Alles Geschwafel von Solidarität, Gemeinsamkeit, Hilfe in Notzeiten, Schlimmeres verhüten: nutzt nix. Wer in ein Gläubigerverhältnis mit einem Schuldner tritt, über dessen Umgang mit Geld er keinerlei Kontrolle hat, ist mit dem Klammerbeutel gepudert.
Oder einfach: Wenn Deutschland noch mehr Schulden vergemeinschaftet als sowieso schon, wird’s noch bitterer für den deutschen Steuerzahler. Hilfe für die schwer vom eigenen Versagen und vom Corona-Virus geschlagenen Staaten Italien und Spanien? Ja, reicht denn eine runde Billion bei den Target-2-Salden noch nicht? Dafür steht nämlich Deutschland sowieso schon grade, während Italien und Spanien hier die größten Schuldner sind.
Oder man kann’s sogar noch einfacher halten: Der „Spiegel“-Chefredakteur Steffen Klusmann beschimpft Deutschland als „unsolidarisch, kleingeistig und feige“. Denn, so behauptet der Wirtschaftsjournalist: „Zu Coronabonds gibt es in der Krise keine Alternative.“ Daraus kann auch der finanztechnische Laie schließen: Zur erbitterten Gegenwehr gegen Coronabonds gibt es keine Alternative. Immerhin schützt den deutschen Steuerzahler der Satz von Kanzlerin Merkel, dass es zu ihren Lebzeiten keine Eurobonds geben werde. Da wünschen wir ihr ein langes Leben.
Bewertungen im Auftrag des Bewerteten
Im Zusammenhang mit solchen brandgefährlichen Denkspielen kommen immer die Rating-Agenturen ins Spiel. Da mag der Laie meinen, dass die mit großem Sachverstand, neutral und unbestechlich Auskunft über die Bonität, also die Zahlungsfähigkeit einer Firma oder sogar eines Staates geben.
Leider liegt er gewaltig falsch. Die großen Drei, Moody’s, Standard & Poor's und Fitch, beherrschen rund 90 Prozent des weltweiten Bewertungsmarkts. Sie erhielten 1975 von der US-Börsenaufsicht den Ritterschlag „national anerkannte statistische Rating-Agenturen“. Und seither hängt von ihren Bewertungen das Sein oder Nichtsein von Firmen, ja, von ganzen Staaten ab. Denn wer ein AAA bekommt, die Bestnote bei allen drei, gilt als bombensicher, stockseriös und erstklassige Adresse für Darlehen.
Nach ihren Ratings müssen Banken mit entsprechendem Eigenkapital Darlehen unterfüttern, ab einem gewissen Rating verlieren Schuldner oder Firmen den Investment Grade, also institutionelle Anleger wie beispielsweise Pensionskassen müssen diese Papiere sofort abstoßen. Was dann meistens zum Bankrott des Schuldners führt.
Also stellt sich der Laie dieses Trio Infernal sicherlich als eine Art TÜV vor, oder als Stiftung Warentest. Nicht profitorientiert, angesichts der Wichtigkeit der Beurteilung garantiert unbestechlich und verantwortungsbewusst. Selten so gelacht. Alle drei sind börsenkotierte Privatunternehmen, in erster Linie dem Profit ihrer Aktionäre und den Boni ihrer Chefetagen verpflichtet. Als wäre das nicht genug: Ihre Bewertungen verrichten sie im Auftrag des Bewerteten – und in dessen Sold. Aber natürlich streng unparteilich.
Weltfinanzen im Würgegriff
Wir wischen uns nochmal die Lachtränen aus den Augen. Und blicken kurz in die rabenschwarze Vergangenheit dieser Versager, die mit lediglich rund 15.000 Angestellten die Weltfinanzen im Würgegriff haben. 2001 ging der damalige Energieriese Enron unter, trotz offenkundiger Bilanzfälschungen. Bis vier Tage vor der Pleite bescheinigten ihm die Rating-Agenturen eine gute Bonität. Übrigens auch der Zockerbank Lehman Brothers, deren Untergang die Finanzkrise von 2008 auslöste. Selbst am Tag der Pleite hatte Lehman ein gutes Rating.
Aber nicht nur das. Die Brandbeschleuniger für die damalige Finanzkrise waren die sogenannten CDO, verpackte und umverpackte und gemixte Hypothekenpapiere. Kompliziert und meistens gefüllt mit Schrott. Kein Problem für die Rating-Agenturen, auch auf mehr als 300-seitige Prospekte eines solchen Vehikels im Minutentakt ein AAA draufzuhauen. Man wollte ja den zahlenden Herausgeber nicht sauer machen, und außerdem verstand sowieso außer ein paar Nerds kein Mensch, was dieses Gebastel eigentlich beinhaltete.
Als dann das Kartenhaus zusammenfiel, sagten die Rating-Agenturen das, was sie seither immer wieder sagen, wenn sie ganz, ganz kräftig daneben gehauen haben: Wir äußern ja nur unsere Meinung, dafür sind wir in keiner Form haftbar. Leider verbietet es mir die Haftbarkeit eines Journalisten bei der Rufschädigung seriöser Unternehmen, die Ausdrücke zu verwenden, die sich diese Drei redlich verdient haben.
Auch die EZB muss sich an Ratings halten
Wie immer im Kapitalismus braucht es eine ständige Ausweitung der Geschäftsfelder. Also kam das Trio Infernal auf die großartige Idee, auch Länder zu bewerten. Sogar als Gratis-Dienstleistung. Die Kohle verdienen sie natürlich dadurch, dass das Länder-Rating auch einen Einfluss auf die dort tätigen Firmen und Banken hat.
Logischerweise sind auch alle EU-Länder, alle Euro-Länder mit einem Rating versehen. Überraschungsfrei hat Deutschland dreimal die Bestnote AAA. Das kann sonst nur noch Dänemark, Holland und Schweden von sich behaupten. Wir wollen hier nicht immer auf den armen Griechen herumhacken und verschweigen daher staatsmännisch deren Rating. Es geht ja auch um Italien (BBB) und Spanien (A-). Ohne hier auf die komplizierten und auch unterschiedlichen Bedeutungen einzugehen: B3 steht am unteren Rand von „hochspekulativ“. Nur durch eine hauchdünne Linie von C entfernt, und dann dürfte kein verantwortungsvoller Anleger mehr Geld hineinstecken.
Spaniens A- wiederum liegt am unteren Rand des oberen Mittelfelds, also zusammenfassend „geht so“. Bevor wir zur monströsen Idee der Coronabonds zurückkehren, noch ein weiteres Kabinettstückchen aus der gruseligen Welt des Ratings. Denn auch die EZB muss sich bei ihrem wahnwitzigen Aufkauf von Schuldpapieren aller Orten in der Eurozone an gewisse Untergrenzen des Ratings halten. Liegt beispielsweise ein Land darunter, darf die EZB dessen Staatsschuldpapiere nicht länger aufkaufen.
Eine eigene europäische Ratingagentur
Das trug sich nun leider bei einer der vielen Euro-Krisen bei Portugal zu. Die Regel ist, dass mindestens eine der Rating-Agenturen noch Hoffnung sieht, also noch knapp einen Investment Grade vergibt. Aber leider, leider: Alle drei Großen senkten den Daumen über Portugal. Dem Bacalhau sei’s geklagt, da hätten die Portugiesen nicht mal mehr gesalzenen Stockfisch essen können, sondern wären ziemlich schlagartig pleite gewesen. Denn natürlich hätte die EZB auch ihre entsprechenden Schuldpapiere sofort auf den Markt werfen müssen. Im Prinzip.
Der Laie ahnt es schon, denn ihm ist wohl kein Staatsbankrott Portugals aus der jüngeren Zeit bekannt. Jetzt wird es ein Momentchen kompliziert, aber hallo, wir sprechen hier schließlich von der EU. Nach der großen Pleite der Ratings in der Finanzkrise von 2008 fand es die EU eine gute Idee, vielleicht eine eigene, europäische Ratingagentur ins Leben zu rufen, die den drei US-Firmen Paroli bieten könnte. Dreimal darf der Leser raten, was daraus geworden ist.
Aber wenigstens gibt es die ESMA. Oh, kennen Sie nicht? Das ist die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde. Genau, die überwacht, dass die großen Drei sich korrekt und tadellos benehmen. Sie sitzt in Paris, und wer hier „Sesselfurzer“ murmelt, hat ihre Funktion bestens verstanden. Nun benahmen sich aber diese drei gegenüber Portugal nicht wirklich nett. Was tun? Nun, in diesem kritischen Moment Europas zog die EZB eine vierte Rating-Agentur aus dem Hut. Die hatte tatsächlich auch darin gelegen, aber vorher hatte noch nie jemand etwas von der kanadischen DBRS gehört.
1974 in Toronto gegründet, hat sie seither einige Male den Besitzer gewechselt. Aber wie auch immer, auch sie darf von der EZB bei Länder-Ratings herangezogen werden. Richtig, nochmals den Intelligenztest bestanden, DBRS gab Portugal gerade noch eine Note oberhalb von Ramsch, Problem gelöst. Damit sich solche dummen Sachen nicht wiederholen, hat die EZB danach einfach ihre Politik etwas angepasst. Sie kauft weiterhin – Griechenland lässt grüßen – ungeniert und ohne Rücksicht auf Ratings Staatsschuldpapiere auf. Einfach mit Abschlag auf dem Nominalwert.
Soll Deutschland in Solidarhaftung mit Italien treten?
Damit sich der Laie das richtig vorstellen kann: Nehmen wir an, die Firma Zeyer-Kommunikation ist von allen Rating-Agenturen auf Ramsch heruntergestuft worden. Also Finger weg, die Firma war ja in ihrer Geschichte seit 1828 häufiger pleite als solvent. Und die Zukunftsaussichten sind nicht minder trübe. Nun nehmen wir an, aus irgendeinem Grund hält es die EZB für eine gute Idee, Zeyer ein Schuldpapier abzukaufen. Das lasse ich mir natürlich nicht zweimal sagen. Zunächst frage ich diskret an, welchen Abschlag auf den Nominalwert die EZB verwenden wird. Sagen wir 50 Prozent. Wunderbar, sage ich da, eigentlich wollte ich einen Bond über 1 Million ausgeben. Mach ich doch einfach 2 Millionen draus.
Das alles ist abenteuerlich, höchst problematisch und streut vielen Steuerzahlern Sand in die Augen. Denn die meinen, auf das Urteil von Rating-Agenturen könne man etwas geben. Aber was ist denn überhaupt die Idee hinter einem Euro- oder neuerdings Coronabond? Ganz einfach: das wäre eine Anleihe, für die alle Euro-Staaten haften, nach dem üblichen Verteilschlüssel.
Damit wäre der Coronabond, daher dieser Ausflug, eigentlich wieder eine moderne CDO. Also eine Wurst voll Gewolftes. Natürlich wiederholt sich die Geschichte nicht eins zu eins. Bei diesen Schuldpapieren wäre klar, wer dafür haftet. Und da darunter Länder mit AAA-Rating wären, hebt das natürlich das Rating von halben Pleitestaaten wie Italien oder Spanien an, womit diese weniger Zinsen für ihre Staatspapiere zahlen müssten.
Na, das sollte uns das europäische Haus doch wert sein; wir wollen doch auch nicht unsolidarisch, kleingeistig und feige sein. Sondern uns mutig ins Schwert stürzen. Obwohl „Germans to the front“ lange Zeit galt: Soll Deutschland wirklich in Solidarhaftung mit Italien treten? Ohne bei der italienischen Fiskal- und Finanzpolitik auch nur ein Wörtchen mitreden zu dürfen? Noch viel weniger bei der Verwendung dieser Kredite? Hat das nicht schon Griechenland in den Abgrund geführt, dass der notorische Pleitestaat neu Schuldpapiere in Euro ausgeben konnte?
Inzwischen wurde das Thema, Überraschung, mit einem „Kompromiss“ erledigt. Es gibt 500 Milliarden Euro extra, aber keine vergemeinschafteten Coronabonds. Obwohl die, logo, alternativlos wären. Daher sind die Südstaaten mit ihrem neuerlichen Anlauf, den deutschen Steuerzahler noch mehr in die Pflicht zu nehmen, gescheitert. Teilweise. Vorläufig.