um die Ursuppe misanthropischen Wahns handelt, wie er sich etwa in einem Bund-Spin-off namens PETA manifestiert, dem wiederum eine Terroristenbande wie die Animal Liberation Front folgt, bei deren Anschlägen fürs vermeintliche Tierwohl Menschenopfer eingepreist sind – solche Kausalitäten sind für die Bonhomie dit juten Bürgertums nur Koinzidenzen.
Blick zurück. Die sogenannte Baader-Befreiung, der erste Gewaltakt der RAF, kam auch für Leute wie mich überraschend, die damals glaubten, etwas Einblick in die linksradikale Szene zu haben. Dabei hatte sich ein Zirkel im Dunstkreis der linken, von bürgerlichen Medienleuten hoch geschätzten Journalistin Ulrike Meinhof seit Jahren immer stärker radikalisiert. Meinhofs Kolumne „Vom Protest zum Widerstand“ (Konkret 5/1968) hätte uns hellhörig machen müssen – da bahnte sich ein Grenzdurchbruch an. Das maßlose Geschwafel über den Kampf gegen die Weltzerstörungsmächte Kapitalismus und US-Militarismus hatte einen Verblendungszusammenhang erstellt, der irritierend aktuell erscheint.
Ähnlich den „verzweifelten Theoretikern“ (Heinrich Böll über die RAF) des damaligen Linksextremismus haben sich heute im Climatology-Milieu Speerspitzen von Durchgeknallten gebildet. Fanatisiert durch immer neue Horrorszenarien, welche auf die Panikmärkte geworfen werden, berufen sie sich auf Parolen der üblichen Fünf-vor-Zwölfer: „Dies ist ein Notfall. Wir töten unsere Kinder mit einer Wahrscheinlichkeit von 98 Prozent.“ Urheber Hans Joachim Schellnhuber hatte es geringfügig anders formuliert, bei gleichem Kern der Botschaft.
Wenn Partikel der Jugend, die sich ernstlich wie eine „letzte Generation“ vorkommen, die ihre apokalyptischen Roadshows in den Medien freundlich abgebildet finden und die aufgestachelt werden durch Scharfmacher („Wer Klimaschutz verhindert, schafft die grüne RAF“) – wenn also aus derartigen Desperadoblasen es nicht anytime soon schießen oder bomben sollte, dann wäre das ein unerhörter Glücksfall.
Der leider wohl nicht eintreten wird. Wahrscheinlichkeit 98 Prozent.