Henryk M. Broder / 06.12.2013 / 00:42 / 3 / Seite ausdrucken

Vorsicht, Leben!

Bis heute ist unklar, wie sich das Leben mit dem Fernsehen auf das Alltagsverhalten der Zuschauer auswirkt. Experten aus dem Fach Medienkunde sind da sehr geteilter Meinung.

Die einen sagen, das Fernsehen habe die Familie als „role model“ abgelöst, vor allem Kinder und Jugendliche würden sich von Soaps und Serien inspirieren lassen; die anderen sagen, man solle den Einfluss des Fernsehens nicht überschätzen. Wenn es denn überhaupt geschmacks- und verhaltensprägend wirke, dann sei die Wirkung von kurzer Dauer. Gestern Britney Spears, heute Lady Gaga und morgen Frau Holle.

Ziemlich sicher dagegen ist, welchen „impact“ das Leben im Fernsehen auf die Beteiligten hat. Irgendwann können sie nicht mehr zwischen Wirklichkeit und Inszenierung unterscheiden.

Der Schauspieler Klaus-jürgen Wussow, der 18 Jahre lang „Prof. Klaus Brinkmann“, den Leiter der „Schwarzwaldklinik“ spielte, war am Ende der Serie vollkommen mit seiner Rolle verschmolzen. Als Horst Tappert, nach 281 Folgen als Oberinspektor Derrick, endlich in die wohlverdiente Pension geschickt werden sollte, wollte sein Assistent, Fritz Wepper, alias Inspektor Harry Klein, ganz wie im wahren Leben zum Nachfolger des Chefs befördert werden. Und war ganz empört, als ihm der Aufstieg verweigert wurde.

Nun hat der „Comedian“ Karl Dall eine ungewohnte Erfahrung gemacht. Nachdem ihn eine Journalistin wegen sexueller Nötigung angezeigt hatte, wurde er in Zürich verhaftet und vier Tage in einer Gefängniszelle festgehalten. Obwohl er in Handschellen abgeführt wurde, glaubte er zunächst, es handle sich um einen Streich aus der Reihe „Verstehen Sie Spaß?“, in der Promis heikle Situationen bestehen müssen.

Noch im Gefängnis, so Dall später, habe er nach einer versteckten Kamera Ausschau gehalten. Bis ihm schließlich klar wurde, dass es kein Spaß, sondern bitterer Ernst war. Die Frau, gab er zu Protokoll, sei eine Stalkerin, die es auf Promis abgesehen habe.

Wie der Fall auch ausgehen wird, er steht für mehr da als die arttypische Verwahrlosung im Unterhaltungsgeschäft. Nur das, was im Fernsehen stattfindet, ist real. Die Wirklichkeit dagegen ist fiktiv. Es gibt ein richtiges Leben im falschen.

Zuerst erschienen in der Weltwoche vom 6.12.13

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Leserpost

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Markus Weber / 06.12.2013

Gelungener Artikel. Gratuliere! Haben Sie schon mal daran gedacht, dass Ihnen dafür womöglich am Ende der Adorno-Preis verliehen werden könnte.? Bitte dann nicht ablehnen! Sie hätten ihn verdient.

Dieter Magnus / 06.12.2013

Wenn unter richtigem Leben das falsche Leben als “richtiges” Leben gelebt wird, dann, ja dann ist eben das falsche Leben auch das richtige. So jedenfalls hat mir Adorno einmal seine These, es gäbe kein richtiges Leben im falschen, vice versa, das er in seiner minima moralia postulierte, anlässlich seines Vortrages über Richard Wagner in der Akademie der Künste vor langer langer Zeit, die vom damaligen Intendanten der Berliner Philharmoniker, Wolfgang Stresemann, Sohn Gustav Stresemanns, moderiert wurde, im Anschluss seines Vortrages, augenzwinkernd erklärt:-)

Christian Herms / 06.12.2013

Sind wir nicht alle ein bißchen Truman?

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