Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 13.09.2007 / 15:04 / 0 / Seite ausdrucken

Wachstum, die Wurzel allen Übels

Für welche Sünden in meinen früheren Leben er mich damit bestrafen wollte, entzieht sich meiner Kenntnis. Aber einer Bestrafung für gröbste Verfehlungen gleich kam die Bitte meines Chefs, ich möge doch einmal zu der Vorstellung des Berichts zur Steigerung der Lebensqualität gehen, den die konservative Programmkommission für ihren Parteichef David Cameron angefertigt hatte.

So fand ich mich heute Morgen im Auditorium des königlich britischen Architekturinstituts, um den Ausführungen des früheren Umweltministers John Gummer MP, Chef der Lebensqualitätsabteilung der Partei, und seines Vize Zac Goldsmith, seines Zeichens Herausgeber des “Ecologist”, zu folgen. Das Publikum wirkte für konservative Verhältnisse bereits ungewöhnlich, denn es bestand fast ausschließlich aus Vertretern britischer Umweltorganisationen wie Greenpeace, Friends of the Earth und World Wildlife Fund. Und noch ungewöhnlicher: Die Ökoaktivisten lobten den konservativen Bericht in den höchsten Tönen.

Was steht also drin, in diesem DIN A4-großen Buch mit 547 Seiten Hochglanzpapier, neben dem die Bibel wie eine leicht verdauliche Pausenlektüre wirkt? Ganz einfach: Von allem eigentlich das Gegenteil, woran die Konservativen in der Vergangenheit jemals geglaubt hatten. Straßen- und Flughafenbau sind schlecht, Wohnungsbau sollte auf ein Minimum reduziert werden und möglichst wenig Land verbrauchen, der Bekämpfung des Klimawandels müssen sich alle anderen Politikbereiche unterordnen, die Gesellschaft ist alles, der Einzelne nichts.

Und wenn man sich nun fragen sollte, womit diese Positionen begründet werden, so wird man gleich auf den ersten Seiten des Berichts auf die Wurzel allen Übels aufmerksam gemacht. Das Problem unserer Zeit lautet Wirtschaftswachstum. Ja, ganz richtig gelesen. Wirtschaftswachstum ist gefährlich, denn es macht uns nicht glücklicher, sondern führt uns direkt ins Unheil. Aber lassen wir das den Bericht doch einmal in seinen eigenen Worten sagen:

“Beyond a certain point – a point which the UK reached some time ago – everincreasing material gain can become not a gift but a burden. As people, it makes us less happy, and the environment upon which all of us, and our economy, depend is increasingly degraded by it.”

Eine Aussage so unglaublich, dass man sie sich noch einmal auf der Zunge zergehen lassen sollte: Die Autoren behaupten, dass das Vereinigte Königreich längst jenen Punkt hinter sich gelassen habe, an dem Wirtschaftswachstum der Bevölkerung noch einen zusätzlichen Nutzen eingebracht hätte. Es wäre interessant, von den Konservativen zu erfahren, wann denn dieser Punkt erreicht war: vor zehn, zwanzig oder dreißig Jahren? Und noch mehr würde mich interessieren, was aus so einer Feststellung folgt: Wenn es damals eigentlich besser war, weil wir als Nation ärmer waren, wie kommen wir dann wieder in die gute alten Zeit zurück? Wie können wir unsere Wirtschaft wieder gesund schrumpfen?

Eines sollte jedoch klar sein: Wenn Wirtschaftswachstum eigentlich ein Gift ist, das die Gesellschaft und die Umwelt gleichermaßen gefährdet, dann kann die Schlussfolgerung nur lauten, möglichst wenig zu wachsen. Wenigstens in dieser Hinsicht ist der Bericht konsequent, denn er schlägt derart massive umweltpolitische Regulierungen vor, dass Wirtschaftswachstum praktisch ausgeschlossen wäre.

Aber eine Kleinigkeit kam mir dann doch merkwürdig vor. Während ich so im Publikum saß und mir Mr Gummer, Mr Goldsmith und all die übrigen Parteigrößen ansah, so konnte ich mir kaum vorstellen, dass sie ihren eigenen materiellen Wohlstand als Problem betrachteten. Der auf 200 Millionen Pfund Sterling geschätzte Mr Goldsmith wohl kaum. Und auch John Gummer in seinem eleganten Anzug, der neben seinem Abgeordnetenmandat noch sieben weitere bezahlte Nebenjobs dem Parlament mitteilen musste, machte nicht den Eindruck, als würde er sich nach einem Leben ohne Luxus zurücksehnen. Wenn man die Herren Goldsmith und Gummer so betrachtete, dann konnte man den Eindruck gewinnen, dass das Wirtschaftswachstum der Vergangenheit für manche Menschen nicht unbedingt eine Belastung gewesen sein dürfte. Doch immerhin wissen Gummer und Goldsmith somit, wovon sie sprechen, wenn sie dem Rest der Bevölkerung wachstumspolitische Enthaltsamkeit empfehlen. Das heißt, Goldsmith kann es eigentlich nicht wirklich wissen, denn als Erbe reicher Eltern war er schließlich nie in seinem Leben arm oder auch nur nicht reich.

Die konservative Parteiführung zeigte sich übrigens hocherfreut über diesen bahnbrechenden Bericht. Viele der dort gemachten Empfehlungen würden in zukünftige Wahlprogramme einfließen. Fehlt eigentlich nur noch die Umbenennung der Tories in Partei für die Schrumpfung der britischen Wirtschaft. Aber darauf werden sie auch noch kommen.

Mein Chef wusste übrigens ganz genau, was er mir mit seiner Bitte angetan hatte. Als ich nach der Veranstaltung zurück ins Büro kam, fragte er mich fürsorglich, ob sich mein Blutdruck inzwischen wieder gesenkt hätte und ob es wirklich so schlimm wie befürchtet war. Doch er sollte nicht allzu schadenfroh sein: ich habe ihm ein Exemplar des Berichts mitgebracht.

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