„Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen.“ Das sagte einst Vicco von Bülow, besser bekannt als Loriot. Und es trifft nicht nur, aber vor allem in Berlin zu.
Vom phrygischen König Midas geht die Sage, er habe die Gabe gewünscht und erhalten, dass alles, was er anfasse, zu Gold werde. Mit den Berliner Politikern ist es genau andersherum. Die Dysfunktionalität der Stadt ist ihr Markenzeichen geworden. Dit is Berlin! Hier installiert man schon mal Plakate mit Armin Laschet und Annalena Baerbock, die gar nicht zur Wahl stehen, und hier gibt man in den Wahlbenachrichtigungen in englischer Sprache (so etwas gibt es tatsächlich!) als Wahltermin nicht den 12. Februar, sondern den 12. September 2023 an.
Eine pannen- oder manipulationsfreie Wiederholungswahl an der Spree wäre geradezu eine Sensation. Dennoch deutet nichts darauf hin, dass sich an den Mehrheitsverhältnissen nach der Wahl zum Abgeordnetenhaus, die wegen des versemmelten Urnengangs im September 2021 wiederholt werden muss, großartig etwas ändern könnte.
So wird es niemanden überraschenden, dass sich die inhaltliche Leere der politischen Protagonisten in ihrer Präsentation widerspiegelt, da können sich die Marketing-Strategen noch so sehr ins Zeug legen. Und das, obwohl Berlin ja eigentlich das Mekka der Sprücheklopfer ist. Werfen wir einen Blick auf die papiergewordene Ödnis.
„Unsere Regierende.“
Franziska Giffey, trotz ihrer falschen Doktor-Spiele keineswegs aus dem Rennen, sondern nach ihrer Zeit als Bundesministerin dann eben in Berlin nach Höherem strebend und – strenggenommen – durch eine irreguläre Wahl illegitim ins Amt gekommen, inszeniert sich unverdrossen als mütterliche Kümmerin. Die SPD-Kampagne ist ganz auf sie zugeschnitten: „Unsere Regierende“ kommt ganz ohne Slogan, Ziele oder Argumente aus. „Arbeiten für Berlin“ steht auf dem Plakat, das Giffey im bläulichen Büro-Abendlicht im Schein einer Schreibtischlampe Akten bearbeitend zeigt. Sie arbeitet auch, wenn es draußen dunkel ist, soll wohl die Botschaft sein, aber das tun andere auch. Und besser. Rätsel gibt der Slogan „Sozial bewegt mehr“ auf, offenbar ein Produkt des Phrasen-Generators. Vielversprechend dagegen „29-Euro-Ticket für alle“, denn Berlin gibt gern auf Kosten anderer. Der Länderfinanzausgleich lässt grüßen. Danke, Bayern!
„Zeit für Grün.“
Hat die SPD immerhin den Vorteil, dass ihre Spitzenkandidatin trotz allem äußerlich irgendwie sympathisch rüberkommt, kann Bettina Jarasch von den Grünen mit diesem Pfund nicht wuchern. Es sei irgendwie „Zeit für Grün“, finden sie in Zeiten galoppierender Inflation und explodierender Energiekosten mit einem grünen Bundesminister, der für Wirtschaft und Energie zuständig ist. Ein anderes Plakat zeigt Jarasch neben dem Statement „Berlin mit neuer Kraft regieren.“ Dabei ist Jarasch bereits im aktuellen Senat für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz zuständig, woher sie die „neue Kraft“ nehmen will, bleibt offen. Hauptsächlich sieht Bettina Jarasch ihre Aufgabe darin, Autofahrern das Leben schwer bis unmöglich zu machen, auf dass fürderhin nur noch Fußgänger, Radfahrer und Politiker im fetten Dienstwagen auf den Straßen der Stadt unterwegs sein mögen. Ein ehrliches Wahlplakat müsste zeigen, wie sich die Senatorin mit einem Vorschlaghammer oder noch besser einer Planierraupe auf eine Reihe parkender Pkws zubewegt.
„Gutes Klima ist sozial.“
Hä? Versteht das jemand? Das erinnert doch stark an Dr. Udo Brömme, die Kunstfigur aus der Harald Schmidt Show („Zukunft ist gut für alle!“). Der Spruch könnte aber auch von den Grünen sein. Andererseits zeigt sich die Berliner Linke kämpferischer als die kreidefressenden grünen Koalitionspartner: „Wohnung. Wärme. Widerstand.“, alliterieren die Dunkelroten auf ihren Plakaten, was immer das bedeuten mag. Und sie drohen: „Was der Markt nicht regelt, regeln wir. Gemeinsam.“ Da kommen einem doch glatt die „ein Prozent der Reichen“ in den Sinn. Ansonsten gibt sich die Linke sympathisch: „Gemeinsam durch die Krise: Löhne rauf. Preise runter.“ Hört sich gut an! Eine schöne Aufgabe für das neue Abgeordnetenhaus. Außerdem will die Linke „Schulen sanieren. Neue bauen.“ Andere würden sich über die Schüler bzw. die Zur-Schule-Gehenden sowie die Qualität des Unterrichts Gedanken machen, aber saubere und zahlreiche Schulgebäude tun’s ja auch.
„Berlin, wähl dich neu.“
„Berlin, wähl dich neu.“? Denkste, CDU! „Berlin bleibt doch Berlin, da kannste nüscht dran ändern“! Als mit Eberhard Diepgen der letzte CDU-Bürgermeister das Rote Rathaus verließ, war Gasprom-Gerd noch Bundeskanzler. Seitdem kriegt Rot-Grün bzw. Rot-Rot-Grün immer eine Mehrheit zusammen. Da nutzt dem CDU-Spitzenkandidaten Kai Wegner („Mein Antrieb ist Berlinliebe“) sein Antrieb gar nichts. Zudem drückt er sich auch noch kompliziert aus: „Meine Politik muss nicht allen gefallen. Aber für alle funktionieren.“, als sei ein feiner Aphorismus gefragt und nichts, was man beim Blick aus dem Seitenfenster schnell lesen könnte. Macht aber nichts, die Plakate werden ohnehin von autonomen Vandalen zerstört.
„Bildung heißt aus Fehlern lernen.“
Ross und Reiter mag man bei der FDP nicht nennen, Lieblingsfarbe: kariert. Immer schon. („Im liberalen Sinne heißt ,liberal' nicht nur ,liberal'.", um noch einmal aus einem Loriot-Sketch zu zitieren). Man könnte es sich ja mit jemandem verderben, der später als Koalitionspartner infrage kommt. Wer hat denn die Wahl 2021 vergeigt? Egal, aus Fehlern lernt man, und das ist ja dann auch irgendwie ein Slogan, der auf die Bildungspolitik passt. Außerdem plädieren die ehemaligen Liberalen ominös für eine „Verkehrspolitik ohne toten Winkel“, statt die Verdrängung des privaten Autos aus der „Weltstadt Berlin“ anzuprangern. Bei „Warum bei Neuwahlen alte Probleme wählen.“ verzichtet die FDP nicht nur auf das Fragezeichen, sondern auch darauf, die Verursacher der alten Probleme zu benennen. Der erwähnte Dr. Udo Brömme könnte auch bei den Berliner Freidemokraten sein Unwesen treiben.
„Opferschutz statt Täterschutz.“
Da mussten Sie nicht lange raten, oder? Law & Order sind mittlerweile nur noch ein Thema für die AfD. Opfer schützen statt Täter? Ewiggestrig! So wie das Motto „Hart. Aber gerecht.“, unter dem Slogans wie „Ob Clans oder Klima-Kleber: Schluss mit der Kuschel-Justiz!“ oder „Innere Sicherheit: Kriminelle jagen. Nicht Autofahrer.“ laufen. Interessanterweise schreibt sich die Partei auch die Wiederholung der Wahl als eigene Leistung zu: „Dank AfD: Eine faire Wahl für alle.“ Und liegt mit der Forderung „Inflationspolitik abwählen!“ zwar nicht falsch, adressiert aber den Falschen: Für die Inflationspolitik ist nicht die Frau im Roten Rathaus, sondern der Mann im Kanzleramt wenige Kilometer weiter verantwortlich.
Was Loriot wohl zu den Wahlkampf-Slogans der Berliner Parteien gesagt hätte? Wahrscheinlich: „Ach. Ach was?!“