Jesko Matthes / 25.07.2017 / 06:11 / Foto: Gage Skidmore / 7 / Seite ausdrucken

Wahlkampf: Ohne Kompass in der Abwärtsspirale

Von Jesko Matthes.

Die Sphinx (Plural: die Sphingen) ist ein Fabelwesen, dessen Orakel sich am Ende gegen den Fragenden richtet. Blöder Weise bin ich in der Position des Fragenden. Seit Jahren frage ich, ob ich mit dem Konzept vom „Populismus“ von einer Sphinx hereingelegt werden soll. Nun sehe ich langsam klarer.

Es war zu erwarten. Nachdem uns die Leitmedien seit Jahren den „Populismus“ als den größten Feind der Demokratie gemalt und folglich Alexander Gauland und Sahra Wagenknecht, dicht gefolgt von Horst Seehofer, für ihre migrationskritischen Diskussionsbeiträge abgestraft haben, die selben Leitmedien nach einer Studie  der gewerkschaftsnahen (!) Otto-Brenner-Stiftung aber „euphemistisch-persuasiv“ (schönfärberisch-verführerisch) über die angeblichen Vorteile offener Grenzen berichtet haben, springt auf den letzten Kilometern des Wahlkampfes nun ein ganz anderer auf den angeblich so „populistischen“ Zug: der „Volkstribun“ der SPD, Martin Schulz.

Die F.A.Z. analysiert  die Zusammenhänge: Die Kanzlerin ist im Urlaub, es geht um Stimmenfang, auch und gerade aus den Reihen der AfD. Aus der Sicht von Martin Schulz kann das angesichts seiner offiziellen Parteilinie nur bedeuten: Kämpfe um jede Stimme, um den Einfluss der SPD von der Regierungsbank aus zu wahren, weiterhin Angela Merkel den Steigbügel zu halten und diese dankenswerte Aufgabe nicht den Grünen oder der FDP zu überlassen. Aus der Sicht Horst Seehofers sichert er selbst derweilen für die Union die rechte Flanke, ohne die Kanzlerin dabei übermäßig herauszufordern; das Verhalten einer Sphinx.

Nur mit der Zielsetzung eines passablen Wahlergebnisses für die SPD ist dabei der Tonfall der anderen Sphinx, Martin Schulz, zu erklären, der zwar das Thema Migration wieder auf die Tagesordnung setzen möchte, jedoch außer der „Hilfe für Italien“ unter berechtigter Weise düsteren Auspizien und der Erhöhung des Drucks auf Polen und Ungarn nichts zur Linderung des Migrationsdrucks selbst beizutragen hat. Auf einmal kritisiert der Kanzlerkandidat jener Partei, die alle Fehlentscheidungen Angela Merkels mitgetragen und befördert hat, die Kanzlerin habe ihre Entscheidung zur Öffnung der Grenzen im Herbst 2015 nicht europäisch flankiert und warnt vor einem neuen Alleingang. So macht Schulz mit einem Treppenwitz Wahlkampf. Die F.A.Z. betitelt das „Zurück zum Streit“.

Streit? – Welcher Streit?

Welcher „Streit“ ist gemeint? Analysiert man die Situation offen, kommen ganz andere Erkenntnisse dabei heraus. Auch der Bundespräsident rechnet zwar mit einer erneuten Zunahme des Migrationsdrucks, wohl auch damit, dass erneut Deutschland die Rolle des „offenen Landes“ zukommen dürfte; die Vysegrad-Staaten und Österreich scheiden bereits aus, Italien hat Überlastungsanzeige gegeben, Frankreich und Belgien haben bereits so massive Probleme mit Migranten der ersten, zweiten und dritten Generation, dass von ihnen keine erhöhte Aufnahmebereitschaft zu erwarten ist. Doch obwohl auch Steinmeier auf einmal auch die Möglichkeiten Deutschlands für begrenzt erklärt, spürt der „Focus“ darin für Martin Schulz keine besondere Unterstützung.

Wie sieht dagegen der Wahlkampf der Kanzlerin aus? Sie macht es nicht anders als Martin Schulz, nur unter umgekehrten Vorzeichen. Sie sieht realistische Bündnisoptionen mit der FDP, der SPD  und den Grünen, angesichts deren Parteiprogrammen die Seehofersche „Obergrenze“ derzeit indiskutabel erscheint. So fischt die Kanzlerin gleichzeitig Stimmen am linksliberalen Rand, indem sie die Migration kaum thematisiert, ganz genau so, wie Martin Schulz es jetzt am rechten Rand versucht, gerade indem er sie thematisiert, damit ihn die CDU nicht völlig an die Wand drückt.

Vielleicht spekuliert Schulz darauf, bei einer erneuten Migrationskrise auch als Juniorpartner die CDU vor sich her treiben zu können. Selbst wenn Schulz in einer neuen Bundesregierung kein Amt zufallen sollte, könnte er, sofern er SPD-Vorsitzender bleibt, immer noch darauf verweisen, er habe es ja, aus seiner Sicht, „gleich“ gesagt. Übrigens täte er es dann gemeinsam mit Horst Seehofer, und die Kanzlerin wäre in der Klemme. Auf dieses seltsame politische Koordinatensystem dürfen wir uns wohl ziemlich unabhängig vom Wahlergebnis des 24. September schon einmal einrichten.

Weiterhin: Die Getriebenen

Angela Merkels Reaktion in einer erneuten Migrationskrise erscheint nicht vorhersehbar, aber doch absehbar. Sie ist von Natur aus eine Sphinx und entscheidet immer nah am Zeitgeist. Den verwechselt sie allerdings nicht automatisch mit dem Wohl oder Willen der wahlberechtigten Deutschen, sie richtet sich eher nach der veröffentlichten Meinung. Bleibt nur noch abzuwarten, wie diese dann ausfällt; ganz so unkritisch wie 2015 wahrscheinlich nicht, aber, das hängt, so steht es zu erwarten, wiederum von der Regierungskonstellation jenseits des 24. September ab. Und da sich in den Leitmedien die Machtverhältnisse später ändern dürften oder gar nicht, wie der Proporz es befahl, darf man durchaus erneut mit schönfärberisch-verführerischen Diskursen rechnen. Dass diese ihrerseits einen erheblichen Einfluss auf politische Entscheidungen haben, hat Robin Alexander in „Die Getriebenen“ nachgewiesen.

Damit erledigt sich auch die leidige Debatte um die „Leitkultur“ - denn wir haben sie bereits, wie die Otto-Brenner-Stiftung es aktuell für die Migrationskrise des Jahres 2015 nachgewiesen hat, siehe oben. Diese Leitkultur erwächst aus der Deutungshoheit der politischen Mehrheit im Bundestag und der veröffentlichten Meinung der Massenmedien, die am Ende die politische Kompromisslinie bestimmen, der die Kanzlerin folgt. So ist das also mit ihrer  „Richtlinienkompetenz“.

In diese selbstgewählte Unmündigkeit des Machterhalts hat sich eine faktisch oppositionslose politische Klasse sehenden Auges manövriert. Damit ist man am Ende sogar schuldlos und kann Veranwortung übernehmen, ohne Konsequenzen aus dieser Verantwortung ziehen zu müssen; es ist bezeichnend für diese Denkweise, wie Angela Merkel diesen Zusammenhang in ihrem eigenen Sommerinterview durchexerziert.

Auf absurde Weise hat das weder mit „Führung“ noch mit „Demokratie“ zu tun, und das Land wird aus einem circulus vitiosus heraus regiert.  Als „schädlicher Kreis“ auch Teufelskreis oder Abwärtsspirale, wird ein System bezeichnet, in dem mehrere Faktoren sich gegenseitig verstärken und so einen Zustand immer weiter verschlechtern. Meine Frage ist beantwortet: Die Sphingen haben zuerst sich selbst hereingelegt, nur die Konsequenzen sollen die von ihnen Regierten übernehmen. Dass die Regierten die Konsequenzen tragen, ist natürlich immer so, wenn man regiert wird, das ist mir klar. Das ist nur nicht der Punkt.

Der Punkt ist: Der Einfluss der auf sphingenhafte Weise bedienten Bürgerinnen und Bürger an den Wahlurnen auf diejenigen, von denen sie regiert werden, steht unter dem schwerwiegenden Vorbehalt der Abwärtsspirale, so als lebten wir bereits in autoritären, postdemokratischen Zeiten – und trieben gleichzeitig führunglos dahin.

Jesko Matthes ist Arzt und lebt in Deutsch Evern.

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Leserpost

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Ulrich Bohl / 25.07.2017

Populismus ist nicht gleich Populismus. Wenn man die Deutungshoheit in den Medien hat wird er auch schon mal Realpolitik für das Volk genannt. Der Martin versucht es mit allen Mitteln. Als Bürgermeister von Würselen war schon mal das Ende der Fahnenstange erreicht. In Brüssel kritisierte er andere, das sie sich verweigerten und jetzt Martin de Nostredame, der aus seiner Erkenntnis heraus nun zum Möros mit dem verbalen Dolch mutiert. Nach der Wahl ein neuer Martin, er geht zu Angela und Horst und fragt unter tänigst „Ich sei, gewährt mir die Bitte, In eurem Bunde der dritte.“ Jede Rolle ist ihm recht, die Hauptsache ist der Effekt.  Glaubwürdigkeit=Nebensache. Neuigkeiten ver- kündet er auch nicht, jeder der es aufmerksam verfolgt, weiß was sich anbahnt. Nach der BTW sehen wir weiter.

Helmut Driesel / 25.07.2017

Im Schloss Bellevue steht vermutlich noch viel abgestandene gestrige Luft aus der Zeit des Herrn Gauck. Da kann man dem jetztigen Bundespräsidenten nur gute Besserung wünschen. Der hat es ja nun geschafft und darf die große Politik aus der Ehrenloge beschmunzeln. Es werden wahrscheinlich die wichtigsten acht Jahre der deutschen Nachkriegsgeschichte. Er ist für seine Aussicht auf die Dinge, die da kommen werden, zu beneiden. Ich hoffe, er hält seine etwas schlitzohrige, humorvolle Art bis zum Ende durch und lässt sich im Konfliktfall nicht auf billige Weise einseifen.

Dieter Franke / 25.07.2017

Wir müssen den Tatsachen ins Auge sehen, Herr Matthes: Wir leben ja bereits in “autoritären, postdemokratischen Zeiten”, wie durch fast alle Artikel und Analysen auf der “Achse” belegt werden kann. Von der DDR unterscheidet uns fast nur noch die Reisefreiheit und die ständige Verfügbarkeit von Südfrüchten. Bevor man mir die Freiheit der Ausreise auch noch nehmen kann, werde ich meinen Wohnsitz demnächst woanders aufschlagen.

Mike Höpp / 25.07.2017

Einer Sphinx mutet immerhin etwas an wie antike, historische Größe. Der jetzigen Kanzlerin doch eher die Schwäche, einmal gemachte Fehler stets zu ihrem Besten zu deuten, unabhängig von Meinung und Wissen anderer. Wichtig ist doch steter Machterhalt und Koketterie darum, Ihr Artikel, sehr geehrter Herr Matthes, macht es doch deutlich. Ich persönlich sehe nur das Auseinanderdriften der Sicht der “Eliten” und der Volksmeinung, inzwischen nahe zum Zerreißen gespannt. Wo noch die Meinung überwiegt, eh nichts tun zu können, kann sehr schnell ein Aggressionspotenzial erwachsen, das mit “Zuckerbrot und Peitsche” nicht mehr zu bändigen sein wird. Und nehme ich nur die allseits bekannte Frage der Sphinx, die mit den vier, zwei und drei Beinen, beweist allein diese Frage eine Klugheit, die heute ignoriert wird. Die um Bildung, Arbeit, Rente und Altersversorgung als eins, nicht voneinander losgelöst. Eine Klugheit, die sich heute erschöpft in: “Deutschland geht es gut” und nicht nur keine Fragen stellt, sondern selbst auf die Fragen, die gesetellt sind, keine Antworten weiß.

Dr. Gerd Brosowski / 25.07.2017

„Selbstgewählte Unmündigkeit“ : Diese treffende Bezeichnung erinnert an einen der zeitlos gültigen Aufsätze, die in deutscher Sprache geschrieben worden sind, an den Aufsatz Kants zur Frage, was denn Aufklärung sei. „Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen….Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung freigesprochen…dennoch gern zeitlebens unmündig bleiben; und warum es anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen. Es ist so bequem, unmündig zu sein.“ Zunächst ist es bequem, unmündig zu sein; in der nächsten Stufe, wenn die Hexenjagd auf selbständig, ja auch nur anders Denkende beginnt, wenn die Gesinnungshüter wüten und die Pranger mit Listen der Unbotmäßigen aufgestellt werden, dann ist es nicht nur bequem, dann ist es im Interesse der eigenen Unversehrtheit sogar ratsam unmündig zu sein. Sind wir schon so weit?

Roland Richter / 25.07.2017

Es ist ein Streit um des Kaisers Bart. Der Schulz ist eine moralisch perverse Figur, als Kanzler eigentlich undenkbar, aber der teutsche Wahlplebs reagiert immer auf das Signal der Medien. Wenn die Medien, was zum Zeitpunkt undenkbar ist, von der Verehrung der Frau Murksel umschwenken auf Beweihräucherung des bebarteten Schulz, dann wird der Kanzler !

A. Wehrmann / 25.07.2017

“Frankreich ... haben bereits so massive Probleme mit Migranten der ersten, zweiten und dritten Generation,” Ja und? Sie schliessen ebenfalls die Augen. Genau wie wir hier. Oder zumindest die linken hier. Als mir vor Jahren in Südfrankreich mal mein für die Reise gepacktes Auto geknacht wurde hörte man von den Einheimischen, das seien bestimmt Italiener gewesen. Und das obwohl, wer es sehen wollte, sehen konnte, dass die örtliche Dorfjugend immer wieder Touristennautos auf der Anlage ausgespäht hat. Auto-/ Mopedkennzeichen lügen nicht. Als kürzlich in der Nähe meines in Frankreich wohnenden Kindes mehrere Autos angesteckt wurden hörte man dort, das seien Deutsche gewesen. Warum? In den Tagen vorher sei immer wieder ein Deutsches Auto durch das Viertel gefahren. Ah ja, dass vor den Wohnblöcken der Muselmanen im Nachbarviertel regelmäßig Autos brennen fiel dabei unter den Tisch. Lebenslügen hier wie da.

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