Manfred Haferburg / 25.04.2022 / 16:00 / Foto: Remi Jouan / 39 / Seite ausdrucken

Während Macron feiert, erschießt die Pariser Polizei zwei Männer

In ihrer Euphorie über Macrons Wahlsieg glauben die deutschen Journalisten, dass sie nun für fünf Jahre bezüglich Frankreichs aufatmen können. Es kann sich aber herausstellen, dass die Galgenfrist für Macron nur sehr kurz ist.

Sigmund Freud hätte bei dieser Wahl seine helle Freude gehabt. Die Franzosen mussten sich entscheiden, zwischen einer Kandidatin, die ihren Vater „politisch ermordete“ und einem Kandidaten, der seine „soziale Mutter“ heiratete.

Während Macron und seine Anhänger auf dem Marsfeld am Eiffelturm den Wahlsieg zelebrierten, geschahen unter dem Radar der Erleichterung ein paar äußerst seltsame Dinge in Frankreich. Normalerweise wäre über diese Geschehnisse exklusiv berichtet worden. Doch in diesem Falle gab es nur kleine Meldungen – nichts, aber auch gar nichts sollte Macrons Sieg eintrüben. 

Polizisten haben auf der Pont Neuf, zwei Kilometer von der Siegesfeier im Zentrum von Paris entfernt, auf ein Auto geschossen, das versucht haben soll, sie zu rammen. Die Pont Neuf befindet sich in der Nähe des berühmten Louvre-Museums. Sie überspannt die Seine-Insel Île de la Cité, auf der sich unter anderem die Kathedrale Notre-Dame befindet. Die Beamten wollten das Auto kontrollieren, weil es auf der Brücke Pont Neuf in die falsche Richtung fuhr. Anstatt zu stoppen, soll der Fahrer auf die Polizisten zugehalten haben. Daraufhin eröffneten die Beamten das Feuer. Dabei wurden zwei Insassen des Fahrzeugs erschossen und ein dritter verletzt. Die Polizei sieht allerdings keinen Zusammenhang mit der Wahl und hat Ermittlungen gegen die „Männer“ aufgenommen, aber auch gegen die Polizisten.

Die Cola-Flaschen im Einkaufswagen nachzählen

In mehreren Städten in Frankreich hat es nach dem Ausgang der Präsidentschaftswahl am Sonntagabend Proteste gegeben. In Paris und in Lyon kam es zu Zusammenstößen zwischen linken Gruppen, „Gelbwesten“-Demonstranten und der Polizei, Feuerwerkskörper flogen gegen die lokale Polizei. Schließlich musste die Police National einschreiten.

Frankreich ist in drei gleich starke Lager gespalten, die Begriffe „rechts“ und „links“ verlieren ihren Inhalt. Das ehemalige Lager der „Mitte“ ist bedeutungslos geworden. Die konservative Kandidatin Pecresse – nach eigener Aussage „zwei Drittel Merkel und ein Drittel Thatcher“ scheiterte an der Fünfprozenthürde. Auch die Grünen scheiterten daran.

Das „ehemals linke“ Lager besteht heute aus vielen wirtschaftlich schwachen Franzosen, zu denen auch viele integrierte Zuwanderer gehören. Diese Menschen leiden unter den Auswirkungen der Inflation und sind daher eher skeptisch gegenüber der Politik der Europäischen Zentralbank. Sie haben viele Gemeinsamkeiten mit dem ehemals „rechten“ Lager, die unter den unhaltbaren Zuständen leiden, die durch eine illusionäre Migrationspolitik in großen Teilen des Landes hervorgerufen wurde. Dazu gehören auch bürgerliche Franzosen, die sich in ihrem traditionellen Wertekodex angegriffen fühlen.

Dazu kommt der Frust, den Macrons völlig überzogene Corona-Politik erzeugt hat. Diese hat viele Franzosen hart getroffen, besonders in den großen Städten. Eine der Ursachen ist, dass die französischen Ordnungskräfte effektiv arbeiten und auch unsinnige Maßnahmen wie Passierscheinpflicht oder das Verbot, mehr als „Dinge des täglichen Bedarfs“ einzukaufen, in den Städten rigoros durchsetzten. Es konnte passieren, dass Polizisten die Cola-Flaschen im Einkaufswagen nachzählten oder Joggern mit dem GPS eine zu große Entfernung zur eigenen Wohnung vorwarfen, weil nur ein Kilometer gestattet war.

Macron hat die Spaltung sogar vertieft

Macron hat für die französischen Eliten und ihre abgehobene Politik eine Galgenfrist erkämpft. Jedoch sitzt Macron zwischen allen rinken und lechten Stühlen und hat die Sisyphos-Aufgabe, das Land wieder zusammenzuführen. Dazu braucht er Geld, auch Steuergroschen aus Deutschland. Dies erklärt seine Affinität zur Achse Paris–Berlin. Deutsche Journalisten sind diesbezüglich eher naiv und glauben, dass Macron ein überzeugter Europäer ist, weil sie im alten Lagerdenken verhaftet sind.

Macron hat es in den vergangenen fünf Jahren nicht geschafft, die Spaltung der Gesellschaft zu überwinden. Im Gegenteil hat er sie sogar vertieft, deswegen gibt es u.a. die Gelbwesten. Und erst die gewaltsamen Ausschreitungen brachten die Macron-Oligarchie zum Einlenken. Es bleibt zu hoffen, dass Macron gelernt hat und wenigstens das Land nicht noch einmal mit einer neuen Welle unsinniger Corona-Maßnahmen überzieht.

In ihrer Euphorie über Macrons Wahlsieg glauben die deutschen Journalisten, dass sie nun für fünf Jahre bezüglich Frankreichs aufatmen können. Es kann sich aber herausstellen, dass die Galgenfrist für Macron nur sehr kurz ist.

In Frankreich findet voraussichtlich am 12. und 19. Juni 2022 eine Parlamentswahl statt. In zwei Wahlgängen werden die 577 Abgeordneten der 16. Nationalversammlung der Fünften Republik bestimmt. Auch wenn der französische Präsident traditionell mit fast monarchischer Machtfülle ausgestattet ist, braucht Macron eine Parlamentsmehrheit, um zu regieren. Ob die unter den gegenwärtigen Bedingungen zusammenkommt, ist jedoch mehr als fraglich.

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Leserpost

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Silas Loy / 25.04.2022

@ Hjalmar Kreutzer und @ P. Wedder - Im Vereinigten Königreich gibt es diese Hetze “gegen Rechts” und diese alternativlose Lechts-Rinks-Politik nicht, dort haben die liberal-konservativen Torys eine starke Mehrheit. Für den Brexit und nach dem Brexit. Man war sogar in der Lage die unfähige May abzuservieren und den Knoten endlich durchzuhauen. Im Merkelland der devoten Politschranz*innen undenkbar. Und in Frankreich sind die Konservativen seit Fillon, dem man übel mitgespielt hat, marginalisiert und teilweise vom RN, aber eben auch diesem No-Name-Kai-aus-der-Kiste Macron absorbiert worden. In Deutschland und Frankreich sind die konservativen Kräfte überwältigt worden, obwohl beide Völker eigentlich auch konservative Mehrheiten haben. Durch die Migration soll vermutlich dieser Zustand verfestigt werden und Chaos entstehen, das einen starken Rinksstaat erforderlich macht, der sich dann immer weiter ermächtigen kann. Die Lechtsfaschistoiden haben hier wie dort politisch, medial und institutionell die Oberhand gewonnen.

PeterBernhardt / 25.04.2022

Eine “soziale Mutter heiraten” ist eine sozialromantische Fata Morgana von Muttersöhnchen. Die beste Amme ersetzt keine Mutter. Typischerweise wird ein Muttersöhnchen als passiv und kindisch wahrgenommen, der Konflikte mit anderen meidet.

Frank Baumann / 25.04.2022

“Während Macron feiert, erschießt die Pariser Polizei zwei Männer” Und? Wen stört das? Die Franzosen offensichtlich nicht. Bestellt - geliefert. Wie bei uns. Die Mehrheit hat gewählt, obwohl auch schon wieder ein paar Stimmen zu fehlen scheinen. Und ernsthaft: Hat es hier wirklich Leser gegeben, die an diesem offiziellen Ergebnis gezweifelt haben?

Richard Loewe / 25.04.2022

na klar hat Schwabs Bube in der Corona-Zeit gelernt: wie man den Faschismus (lt. Mussolini Verschmelzung von Staat und Industrie) implementiert. Die Europäer können sich nicht vorstellen, daß Freiheit weg sein kann. Macron wird die Franzosen eines besseren belehren.

T. Schneegaß / 25.04.2022

“Es bleibt zu hoffen, dass Macron gelernt hat und wenigstens das Land nicht noch einmal mit einer neuen Welle unsinniger Corona-Maßnahmen überzieht.” Natürlich wird er das spätestens im Herbst wieder tun, wie fast die gesamte “Wertegemeinschaft”. Und zwar so, dass die vergangenen Maßnahmen im Rückblick wie ein Wellness-Aufenthalt wirken. Warum sollte er auch nicht, das Endziel ist noch lange nicht erreicht und die Franzosen haben ihn für den ersten Durchgang gerade geehrt.

Thorsten Gutmann / 25.04.2022

Wenn Sie sich da in Bezug auf die kommende Wahl mal nicht irren, geschätzter Herr Haferburg. Am Ende des Tages sind unsere linksrheinischen Nachbarn genauso “brav” wie die Menschen in Deutschland. Es gehört für mich sowieso zu den ganz dicken Klischees, auf der einen Seite immer wieder die große Aufmüpfigkeit und das Zuhause der Revolution auszumachen, während bei uns natürlich der reine Untertanengeist seine Heimstatt hat. Es ist eine besonders beliebte Spielwiese von und charakteristisch für Intellektuelle/n. Und total falsch ist es ja auch nicht, vor allem dann nicht, wenn man sich den passenden Mikrokosmos bastelt. Betrachtet man aber die große Zahl, dann schrumpfen diese angeblich so deutlichen und in Stein gemeißelten Unterschiede doch wieder beträchtlich - wenn auch sicher nicht restlos. Dennoch,  Sie sind natürlich der “Fachmann”, nicht zuletzt sind Sie auch viel näher am Puls des Geschehens. Ich habe mir lediglich einmal erlaubt, ins “Unreine” zu sprechen - spielbeinmäßig sozusagen.

P. Wedder / 25.04.2022

Muss mich damit abfinden, dass ich als liberal-konservativer Bürger (so nannte man das vor 20 Jahren noch) inzwischen einer Minderheit angehöre…

Chr. Kühn / 25.04.2022

“Dazu kommt der Frust, den Macrons völlig überzogene Corona-Politik erzeugt hat. Diese hat viele Franzosen hart getroffen, (...)” Na ja, dann wurden halt immer noch nicht genügend Franzosen immer noch nicht genügend hart getroffen. So wie hier auch. Aber mei, c’est la vie, Sellerie. Man möge mir die folgende krasse Metapher nachsehen: in der Porno-Industrie gibt es das “spit-roasting”. Das heißt, ein jemand (m/w/d) wird, öhm, oben *und* unten so richtig Sie-wissen-schon-was. Ich orakle, daß eine Real-Welt-Version davon sehr bald vielen Europäern (m/w/d) bevorstehen wird. Allerdings wohl ohne viel Lustgefühl/-gewinn.

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