Roger Letsch / 27.08.2017 / 18:30 / 3 / Seite ausdrucken

Vorsicht mit der Schadenfreude

Ich gebe zu, eine gewisse, stille Schadenfreude stieg auch in mir auf, als ich vom Verbot der linksextremen Webplattform "linksunten.indymedia.org" las. „Endlich trifft es auch mal diese Extremisten“, schadenfreute es sich überall im Netz und der Innenminister beeilte sich, die Nacht-und-Nebel-Aktion in ein angenehmes, weil fürsorgliches Licht zu rücken, und sich als Beschützer der Demokratie zu gerieren. Indymedia ist abgeschaltet. Aus Gründen. Guten sogar. Mal ganz abgesehen davon, dass die Razzia beim Betreiber letztlich sogar illegale Waffen zu Tage förderte, war die Verherrlichung von Gewalt, die dort – auch noch anonym – verbreitet wurde, einfach nicht zu tolerieren. Doch es gibt ein „aber“, das sich meldet, wenn man etwas länger über die Sache nachdenkt.

Zunächst die Frage: Warum erst jetzt? Es gab auf der Webplattform seit Jahren immer wieder Aufrufe zur Gewalt gegen das „kapitalistisches System und die "Bullen", ohne dass sich der Innenminister ernsthaft dafür interessiert hätte. Man ließ es geschehen und bemühte sich von offizieller Seite eher um Verharmlosung. Frau Schwesig, damals noch Familienministerin, hielt den Linksextremismus gar für ein „aufgebauschtes Problem“. Dabei hätte es längst Gründe und Anlässe gegeben, den Betreibern einige Fragen zu stellen und gegen die Gewaltaufrufe der Benutzer von indymedia die Justiz einzuschalten. Wenn dabei die Anonymität der hetzschreibenden Salonrevoluzzer im Weg steht, hätte man der Plattform bereits vor Jahren entsprechende Auflagen machen können, wie dies für andere Plattformen der Fall ist – das blieb aber aus.

Stattdessen wird nun das Kind mit dem Bade ausgeschüttet und einfach der Stecker gezogen. Die Fälle von Gewaltaufrufen selbst bleiben hingegen ungeahndet und es darf bezweifelt werden, dass das krude Gerechtigkeitsverständnis der Benutzer dieser Plattform sich auch nur um einen Millimeter verändern wird. Diese werden sich eine neue Plattform schaffen und das Spiel wird von vorn beginnen. Der plötzliche Aktionismus des Innenministers fällt „rein zufällig“ mit einem Artikel des FAZ-Bloggers Don Alphonso zusammen, der genau das ans Licht zerrte, was es eigentlich gar nicht geben sollte: Die Tatsache nämlich, dass sich auf indymedia die Extremisten nach den Hamburg-Riots anlässlich des G20-Gipfels weiterhin ungeniert Gedanken über die revolutionäre Zukunft machten, ohne dabei allzu große Gefahr zu laufen, der staatlichen Alimentierungen, Förderungen und Zuwendungen verlustig zu gehen, aus dem die gesamte Szene ihr Leben und ihren „Kampf“ bestreitet.

Wann wird endlich die staatliche Finanzierung linksextremer Strukturen beendet?

Der Staat finanziert leider genau die Leute, die ihn nicht reformieren, sondern abschaffen und zerschlagen wollen und dabei nicht gerade zimperlich oder „differenziert“ vorgehen. Solche Vorwürfe durften nicht hängen bleiben an unserer Politik, nicht so kurz vor der Bundestagswahl! Also schlug man in einer Weise zu, die erst mal für Ruhe im Block sorgen soll und Handlungsfähigkeit zeigt, nachdem man jahrelang in Handlungsunwilligkeit verharrte. Man legte einen Deckel auf den Topf, damit kein Dampf mehr zu sehen ist, hält aber das Herdfeuer weiter am Brennen. Die Finanzierungen gehen nämlich munter weiter.

Das rigorose Abschalten von indymedia wird sich als Blaupause für solche Fälle erweisen, die sich – anders als die großen sozialen Netzwerke – nicht mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz reglementieren und zensieren lassen, weil sie zu klein sind: Unabhängige Blogs und Webseiten. Eine Razzia hier, ein gezogener Stecker dort – auf diese Weise lassen sich all die kleinen Störsender ausknipsen, die der staatlich verordneten Harmonie ein Dorn im Auge sind. Gründe lassen sich finden oder konstruieren. Im Zweifelsfall könnte es schon genügen, die Wächter häufiger vorbei zu schicken, um mit viel aufgewirbeltem Staub für ausreichend Beschäftigung und Verunsicherung zu sorgen.

Ich hege keinerlei Sympathie für die Ideologie, die auf indymedia verbreitet wurde. Aber es ist ein eklatanter Bruch der Meinungsfreiheit, wenn man sie einfach abschaltet, anstatt rechtzeitig und ernsthaft die Straftaten zu verfolgen, die dort vorbereitet wurden. Dazu hätte gehört, endlich sämtliche Finanzierungen der Szene zu stoppen. Dass dies das wirksamste Mittel gegen Extremisten aller Couleur ist, zeigte doch der Fingerzeig des Bundesverfassungsgerichts auf die Parteienfinanzierung im Fall des NPD-Verbotsantrags. Meinungsfreiheit erstreckt sich leider nicht nur auf angenehme, gesellschaftskompatible Äußerungen. Ein Blick ins Grundgesetz hätte dem Innenminister genügt, um rechtzeitig ein Mandat zu juristischen Sanktionen gegen die Nutzer und Betreiber von indymedia zu erhalten. Das generelle Verbot war leider nur die zweitschlechteste denkbare Lösung, die sehr wahrscheinlich nur ein Vorgeschmack auf das ist, was uns die Zukunft bringen soll: Government by actionism. „Government by law“ wäre mir lieber.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Roger Letschs Blog Unbesorgt.

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Leserpost

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Stine Bading / 27.08.2017

Genau so,  Herr Letsch, wäre es was geworden! Geldhahn zu, und jeden, der Straftaten begeht vor die Justiz! Aber ich bin mir sicher, daß dieser Ministererlass von der Justiz kassiert wird! Was mich völlig irritiert, sind die Menschen, die laut Beifall klatschen. Wer garantiert denen, das Frau Merkel und Herr de Maiziere (beide diktaturerprobt) nicht bald deren Einstellung, Äußerung und Handlung als radikal einstuft? Wenn Regierungsmacht dazu führt, daß jede Handlung/ Äußerung , und sei sie noch so abstrus, einen massiven Einschnitt in die Meinungsfreiheit und/ oder Grundrechte per Ministerdekret nach sich ziehen kann, dann sind wir bald wieder so weit… Wehret den Anfängen!

Wolfgang Kaufmann / 27.08.2017

Ein seriöses Netzwerk wird Beiträge vor dem Freischalten auf Plausibilität prüfen. Junk-Netzwerke wie Facebook oder Google hingegen leben von der Masse an unqualifizierten Inhalten und leisten sich daher keine Einzelfallprüfung; eher werden auf Antrag Beiträge gelöscht oder Mitglieder gesperrt. Der Schreiber bezahlt nicht für die Publikation, erwirbt also keinerlei Rechte; aber der Betreiber hat das Hausrecht und entscheidet, welche Inhalte und politischen Richtungen er dulden will. Es wurde auch schon jemand von einer Zeitung gesperrt, weil er sich gegen Deniz Yücel äußerte. Das ist keine Zensur, sondern der übliche Preis für freien Webspace. — Jedes seriöse Netzwerk wird bei justiziablen Texten einem Richter den Namen des Autors preisgeben. Das tat indymedia nicht: Anonymität war das Geschäftsmodell und Anarchisten mit ihren gesetzwidrigen Angriffen waren eine wichtige Zielgruppe. Ich finde die Sperrung richtig, da dort Aufrufe zu Straftaten zum Teil jahrelang stehengeblieben sind. — Ein ganz anderes Thema wäre die Delegierung von richterlichen Aufgaben an eine Art Minitruth. Und wieder ein anderes Thema die Publikation von Inhalten auf einer persönlichen Homepage.

Bernhard Freiling / 27.08.2017

So geht Meinungsfreiheit im Land der schon länger dort Lebenden. Es wird den Verantwortlichen nicht mehr wegen rechtlich nachweisbaren Verfehlungen der Prozeß gemacht, es wird per Ministerialerlaß gleich das Maul verboten. Den Michel freut’s und er sieht darin eine ministerielle Großtat: “Endlich tun die was”. Dabei übersieht er, oder will einfach nicht zur Kenntnis nehmen (vielleicht ist er auch einfach nur nach 12 Jahren Grökaz zu verblödet dazu), daß hierdurch nur, ganz im Maas’schen Sinne, die Meinungsfreiheit ein weiteres Stück eingeschränkt wird. Andere mögen’s begrüßen, mir macht diese Regierung, und der überwiegende Teil ihrer Handlungen,  einfach nur Angst.

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