Gastautor / 19.11.2019 / 06:25 / Foto: Pixabay / 43 / Seite ausdrucken

Vorsicht: Meinung kann ansteckend sein

Von Benjamin Liessmann. 

Wieder einmal wird in Deutschland über das Thema „Meinungsfreiheit“ diskutiert. Anlass ist, dass kürzlich mehrere Politiker daran gehindert wurden, einen öffentlichen Vortrag zu halten. Bernd Lucke wurde wiederholt von Gruppen aufgebrachter Studenten aus dem Hörsaal der Universität Hamburg verjagt, wo er wirtschaftswissenschaftliche Lehrveranstaltungen abhalten wollte. Und Thomas de Maizière wurde von einer Hundertschaft „antifaschistischer“ und „basisdemokratischer“ Linker daran gehindert, im Rathaus von Göttingen aus seinem Buch „Regieren“ vorzulesen. Die Störer standen im Eingang und wehrten jeden Versuch ab, ins Innere zu gelangen.

„Meinungsfreiheit“ ist ja ein etwas irreführender Begriff. Denn die Freiheit, eine bestimmte Meinung zu einer Sache zu haben, kann ja gar nicht wirklich eingeschränkt werden. Selbst im Keller eingesperrt und mit Knebel im Mund kann Ihnen keiner verbieten, zum Beispiel zu meinen, es gebe gar keinen Gott, oder die Spice Girls seien die besten Musiker des 20. Jahrhunderts. Und sogar im hintersten Winkel Nordkoreas können Sie Ihre uneingeschränkte Meinungsfreiheit genießen und vor jeder goldenen Statue des Führers dasjenige über ihn denken, was laut ausgesprochen zu Problemen führen könnte. Ein MeinungsHABEverbot lässt sich einfach nicht effektiv durchsetzen.

Wer über Meinungsfreiheit spricht, meint natürlich meist MeinungsÄUSSERUNGSfreiheit. Und auch die steht Ihnen im Prinzip selbst innerhalb der repressivsten Diktaturen auf dieser Erde offen. Machen Sie den Mund auf und schreien im Zentrum der Hauptstadt Ihres Regimes laut heraus, welche psychische Störung der Präsident Ihrer Ansicht nach hat. Nicht mal Speedy Gonzales könnte Sie aufhalten. Zu längeren Ausführungen über Ihre diagnostische Einschätzung werden Sie dann allerdings wohl nicht mehr kommen. Und genau das ist der eigentlich kritische Punkt beim Thema Meinungsfreiheit.

Eine Meinung zu haben, sowie eine Meinung zu äußern, sind kaum verhinderbare Dinge. Der eigentliche Gradmesser für das Ausmaß an Freiheit ist die Härte der nachfolgenden Bestrafung, wenn Ihre Äußerung die regional gültigen Tabus berührt. Jedes Land hat da seine eigene Sanktionskultur. In Nordkorea etwa werden Sie schnell als Teil der „feindselig gesinnten Kräfte“ gebrandmarkt und verschwinden zusammen mit Ihrer Familie lebenslang in einem Umerziehungslager, wo Sie dann die besten Reden von Kim Il-Sung, Kim Jong-il und Kim Jong-un auswendig lernen müssen. 

Verachtenswerte Unperson

Ein mögliches Bestrafungszeremoniell in Deutschland hingegen besteht darin, dass eine Verbindung zwischen Ihnen und Adolf Hitler ausgerufen wird, Sie in abendlichen TV-Talkrunden und Polit-Magazinen der Öffentlichkeit als verachtenswerte Unperson vorgeführt werden, und Sie vielleicht sogar noch einen „Hausbesuch“ der Antifa erhalten, bei dem Ihr Wohngebäude mit aufgesprühten Hakenkreuzen und anderen Schmähungen dekoriert wird. Weiterhin kann es passieren, dass Arbeitgebern oder Geschäftspartnern nahegelegt wird, die Zusammenarbeit mit Ihnen zu beenden, und Hotels beziehungssweise Restaurants es aus Furcht vor einem Shitstorm auf den Bewertungsportalen ablehnen, Sie weiterhin als Gast zu empfangen. Im Vergleich zu Nordkorea ein Paradies – immerhin kann man abends noch Netflix gucken oder heimlich ins Ausland verschwinden.

Auf diese Weise Gezeichnete geraten nun mitunter in die Lage, dass ihr allgemeines Recht auf freie Rede in Frage gestellt wird. Bernd Lucke zum Beispiel hielt nicht etwa einen Vortrag über die Vorzüge faschistischer Staatsführung, wie man das angesichts der Radikalität der studentischen Angreifer vermuten könnte, sondern über Makroökonomik. Es wird wohl niemand besorgt gewesen sein, er könne das Rampenlicht dazu nutzen, um plötzlich laut „Heil Hitler!“ zu rufen und seine Studenten in begeisterte Nationalsozialisten zu verwandeln.

Wie also rechtfertigen es Menschen, Anderen das Recht auf freie Meinungsäußerung zu verwehren? Häufig trifft man auf folgende Argumentationsmuster:

Erstens: Redefreiheit habe nicht für „Nazis“ zu gelten. Geprägt vom Wissen über das Mitläufertum im Dritten Reich möchte man heute nicht den Fehler von damals wiederholen und der Entstehung einer faschistischen Diktatur großzügig Raum geben. Ein frei redender Nazi könnte einen zweiten hervorbringen, der dann durch eigenes Wirken wieder weitere unbedarfte Mitmenschen auf die Seite des Bösen zieht. Wie so eine Kettenreaktion der Rekrutierung schlimmstenfalls abläuft, können Sie sich ja in jedem Zombie-Film anschauen. Die Verhinderung eines zweiten Holocaust steht in der Moralhierarchie dann natürlich über dem Recht auf freie Meinungsäußerung. Da für die Klassifikation als Nazi heute weder ein Parteiausweis der NSDAP, ein Portrait des Führers im Wohnzimmer, Gewalttätigkeit, antisemitische Pogromstimmung, Weltherrschaftsträume, ein Faible für Diktatur oder eine sonstige Liebe zum Dritten Reich benötigt wird, lässt sich das Label des ultimativen Monsters praktischerweise recht großzügig verteilen. Dem Gedanken folgend: „Der größte Trick, den der Teufel je gebracht hat, war, die Welt glauben zu lassen, es gäbe ihn gar nicht.“ kann dann selbst ein freundlicher Mann wie Bernd Lucke in der Vorstellung zum gut getarnten Bösewicht werden.

Zweitens:  Das Verhindern der Meinungsäußerung Anderer durch lautstarken Protest stelle nur die Ausübung des eigenen Rechts auf Redefreiheit dar. Es sei ein Akt des Widersprechens, was ja zu einer gesunden Redekultur gehöre. Problematisch ist hier allerdings, wenn die gewählte Form des Widerspruchs das Schweigen des Gegenübers erzwingt. Wer den Anderen mit Parolen niederschreit, so dass dessen Stimme nicht mehr hörbar ist, hätte ihm für den gleichen Effekt auch den Mund mit Klebeband verschließen können.

In bebender Rage vor den Laptops

Der grundsätzliche Nachteil an der Meinungsfreiheit ist, dass sie Schmerzen verursacht. Mit einer Äußerung konfrontiert zu sein, die aus dem eigenen Blickwinkel auf die Welt einen ungeheuerlichen Affront darstellt, kann innerlich zerreißen. So war es schon immer. Im 19. Jahrhundert haben fromme Kirchgänger schlaflose Nächte in kochender Wut verbracht, nachdem Darwin die Verwandtschaft von Mensch und Affe behauptet hatte. Und im 21. Jahrhundert sitzen die Menschen in bebender Rage vor ihren Laptops, wenn der menschengemachte Klimawandel entweder bezweifelt oder behauptet wurde.

Da die Knebelung von Meinungsgegnern aufgrund eigener Machtlosigkeit meist nicht durchführbar ist, besteht das beliebteste Hausmittel gegen den Zufluss schmerzender Ansichten darin, sich die Finger in die Ohren zu stecken. Im Online-Zeitalter ist das ein Kinderspiel. Nachdem die eigene Facebook-Friendlist von der politischen Opposition gereinigt und die persönliche Twitterwelt mittels Import von Account-Blocklisten zu einer ideologischen Safe-Zone gemacht wurde, kann nun wieder innere Gelassenheit herrschen. Das Problem: Unweigerlich wird man feststellen, dass die so mühsam errichtete Quarantäne nicht hundertprozentig dicht ist und im Alltag immer noch miefende Meinung durchsickert. Was nun?

Liegt es nun in der Verantwortung einer Gesellschaft, das Sagbare so umfassend zu begrenzen, dass kein Mensch mehr diese Art von Schmerz erleiden muss? Dann wäre nichts mehr sagbar. Selbst ein „Gut siehst Du heute aus!“ kann das Gegenüber verärgern, wenn dieses die Äußerung so für sich interpretiert, dass man offenbar an anderen Tagen für weniger gutaussehend befunden werde. Dem Empörten ist es oft egal, wie eine Sache „wirklich“ gemeint war. Er sieht die eigene Empörung und zeigt mit dem Finger anklagend auf denjenigen, der geredet hat. 

Oder liegt es in der Verantwortung jedes Einzelnen selbst, mit dem inneren Aufruhr klarzukommen, den das Recht auf freie Rede unweigerlich verursacht? Aber bedenken Sie: Ein Verzicht auf Zensur würde auch bedeuten, dass die von Ihnen persönlich am meisten gehasste Unperson ungehindert zu einem Millionenpublikum sprechen darf. Das wird vermutlich für diejenigen nur schwerlich akzeptabel sein, die ihre Meinungsgegner wie Überträger eines gefährlichen Virus wahrnehmen, der zur Rettung der Menschheit mit allen Mitteln eingedämmt werden muss.

 

Benjamin Liessmann Jahrgang 1977, ist Diplom-Psychologe und ausgebildeter Psychotherapeut mit Fachkunde in Verhaltenstherapie, Buchautor und Ersteller von YouTube-Lehrvideos zu Psychologie und Kommunikation.

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Leserpost

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Andreas Rühl / 19.11.2019

Es gibt eine recht einfache Methoden, von anderen Meinungen innerlich nicht zerrissen zu werden. Die eine ist es, von kleinauf dagegen zu sein. Das staehlt. Später dann, abgehaertet, kann man sich bilden. Das aktiviert die vernunft. Man versteht, warum es andere Meinungen geben muss, wie schlimm es wäre, würden alle dasselbe denken, ja, wie viel schlimmer noch, würden alle so denken, wie man selbst. Man begreift, dass das, was man denkt, viele Ursachen hat, solche, die andere geschaffen haben und ein paar wenige, die man selbst erzeugt hat. Wer sich verorten kann, zeitlich, räumlich, geistig, wird nicht mehr zerrissen. “Und keine Macht zerstückelt, die lebend auch entwickelt.” Mit dem Zitat aus dem daimon endet nicht ohne Grund juengers Rede zum goethepreis.

Ernst-Günther Konrad / 19.11.2019

Bravo Herr Liessmann. Ohne Schaum vor dem Mund, ohne reißerische Darstellung, nüchtern und sachlich haben Sie genau das beschrieben, was einige oder viele Menschen inzwischen für sich selbst feststellen. Kritik an Regierungshandeln je nach Thema kann und wird “geahndet”, durch öffentlich vorgeführt werden, durch skandalisieren, durch verkürzte und sinnentstellende Deutung und Darstellung, durch angebliche Moral, die nur für die gilt, die das “Gute” vertreten. Sie haben recht. Natürlich kann man alles denken und für sich selbst zu Hause in seinem “noch” geschützten Raum sich ausleben. Auf HR-online wurde heute berichtet, dass die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen einen Dienstgruppenleiter der Polizei Mühlheim wegen dreier Bilder mit Text in einem privaten eng begrenzten Chatroom via WhatsApp weder inhaltich den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt, noch deren bildliche und textliche Aussagen die einzelnen Tatbestandsmerkmale erfüllt, ungeachtet, ob man manches gepostetes geschmackvoll findet oder nicht. Insbesondere wurde im Ergebnis auf die Meinungsfreiheit durch die StA hingewiesen. Dennoch werden Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes durch Verletzung von Dienstgeheimnissen - hier Weitergabe von internen Ermittlungsvorgängen an die Presse - versucht öffentlich zu stigmatisieren und in eine “Ecke”  zustellen, sie wenn es strafrechtlich nicht geht, halt dienstrechtliche drangsaliert, in dem Monate oder Jahre Disziplinarverfahren geführt werden und so Beförderungen, Versetzungen und andere beamtenrechtliche Ansprüche vereitelt werden. So geht eben auch Meinungsmache im Sinne des Dienstherren. Es muss ja nichts rauskommen, die Nachteile ungerechtfertigter Ermittlungen hat derjenige jedenfalls, das nimmt ihm keiner mehr. Neben der sozialen Ächtung im Mitarbeiterkreis oder in der Öffentlichkeit. Es gab eine Zeit, da nannte man das an den Pranger stellen.

Sabine Schubert / 19.11.2019

Die zunehmende Neigung, Ansichten, die man nicht teilt, verbieten zu wollen, ist die größte Bedrohung, der freiheitliche Gesellschaften je gegenüber standen. Es sollte doch jedem in unserem Land klar sein, dass Denk- Sprech- und Berufs-Verboten auch bald Verbote von mißliebigen Menschen folgen werden. Wer die Worte von Andersdenkenden rigoros verbietet und löscht, macht diese Menschen unbedeutend und nicht mehr wahrnehmbar, verhindert ihr Wirken und löscht sie damit letztendlich als Individuum aus.

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