Solange Sie in einem Land leben, in dem Politiker uneingeschränkte Auszahlungen aus Sozial- und Gesundheitssystemen versprechen, leben Sie im falschen Land, um sich irgendwie auf den Sturm vorzubereiten, der aufkommen wird, wenn uns das hier alles um die Ohren fliegt.
Staaten haben drei Möglichkeiten, ihre Ausgaben zu finanzieren: 1. durch Steuern, 2. durch Schulden, 3. durch Gelddrucken. Die meisten Wohlfahrtsstaaten haben sich in den vergangenen Jahrzehnten vor allem der zweiten Option bedient. Durch sich ändernde makroökonomische Bedingungen könnte diese Möglichkeit aber jederzeit ausgeschöpft sein. Soweit die Erwägungen im ersten Teil. Was bedeutet es nun konkret, wenn uns das dann alles um die Ohren fliegt? Was fliegt uns um die Ohren? Wie fliegt es uns um die Ohren?
Bewegt sich ein Staat auf Option 3 – einem nicht nachhaltigen Verhältnis von Verschuldung zu Wirtschaftsleistung – zu, so wird er sich zunächst einem Zinsanstieg auf dem Anleihemarkt gegenübersehen. Er findet noch Käufer seiner Schuldverschreibungen, die die Wette eingehen, dass der Staat ihr investiertes Geld zurückzahlt, aber nur, wenn das Ausfallrisiko entsprechend entlohnt wird. Die Risikoprämie steigt. Auf der nächsten Eskalationsstufe kann der betreffende Staat plötzlich nicht mehr all seine Schulden im Markt platzieren. Zu wenig Marktteilnehmer wollen ihm freiwillig Geld leihen. Als Käufer muss nun die Zentralbank einspringen. Die Fiskalpolitik dominiert die Geldpolitik. Preisstabilität ist nicht mehr entscheidend, der Kollaps der Staatsfinanzen muss verhindert werden. Ökonomen nennen diese Situation fiskalische Dominanz. Option 3 läuft an. Hören Sie die Notenpresse rattern? Das Zirpen im Italienurlaub kürzlich, das waren nicht die Grillen. Nahezu alle Schulden, die Italien seit Ende 2014 emittiert hat, hat die EZB gekauft (erinnern Sie sich an die in Teil 1 erwähnte einschneidende Draghi-Rede in Jackson Hole im selben Jahr?). Ludi incipiant.
Der Kollaps auf dem Finanzmarkt muss nicht in Stufen geschehen. Das Vertrauen in die Tragfähigkeit der öffentlichen Verschuldung kann von jetzt auf gleich einbrechen – durch vermeintliche Nichtigkeiten, durch den Flügelschlag des Schmetterlings. Wie fragil das Vertrauen ist, hängt auch damit zusammen, wer die Schulden hält. Im Fall des US-Dollars kann ein Konstrukt zum Beispiel noch tragen, während der Euro schon längst zusammenkracht. Dem guten Freund aus Teil 1 leihen Sie eben länger Geld.
Inflation ist immer ein monetäres Phänomen
Der Staat ist aber so gar nicht Ihr Freund. In this world nothing can be said to be certain, except death and taxes. Und so kommt es dem Wähler vielleicht so vor, als hätten Option 2 und 3 nichts mit ihm zu tun. Politiker lieben diesen Trick. Steuern kennt man. Der Staat nimmt einem Geld weg und gibt es einem anderen. Aber auch Option 2 funktioniert nur, wenn der Staat seinen Gläubigern glaubhaft versichern kann, dass er in Zukunft seinen Bürgern Geld wegnehmen und ihnen geben kann. Und Option 3? Nun, in dem Fall nimmt der Staat Ihnen das Geld nicht mehr weg. Sie dürfen alle Ihr Geld behalten. Hurra. Kein Problem. Der Staat druckt einfach neues Geld und gibt das dann jemand anderem. Dieser wird sich von dem neu geschaffenen Geld Waren kaufen. Er konkurriert mit Ihnen um dieselbe Warenmenge. Das Preisniveau der Volkswirtschaft steigt. Der Staat hat Ihnen Ihr Geld gelassen – aber Sie Ihrer Kaufkraft beraubt. Natürlich können Preise einzelner Waren aufgrund von unterschiedlichen Knappheitseffekten steigen. Ohne eine Ausweitung der Geldmenge müsste jedoch zwangsläufig der Preis eines anderen Gutes sinken. Inflation ist immer und überall ein monetäres Phänomen.
Fiskalische Dominanz bedeutet also, dass das Ausgabendefizit des Staates durch Gelddrucken finanziert wird. Gelddrucken bedeutet, dass das Angebot an unverzinslicher Staatsschuld erhöht wird. Das Geld im Umlauf, das keine Zinsen abwirft, entrichtet die Steuer. Die Zinsen, die der Staat nicht zahlt, sind der Ertrag.
Wie immer bei einer Steuer, ist für diesen Ertrag der Umfang der Steuerbasis entscheidend. Wen kann ich überhaupt besteuern? Hier besteht ein Unterschied zwischen erwarteter und überraschender Inflation. Erwartete Inflation besteuert alle Halter unverzinslicher Schuldverschreibungen des Staates – zum Beispiel Bargeld und Sichteinlagen. Die Steuereinnahmen aus erwarteter Inflation sind demnach die Zinsersparnis (das heißt die nominale Zinsrate) multipliziert mit der Nachfrage nach Bargeld und unverzinslichen Einlagen. Die Überraschungsinflation besteuert Halter bestehender Staatsanleihen, denn in diesem Fall sinkt der Nominalwert der ausstehenden Verschuldung unerwartet. Niemandem wird etwas weggenommen. Der Wert ist halt nur nicht mehr da.
Schwarzmarkt bleibt Schwarzmarkt
Überraschungsinflation funktioniert vielleicht einmal, aber nicht dauerhaft. Nachdem ich bereits Benjamin Franklin bemühte, nun Abraham Lincoln: „You can fool some of the people all of the time, and all of the people some of the time, but you cannot fool all of the people all of the time.“ Somit bleibt nur die Inflationssteuer der erwarteten Inflation. Wie Sie vielleicht schon sehen, lässt sich – wenn man Werte für Geldmenge, Geldnachfrage und andere Komponenten einsetzt – die Höhe der zur Finanzierung des Staatsdefizits notwendigen Inflation berechnen. Welcher Nominalzins multipliziert mit der gegebenen Geldnachfrage (die Steuerbasis) wirft den zur Stopfung des Finanzierungslochs benötigten Ertrag ab?
Wenn der Staat Geld druckt, um sein Defizit zu finanzieren, ist er also immer noch darauf angewiesen, dass ein Gegenüber sein Geld abnimmt – die Steuerbasis. Das Problem ist die Dynamik in dem Ganzen. Die Steuerbasis, also Sie, werden nicht tatenlos herumsitzen und Bargeld akzeptieren. Hallo Zigaretten, Hallo Krypto. Die Flucht aus dem Halten unverzinslicher Staatsschuld minimiert die Steuerbasis und somit müssen immer höhere Inflationsraten her, um die Ausgaben zu finanzieren, während gleichzeitig der Staat Fluchtmöglichkeiten mit aller Härte versuchen wird einzuschränken. Ihr guter Freund aus Teil 1 hat keine Sanktionsmechanismen, wenn Sie ihm kein Geld mehr leihen möchten.
Vater Staat hingegen zwingt Ihnen sein Geld als Zahlungsmittel auf und verfügt über die Werkzeuge der finanziellen Repression, um Sie an der Flucht in Alternativen zu hindern. Zinsmanipulation, Kapitalverkehrskontrollen, regulatorische Vorgaben für das Halten von Staatsschulden für Finanzinstitute. Der Staat wird alles dafür tun, um die Steuerbasis der Inflationssteuer zu erhalten und zu erhöhen und um den Nominalzins zu drücken. Wenn Sie denken, dezentrale elektronische Währungen seien die Zukunft, denken Sie nochmal nach. Wenn Staatsverschuldung gekommen ist, um zu bleiben, darf es aus der Sicht des Staates keine Alternativen zu seiner Steuerbasis geben. Schwarzmarkt bleibt Schwarzmarkt und Schwarzmarkthändler sind Saboteure. Und unter Option 3 ist jeder ein potenzieller Saboteur.
Leben im falschen Land
Wenn uns das hier alles um die Ohren fliegt, werden diejenige die Zeche zahlen, die keine Alternative zum Halten von zinsfreier Staatsschuld haben. Unfrei werden wir alle sein, da der Staat, um zu überleben, kontrollieren, manipulieren und sanktionieren muss. Wie auf jedem Schwarzmarkt zählt dann das Recht des Stärkeren. Eine Gesellschaft von besitzlosen und potenziellen Dieben – wie Heinrich Böll das Nachkriegsdeutschland beschrieb. Eine heterogene Gesellschaft mit hohem Konfliktpotenzial, deren innerstädtischer Frieden von der stetigen Auszahlung der Sozialsysteme abhängt – wie man Deutschland heute beschreiben könnte. Wenn die Regierungen – weltweit – so weiter machen, wie bisher, müssen sie Option 3 ziehen. Die Sache mit der Arithmetik aus Teil 1.
Es gibt einige Anhaltspunkte, die zeigen, dass sie dies bereits tun. Entscheidend für das Abwenden dieser Katastrophe ist die Reformfähigkeit der Institutionen der Staaten. Wir stehen vor der Wahl, entweder offen zuzugeben, dass die Versprechen vieler Wohlfahrtsstaaten schon heute nicht mehr erfüllt werden können – mit allen immanenten Konsequenzen für die Umverteilung des Wohlstands und für den inneren Frieden -, oder auf eine Zukunft der fiskalischen Dominanz und finanzielle Repression zuzusteuern. Solange Sie in einem Land leben, in dem Politiker uneingeschränkte Auszahlungen aus Sozial- und Gesundheitssystemen versprechen, leben Sie im falschen Land, um sich irgendwie auf den Sturm vorzubereiten, der aufkommen wird, wenn uns das hier alles um die Ohren fliegt.
Teil 1 finden Sie hier.
Dr. Lisa Marie Kaus war als Ökonomin im Europäischen Parlament tätig und promovierte zur Fiskalpolitik der Europäischen Union.