Der von der Bundeszentrale für politische Bildung konstruierte Wahl-O-Mat soll zur „Orientierung“ dienen. Tatsächlich läuft er nach einem grünen Programm ab.
Es hat den Anschein, der von wochenlanger Langeweile bestimmte Wahlkampf nehme in der letzten Phase vor dem 26. September doch noch an Spannung zu. Die SPD darf sich Hoffnungen auf die Regierungsübernahme mit Olaf Scholz an der Spitze machen, in welcher Koalition auch immer. Die von den Umfragen in Depression gestürzte CDU/CSU spielt Kassandra und warnt vor einem fatalen Linksrutsch – als ob in der unendlichen Ära Merkel das gesamte System der Bundesrepublik nicht längst nach „links“ gerutscht wäre. Zur Erläuterung: Auf der staatstragenden Politikwissenschaftsachse Rechts-Links entzieht sich „links“ (wie auch „rechts“) einer klaren Definition. Inzwischen ist „links“ irgendwie identisch mit „grün“ und umgekehrt. Und „grün“ sind heute irgendwie alle, allen voran die CSU unter Markus Söder.
Die Grünen haben sich dank Baerbocks geschöntem Lebenslauf von ihrer Hoffnung, mit Annalena ins Kanzleramt einzuziehen, verabschieden müssen. Wenn sie jetzt – mit absoluter Erfolgsgarantie – „nur noch“ auf Regierungsbeteiligung zielen, so bringt dies auf der Berliner Bühne zwar einige Veränderungen in der Rollenbesetzung, nicht aber im Spielplan. Denn seit langem, erst recht unter Merkels Intendantur, werden in Deutschland nur noch grüne Stücke gespielt.
Der mündige Bürger (m/w/d), der/die/das angesichts der Weltlage, der Energie-, Klima- und Corona- und Geschlechter-, Geflüchteten- und sonstigen Krisen, gewisse Zweifel an der umfassenden Weisheit der grün eingefärbten politischen Klasse hegt, überlegt, welche der grünen Farbabstufungen – mit roten Einsprengseln – er am 26. September wählen soll.
Zur Orientierung könnte ihm/ihr/ihm da der von der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) konstruierte Wahl-O-Mat dienen. Laut Selbstauskunft ist der Wahl-O-Mat „keine Wahlempfehlung, sondern ein Informationsangebot über Wahlen und Politik“. Es gilt sich also zu informieren. Die Informationen bestehen aus 38 Fragen bzw. „Statements“, die mit „stimme“ zu“, „neutral“ oder „stimme nicht zu“ zu beantworten sind. Der /die/das Wähler:in kann die Fragen aber auch überspringen, wenn die Fragestellung ihn/sie/es ratlos lässt.
Aus Angst vor AfD-Nähe Aversionen gegen die Brüsseler Bürokratie unterdrücken?
Ob man für die Beibehaltung einer Fallpauschale für stationäre Krankenhausbehandlung eintritt oder nicht? Als Covid-Patient kenne ich mich zwar auf der isolierten Krankenstation aus, nicht aber bei der Kostenabrechnung, die ich per Versicherungskarte bereits bei der Aufnahme für erledigt hielt. Ähnlich steht es mit der Frage nach einer „Umsatzsteuer auch auf digitale Dienstleistungen“. Was und wie, fragt sich der von seiner Steuererklärung geplagte Laie, unterscheiden sich digitale Dienstleistungen von analogen oder handwerklichen Dienstleistungen? Wäre ich FDP-Stammwähler, wäre ich selbstverständlich gegen jede Art von Steuererhöhung.
Dass Steuern auch mit „staatliche Preise“ umschrieben werden kann, erscheint als politbegriffliches Novum: „Der staatlich festgelegte Preis für den Ausstoß von CO2 beim Heizen und Autorfahren soll stärker steigen als geplant.“ Noch eine FDP-Frage: Markt oder der Staat? „Ökologische Landwirtschaft soll stärker staatlich gefördert werden als konventionelle Landwirtschaft.“ Was ist laut Brüsseler Vorgaben echt öko?
Nicht nur ins Herz der „Linke“ und SPD-Wähler zielt die Frage, ob auf „hohe Einkommen wieder“ eine Vermögensteuer gelegt werden soll. Was ist hoch? Eine Frage der Perspektive. Gegen die Manager-Boni in der Finanzindustrie, die keine Industrie ist, sondern ein Milliardenspiel, habe ich tiefsitzende Ressentiments, auch wenn ich die betreffenden Profiteure nicht – nicht einmal nur so als Spaß gemeint – gleich erschießen möchte wie eine „Linke“-Spitzenfrau.
Bei der Frage nach einem „Austritt aus der EU“ leuchtet die Alarmglocke auf. Bloß nicht in die Fänge der AfD geraten! Darf ich auch keine Aversionen gegen die Brüsseler Bürokratie mehr hochkommen lassen? Weder die großkoalitionären Parteien noch die Wahl-O-Maten-Konstrukteure stellen den/die/die Wähler*_Innen vor die Frage, wie es mit der EU weitergehen soll? Noch mehr Zentralismus in Richtung Bundesstaat oder mehr Föderalismus im deutschen Sinne des Begriffs?
Der digitale Wahl-O-Mat läuft nach einem grünen Programm ab
Dass Antisemitismus mit (mehr) Geld zu bekämpfen ist, verdient ein „stimme zu“. Die Frage bleibt: Wie und wohin geht das Geld? Etwa auch an Islamverbände, die künftig „staatlich anzuerkennen“ sind oder auch nicht, oder lieber „neutral“? Die Verbände, selbst der allenthalben hofierte minoritäre ZMD, passen nicht so ganz in unser spezifisch deutsches Verhältnis von Kirche und Staat. „Generelles Kopftuchverbot für Beamtinnen?“ Ja, nein, neutral, Hidschab oder Niqab? Weiterhin Kirchensteuer, implizite demnächst auch für die erwähnten Islamverbände? Wäre ich FDP-Stammwähler (s.o.), wüsste ich eine klare Anwort: Nein! Allerdings zahle ich seit Jahren geduldig meine Kirchensteuer an die Ev. Kirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz, mithin auch an die EKD, den gesamtgrünen Wahlverein.
Vom grünen Familiensinn der EKD, personifiziert durch Katrin Göring-Eckardt, inspiriert ist die – als „loaded question“ auf tumbe AfD-Wähler zielende – Frage: „Das Recht anerkannter politischer Flüchtlinge auf Familiennachzug soll abgeschafft werden.“ Nicht minder suggestiv lautet „Statement“ 35: „Asyl soll weiterhin nur politisch Verfolgten gewährt werden.“ Soll heißen: Die wegen Klima, Krieg, Armut, Queerness etc. in die deutsche Willkommenskultur Flüchtenden/Geflüchteten sollen von den hartherzigen Deutschen ausgesperrt werden. Sodann soll noch der Flugverkehr höher besteuert werden oder auch nicht, schließlich die Unternehmen über Homeoffice selbst entscheiden oder auch nicht.
Man muss nicht bis zum Ende der demokratischen Selbstbefragung durchhalten, um zu wissen, dass der digitale Wahl-O-Mat nach einem grünen Programm abläuft. Den politischen Bildungsexperten der Bundeszentrale ist daraus kein Vorwurf zu machen. Was sie eingespeist haben, ist die gesamtgrüne Ideologie der Bundesrepublik im Wahljahr 2021. Mit den drängenden, komplexen Zukunftsfragen wollen die wahlkämpfenden Parteien die Wähler lieber nicht belasten. Ach ja, ob die Bundesbehörden in Zukunft in ihren Texten gendern sollen? Diese Frage wird nach dem 26. September den „Wählenden“ abgenommen.
Sie ist in den Koalitionsverhandlungen zu klären.