Wahlbeben in Schweden

Von Paul M. Seidel.

Die einwanderungskritischen Schwedendemokraten haben ihren Vormarsch fortgesetzt und sind zur zweitstärksten politischen Kraft aufgestiegen. Wie geht es weiter?

Mitten in der Coronakrise – im Sommer 2021 – zog es uns nach Schweden, eine entspannte Wohnmobilreise. Der deutschen Hysterie entronnen, fühlten wir uns wie auf einem glücklicheren Planeten. Beim Bummel durch eine sonnige Kleinstadt am Vättern-See landeten wir in einem gut sortierten Bekleidungsgeschäft. Die helle Hose passte wie angegossen, der Preis war fair. Nur die hintere Tasche, in der ich normalerweise meine Geldbörse verstaue, war für diesen Zweck zu klein. Deshalb werde es wohl leider nichts mit der Hose, meinte ich bedauernd zur Verkäuferin. Die junge Frau schaute mich an. „Kein Schwede steckt sein Geld heute noch in die Gesäßtasche“, entgegnete sie mit ernstem Gesicht. „Die Kriminalität ist viel zu hoch geworden.“ 

Dass es bei diesem Thema nicht nur um Taschendiebstähle geht, hat sich inzwischen auch hierzulande herumgesprochen. Großstädte wie Stockholm, Göteborg und vor allem Malmö werden von tödlichen Schießereien zwischen zumeist arabischen und afrikanischen Gangs erschüttert. „Die Bandenkriminalität in Schwedens Vorstädten – Heimat großer Immigrantengruppen – ist explodiert“, musste sogar die rechter Umtriebe unverdächtige  Süddeutsche Zeitung konstatieren. Bei den Schusswaffentoten sei „Schweden mittlerweile europäische Spitze“, heißt es weiter. Die Bundeszentrale für politische Bildung hat ausgerechnet, im Durchschnitt werde „pro Woche ein Mensch in Schweden erschossen“. Das passt so gar nicht zum sozialdemokratischen Bilderbuchland von Bullerbü und Pippi Langstrumpf. Und auch nicht zur „moralischen Großmacht“, wie das Land von der dänischen Zeitung Jyllands-Posten genannt wurde. 

Immer mehr Schweden kommen inzwischen zu dem Schluss, dass es so nicht weitergehen kann. Im August – während der heißen Phase des Wahlkampfes – haben sogar die regierenden Sozialdemokraten unter Ministerpräsidentin Magdalena Andersson eine härtere Gangart angekündigt, einen Aktionsplan gegen Bandenkriminalität vorgestellt und den „Parallelgesellschaften“ den Kampf angesagt. 

Zweitstärkste politische Kraft wurden die einwanderungskritischen Schwedendemokraten

Jetzt wurde – wie immer am zweiten Septembersonntag – im Königreich turnusmäßig ein neuer Reichstag gewählt. Deutsche Staatsschreiber und linientreue Regierungsfunker hatten vorher mit dicken Sorgenfalten und Schweiß auf der Stirn vor einem „Rechtsruck“ gewarnt und von einer „Schicksalswahl“ phantasiert. Die Schweden ließen sich davon nicht beeindrucken, schon gar nicht belehren. Sie wählten, wie sie es für richtig hielten. Wie von allen Umfrageinstituten vorausgesagt, gingen die Sozialdemokraten mit rund 30 Prozent der Stimmen als Sieger vom Platz und konnten ihr Resultat, verglichen mit der letzten Wahl 2018, leicht verbessern. „Durchregieren“ wie in früheren Jahrzehnten können sie freilich schon lange nicht mehr. Magdalena Andersson und ihr blasser Amtsvorgänger Stefan Löfvén hielten sich nur noch mit fragilen Minderheitsregierungen über Wasser (gewählt ist in Schweden ein Ministerpräsident, wenn die Mehrheit der Abgeordneten nicht gegen ihn stimmt). Im November 2021 scheiterte sogar die Zusammenarbeit mit den Grünen („Miljöpartiet“), die in Schweden notorisch klamm sind und mit einstelligen Ergebnissen herumdümpeln. Seitdem verfügt die amtierende Regierung nur noch über ein reichliches Viertel der Stimmen im Reichstag. 

Zweitstärkste politische Kraft mit mehr als 20 Prozent der Stimmen wurden am Sonntag die einwanderungskritischen Schwedendemokraten („Sverigedemokraterna“, SD) mit ihrem jungen und charismatischen Parteichef Jimmie Åkesson (Foto oben). Mit einem furiosen Endspurt zogen sie an der Moderaten Sammlungspartei („Moderata samlingspartiet“, in etwa der CDU vergleichbar) unter Ulf Kristersson vorbei, die wie erwartet Federn lassen musste. Åkesson (43), der Politikwissenschaft, Philosophie und Recht an der Universität Lund studiert hat, ist seit 2005 Chef der Schwedendemokraten. Er hat die Partei modernisiert und für breite Schichten attraktiv und wählbar gemacht.

2010 zog sie mit 5,7 Prozent erstmals in den Reichstag ein, seitdem geht es bergauf. Das neue SD-Parteisymbol ist eine blühende Blume in Schwedens Farben blau-gelb, die alte brennende Fackel wurde ausrangiert. Im südschwedischen Sölvesborg, wo er aufgewachsen ist, engagierte sich Åkesson in der Kommunalpolitik. Schaut man sich Fotos seiner Veranstaltungen an, fällt auf, wie jung das Publikum ist. Åkesson lässt keinen Zweifel daran, dass Schwedens Probleme nur mit einer restriktiveren Einwanderungspolitik gelöst werden können. Außerdem sollen die exorbitant hohen Steuern verringert, der Mittelstand entlastet und Familien mit Kindern stärker gefördert werden. 

Ähnlich wie in Deutschland die „Schwefelpartei“ (Michael Klonovsky) AfD wurden die Schwedendemokraten im Königreich vom politisch-medialen Machtkartell jahrelang mit einer Kontaktsperre belegt. Jede Zusammenarbeit mit ihnen war tabu. Deshalb gelang es den Sozialdemokraten immer wieder, linke Minderheitsregierungen zusammenzuzimmern. Dieses Prozedere hat Ulf Kristersson, der Chef der Moderaten und Führer des konservativen Oppositionsbündnisses, jetzt offenbar gründlich satt.

Um Premierminister werden zu können, will er sich im Fall einer rechten Mehrheit (mit Liberalen und Christdemokraten) auch von den Schwedendemokraten unterstützen lassen. SD-Parteichef Jimmie Åkesson beansprucht für diesen Fall allerdings die direkte Beteiligung an der Regierung. Soweit ist es freilich noch nicht. Noch steht nicht fest, ob das rechte oder das linke Bündnis (Sozialdemokraten mit Grünen, Linken und Zentrumspartei) die Nase vorn haben und die Mehrheit der 349 Sitze im schwedischen Reichstag erringen werden. Der Stimmenunterschied ist hauchdünn. Das finale Ergebnis ist für Mittwoch angekündigt.

 

Nachtrag vom 30.9.2022:

Paul M. Seidel schreibt hier unter einem Pseudonym. Er ist Journalist mit Schwerpunkt Außenpolitik/Internationale Beziehungen/Reisen. Lebt in Berlin.

Foto: Sverigedemokraterna/Jimmie Åkesson CC BY 3.0, via Wikimedia Commons

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Thomin Weller / 13.09.2022

Was vielen Menschen nicht bewußt ist, ist die Tatsache das in Deutschland sämtliche Rathäuser neoliberale Profit Center geworden sind. Es geht absolut nicht mehr um die ansässige gelebte Kultur, Wirtschaft, es geht um den schnöden Mammon, jedes Jahr min. 20% höhere Gewinne. Es geht auch nicht um den Fachkräftemangel was schon mehrfach widerlegt wurde z.B. Gerd Bosbach. Es geht um die Zerstörung der Lohngefüge bei gleichzeitiger Geldgier des Berufsbeamtentum nebst Politiker-Börse. Damit auch Schwächung sämtlicher sozialen Positionen. Dazu—> “Prof. Annie Lacroix-Riz: (Europa) Eine “beispiellose Erfolgsgeschichte”, sicherlich; denn das “europäische Einigungswerk”, das zwei oder drei Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges offen gefordert worden war (die Idee stammte allerdings aus der Zeit unmittelbar nach dem Ende des Ersten Weltkrieges), zielte auf die komplette Freizügigkeit des Kapitalverkehrs und auf eine rigorose Deflationspolitik bei den Löhnen ab, und diese beiden grundlegenden Ziele - die einzigen, die die Vertreter des Finanzkapitals aus Frankreich, Deutschland und den übrigen Ländern wirklich interessierten, was sie ab 1948/49 privat unumwunden zugaben - wurden vollständig verwirklicht.” Genau aus dem Grund steht auch die CDU hinter der hemmungslosen Migration, die AfD, tief versteckt ebenso.

lutzgerke / 13.09.2022

Die erfolgreiche Migration hat den Krieg verhindert. Die Altparteien wagen es tatsächlich, die Völkerwanderung als Friedensprojekt zu verklären. Was in diesem Land immer gefehlt hat, war der deutliche Bezug zu Grundgesetz, Strafrecht und zum Völkerrecht, welches dem Grundgesetz im Zweifelsfalle vorgeht. Statt dessen hatte sich die AfD zu diesem blödsinnigen Links-Rechts-Hickhack hinreissen lassen und hat überhaupt nicht geblickt, daß das ihre Chancen ausdünnen und würde und sie schließlich an die Wand nagelt. Die Schwedendemokraten haben sich modernisiert, die AfD hatte es umgekehrt gemacht, modern gestartet, um sich dann mit einem Putsch gegen Lucke ins reaktionäre Abseits zu katapultieren. Der neoliberale Günter Lachmann hatte Absichten bei der AfD und mit Springers Welt hat der den Putsch gefördert. Die Tagesschau war dabei, das Handelsblatt, die ganze Jubelpresse hat gegen Lucke und FÜR Petry geschrieben. Wie verblödet muß man sein, als Partei-Basis auf den Zug aufzuspringen und Lucke rauszuwerfen? Wo ist Petry jetzt? Könnte es sein, daß die Partei unterwandert ist z.B. von Höcke und Gauland, die die idealen Projektionsflächen hergeben für die Jubelpresse? Ich denke, das Desaster sollte aufgearbeitet werden, um sich gegen zukünftige Irrtümer zu immunisieren. Zu den Zeit waren eine Menge Einflußagenten, wahrscheinlich Gewerkschafter, Parteimitglieder, Jubeljorunalisten im Netz unterweges, Trolle halt. Und die haben die Märe verbreitet, die AfD sei ein Täuschungsmanöver und Ableger der CDU. Damit hat man genau den Mann demontiert, der Merkel die größte Angst gemacht hat, der plötzlich in der EVP zwischen ihr und Cameron Platz nahm. Bernd Lucke.  / Hilfspakete, das erinnert irgendwie an die 3. Welt?

Fred Burig / 13.09.2022

@Richard Loewe:”... Die Achse ist tief gesunken und ich als Leser der ersten Stunde gehe inzwischen mit Bangen auf die Seite…”  Kopf hoch, Herr Loewe - ist vielleicht nur ein kleiner “Achsenbruch”! Es sind ja auch immer nur Menschen, die sowas bewirken! Deren Fehlbarkeit ist naturgegeben - egal ob nun durch Einfältigkeit, Unwissen oder gar materielle Abhängigkeiten verstärkt - es ist halt so! MfG

A. Ostrovsky / 13.09.2022

@Michael Müller : Kaum ziehe ich mich mal ein paar Tage zurück, schon lassen Sie hier die Sau raus.

Sam Lowry / 13.09.2022

Da ich nicht damit rechne, dass die AfD Regierungsverantwortung bekommen wird, habe ich mir Teelichtofen, Schlafsack und diverse andere Dinge gebaut und bei Ämason gekauft. Trink-Wasser im Keller gebunkert. Tütensuppen und Konserven dazu. Tauchsieder fürs Auto (5 Euro inkl. Versand). Nur, was helfen mir dieser eine oder maximal 2 Monate nach dem totalen Zusammenbruch der Gesellschaft??? Danach bin ich genauso am Ende wie das doitsche Schlafschaf 2 Monate vorher… Preppen ist doch irgendwie schwachsinnig…

Michael Scheffler / 13.09.2022

@A. Buchholz: Nicht wahr, die Achse ist so wahnsinning objektiv. AfD + Putin = Gottseibeiuns.

Michael Scheffler / 13.09.2022

Gut, dass es Leute wie Dich gibt - Karol Bayer - die ALLES relativieren. Reicht es nicht, dass schwedische Polizeichefs den Frauen in bestimmten Gegenden raten, nach dem Dunkelwerden nicht mehr auf die Straße zu gehen. Reichen nicht die Bandenkriege etc.? Nur, dass es woanders NOCH SCHLECHTER ist, sagt nichts darüber aus, dass es gut ist!

K. Nerweiß / 13.09.2022

@ Jochen Lindt. ,,In Schweden klappte das nur deshalb nicht, weil die dortige CDU nicht mehr mitspielen konnte, ohne unterzugehen.  Im Umkehrschluss bedeutet das für Deutschland, dass die CDU-Ergebnisse erst noch schlechter werden müssen, damit es besser (also demokratischer) wird.” Genau! So wurde auch die migrationspolitische Wende bei der SPD eingeleitet und ließ sie wie Phönix aus der Asche zu alter Stärke wiederauferstehen. Sie steht heute weit rechts von der AfD. Also die Sozialdemokratische Partei Dänemarks.

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