Welche der anstehenden Wahlen ist die spannendste? Richtig, die Abstimmung zum „Jugendwort des Jahres“. Der Blick in die Schule ist der Blick in die Zukunft.
Sprache ist ähnlich wie Luft. Sie ist überall, kostenlos und selten sauber. Der Unterschied ist, Luftverschmutzung ist strafbar, Sprachverschmutzung nicht. Zumindest noch nicht. Ein weiterer Unterschied: Sprache ist jünger als Luft. Wie jung genau, weiß man nicht. Der wissenschaftliche Erkenntnisstand zur Sprachgenese ist so diffus wie die Folgenabschätzungen beim Klima und dessen Wandlungen. Zwischen 50.000 und zwei Millionen Jahre soll es her sein, dass frühzeitliche Hillbillys erstmals einigermaßen differenzierten Gedankenaustausch vollzogen.
Da Sprache so selbstverständlich ist wie Luft, fand das Sprechen über Sprache früher überwiegend im geschlossenen Raum statt, praktiziert von sozialen Randgruppen. Diese Randgruppen hießen Linguisten, der Raum nannte sich Feuilleton. Seit der Entdeckung von Sprache als Machtinstrument ist es anders. Heute unterweist eine Elite von Wortwächtern Otto Normalverschwörer und Erika Musterhass in der Kunst der achtsamen Äußerung. Das ehrenwerte Ziel lautet: Keine neu erfundene Leberwurst darf sich durch taktlose Rede beleidigt fühlen, kein Politikschaffender soll ob eines harschen Tones in Tränen ausbrechen.
In solcherart sensibilisiertem Umfeld ist es kein Wunder, dass Wort-Wahlen breite Aufmerksamkeit erfahren. Damit sind wir beim spannendsten Wettbewerb des Sommers. Sie wissen, was ich meine, schließlich berichteten alle, aber auch wirklich alle Leit- und Begleitmedien darüber. Richtig, die Rede ist vom „Jugendwort des Jahres“.
Absolut gottlos
Die heiße Phase für 2024 hat begonnen, die Uhr tickt, es wird heruntergezählt: „Der Countdown läuft – stimme jetzt für das Jugendwort 2024 ab!“, animiert der Veranstalter. Kenn ich, rufen Sie vielleicht, und meinen, Sie seien am Puls der Zeit, weil Sie zum Beispiel regelmäßig die Segnungen des öffentlichen Personennahverkehrs genießen. Dort hören Sie aus Jugendmund derzeit häufig ein mehr oder weniger willkürlich in den Satz gestreutes safe oder auch ein verstärkend eingefügtes gottlos. Kostprobe: „Boah, morgen muss ich um sieben raus. Absolut gottlos. Auf so was hab’ ich safe kein’ Bock.“
Die genannten Begriffe finden sich allerdings nicht unter den aktuellen Jugendwort-Kandidaten, auch nicht die verbreitete Affirmativ-Wendung „Ich feier’ [den/die/das]!“. Die zehn zur Abstimmung stehenden Optionen lauten: Pyrotechnik, Schere, Hölle nein, Aura, Ich denke nicht, Digga, Yolo, Talahon, Akh und Yurr. Nun denken Sie wahrscheinlich „Hä?“, falls Sie zur Alterskohorte 15 bis 25 Jahre gehören. Falls Sie alt sind, also über 25, kommt Ihnen je nach Sozialisation entweder ein „Wtf?“ oder ein „Wie bitte?“ in den Sinn.
Zwecks Aufklärung können Sie die Erläuterungen zu den Top Ten auf der Veranstalter-Website nachschlagen. Dort erfahren Sie unter anderem, was die Geräusche Akh und Yurr bedeuten. Akh ist nämlich „das arabische Wort für Bruder und wird als Anrede für einen Freund oder Bekannten verwendet. Beispiel: ,Was geht morgen, Akh(i)?‘“ Yurr wiederum wird ohne etymologische Aufklärung vorgestellt als „Begrüßung und Einleitung einer Frage. Beispiel: ,Yurr! Was ging am Wochenende?‘“
Sprachwerker mit Relevanzdefizit
Selbst wenn Sie Teil der Jugend sind oder sich einzelne Exemplare dieser Spezies zu Hause halten, haben Sie mit Sicherheit einige der genannten Wörter noch nie gehört. Andere wie Yolo oder Digga kennen Sie dafür seit ewig und drei Tagen und fragen sich, warum die Begriffe ausgerechnet jetzt zur Wahl stehen. Beziehungsweise zur Wiederwahl. Yolo – das Akronym von „You only live once“, also „Man lebt nur einmal“ – war bereits 2012 Jugendwort des Jahres.
Keine Sorge, das ist normal, im Sinne von: Es ist jedes Jahr dasselbe. Die Kandidatenliste zum Jugendwort changiert regelmäßig zwischen sonderbar und absonderlich. 2015 mutmaßten manche gar, der Gewinner Smombie sei eine Erfindung des Veranstalters. Das Kofferwort aus „Smartphone“ und „Zombie“ existierte nämlich vor seiner Wahl nicht einmal im hintersten Winkel des Internets. 2019 wiederum gab es überhaupt kein Jugendwort, was aber nicht heißt, dass es dem Nachwuchs im Jahr eins vor Corona Geburt die Sprache verschlagen hätte.
Um all das zu verstehen, müssen wir ein wenig ausholen. Die Geschichte der annuellen Wort-Wahl beginnt vor einem halben Jahrhundert. Damals hatten einige Sprachwerker im staatlich finanzierten Verein „Gesellschaft für deutsche Sprache“ ein warmes, trockenes Plätzchen gefunden. Offenbar litt man unter einem gewissen Relevanzdefizit, und so entstand 1971 die Idee zum „Wort des Jahres“ (aufmüpfig). Der PR-Move gelang, die Sichtbarkeit der GfdS erhöhte sich.
Höhepunkte der Lingua kranka
Mittlerweile tummeln sich zahlreiche Me-too-Produkte in der Sparte Sprachprämierung. Da wären zum Beispiel das „Schönste deutsche Wort“ (Habseligkeiten; auf Platz fünf: Rhabarbermarmelade), das „Schönste bedrohte Wort“ (Kleinod, gefolgt von blümerant, Dreikäsehoch und Labsal), das „Beste eingewanderte Wort“ (Tollpatsch), der „Satz des Jahres“, der „Fußballspruch des Jahres“, das „Plattdeutsche Wort des Jahres“ (2024: Tauversicht), der „Anglizismus des Jahres“ (2021: boostern), das „Jugendwort des Jahres“(2023: goofy) und das „Unwort des Jahres“.
Breite Beachtung finden neben dem Original regelmäßig nur die beiden Derivate Jugendwort und Unwort. Letzteres wurde 1991 eingeführt, und zwar noch von den Wort-Führern der Gesellschaft für deutsche Sprache. Die progressive Ausrichtung der selbsternannten Unwort-Jury war allerdings vereinsintern umstritten.
Deshalb kaperten die Abweichler als „sprachkritische Aktion“ die Unwort-Kür und spalteten sich nach zwei Jahren von der GfdS ab. Seit 1993 betreiben die Renegaten ihr Unwortwesen in Eigenregie. Zur Ergänzung der fünfköpfigen Festbesetzung wird seit 2011 ein Gastjuror geladen. Letztes Jahr hatte diese Ehre Ruprecht Gotthelf Polenz, Ex-Generalsekretär der CDU und mittlerweile vollvergrünter TwiXer.
Hier die von der Unwort-Jury gebrandmarkten Sprachverbrechen der vergangenen Dekade, sozusagen die Höhepunkte der Lingua kranka: Klimaterroristen (2022), Pushback (2021), Rückführungspatenschaften und Corona-Diktatur (2020), Klimahysterie (2019), Anti-Abschiebe-Industrie (2018), alternative Fakten (2017), Volksverräter (2016), Gutmensch (2015), Lügenpresse (2014), Sozialtourismus (2013).
Plötzlich lebensunwerter Begriff
Falls Ihnen bei der Auswahl der schlimmen Wörter eine gewisse weltanschauliche Schlagseite auffällt, seien Sie versichert: Sie sind nicht allein. Unwort klingt wie Unrat, Unkraut und Unmensch und ist auch so gedacht. Man will dumme, böse, falsche Begriffe an den Pranger stellen und damit üble Gesinnung geißeln. Solche Geisteshaltung zeichnet sich bekanntlich dadurch aus, dass sie irgendwie rechts ist und ergo menschenverachtend.
Dass es beim Unwort unmäßig unausgewogen zugeht, stieß irgendwann sogar Linken auf. 2019 beanstandete etwa Schriftstellerin Juli Zeh die Schieflage und merkte an, die Jury hätte besser beide Seiten des Meinungsspektrums kritisiert, indem sie neben Klimahysterie auch der Nonsens-Wortbildung Klimaleugner einen Negativpreis verleiht. Von der Nörgelei ließen sich die Sprachsheriffs der Unwort-Jury nicht beeindrucken. Im Gegenteil, bei ihrer letzten Wahl lebten sie den ideologischen Furor aus wie nie zuvor.
Mitte Januar 2024 erklärten sie Remigration zum Unwort des Jahres 2023. Das war einigermaßen originell, denn das Wort hatte in der öffentlichen Diskussion 2023 praktisch nicht stattgefunden. Erst Anfang 2024 wurde Remigration plötzlich zum lebensunwerten Begriff. Der Ausdruck sei „rechter Kampfbegriff“, „beschönigende Tarnvokabel“ und „Euphemismus für die Forderung nach Zwangsausweisung bis hin zu Massendeportationen von Menschen mit Migrationsgeschichte“, so die Jury.
Geschäftsmodell „Wahrheitswächter“
Bestimmt ganz zufällig hatten wenige Tage vor der Unwort-Kür die staatlich gepamperten Facebook-Polizisten von Correctiv ihre Dichtung zum Potsdamer „Geheimtreffen“ publiziert. In der Wahrnehmung der geneigten Weltöffentlichkeit setzte sich als zentraler Vorwurf fest, die „Neue Rechte“ hege einen „Geheimplan“ zur „Deportation von Millionen Deutschen mit Migrationshintergrund“.
Dummerweise war von derlei Deportation in Potsdam nie die Rede, wie die Correctiv-Faktenfriseure später zugeben mussten. Man habe das sowieso nie behauptet, behauptete das „Recherchekollektiv“ – und segelte damit erneut zielsicher an der Wahrheit vorbei. Mit genau den Worten „Deportation von Millionen Deutschen mit Migrationshintergrund“ hatten die Faktenschrecks nämlich ihr Buch zum Thema beworben, wie ein kurzer Blick ins Internet-Archiv beweist. Erst Ende Januar änderte Correctiv klammheimlich den Text. Mittlerweile bemerken auch die etablierten Medien, dass es sich bei dem „Geheimplan“ um eine Luftnummer handelt. Die Wärmepumpen von Correctiv verteidigen ihre alternative Realität trotzdem mit Zähnen und Klauen. Das Non-Profit-Geschäftsmodell „Wahrheitswächter“ darf nicht sterben – dafür ist es viel zu profitabel.
Heiße Unwort-Kandidaten wären daher zum Beispiel Recherchekollektiv und Faktencheck (mal ganz abgesehen vom Unwort Unwort). Das wird natürlich nicht passieren, denn eine solche Nominierung würde linksdrehendes Wirken kritisieren und dem „Kampf gegen rechts“ zuwiderlaufen. Deshalb hatten auch Neuschöpfungen wie Covidioten oder Coronaleugner keine Chance auf Unwort-Prämierung. Bei den derart diffamierten Aufsässigen, die sich nicht so gerne von der Obrigkeit per Lockdown ein- und aussperren ließen, musste es sich um böse Rechte handeln. Also waren es gute Wörter.
Je absurder die Begriffe, desto größer die Resonanz
Der grundsätzliche Unterschied zwischen den großen Drei der Sprachprämierung liegt in der Intention. Das Jahres-Wort will beschreiben, das Unwort will erziehen, das Jugendwort will verkaufen. Letzteres wurde erst 2008 eingeführt, und zwar nicht von einer halbwegs neutralen Institution, sondern vom Langenscheidt-Verlag. Zweck der Übung war Werbung für das Buch „100% Jugendsprache“. Das ist laut Langenscheidt „ein schönes Geschenk für Eltern und Lehrer“.
Der kommerzielle Hintergrund erklärt die Zusammenstellung der Jugendwort-Kandidaten. Je absurder die Begriffe, desto größer die Resonanz – siehe Smombie, zum Beispiel hier, hier, hier oder hier. So viel Aufmerksamkeit lässt sich bei schmalem Anzeigen-Budget mit klassischer Reklame niemals erreichen.
2019 wurde die Marke Langenscheidt von der Klett-Gruppe geschluckt, zu der unter anderem der Wettbewerber Pons gehört. Bei Pons hatte man das Konkurrenzprodukt „Wörterbuch der Jugendsprache“ im Programm und war nicht sicher, ob man das Langenscheidt-Jugendwort weiterführen will. Dieser Umstand erklärt, warum das Jugendwort im Jahr 2019 ausfiel. Erst 2020 entschieden die Pons-Leute, dass es für das Jugendwort ein Leben nach dem Tode geben soll – ab sofort sogar demokratisch legitimiert.
Zensurensöhne
Auf der Website erweckt man nun den Eindruck, als handle es sich um eine durch Massenabstimmung unter Jugendlichen erzielte Findung: „Jetzt sind die Top 10 am Start! Ein fettes Dankeschön an alle, die auch dieses Jahr wieder dabei waren. Ihr seid der Hammer! Bleibt cool und markiert euch den 10. September fett im Kalender. Kommt vorbei und votet für die Top 3. Jede Stimme zählt!“
Jede Stimme zählt fett mit Sicherheit, zumindest für die Auswertung von Reichweite und Zielgruppe. Klicken kann jeder, der des Webweges kommt, ob jung oder alt. Das heißt aber noch lange nicht, dass Klett-Pons-Langenscheidt die Favoriten der Schwarmlinguistik akzeptiert. Im Gegenteil, was nicht passt, wird passend gemacht.
Als nämlich im Jahr 2020 erstmals „gevotet“ werden durfte, machten die Veranstalter eine für sie offenbar überraschende Erfahrung: Bei der praktizierten Demokratie kommt nicht unbedingt das heraus, was man sich wünscht. Im konkreten Fall wählten jugendliche User das Wort Hurensohn nach vorne. Das missfiel dem Verlag, und so strich man den Kandidaten kurzerhand vom Wahlzettel. Die linguistisch wertvolle Begründung: Man möchte „Begriffe dieser Kategorie nicht unterstützen“. Sprachsensible Nutzer der Internet-Plattform Reddit beschimpften die Langenscheidter daraufhin als „Zensurensöhne“.
Neuer Aggro-Macho-Trend
Geschmeidig zeigt man sich auch bei der diesjährigen Jugendwort-Kür. Immerhin erscheint bei den Top Ten das jüngst in Mode gekommene Wort Talahon. Dabei handelt es sich um die Selbstbezeichnung einer Bewegung jugendlicher Vollpfosten mit überwiegend arabischem Migrationsvordergrund, die sich gerne Fake-Gucci-Täschchen umhängen. Nebenbei plärren die Talahons auf dem Kinderportal TikTok ihre Verachtung für hiesige Werte in die Welt und verkünden frauenverachtende, schwulenfeindliche und gewaltaffine Botschaften.
Die zartfühlende Rheinische Post sieht in diesem Zusammenhang „unendlich traurige und manchmal verstörende Entwicklungen“. Den „Hype um den Begriff Talahon“ findet man „insofern bedenklich“. Langenscheidt hingegen spült den neuen Aggro-Macho-Trend mit folgender Erklärung weich: „Kommt aus dem Arabischen und steht für ,Komm her‘ und wird genutzt von und für Menschen mit stereotypen Merkmalen oder Verhalten, Beispiel: ,Mit meiner Brusttasche fühle ich mich heute wie ein Talahon.‘“
Auch die altehrwürdige Gesellschaft für deutsche Sprache meint mittlerweile, dem Zeit-Druck nachgeben zu müssen. So ruft man im Rahmen einer „Klarstellung“ mit Versalien „JA zum Gendern“ in die woke Welt und versichert: „Zwar stehen wir dem Gendersternchen kritisch gegenüber, nicht aber dem Gendern an sich.“ Außerdem bietet die GfdS sogar den Vereins-Abtrünnigen vom Unwort eine Bühne und stellt den Internetauftritt zusätzlich in „Leichter Sprache“ zur Verfügung.
Tugendhafte Zeichensetzung
Warum Menschen, deren Wortschatz auf eine Postkarte passt, eine geeignete Zielgruppe für linguistische Feinheiten sein sollen, bleibt das Geheimnis der GfdS. Rückständige gesellschaftliche Kräfte mögen vermuten, hierbei handle es sich um reines „Virtue signalling“, die tugendhafte Zeichensetzung zur Demonstration politischer Correctness und moralischer Erhabenheit. Oder einfach um die Angst vor Liebesentzug seitens der fortschrittlichen Kollegenschaft.
Wenn überhaupt dürfte von den drei beschriebenen Begriffsküren eigentlich nur die der GfdS eine gewisse mediale Beachtung erfahren. Immerhin gibt uns der Verein sein Jahr-Wort als anerkannte Fachgesellschaft. Was hingegen sechs freischwebende Unwort-Dogmatiker beschließen, ist nach traditionellen journalistischen Maßstäben nicht der Rede wert.
Dasselbe gilt für die „Floskel des Jahres“, die 2023 kurz vor dem Unwort verkündet wurde. Besagte Floskel lautete Freiheit, wie zwei „Sprachaktivisten“ mit einem Überschuss an Tagesfreizeit befanden, die sich „Floskelwolke“ nennen. Ihre Wahl machte Schlagzeilen, unter anderem beim Deutschlandfunk und im Berliner Tagesspiegel. Warum das Votum zweier beliebiger Wichtigtuer sogar der ARD-Tagesschau eine Meldung wert ist, fragte daraufhin Bild. Die Antwort ist einfach. Die „sprach- und medienkritische Initiative Floskelwolke“ steht auf der guten, der richtigen Seite der Geschichte, genau wie die Unwort-Macher.
Zum Thema werden derlei Meldungen nur, weil politisch gleichschwingende Medien aufspringen und andere gedankenlos nachziehen – frei nach dem Motto: Kommt von dpa, haben wir bezahlt, setzen wir auf die Seite. Ganz ähnlich verhält es sich mit der kommerziell ausgerichteten Jugendwort-Wahl. Sie ist ungefähr so relevant, als würde der Sprit-Konzern Pernod Ricard den „Alkopop des Jahres“ vorstellen.
Desperanto auf dem Vormarsch
Eine gewisse Aussagekraft hat die jährliche Jugendwort-Sause allerdings doch. Sie zeigt auf, wo die Reise hingeht, linguistisch wie gesellschaftlich. Von Wallah bis Yalla, von Habibi bis Talahon, von Akh bis Yurr – eine stetig steigende Zahl arabischer Begriffe findet Eingang auch ins Vokabular der Antons und Finns, der Emilys und Sophias.
Die Orientalisierung der Jugendsprache geht einher mit einem Ballast-befreiten Rumpfdeutsch. Andere reden abfällig von Ghetto-Slang, ich nenne es liebevoll Desperanto. Das ist unaufhaltsam auf dem Vormarsch – und es ist ein Zeichen gelungener Integration, der Anpassung einer biodeutschen Minderheit an die migrantische Mehrheitsgesellschaft. In zahlreichen Kitas und Schulen ist der arabisch-islamische Kulturkreis schließlich längst dominant. Der Blick in die Schule ist der Blick in die Zukunft.
Einer beispielhaften Desperanto-Konversation durften die beste kleine Frau von allen und ich bereits vor Jahren in einem Berliner Nahverkehrsbus der Linie 248 beiwohnen. Hinter uns saßen zwei geschätzt 15-Jährige, die als Menschen mit Zuwanderungsgeschichte zu lesen waren. Unvermittelt verkündete der eine Jungmann: „Wallah, isch geh Polizei.“ Darauf sein Freund irritiert: „Ey, gehst du nisch U-Bahn?“ Die klärende Antwort: „Doch! Isch geh Ausbildung Polizei!“
Was aus dem ambitionierten Plan wurde, haben wir leider nie erfahren. Möglicherweise finden Sie die Vorstellung, von einer beamteten Ordnungskraft mit Jogginghosen-Vokabular kontrolliert zu werden, einigermaßen cringe. Ich hingegen meine, wir sollten eine solcherart gelungene Eingliederung angemessen würdigen. Eine sach- und sprachgerechte Reaktion wäre etwa: „Boah, isch feier’ den Habibi safe so sehr – absolut gottlos!“
Für unsere Rubrik „Achgut zum Hören“ wurde dieser Text professionell eingelesen. Lassen Sie sich den Artikel hier vorlesen.
Robert von Loewenstern ist Jurist und Unternehmer. Von 1991 bis 1993 war er TV-Korrespondent in Washington, zunächst für ProSieben, später für n-tv. Er lebt in Bonn und Berlin.