Annette Heinisch / 10.07.2024 / 12:00 / Foto: Montage achgut.com / 53 / Seite ausdrucken

Wahlen: Wechsel-Welle ohne Perspektive

Bei Wahlen stimmen die meisten Bürger nicht für eine neue, sondern nur gegen die alte Regierung. Und dabei werden sie auch radikaler, wenn ihnen in der Mitte kein vernünftiges Angebot mehr gemacht wird.

Der armenisch-jüdische ehemalige Schachweltmeister Garry Kasparow äußerte als Reaktion auf die Wahlen in Frankreich: 

„Das ist die Falle, historisch und gegenwärtig. Wenn die Stärkung der extremen Linken als einzige Möglichkeit angesehen wird, die extreme Rechte zu stoppen, und umgekehrt, wird die Mitte auf beiden Seiten ausgehöhlt und die Extremisten gewinnen. Das Pendel schwingt weiter und nimmt eine zerstörerische Dynamik auf.“

(“This is the trap, historically and at the present. If empowering the far-left is seen as the only way to stop the far-right, and vice-versa, the middle is hollowed out from both sides and extremists gain. The pendulum swings wider and picks up destructive momentum.”)

Wer die deutsche Geschichte kennt, weiß, dass dieser Zusammenhang zutrifft. Wer ernsthaft fragt, wie es zum Aufstieg Hitlers kam, wird nicht umhin kommen, genau diese Dynamik zu erkennen. Viele Deutsche wollten keine Diktatur der Linken, wovon zum Beispiel der Spartakusbund (Vereinigung marxistischer Sozialisten mit dem Ziel einer internationalen Revolution des Proletariats zwecks Stürzung des Kapitalismus, Imperialismus und Militarismus weltweit) träumte. Die nationalistische Gegenbewegung, die den Marxismus (nicht jedoch den Sozialismus) ablehnte, entstand quasi als Spiegelbild.

Aufschaukeln in Frankreich und USA

Was fehlte, war eine führungsstarke politische Mitte. Die Führung Deutschlands war von den Alliierten nach dem 1. Weltkrieg bewusst entmachtet worden, um ein Wiedererstarken zu verhindern. Das heißt, die vorherige politische und ethische Führung (Kaiser und protestantische Kirche) war entmachtet worden. Die wirtschaftliche Lage war im gesamten Westen schlecht; in Deutschland aufgrund der Reparationen sogar besonders miserabel. Diese Faktoren waren wesentlich für den Aufstieg der Nationalsozialisten.

Wer ernsthaft ein da capo verhindern möchte, muss sich mit dieser Dynamik auseinandersetzen. Eine objektiv nicht nur falsche, sondern sogar kontraproduktive Lehre ist daher der “Kampf gegen Rechts”. Von Linken jeglicher Couleur wird diese Parole gerne genutzt und damit genau die Dynamik in Gang gesetzt, die bekannterweise verheerend endet. Wer diese von sich gibt oder gar die “Antifa” unterstützt, disqualifiziert sich meines Erachtens daher für jedes politische Amt. Er ist nämlich entweder dumm oder böswillig. Auch Brandmauern sind eher gefährlich als hilfreich.

Dieses Aufschaukeln sieht man aber nicht nur in Frankreich, sondern es findet – und das ist wirklich fatal – derzeit auch in den USA statt. Der Kampf Biden gegen Trump steht ganz unabhängig vom Aspekt des Alters der Kandidaten für dieses Aufschaukeln, welches die Mitte im Stich lässt und zum Verschwinden bringt. Viele US-Bürger möchten keinen von beiden wählen, haben aber keine andere Wahl. Hätte eine der beiden Parteien gemeinwohlorientiert und verantwortungsbewusst gehandelt, dann hätte sie einen Kandidaten aufgestellt, der von der Breite der Bevölkerung getragen werden könnte. Solche Kandidaten gab es. Auch die USA sind nicht gefeit gegen die zerstörerische Dynamik, die sich in Deutschland zeigte. 

Manche Dynamiken setzt man besser nicht in Gang, denn sie lassen sich nur schwer stoppen. 

Politische Ideologien

Dass die meisten politischen Ideologien bisher gescheitert sind, macht es nicht besser. Der argentinische Präsident Javier Milei hat zum Beispiel ein Land in Armut übernommen. Auch der Peronismus, sozusagen ein abgeschwächter Sozialismus, hat die Verarmung nicht aufgehalten, im Gegenteil. Dass Freiheit, also auch Freiheit des Marktes, Wohlstand bringt, ist zwar hinlänglich bewiesen. Aber natürlich passt dies denjenigen nicht, die Macht haben oder erlangen wollen. Machtgier ist eher noch schlimmer als Geldgier, Macht geht viel häufiger über Leichen – sie hat ja auch die Möglichkeit dazu. 

Freiheit als Gefahr für die Macht(haber) wird diffamiert und diskreditiert. Moderne politische Ideologien legen fest, was gut und böse ist. Damit sind sie de facto Ersatzreligionen, was zu ihrer ungeheuren Macht führt. Kapitalisten sind böse, Arme sind immer gut. Weiße, nicht nur “wasp” (white, anglo-saxon, protestant) sind immer böse, andere Hautfarben immer gut. Mit diesen Wertvorstellungen wird die gesamte westliche zivilisatorische Entwicklung mitsamt Aufklärung rückabgewickelt. 

Die EU basiert ebenfalls auf einer utopischen politischen Ideologie. Dass eine enge Zusammenarbeit, in welchem Bereich auch immer, stets Frieden bringt, ist eine erkennbare Utopie. Dann gäbe es nämlich weder Bürgerkriege noch im privaten Bereich Scheidungen. Anders ausgesdrückt: Nähe und enge Verflechtung verhindern keinen Streit und keine Trennung, sie machen sie nur umso schmerzhafter.

“Aber die Wirtschaft”, heißt es oft. Die wirtschaftliche Entwicklung der EU war nie so erfolgreich wie erhofft, nun sinkt sie ins Bodenlose. “Europa hat vor vielen Jahren eine regelrechte Abstiegs-Agenda in Kraft gesetzt, deren Umkehrung schon deshalb schwerfällt, weil die politischen Eliten in Frankreich, Deutschland und Brüssel den Abstieg nicht als solchen erleben”, so Steingarts Morning-Briefing.

Viele Bürger in Europa fragen sich daher, ob sie von Unfähigen oder Böswilligen regiert werden, siehe aktuell Großbritannien und Frankreich. “Afuera” (draußen, hinaus) ist die Devise der Wähler, hinaus – weg mit der Regierung.

Sieger mit geringstem Zuspruch

Auch bei der letzten Bundestagswahl wurde vor allem die Merkel-CDU abgestraft; die Ampel war lediglich die Konsequenz. Leider hat die Union daraus immer noch nicht wirklich gelernt, denn dann hätte sie erkennbar ihre Vergangenheit aufarbeiten müssen. Stattdessen wird Merkel noch gelobt.

Nun folgt das Vereinigte Königreich auf diesem Weg; nicht Labour hat gewonnen, sondern die Tories haben verloren. Keir Starmer hat nur 33,8 Prozent Stimmenanteil und damit den geringsten Zuspruch aller Premierminsier der modernen Zeit. Übrigens auch weniger als Jeremy Corbyn 2017. Es steht zu befürchten, dass die Briten nun dasselbe Desaster erleben wie die Deutschen. Der Punkt ist: Die Bürger sind unzufrieden mit der Politik. Nur haben sie keine echte Wahl. 

Die Folgen sind deshalb so verheerend, weil der übergriffige Staat mittlerweile in alle Lebensbereiche eindringt. Es ist ja eigentlich ganz einfach: Je mehr der Staat regelt und bestimmt, desto schlimmer wirken sich Fehlentscheidungen aus. Jedermann weiß, dass man als vorsichtiger Mensch niemals alle Eier in einen Korb legt. Aber genau das soll bei der Staatsführung eine gute Idee sein? Dem einzigen Lebensbereich, bei dem von Protagnoisten keinerlei Können, Wissen, Kompetenz oder Qualifikation verlangt wird? Klingt das wirklich wie eine gute Idee?

Der bekannte und sehr erfoglreiche Investor Warren Buffet sagte einst: „Man sollte nur in Firmen investieren, die auch ein absoluter Vollidiot leiten kann, denn eines Tages wird genau das passieren!” Das könnte man für die Politik nutzbar machen und sagen, man sollte einen Staat so aufbauen, dass auch ein absoluter Vollidiot diesen leiten kann, denn eines Tages wird genau das passieren. Manche werden sagen, das sei schon passiert, aber das macht es ja nicht besser. 

So, wie bisher Politik gemacht wird, funktioniert es also nicht. Es ist ein struktruelles Problem, welches mit strukturell anderen Ansätzen angegangen werden muss. Eine Partei, die dieses anzugehen bereit ist, gibt es derzeit nicht. Die Hoffnung, mit dem Austausch von Regierungsparteien würde irgendetwas besser, wird sich nicht erfüllen. Dies ist eine große Gefahr für die Demokratie und kann zugleich die dargestellten zerstörerischen Dynamiken befördern.

 

Annette Heinisch, Studium der Rechtswissenschaften in Hamburg, Schwerpunkt: Internationales Bank- und Währungsrecht und Finanzverfassungsrecht. Seit 1991 als Rechtsanwältin sowie als Beraterin von Entscheidungsträgern vornehmlich im Bereich der KMU tätig.

Foto: Montage achgut.com

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Dr. R. Möller / 10.07.2024

Die Weimarer Republik wurde von radikalen Linken abgelöst - Nationalen Sozialisten! Es war ein Kampf links gegen noch weiter links Und auch hier wird wieder Stimmung gegen Rechts gemacht. Es waren immer die Linken, die Armut, Elend, Unterdrückung mit vielen Millionen Todesopfern gebracht haben, die es zur Zeit wieder bringen und auch in Zukunft bringen werden. Aber AFD ist Pfui und die Linke CDU die Mitte. Deutschland hat fertig.

Holger Hertling / 10.07.2024

Ein erster Schritt könnte sein, Gewinne, die supranationale Firmen in Deutschland machen, auch in Deutschland korrekt zu versteuern. Cum-Cum sowie Cum-Ex strafzubewehren und korrekt in Deutschland zu versteuern. Vielleicht wie in Hong-Kong ... 15% Steuer auf alles (passt auch auf den berühmten Bierdeckel). Auf ALLES (und keine Ausnahmen). Ansonsten bich ich sehr sehr gespannt auf die Entwicklung in Argentinien.

W. Renner / 10.07.2024

Robert Lemke fragte dereinst, welches Schweinderl hätten‘s gern. Otto‘s Antwort darauf, das mit der Brille.

kai marchfeld / 10.07.2024

Meine persönliche Binsenweisheit: Die Welt ist rund…wenn Du Dich immer weiter nach links bewegst, kommst Du irgendwann ganz weit rechts wieder raus. Zum Rest: Das Geschriebene gilt wahrscheinlich für die meisten Völker und Länder. Es sind Lernprozesse - zum Teil äusserst schmerzhafte - die durchlebt werden müssen. Der deutsche Maso-Michel stellt hier wiederum in meinen Augen eine Ausnahme dar. Er findet anscheinend Gefallen daran, dominiert, drangsaliert und stranguliert zu werden. Das war unter Fürsten so, unter Königen und unter der heiligen Geistlichkeit. Früher war es die lokale Obrigkeit, heute versucht man, sich der ganzen Welt anzudienen…Globalisierung auf deutsche Art. Woher das kommt? Ich wäre kein Deutscher, wenn ich das nicht tiefschürfend analysiert hätte: Es hat was mit den Genen zu tun. Und mit dem germanischen Wandertrieb. Wenn in anderen Ländern die Unzufriedenheit mit den herrschenden Verhältnissen überhand nahm, haben die Aufmüpfigen iwann einfach kurzen Prozess gemacht und alles kurz und klein geschlagen. Das deutsche Revoltepotential (resp. deren Vorfahren) sind entweder von alleine in alle Welt weitergezogen…oder sie wurden in andere Gebiete entsorgt (Siebenbürgen, Banat etc.). Zurück geblieben sind im Laufe der Jahrhunderte diejenigen mit einer besonders servilen Genausstattung. Ich selbst bin eine Kreuzung. Aus einem wanderfreudigen Ostpreussen und eine Abkömmlingin aus einem fränkischen Müllergeschlecht. Müller waren von jeher misstrauisch beäugte Aussenseiter und Eigenbrötler…immer bereit, irgendwas Subversives anzuzetteln.

Donatus Kamps / 10.07.2024

Es gibt politisch keine Mitte. Es gibt nur zwei mögliche Standpunkte: Der Standpunkt 1: Der Staat hat alle Macht und alle Weisheit, der Bürger hingegen ist dumm und böse. Alle Lösungen kommen von der “Weisheit des Staates”. Standpunkt 2: Die Weisheit liegt in der dynamischen Intelligenz und Lebenserfahrung der Bevölkerung. Der Staat hat nur die Aufgabe der Sicherstellung der Infrastruktur im weitesten Sinne. Alle Lösungen kommen aus der Dynamik, Freiheit und Kreativität der Bevölkerung. ——- Zum Standpunkt 1 gehören alle Formen des Sozialismus (der rote, der braune und der grüne). Zum Standpunkt 2 gehören die Demokraten, die Humanisten, die Anhänger der österreichischen Schule von Hayek und Mises.——- Der Nationalsozialismus ist eine Variante des Linksextremismus. Was soll die Mitte zwischen dem nationalen Sozialismus und dem internationalen Sozialismus sein? Es gibt hier keine Mitte zwischen links und links. “rechts” steht für Freiheit und Demokratie. “Rechtsextremismus” wäre somit völlige Freiheit ohne irgendwelche Regeln. Ich kenne keinen einzigen Rechtsextrimisten in dieser logisch sinnvollen Bedeutung.

Lao Wei / 10.07.2024

Ideologische Extremisten gleich welcher Coleur, streben stets in ihrem Sinne nach gesellschaftspolitischer Monostruktur. Vereinfacht: es sind die Rattenfänger der Neuzeit, und jene sind in der Lage, den Rattenpöbel mittels Rattengift unter sich aufzuteilen. Damit ist das Ende der demokratischen Mitte besiegelt. Eine Apparatschik-Polit-MiPo, getrieben von ungeheuer-perverser Machtgier - verkauft mit „Dackelblick“ - eine ehemalige Hochkultur (ausgenommen jene zwölf Jahre) schamlos an den Teufel! Im übrigen bin ich der Meinung: das Armageddon frisst auch die Rattenfänger; und wem der Schuh paßt, der ziehe ihn sich an!

Klaus Keller / 10.07.2024

So weit ich es beurteilen kann gibt es weder in französischen noch in deutschen Parlamenten extremistische Parteien. Ich stufe weder die Linke noch die AfD als extrem ein. Wer was anderes behauptet ist nach meiner Einschätzung Handwerker bei der Brandmauerbauertruppe.

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