Wahlsieg der alten Kader

Bei geschichtsbewussten Beobachtern sorgte das Wahlergebnis in Thüringen für düstere Assoziationen. Mit 54,4 Prozent haben die Parteien am Rand des politischen Spektrums erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik zusammen die absolute Mehrheit gewonnen. Das letzte Mal war dies 1932 der Fall, als KPD und NSDAP auf über 50 Prozent der Stimmen kamen.

Während sich viele Kommentatoren über das Wahlergebnis der AfD entsetzten, wurde das der Linken hingegen überwiegend neutral oder sogar mit Respekt betrachtet. Das ist insofern erstaunlich, als die Linke nicht irgendeine Partei ist, sondern bis vor 30 Jahren in Ostdeutschland eine Diktatur betrieb, die 17 Millionen Menschen ein freies Leben verwehrte. Auch wenn die Partei in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken versucht, sie hätte mit dem SED-Regime nichts zu tun, so muss man offenbar daran erinnern, dass sich die Staatspartei der DDR 1989 lediglich umbenannte und danach noch dreimal den Namen wechselte – bis sie sich 2007 etwas anmaßend Die Linke taufte. Sie ist weder eine Neugründung noch eine Nachfolgepartei, sondern, wie ihr Schatzmeister Karl Holluba 2009 an Eides Statt erklärte, „rechtsidentisch mit der ,Die Linkspartei.PDS‘, die es seit 2005 gab, und der PDS, die es vorher gab, und der SED, die es vorher gab.“ 

Obwohl seit der Friedlichen Revolution schon drei Jahrzehnte vergangen sind, ist die Kontinuität dieser Partei größer, als viele Kommentatoren wahrhaben wollen. Bis heute hat kein Parteitag der Linken die DDR klipp und klar als Diktatur verurteilt. Im Gegenteil: In ihrem Parteiprogramm wird behauptet, dass die Ostdeutschen während der 40-jährigen sozialistischen Diktatur vor allem positive Erfahrungen gemacht hätten – wie die „Beseitigung von Erwerbslosigkeit“, die „wirtschaftliche Eigenständigkeit der Frauen“ oder die „weitgehende Überwindung von Armut“. Die Unterdrückung in der DDR, die mindestens 200.000 Menschen ins Gefängnis brachte, bagatellisiert die Linke dagegen als „Erfahrungen staatlicher Willkür und eingeschränkter Freiheiten“. Trotz des Desasters der Planwirtschaft kämpft sie laut Programm immer noch für ein anderes Wirtschafts- und Gesellschaftssystem in Deutschland – den Sozialismus.

Fortsetzung des alten Funktionärslebens

Für viele ehemalige SED-Funktionäre und Stasi-Mitarbeiter ist die Linke deshalb bis heute traute politische Heimat, für manche auch die fast bruchlose Fortsetzung ihres früheren Funktionärslebens. Nicht nur auf kommunaler Ebene, sondern auch in den ostdeutschen Landtagen und im Bundestag sitzen zahlreiche Abgeordnete, die in der SED-Diktatur aktiv mitgewirkt haben. Besonders ausgeprägt ist diese personelle Kontinuität in Thüringen, wo die Partei den Anspruch erhebt, weitere fünf Jahre zu regieren. Auch diesmal hat die Linke ihre Kandidaten so ausgewählt, dass von den 29 Landtagsabgeordneten etliche einst der SED dienten.

Da ist zum Beispiel die thüringische Infrastrukturministerin Birgit Keller. Nachdem sie 1977 der SED beitrat, war sie in den 1980er Jahren hauptamtliche Funktionärin einer FDJ- und SED-Kreisleitung. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion André Blechschmidt hat eine ähnliche Karriere hinter sich. Nach einem Studium des Marxismus-Leninismus wurde er 1982 Mitarbeiter im Rat des Bezirkes Erfurt, wo er zuständig für die Durchsetzung des Machtanspruchs der SED gegenüber den Kirchen war. Der DDR-Staatssicherheitsdienst führte ihn zudem als Inoffiziellen Mitarbeiter.

Keller und Blechschmidt sind nur die prominentesten Fälle, in denen ehemalige SED-Funktionäre in der Linken wieder zu Macht und Einfluss kamen. Auch Knut Korschewsky, tourismuspolitischer Sprecher der Linksfraktion, gehört bereits seit 1979 der SED an und war in der DDR zuletzt hauptamtlicher Funktionär der FDJ-Kreisleitung Suhl. Ebenfalls seit vier Jahrzehnten sind die Abgeordneten Ute Lukasch und Ralf Kalich Parteigenossen. Kalich ist innenpolitischer Sprecher der Linksfraktion und war in der DDR als Berufsoffizier bei den Grenztruppen dafür zuständig, Fluchtversuche mit Waffengewalt zu verhindern. 

Die Liste der ehemaligen SED-Funktionäre im neuen Thüringer Landtag ist damit noch nicht zu Ende. Mit 46 Jahren Parteimitgliedschaft ist die Abgeordnete Gudrun Martha Lukin das dienstälteste SED-Mitglied der Linksfraktion. Sie studierte einst Marxismus-Leninismus in der Sowjetunion und arbeitete ab 1984 für den von der SED eingesetzten Jenaer Bürgermeister. Als hauptamtliche Funktionärin der SED-Stadtleitung in Erfurt war ihre Fraktionskollegin Karola-Elke Stange in der Hierarchie noch höher stehend, denn in der DDR wurden alle wichtigen Entscheidungen von der SED getroffen. Selbst die wesentlich jüngere Arbeits- und Sozialministerin Heike Werner war nach einer zweijährigen Tätigkeit bei der FDJ-Kreisleitung in Zwickau eine vielversprechende DDR-Jungfunktionärin, deren Marxismus-Leninismus-Studium nur durch die Friedliche Revolution ein Ende fand.

Machtbewusster Spitzenkandidat

All das spielt in der Berichterstattung über die Landtagswahlen in Thüringen keine Rolle. Viele Beobachter blicken nur auf den machtbewussten Spitzenkandidaten der Linken, Bodo Ramelow, der aus Westdeutschland kommt und deshalb als unbelastet gilt. Sein Verhältnis zu Rechtsstaat und Demokratie scheint aber eher taktischer Natur zu sein. Dafür spricht nicht nur die Tatsache, dass er sich über das Recht stellte, als er 2010 widerrechtlich eine Demonstration in Dresden behinderte, so dass die Staatsanwaltschaft anschließend gegen ihn ein Strafverfahren einleitete. Auch die DDR wird von ihm, wenn es ihm nützlich erscheint, mal als Diktatur bezeichnet, mal weigert er sich, sie einen Unrechtsstaat zu nennen.

Ramelow hatte auch keine Bedenken, seine Regierung in den letzten fünf Jahren durch zwei ehemalige DDR-Spitzel stützen zu lassen: die Linken-Abgeordnete Ina Leukefeld und ihr Fraktionskollegen Frank Kuschel. Beide wurden vom Thüringer Landtag gleich mehrfach für parlamentsunwürdig erklärt, weil sie unter anderem Ausreiseantragsteller bespitzelt hatten.

Ungeachtet dessen hat CDU-Spitzenkandidat Mike Mohring erklärt, Gespräche mit Ramelow führen zu wollen, der allein keine Regierung bilden kann. Ein wie auch immer geartetes Bündnis zwischen den beiden wäre für die CDU ein weiterer Schritt zur Selbstzerstörung, weil sie dann für all diejenigen nicht mehr wählbar wäre, die nicht noch einmal ein sozialistisches Experiment erleben wollen. Den Konservativen unter ihnen bliebe dann nur noch die Flucht zur AfD, die viele zwar für unseriös oder gefährlich halten – die aber immerhin keine Abgeordneten stellt, die persönlich in eine Diktatur verstrickt waren.

Der Beitrag erschien zuerst auf Hubertus.knabe.de und in der Tagespost vom 31. Oktober 2019

Leseempfehlung: Hubertus Knabe, Die Wahrheit über die Linke

Foto: DiG / TRIALON CC BY 3.0 via Wikimedia Commons

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Sepp Kneip / 04.11.2019

Wie hat Kurt Schumacher schon gesagt? Die Kommunisten sind rotlackierte Nazis. Und wer will leugnen, das die SED eine kommunistische Partei war? Und wer will leugnen, dass die aus ihr hervorgegangene Linke Kommunisten sind? Ja, es hat besonders in Thüringen viele Leute gegeben, die es sich in der kommunistischen DDR gemütlich eingerichtet hatten. Auch nach der Nazi-Diktatur hatten sich in Westdeutschland viele Parteikader, echte Nazis, in Amt und Würden geschmuggelt. Sie wurden fast alle im Laufe der Zeit aus ihren Ämtern entfernt. Es gab aber keine echte Nachfolgepartei der NSDAP, wie es die Linke der SED ist. Dass man jetzt die AfD zu einer solchen hochstilisieren will, ist eine derartige Verharmlosung der Nazi-Greuel, die der Leugnung des Holokaust gleich kommt.

Johannes Schuster / 04.11.2019

Nachtrag: Nicht einmal die hohen Stasi - Offiziere wollten linke Phantasten sehen. Und das Observieren der irren ideologisch hochgestochenen Kommunisten war ein Hauptgeschäft der HVA. Die Staatsicherheit war die Kontrolle der Russen über den Irren Europas - halt im Ostformat. Im Westen mußte man Comics und Bordelle aufziehen um die Deutschen von einem Rückfall abzuhalten. Letztlich ist es das beides ein: “wie kriegen wir den Nazibrei in den Griff”. Die HVA ist weg und Mickymaus verschwindet unter dem Deutschpopgeröle und was kommt da um die Ecke ? Jawohl, der moralische Deutsche mit Weltgeltungsanspruch - willkommen in der Vergangenheit !

m.weichenhan / 04.11.2019

Sehr geehrter Herr Knabe, das Erschrecken über das Abschneiden der beiden Parteien an den Rändern kann ich nachvollziehen, schon weniger die Analogie zu Wahlergebnissen am Ende der Weimarer Republik. Was ich nicht nachvollziehen kann, ist, dass bei der ganzen Linken- und Ramelow-Schelte weitgehend außer Acht bleibt, dass (1.) dieses Ergebnis aus einer demokratischen Wahl resultiert und sich zu einem erheblichen Teil aus dem Ärger über eine bürgerferne Politiker-“Elite” aus Berlin herschreibt. Und gar nicht diskutiert wird (2.) der m.E. ungleich schlimmere Skandal (der nicht auf Geheiß des Thüringischen MP zustande gekommen ist), dass der Verfassungsschutz sich nun offenbar zu einer Stasi zu mausern gedenkt, indem er zu anonymen Denunziationen ermuntert. Wenn da nicht alle Alarmglocken schrillen, weiß ich nicht, wann sie überhaupt schrillen sollten. Es ist die GroKo, die einen (freilich zeitweilig untätigen) Stasispitzel in eine “task force” berufen hat und zur Bürgerrechtlerin hochschreiben lässt, es ist die Regierung Merkel, die das Spitzeln, das Anschwärzen, das Kriminalisieren von Kritik nicht nur duldet, sondern massiv betrieben hat und betreibt. Im Vergleich zu dieser DDR-Kontinuität ist die Frage, wer mit wem in Erfurt koalieren wird, höchstens zweitrangig.

Bennet Jäger / 04.11.2019

Die Linkspartei ist leider wie im Artikel beschrieben eine lückenlose Fortsetzung der SED. Interessant wäre noch gewesen, die Führungspersonen anderer Parteien auf ihre SED-Vergangenheit zu untersuchen, vor allem die östlichen Arme der SPD und der Grünen. Viele sind ja auch Mitglied von Bündnis 90 gewesen und dann quasi von den Grünen adoptiert worden, wo sie auskäömmliche Pöstchen bekleiden

Harry Boh / 04.11.2019

@Wilfried Düring . Sehrgeehrter Herr Düring, Sie weisen auf die ” solide ” Bildung der Altkader hinund nennen Herrn Holter. In der Tat hat er einen Abschluß im Bauwesen ( Dipl. Ing FH )in Moskau erlangt.Er hebt sich damit von den heutigen Parteikarrieristen ohne Studien - oder Berufsabschluß in BT und LT´s ab. Er ist aber auch gleichzeitig Absolvent der Moskauer Parteihochschule der KPdSU und damit ein in der Wolle gefärbter Sozialist . Ganz sicher kein Protagonist der demokratischen Mitte wie die MSM Glauben machen wollen. Er schwimmt eben wie ein Fisch im demokratischen Wasser mit. Apropos ÖR: Auch Frau Ilner wurde seinerzeit im ” Roten Kloster ”  der Journalistenschule In Leipzig zu DDR- Zeiten ausgebildet und hat sicher verinnerlicht das Journalismus i.S. des Sozialismus und unter ” Bekämpfung jeglicher bürgerlicher Ideologien ” als Transmissionsriemen der Partei fungiert. Der Journalist ” ist Funktionär der Arbeiterklasse ”  und nimmt mit journalistischen Mitteln an der Leitung ideologischer Prozesse teil ” Er hatte Fremde Denk - und Verhaltensweisen zu bekämpfen. Der soz.” Journalist hatte sich zu verstehen als Propagandist , kollektiver Agitator und kollektiver Organisator der Massen ” Die Parteilichkeit stand an oberster Stelle.  —- Kommt Ihnen das heute bekannt vor ? Ob Frau Ilner et . al. das alles vergessen hat und jeden Tag pfundweise Delikateßkreide mampft ?  Gleichwohl , wenn ich Journalisten zu Zeiten vo F. Nowottny und H.J. Friederichs mit den heutigen Figuren in den MSM vergleiche , stelle ich fest :  Der Geist der SED hat unsere Journaille okupiert. Meine Erklärung für den Niedergang der Zunft.

Dr.H.Böttger / 04.11.2019

Chapeau. Herr Knabe.  So etwas gehört inzwischen zum üblichen Spukgeschehen in der DDR 2.0. Ein Spuk, der ganz wesentlich auf das Konto der sozialistischen Presse zu verbuchen ist. Keine Nachrichtensendung , keine bedeutungsschwangere Kommentierung der bevorstehenden Thüringenwahl, die nicht Ramelow als bürgernah, Kümmerer, Problemlösender, beliebt, Vertrauen genießend, Sympathieträger usw,. aber keineswegs irgendwann, irgendwie mit den Altkommunisten der SED verbandelt, zu preisen wußte.

Klaus Blankenhagel / 04.11.2019

Wer kann sollte gehen, “noch” ist es moeglich!

Lothar Hannappel / 04.11.2019

Man beachte: “KPD und NSDAP auf über 50 Prozent”!? Heiß nicht immer, die Mehrheit der Deutschen hätte die Hitlerdiktatur gewählt?

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