Im "Vorwärts", dem Parteiblatt der SPD, scheint der Wunsch der Vater des Gedanken zu sein. Einen Sieg Trumps kann es nicht geben, weil es ihn nicht geben darf.
Dass alle in der SPD sich einen Sieg von Kamala Harris wünschen, war klar. Parteichef Lars Klingbeil flog extra zum Nominierungsparteitag der Demokraten und berichtete mit glühendem Eifer, was man alles von Kamala und den Demokraten lernen könne.
Obwohl alle Umfragen ein äußerst knappes Ergebnis vorausgesagt hatten und die Umfragen eher parteiisch für die Demokraten gestaltet sind, wie vorherige US-Wahlen zeigten, war man sich beim Vorwärts zu sicher, um im Konjunktiv zu schreiben:
"Warum Kamala Harris die Wahl gewinnen wird" hieß es gestern, am 5. November 2024, dem Tag der Wahl. Der Schreiber, Knut Dethlefsen, war sich seiner Sache ganz sicher, schließlich war er von 2018 bis 2024 für die Friedrich-Ebert-Stiftung in Washington D.C., jenem Wolkenkuckucksheim, wo über 90 Prozent die Demokraten wählen. Auch ein Fall von Hauptstadtblasen-Benebelung?
Die Argumente für Harris‘ Sieg gemäß dem Vorwärts:
Trump ist ein Mann von gestern. Donald Trump ist nicht mehr der Neue, der alles richten wird. Klar, er begeistert noch seine Anhänger*innen, aber seine dunkle und geradezu dystopische Version des Landes, die er inkohärent in langatmigen Triaden auf seinen Kundgebungen darbietet, spiegelt nicht die Zukunft wider, die sich US-Gesellschaft wünscht. Die Mehrheit der Amerikanerinnen und Amerikaner ist dabei, sich gerade von Donald Trump und den Republikanern abzuwenden. Seit 20216 (sic!) hat sich ein massiver Widerstand gegen Trump und den Trumpismus herausgebildet.
Ein Mann, der ein besseres Gestern repräsentiert, wo es den Bürgern besser ging. Aber für Sozialisten ist die Vergangenheit immer schlecht und muss für die Zukunft alles anders werden.
In den letzten Wochen des Wahlkampfes hat Trump noch einmal gezeigt, dass er im Grunde gegen die Interessen der Mehrheit arbeitet und fast alle Gesellschaftsgruppen beleidigt. Vor allem hat er aber präsentiert, dass er ganz grundsätzlich nicht geeignet ist, noch einmal Präsident der USA zu werden. Damit mobilisiert er seine Gegner*innen. Die Mehrheit will nicht zurück zu einer verbalen Dampfhammerpolitik, die die Gesellschaft in ständiger Aufregung hält und die Spaltung weiter vorantreibt.
Die Interessen der Mehrheit sind eben nicht das, was man in links-grünen Hauptstadtkreisen dafür hält. Sichere Grenzen, Bändigung der Inflation, weniger Steuern, ein eigenes Haus, eine sichere Umgebung, das wünscht sich nicht nur die Mehrheit der Amerikaner, sondern eigentlich aller Menschen, vermutlich auch in Deutschland. Und im Beleidigen von Gesellschaftsgruppen stehen die Demokraten den Republikanern nicht nach, Stichwort „garbage“ und „basket of deplorables“.
Daher hat der Wahlkampfslogan von Kamala Harris „We are not going back.“ eine solche Kraft entfaltet. Auch wenn die US-Politik in ihrer Dramatik kaum zu überbieten ist und marktschreierisch daherkommt, so sind die USA immer auch noch ein Land der Aufklärung und die US-Gesellschaft wird nicht denselben Fehler zweimal begehen.
Richtig, die US-Gesellschaft wird nicht denselben Fehler zweimal begehen und noch mal für Biden/Harris stimmen, die besonders unbeliebt sind und schlechte Politik für alle außer ein paar Lobbygruppen gemacht haben. Auch wenn Harris immer so tat, als sei sie jemand ganz Neues und stehe für den Anbruch von besseren Zeiten, wussten die Amerikaner sehr wohl, woher sie kam und wer sie ist.
Ein Sieger, der immer verliert
Donald Trump hat seit 2016 nicht nur keine einzige Wahl gewonnen, er hat jede Wahl verloren. Selbst in der Zwischenwahl von 2022, bei der er selbst gar nicht auf dem Wahlzettelstand stand, hat er sich massiv in die Kandidatenaufstellung bei den Republikanern eingebracht und somit dafür gesorgt, dass die Republikaner auch diese Wahl klar verloren. Trump schafft es nicht, mehr als 47 Prozent der Stimmen auf sich zu vereinen. Und es ist auch heute sicher, dass er nicht die Mehrheit der Wahlstimmen erhalten wird. Nur eine bestimmte Konstellation knapper Wahlsiege in den sogenannten Swing States könnte ihm den Wahlsieg bescheren. Dass Trump dieses Kunststück wieder gelingt, ist unwahrscheinlich. Diese umkämpfen Bundesstaaten sind bei dieser Wahl die Staaten Pennsylvania, Wisconsin, Michigan, Georgia, North Carolina, Arizona und Nevada.
Wie wir mittlerweile wissen, hat Trump nicht nur die Wahl zum Präsidenten haushoch gewonnen, sondern ALLE Swing States und den Senat (und wahrscheinlich auch das Repräsentantenhaus) und sogar das popular vote, ist also nach allen Maßstäben der legitime Sieger. Und einfach zu behaupten, er hätte die Zwischenwahlen verloren, bedarf einer genaueren Analyse, schließlich stand er, wie man im Vorwärts messerscharf kombiniert, nicht auf dem Wahlzettel. Und die Wahl von 2020 war, um ein beliebtes Wort der Presse zu benutzen, „umstritten“ und fand unter dem Corona-Ausnahmezustand statt.
Kamala Harris und den Demokraten ist es auf der anderen Seite gelungen einen Wahlkampf von besonderer Schlagkraft zu organisieren. So viel Energie hat seit dem ersten Wahlkampf von Barack Obama nicht mehr gegeben. Die Demokraten weisen die Republikaner nicht nur zurück, sie überwinden die toxische und rassistische Politik von Donald Trump. Kamala Harris und Tim Walz werden siegen, weil sie glaubhaft machen können, dass sie das Leben der Mehrheit verbessern wollen. Sie stehen für eine fortschrittliche und optimistische Politik mit Augenmaß. Kamala Harris und Tim Walz treffen den richtigen Ton, indem sie vom „Wir“ sprechen und greifen gekonnt die Dynamik der US-Gesellschaft auf, die Sehnsucht nach Verbindendem. Freiheit und Gemeinschaft sind zentrale Begriffe ihres Wahlkampfes. Eine Gesellschaft des Respekts ist ihr Leitbild. Dahinter stehen zudem hunderttausende Demokratinnen und Demokraten, die real und mit dem Einsatz ihrer Zeit und Kreativität darum kämpfen, dass Kamala Harris zur ersten Präsidentin des Landes gewählt werden wird und zusammen mit Tim Walz reale Verbesserungen in der US-Gesellschaft erstreiten werden wird.
Hier lässt sich jemand blenden von den üblichen Rampenlicht- und Konfetti-Großkundgebungen der Demokraten voller Jubelperser und den üblichen Plattitüden für „you the people“. Verbesserungen versprechen alle Parteien. Selbstverständlich hat eine so große und mächtige Partei wie die Demokraten ihre Wahlkampfmaschinerie und ihre freiwilligen Helfer. Aber das hat die Gegenseite auch. Und die SPD übrigens auch, und die gewinnt auch keine Wahlen mit schlechter Politik. Und noch mal zum mitschreiben: Donald Trump ist nicht rassistisch, nur weil er ein alter weißer Mann ist. Und Kamala Harris ist nicht die vereinigende Heilsbringerin, nur weil sie eine dunkelhäutige, mittelalte Frau ist.
Nur die Demokraten können Wahlkampf
Allein am vergangenen Wochenende klopfen die Demokraten im wichtigsten der Swing States, in Pennsylvania, gezielt an 800.000 Haustüren. Diese Mobilisierung macht es wahrscheinlich, dass Kamala Harris Pennsylvania, Wisconsin und Michigan holen wird. Auch weil die Wahlkampfmaschine der Demokraten dort besonders gut geölt ist. Alle Wahlen der vergangenen Jahre konnten die Demokraten dort für sich entscheiden. Die nach der Parteifarbe der Demokraten benannte Blue Wall, die blaue Mauer, steht.
Aber auch die verbleibenden vier Staaten kann Harris gewinnen, muss sie aber nicht. Tut sie es doch, wird es ein Erdrutschsieg. Für den Wahlsieg braucht die amtierenden Vizepräsidentin lediglich 270 Stimmen im Kollegium der Wahlmänner und Wahlfrauen. Gewinnt sie die besagten drei Bundesstaaten, fehlt ihr nur noch eine Stimme. Diese wird sie sicher aus dem Bundesstaat Nevada erhalten. Dort werden die Wahlmänner und Wahlfrauen einzeln gewählt. Wer den Bundesstaat gewinnt, bekommt nicht automatisch alle Stimmen. So wie die Mehrheitsverhältnisse stehen, wird Kamala Harris sicher die Wahlstimme aus Omaha in Nebraska gewinnen.
Schöne Stimmenmathematik eines Erklärbären, aber das wissen die Republikaner auch. Und, wie schon oben geschrieben, die Wahlkampfmaschine, die Freiwilligen etc. haben sie auch.
Die Umfragen suggerieren, dass es ein Kopf-an-Kopf-Rennen wird, aber diese könnten wie so oft daneben liegen. Seit 2016 sind die meisten Umfrageinstitute sehr besorgt, sie könnten Trump unterschätzen. Sie neigen deshalb dazu, Umfragen zu seinen Gunsten zu gewichten. Es ist also gut möglich, dass Kamala Harris in den Umfragen strukturell zu schlecht abschneidet. Zumal sie in dieser Wahl die Neue und wahrscheinlich auch die Unterschätzte ist. Einen klaren Hinweis, dass dies so ist, hat es am vergangenen Wochenende in der sogenannten Iowa-Umfrage gegeben. Diese Umfrage konzentriert sich auf Iowa, wird methodisch anders durchgeführt und gewichtet als die meisten anderen Umfragen und gilt unter Expert*innen als besonders repräsentativ. Diese Umfrage sah Kamala Harris im Bundesstaat Iowa vorne – einem Staat, den das letzte Mal Präsident Obama gewonnen hat. Nun wird Kamala Harris vielleicht nicht einen so großen Sieg erringen, aber es wird ein wichtiger Trend aufgezeigt, nämlich dass unentschiedene Wählerinnen sich während der letzten Tage des Wahlkampfes für Kamala Harris entscheiden und ihr so zum Wahlsieg verhelfen werden.
Da klammert sich jemand bar jeder Logik an eine einzelne Umfrage in einem einzelnen Staat, die ganz gegen den Trend und die Erfahrung ist. Die viel aussagekräftigeren Umfragen von RealClearPolitics sagten etwas ganz anderes. Und weil die Umfragen die Republikaner immer unterschätzen, unterschätzen sie nun die Demokraten, alles klar?
Frauenstimmen zählen mehr
Es sind die Wählerinnen, die Kamala Harris tragen. Laut der Iowa-Umfrage werden zwei von drei Frauen mittleren und höheren Alters für Harris stimmen. Ihre Strategie, insbesondere Wählerinnen anzusprechen, wird aufgehen. Dafür ist die Vizepräsidentin eine Allianz mit der Republikanerin Liz Cheney eingegangen, die wochenlang durch das Land fuhr und gerade bei konservativen und unabhängigen Frauen darum warb, ihre Stimme für Harris abzugeben, zum Wohle des Landes und der eigenen Familie.
Auf der anderen Seite hat Donald Trump Frauen als Wählerinnen scheinbar aufgeben, indem er sich in immer neuen chauvinistischen Äußerungen ergeht. Zuletzt mit der Aussage, er werde als Präsident Frauen schützen, ob sie dies wollten oder nicht. Trump setzt auf junge Männer, die sich von der Politik nicht vertreten fühlen. Sie sind aber die unzuverlässigste aller Wählergruppen.
Kamala Harris wird gewinnen, weil sie die Hälfte der Wähler (Frauen) anspricht, und Trump wird verlieren, weil er die andere Hälfte (Männer) anspricht, verstanden? Und wieso sind junge Männer die unzuverlässigste Wählergruppe? Vielleicht die unbeliebteste Wählergruppe bei den linken Parteien, weil sie für sich und ihre Familie etwas aufbauen müssen und keine Zeit für Luxusthemen haben.
Frauen wollen keine Sicherheit und keinen Schutz, sondern Selbstverwirklichung? Sicher in den reichen Vierteln von Washington, D.C., ansonsten behaupte ich mal, das viele Frauen instinktiv Sicherheit suchen, mehr noch als Männer. Und ausgerechnet die erzkonservative Kriegstreiberin Liz Cheney, eigentlich ein Schreckgespenst der Progressiven und Linken, soll jetzt die Stimmen für Harris einbringen? Wie überzeugend ist das denn? Cheney hat eine persönliche Fehde mit Trump, sonst nichts. Und in ihrem Heimatstaat Wyoming war Trump mit am stärksten…
In den letzten Wochen des Wahlkampfes hat Kamala Harris ungeheure Unterstützung von außerhalb der Politik erfahren. Eine solch breite Parteinahme hat es in einer Präsidentschaftswahl bisher nicht gegeben. Superstars aller Genres mit ungeheurer Reichweite werben massiv für ihre Kandidatin. Neben dem viel beachteten Auftritt von Beyoncé mit Kamala Harris in Texas hat sich zum Beispiel der bekannte Reggaeton-Sänger Bad Bunny bei den Unterstützern eingereiht. Der junge Künstler stammt ursprünglich aus Puerto Rico und hat eine Reichweite von 60 Millionen Hörerinnen und Hörern auf Spotify, erreicht also auch unpolitische Teile der US Gesellschaft.
Na, was für eine Überraschung! Bei jeder Wahl unterstützen die üblichen Verdächtigen, die großen Sänger, Schauspieler, Showmaster, Künstler etc, also fast ganz Hollywood, die Demokraten. Das ist längst eingepreist. Sie haben viele Anhänger, aber nur weil jemand Taylor Swifts Musik mag oder Oprah Winfrey im Fernsehen ansieht, muss er ihr nicht als politischer Anführerin folgen. Zumal alle wissen, dass dies schwerreiche Eliten sind, die sich die Politik der Demokraten leisten können.
Donald Trump und seine Mitstreiter*innen haben hingegen nur auf seiner viel beachteten Kundgebung in Madison Square Garden in New York City am vorletzten Wochenende des Wahlkampfes einen Reigen von Anfeindungen und Beleidigungen gegen mehr als die Hälfte der USA auf den Weg gebracht. Trump nannte die Veranstaltung ein „Fest der Liebe“, doch fast jede Bevölkerungsgruppe konnte sich von sechs Stunden Ausgrenzung, Hass und Irrsinn angegriffen fühlen und das kurz vor dem heuten Wahltag. Die Quittung für diese Form von Politik wird Trump heute dafür erhalten. Kamala Harris dagegen wird nicht nur die Wahl gewinnen, sondern auch die USA und damit auch die Republikaner von Trump befreien und den Weg frei machen für neue Politik in der amerikanischen Gesellschaft. Die Welt wird aufatmen können.
Ja, die Quittung wird Trump erhalten und die Welt wird von ihm befreit werden. Kamala, führe uns ins gelobte Land. Joooooy cometh in the moooorning! Halleluja!
Sebastian Biehl, Jahrgang 1974, arbeitet als Nachrichtenredakteur für die Achse des Guten und lebt, nach vielen Jahren im Ausland, seit 2019 mit seiner Familie in Berlin.