Von Uwe Knop.
„Fünf am Tag“ ist aufgrund seiner langjährigen Omnipräsenz als „Ernährungsregel Nr. 1“ die gefühlte Speerspitze staatlicher Ess-Erziehungsmaßnahmen – und nur ganz nebenbei: Diese Pflanzenkostkampagne ist aus Sicht der EU-Politiker nur eine Absatzförderungsmaßnahme. Das Deckmäntelchen der Gesundheit kaschiert diese staatlich geförderte Werbemaßnahme und gibt ihr ein gesellschaftlich akzeptiertes Outfit. Die EU-Fördermittel für Absatzwerbung flossen bis 2018 dabei nicht nur – wie gemeinhin gern glaubhaft gemacht – für frisches Obst und Gemüse, sondern auch für verarbeitete Lebensmittel. Und die Fördergelder konnten seinerzeit bei „ernsthaften Marktstörungen“ massiv erhöht werden; würde also beispielsweise ein Salatskandal zu Absatzeinbrüchen führen, wäre eine Extra-PR-Kampagne „Gesunder Kopfsalat“ denkbar ...
Neben der „gesundheitsfördernden“ Verkaufsförderung denken sich kreative Köpfe kontinuierlich weitere Maßnahmen zur Ernährungsmanipulation der Bürger aus – so beispielsweise die immer wiederkehrende Forderung nach einer Nährstoffampel auf den Packungen. Rot, gelb, grün, die farbigen Punkte für „gesund/empfehlenswert“ (grün) und „Achtung, ungesund!“ (rot) entspringen dabei der reinen Willkür gesundheitsapostolischer Ernährungsregulierer. Denn Beweise, dass dieses Farbenspiel irgendeinen Bezug zu Gesundheit oder Krankheit birgt, existieren systembedingt natürlich nicht.
Daher können wir hierzulande nur begrüßen, dass auch die aktuelle Bundesregierung der 2018er GroKo – das zuständige Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) unter Leitung von Bundesministerin Julia Klöckner – diesem notorischen Nonsens noch immer widersteht und die Bürger mit den ideologisch getünchten Farbklecksen auf Lebensmitteln verschont. Genauso wenig halten die deutschen Politiker von einer Bevormundung der Verbraucher durch Werbeverbote und Strafsteuern auf „ungesunde“ Lebensmittel – und das ist auch gut so! So stellte Gitta Connemann, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, im März 2019 klar: „Der Staat darf nicht vorgeben, was auf den Tellern liegt – auch nicht auf Umwegen wie durch Strafsteuern für bestimmte Inhaltsstoffe.“
Stattdessen soll es eine „Reformulierungsstrategie auf freiwilliger Basis“ richten, wonach sich die Lebensmittelindustrie richten soll – nun ja, ein dezenter öffentlicher Mikro-Kotau vor den in aller Öffentlichkeit laut plärrenden Ernährungsaposteln musste es der Form halber dann wohl doch seitens Vater Staat sein („Wir machen was, wir packen es an, wir kümmern uns“).
Essenssteuern sollen Essen steuern
Immer wieder wird in regelmäßigen Abständen die „Steuer-Sau“ durchs Dorf getrieben: Regierungen oder gesundheitsorientierte Lobbygruppen fordern wiederholt Steuern auf alles, was lecker schmeckt: salz- und zuckerhaltige Lebensmittel, Fast Food, Chips und Softdrinks, Butter und Frittiertes. Diese Forderungen haben eines gemeinsam: Sie spiegeln blinden Aktionismus wider, der auf purer Willkür basiert, weil ihm jegliche wissenschaftliche Grundlage fehlt (denn es gibt keine ungesunden Lebensmittel). Warum aber tauchen diese Steuerrufe immer wieder auf? Zum einen, weil man sich damit „gutmenschenartig“ in der ernährungspropagandistisch geblendeten Öffentlichkeit positiv positionieren kann: Wir kümmern uns um die Gesundheit der Bürger, indem wir uns gegen ungesunde Ernährung engagieren und die „bösen Dick- und Krankmacher“ teuer machen! Zum anderen spülen neue Steuern frische Gelder in klamme Staatskassen – weil asozialerweise alle Bürger abkassiert werden: Denn nicht nur die „kranken Dicken“ zahlen, sondern auch schlanke Gesunde und alle anderen.
Ein besonders „starkes Stück“ ist die Forderung der Verbraucherschutzministerkonferenz (VSMK), die im August 2018 in der Öffentlichkeit lanciert wurde: Wir wollen Steuern auf „ungesunde Kinderdickmacherlebensmittel“! Dies ist ein Paradebeispiel der dreisten Desinformation des eigenen Volkes.
Weniger überraschend ist hingegen, dass niemand weiß, ob eine Zucker- oder Fettsteuer dazu führt, dass Menschen sich anders ernähren, dünner oder gesünder werden. Aber man kennt inzwischen einige „Ausweichverhalten“ der Bürger, wenn man ihnen beim Essen zu tief in den Geldbeutel greift. In Dänemark beispielsweise hat man die Fettsteuer wieder abgeschafft, und zwar aus ganz pragmatisch-pekuniären Gründen: Viele Dänen kauften ihre Butter in Deutschland, sodass der dänische Staat weniger statt mehr einnahm. Die offizielle Erklärung lautete: Die hohe Fettsteuer hat keine Wirkung auf das Ernährungsverhalten der Dänen gezeigt, und sie belastete Geringverdiener unverhältnismäßig hoch.
WHO – Machterhalt und Deutungshoheit
Besonders eifrig sind Organisationen wie UN und WHO, die jedes Jahr aufs Neue Gesetze und Abkommen gegen Übergewicht und ungesunde Ernährung fordern. Fast schon beängstigend erscheint dabei die Verbissenheit, mit der gewisse Behauptungen, denen jegliche wissenschaftliche Grundlage fehlt, in die Welt gesetzt werden: Ungesunde Ernährung stelle mittlerweile eine noch größere Gefahr für die Gesundheit dar als das Rauchen, erklärte die damalige WHO-Chefin Margaret Chan im Sommer 2014.
Dabei hatte die WHO erst einige Monate zuvor die Hexenjagd auf Zucker eröffnet. Die Weltgesundheitsorganisation forderte, dass wir unseren Zuckerkonsum drastisch reduzieren sollten, um so Fettleibigkeit und deren Folgeerkrankungen zu bekämpfen. Auch wenn es redundant klingt, es muss an dieser Stelle erneut gesagt werden: Es fehlt der wissenschaftliche Beweis, dass Zucker dick oder krank macht.
Ungeachtet dessen hat die WHO im März 2015 eine neue Richtlinie veröffentlicht, in der die Empfehlung für den Zuckerkonsum von aktuell 10 Prozent des täglichen Energiebedarfs auf 5 Prozent halbiert wird. Das heißt konkret: Beim offiziellen weiblichen Durchschnittsbedarf von 2.000 kcal dürfen 100 kcal aus Zucker sein. Und das ist nicht viel: Eine 0,33-Liter-Dose Cola liefert etwa 145 Zucker-Kilokalorien, 200 Milliliter Apfelsaft circa 90 Fruchtzucker-Kilokalorien. Von Süßwaren, Kuchen und Desserts ganz zu schweigen, und der pure Zucker im Espresso: künftig streng limitiert! Auch das Nutellabrötchen müsste wohl verbannt werden. Und der Honig gleich mit; denn die WHO will jede Art von freiem und zugesetztem Zucker reglementieren, mit Ausnahme von Obst. Dabei ist in Trauben und Orangen der gleiche Fruchtzucker enthalten wie in den entsprechenden Fruchtsäften.
Das alles klingt nach purer Willkür ohne jede fachliche Grundlage. Jeder kritische Bürger darf und sollte sich natürlich fragen: Was zum Teufel soll das? Es könnte sein, dass dieser WHO-Vorstoß der omnipräsenten „Fünf-am-Tag“-Kampagne in die Karten spielen soll, denn deren „Kern-Absatzprodukte“ werden durch diesen Bevormundungsvorstoß nicht konterkariert. Ansonsten lässt sich derartig unerklärliches Vorpreschen nur mit Maßnahmen totalitärer Staaten vergleichen, die Gesetze al gusto erlassen – es geht, wie so oft, um Machterhalt und Deutungshoheit. Auch die WHO muss ein wichtiger Player im Geschäft mit der Ernährung bleiben.
Liegt's am Fast Food oder am Kaiserschnitt?
Zum Abschluss dieses Textes unterstützen wir die Kampagneros mit einer internationalen Kombination passender Fakten. In Mexiko, laut UN-Angaben im Jahr 2013 die fetteste Industrienation noch vor den USA, gilt seit Ende 2013 eine Strafsteuer auf Fast Food und Süßigkeiten. Das offizielle Ziel dieser Maßnahme: Die Regierung will den Kampf gegen das grassierende Übergewicht gewinnen. Gleichzeitig ist Mexiko Spitzenreiter unter den OECD-Ländern bei Kaiserschnitten, Deutschland liegt mit überdurchschnittlichen Schnittraten auf Platz elf (TK-Geburtenreport 2017). Nun muss man wissen: Die Kaiserschnittgeburt gilt als Risikofaktor für Übergewicht.
Beispielsweise waren einer Studie der Harvard University zufolge im Alter von drei Jahren doppelt so viele Kaiserschnitt-Kinder dick im Vergleich zu natürlich Geborenen. Vielleicht ist Schnitt-Spitzenreiter Mexiko dieser Zusammenhang nicht bekannt? Vielleicht aber kennen ihn die Baden-Württemberger, denn hier startete 2014 eine Kampagne zur natürlichen Geburt, mit dem Ziel, die Kaiserschnittrate zu senken. Eine Pommes-Steuer hingegen gibt es im „Ländle“ nicht. Stattdessen aber könnte die interkulturelle Empfehlung aus Stuttgart für Mexiko lauten: „Statt Steuern auf Fritten: Senkung von Kaiserschnitten!“
Fazit: Der gesamte staatliche Aktionismus zur Bevormundung des bürgerlichen Essverhaltens basiert auf reiner Willkür. Jeder sollte die entsprechenden Vorhaben seiner Partei kennen – um bei der nächsten Wahl nicht nur über den Tellerrand zu blicken, sondern auch hinein.
„Glaube an ausgewogene Ernährung“?
Daher sei darauf hingewiesen, dass die Bundesregierung in der derzeitigen Legislaturperiode (2017–2021) sowohl das Ampelsystem als auch „Zuckersteuer & Co.“ (noch) ablehnt – das ist ein respektables Standing contra öffentlich omnipräsente ernährungsapostolische Forderungen nach Zwangsmaßnahmen! Welchen Stellenwert die Regierung generell dem Thema „gesunde“ Ernährung zubilligt, verdeutlichen folgende Zahlen sehr schön: Im Haushalt des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft sind 2019 für die Information von Verbraucherinnen und Verbrauchern insgesamt 20 Millionen Euro vorgesehen.
Zwölf Millionen Euro werden davon in „Maßnahmen zur Förderung ausgewogener Ernährung“ investiert. Das neu initiierte Aktionsprogramm „Gesunde Ernährung von Seniorinnen und Senioren“ soll dabei einen wesentlichen Beitrag zur Prävention von ernährungsmitbedingten Krankheiten leisten. Bei einem Gesamtetat in Höhe von rund 6,2 Milliarden Euro für 2019 scheint der „Glaube an ausgewogene Ernährung“ klar ... nicht vorhanden. Aus wissenschaftlicher Sicht ist es sehr begrüßenswert, dass in diesem Glaskugelbusiness keine horrenden Summen unserer Steuergelder verbrannt werden.
Anders sieht es bei den Kollegen vom Bundesministerium für Bildung und Forschung aus. Das BMBF finanziert den Kompetenzcluster für Ernährung und kardiovaskuläre Gesundheit (nutriCARD) für weitere drei Jahre ab 2018 mit insgesamt rund 5,6 Millionen Euro. Das Verbundprojekt der Universitäten Halle, Jena und Leipzig verforscht diese unsere Steuergelder, um „die Gesundheit der Bevölkerung zu verbessern“. So wurde in der ersten Förderphase beispielsweise – kein Scherz – eine „herzgesunde Leberwurst“ entwickelt, die mit Omega-3-Fettsäuren angereichert ist.
Unabhängig davon, dass vom Leberwurstbrot sicher kein einziger Herzinfarkt vermieden wird (geschweige denn, dass es dafür jemals einen Beweis geben wird), bestätigte Mitte 2018 eine große hochwertige Studie: „Millionen von Menschen nehmen Omega-3-Fettsäuren als Tabletten zur Herzerkrankungsprävention ein. Doch das können sie sich sparen. ‚Es gibt keine einzige Rechtfertigung für die Einnahme von Omega-3-Fettsäuren‘, lautet das vernichtende Urteil von Dr. Louise Bowman, die die Ergebnisse der bisher größten randomisierten Studie zur kardiovaskulären Wirkung von Omega-3-Fettsäuren beim ESC-Kongress 2018 in München präsentiert hat“ (Ärzte Zeitung). Erst ein paar Monate zuvor hatte eine Meta-Analyse von zehn randomisierten Studien mit fast 78.000 Teilnehmern, publiziert im JAMA Cardiology, klar gezeigt, dass Omega-3-Fettsäuren keine Wirkung auf die Entwicklung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben oder gar die Sterblichkeit senken.
Aber das war den deutschen Uni-Forschern wurst, denn sie verwursteten Millionen Euro an Steuergeldern, um die nutzlosen Fischfette in die Leberwurst zu mischen ...
Den ersten Teil dieser Serie finden Sie hier.
In der nächsten Folge lesen Sie morgen: Fleisch und Fleisch gesellt sich gern
Uwe Knop (geb. 1972) ist Diplom-Ernährungswissenschaftler. Er arbeitet seit vielen Jahren im Kommunikationsbereich der Gesundheits- und Medizinbranche und ist Kritiker der Manie um gesunde Ernährung. Dies ist sein Auszug aus seinem neuen Buch „Dein Körpernavigator. Zum besten Essen aller Zeiten“ von Uwe Knop, 2019, Heidelberg: Polarise-Verlag, hier bestellbar.