Wolfram Weimer / 10.08.2016 / 07:49 / Foto: Tim Maxeiner / 18 / Seite ausdrucken

Wahlen in Meckpomm: SPD-Panikattacke aus Angst vor AfD

Der SPD droht bei den nächsten Landtagswahlen Anfang September in Mecklenburg-Vorpommern keine Niederlage, sondern ein Desaster. In Umfragen sacken die Sozialdemokraten auf 22 Prozent hinter den Koalitionspartner CDU ab und drohen sogar, von der AfD noch eingeholt zu werden. Dabei hatte die SPD die Wahl 2011 noch mit stolzen 35,6 Prozent gewonnen. Das heißt: Die SPD dürfte jeden dritten ihrer Wähler verlieren. Ein Rechtsruck historischer Dimension zeichnet sich ab.

Die politischen Tage von Erwin Sellering könnten gezählt sein. Er ist seit acht Jahren Ministerpräsident, davor war er Sozialminister und von 2000 bis 2006 Justizminister des Landes. Doch so eine polarisierte Stimmung hat er noch nie erlebt. Er fühlt sich im Wahlkampf mit dem Rücken zur Wand und wagt nun eine ungewöhnliche Attacke – auf die Bundeskanzlerin. Angela Merkel sei dafür verantwortlich, dass Deutschlands Politik entgleise. “Frau Merkel hat maßgeblich dazu beigetragen, dass die Flüchtlingsfrage zu einer starken Polarisierung der Bevölkerung geführt hat. Davon profitiert die AfD”, klagt Sellering ungewöhnlich offen in einem “Tagesspiegel”-Interview.

Die Flüchtlingskrise habe Deutschland aus der Balance gebracht, im Land das Gefühl der Unsicherheit verstärkt und die Gesellschaft gespalten. “Von dieser extremen Polarisierung bis hin zum Hass lebt die AfD”, meint Sellering. Er beobachte, dass in der Migrationspolitik “die Sorgen vieler ganz normaler Bürger nicht ausreichend ernst genommen wurden.”

Sellering klingt plötzlich fast nach Alexander Gauland

Sellering schlägt damit eine Tonlage an, die bislang nur aus der CSU zu hören war. Wie sein Amtskollege Horst Seehofer wirft auch Sellering der Kanzlerin konkret vor, die Aufnahme von vielen zehntausenden Flüchtlingen aus Ungarn im September vergangenen Jahres nicht zur Ausnahme erklärt zu haben. So sei monatelang der Eindruck erweckt worden, die unbegrenzte, unkontrollierte und rechtsbrüchige Massenaufnahme von Flüchtlingen sei alternativlos.

Er diagnostiziert durch die Massenzuwanderung ein “allgemeines Gefühl der Unsicherheit”. Und schließlich klingt er fast nach Alexander Gauland von der AfD, wenn er sagt: “Dass einige um das Erreichte fürchten, wenn die Regierung unkontrolliert und unbegrenzt Flüchtlinge ins Land lässt, ist keine Schande.”

Nun ist Sellering eigentlich ein abwägender Mann – die wutentbrannte, politisch inkorrekte Attacke auf die Bundeskanzlerin und die Migrationspolitik der Großen Koalition, also auch auf die seiner eigenen Partei, überrascht. Normalerweise gilt der Ministerpräsident als besonnen und ausgleichend, er entstammt einem konservativ-protestantischem Elternhaus, ist Jurist, Beamter, mehrfacher Familienvater. Er genießt privat “ausgedehnte Waldspaziergänge” und sein verwegenstes Hobby ist der Schachverein. Sein Gemüt passt eher zum Plätschern der Müritzer Seenplatte als zu Brandungswellen einer politisch wilden Hochsee.

Warum der an und für sich sanfte Sellering ausrastet

“Wenn der sanfte Sellering so ausrastet, dann muss ein dickes Ding angerauscht kommen”, sagt ein hochrangiger Genosse aus Berlin. Tatsächlich zeigt der Ausraster Sellerings gleich drei dicke Dinger: Erstens gibt die SPD offenbar die Wahl verloren. Wenn ein SPD-Ministerpräsident vier Wochen vor der Wahl die Regierungspolitik der eigenen Partei in Berlin als republikstürzend kritisiert, dann muss die Stimmung an der Basis verheerend sein. Die Panik-Attacke auf die groß-koalitionäre Politik wirkt wie ein Verzweiflungsruf. Er hört sich wie eine vorgezogene Schuldzuweisung der Niederlage an.

Zweitens zeichnet sich abermals ab, dass die SPD unter den Folgen der Migrationspolitik noch stärker leidet als die Union. Schon bei den Wahlen in Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt hat sich gezeigt, dass es gerade in den Kernmilieus der Sozialdemokraten erdrutschartige Bewegungen in Richtung AfD gibt. “Der Mannheim-Schock droht sich im Nordosten zu wiederholen”, sorgt man sich in der SPD. Ausgerechnet von den Rechtspopulisten in der Stimmenzahl ein- oder gar übergeholt zu werden, trifft die stolze Sozialdemokratie ins Mark. Das dürfte innerhalb der Partei eine Debatte auslösen, ob man die radikale Offentor-Politik der Kanzlerin weiterhin treu unterstützt oder für das Wahlkampfjahr 2017 eine neue Positionierung suchen muss.

Merkels “Wir schaffen das” verliert zusehends die Mehrheitsfähigkeit in Deutschland

Drittens zeigt der Fall Sellering, dass Merkels “Wir schaffen das” zusehends die Mehrheitsfähigkeit in Deutschland verliert. Nicht nur im bürgerlichen Flügel fliehen die Wähler vor dieser Politik, auch linke Milieus wehren sich nun in Scharen. So hat Rostock in dieser Woche die geplante Einrichtung einer Unterkunft für Flüchtlingsfamilien im Stadtteil Groß Klein gestoppt. Grund sind die angespannte Sicherheitslage in der Plattenbau-Siedlung und der breite Widerstand der dortigen Bevölkerung. Insofern scheint Sellering nur das auszusprechen, was große Teile der Bevölkerung wohl denken.

Vertretern der Volksparteien kommt jedenfalls zusehends kalter Schweiß auf die Stirn, wenn sie die Stimmung im Land erfühlen. “Bei CDU und SPD herrscht nackte Angst vor der AfD”, berichten Wahlbeobachter aus dem Norden. Sellering wird daher zum Seehofer der SPD – beide rufen aus den entgegengesetzten Enden der Republik der Kanzlerin eine unangenehme Wahrheit zu: Union und SPD halten die Offen-Tor-Politik nicht mehr aus.

Für Angela Merkel ist Sellerings Attacke auf ihre Person doppelt gefährlich. Denn in Mecklenburg-Vorpommern hat sie persönlich ihren Wahlkreis – es ist also Heimatrevier. Sollte ausgerechnet dort die AfD derart triumphieren, wie es die Umfragen andeuten, dann ginge das auch mit der Kanzlerin nach Hause. Insofern intoniert Sellering eine Abrechnungsmelodie, die nach dem 4. September wahrscheinlich in vielen Kommentaren zu hören sein dürfte: Es dämmert im Nordosten, dass man mit trotzigen “Wir schaffen das”- Durchhalteparolen den Niedergang der Volksparteien eher beschleunigt als aufhält.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf The European hier

Foto: Tim Maxeiner

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Rudolf Dietze / 10.08.2016

“Wählt die Kandidaten der Nationalen Front” dieser Wahlslogan der DDR für die SED und die Blockparteien begleitete mich bis zur Wende. Ähnliches erlebt man heute. Nun hat sich eine neue Kraft am rechten Rand gebildet. Zerstritten wie sie ist, wird sie dennoch vom Bürger als Alternative zur “Nationalen Front” und vor allem zu Merkels Dogmen (“Wir schaffen das”) gesehen.

Gerd Scheiber / 10.08.2016

Ach ja, im Angesicht der bevorstehenden Wahlen und dem drohenden Verlust der guten Pöstchen dämmert es nun bei den Politikern, die plötzlich erkennen, was denkende Normalbürger bereits im September 2015 vorhergesehen haben, dass nämlich diese unsinnige Masseneinwanderung die Gesellschaft einer Zerreißprobe unterziehen wird. Und das nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich und sozialstaatlich (Rente, Krankenkasse etc.). Die gesellschaftliche Polarisierung und Extremisierung schreitet voran und die bürgerlichen Freiheiten werden ebenso beschädigt wie zwischenmenschlicher Respekt und Vertrauen. Da es nun soweit gekommen ist, wird man sich auf eine politische Rosskur vorbereiten müssen, denn die Alternative, so sie denn kommt, bietet kaum bessere Politiker.

Frank Stricker / 10.08.2016

Werter Herr Weimer, das “vierte dicke Ding” wird aber die SPD noch heftiger durchrütteln, die wahrscheinliche Demissionierung von Siegmar Gabriel nach der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern. Dann wird selbst dem größten Optimisten klar, dass in der SPD nur noch der Schwanz mit dem Hund wedelt. Olaf Scholz wird dann wohl zum “Jagen getragen” werden müssen und in der SPD wird man für die Bundestagswahl 2017 schon mal die alten Parolen der FDP unter Westerwelle auftragen, “Projekt 18”. Mehr dürfte beim besten Willen nicht möglich sein….........

sabine erdmann / 10.08.2016

Tja…gibt es wirklich jemanden, den das ernsthaft überrascht?? Das hätte doch ein Zehnjähriger vorhersagen können! Wie viel Realitätsverweigerung braucht man, um nach den Fehlentscheidungen des letzten Jahres, den fatalen Folgen, der Diskreditierung Andersdenkender usw. usf.  sich zu wundern, dass die Wähler den verantwortlichen Parteien den Rücken kehren?? Das Einzige, das ich wirklich nicht begreife, sind die noch relativ hohen Umfragewerte für die CDU. Wissen die Leute eigentlich nicht, in welcher Partei unsere unfähige Kanzlerin ist?

Anne Cejp / 10.08.2016

Im Frühhjahr besuchte ich in M/V eine politische Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung (Teilnehmerzahl: 17), bei der auch eine SPD-Landtagsabgeordnete anwesend war. Die Fragerunde des Publikums war wohlwollend, bis freundlich verhalten. Auf die Frage nach Flüchtlingen antwortete die LA, dass in ihrer Stadt alles gut laufe, auf die Frage, ob die Flüchtlingspolitik nicht Auswirkungen auf das Erstarken der AfD haben könnte, kam die Antwort: “Das sehe ich nicht so” und “Sie wären sowieso erstarkt” (Flüchtlinge wirkten eher wie ein Katalysator), und auf ein Rezept, wie sie - wenn die AfD einst im Landtag säße -mit ihnen umgehen würde, hatte sie ein Patentrezept, das hieße: “Reden, reden, reden”. Heute schaut mich die LA von den Wahlplakaten an, und ich denke:  ´Wer weiß, ob du je Gelegenheit haben wirst, mit ihnen im Landtag zu reden´?

Karla Kuhn / 10.08.2016

Es ist nicht nur das “Wir schaffen das”, es sind auch die vielen Attacken verschiedener Politiker, wie Stegner. Maas, Gabriel, Gauck mit seinem “Dunkeldeutschland”,  E.-Göring , Roth etc. die die Wähler vergraulen. Was mich allerdings erstaunt, ist die Aussage von Ihnen, Herr Weimer “Ein Rechtsruck historischer Dimension zeichnet sich ab.”  Sie unterstellen damit allen AfD Wählern, dass sie “rechts”, somit “Nazis” sind. Diese Aussage ist sehr vermessen. Damit nehmen auch Sie die Ängste der Menschen, die diese Partei wählen nicht ernst und setzen sich damit nicht auseinander. Unter den AfD Wählern sind viele ehemalige CDU und SPD Wähler, viele Wähler besitzen einen akademischen Abschluß und gehören dem Mittelstand an. Ich glaube kaum, dass diese sich von der Bezeichnung “rechts” noch erschüttern lassen. Dafür ist das Wort viel zu abgedroschen. Schade, ansonsten ist Ihr Artikel recht realistisch.

Dietrich Herrmann / 10.08.2016

Liebe Mecklenburger: Tut es einfach. Lacht diese Wahlkampfredner, egal von welcher Partei, aus, wenn die euch wieder die Taschen voll hauen mit ihren Phrasen und Unwahrheiten. Lacht sie schallend aus, das wirkt!

Ernst-Fr. Siebert / 10.08.2016

” Rechtspopulisten” wird wohl bald in Anführungszeichen gesetzt zu lesen sein, nämlich dann, wenn die die Posten zu verteilen haben. Auch von Herrn Weimer werden sie dann verwandt werden, wenngleich er dort wohl keinen Posten anstrebt. Übrigens scheint Bismarck in´s Unrecht gesetzt zu werden, der da behauptete, dass in Mecklenburg wohl alles 100 Jahre später als anderswo geschähe. So wird sicherlich auch dort zu erst auf die Gänsefüßchen zurückgegriffen werden. Als nächstes, endlich, wird “rechts” ebenso als Alternative zur Mitte, wie derzeit schon “links”, angesehen werden.

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