Volker Voegele, Gastautor / 28.08.2017 / 06:10 / Foto: Gostens / 30 / Seite ausdrucken

Erst lesen, dann schlucken: Beipackzettel Elektromobilität

Von Volker Voegele.

2017 ist der mit Verbrennungsmotoren ausgestattete Fahrzeugbestand in Deutschland bei 63 Millionen: Personenautos, Lastwagen, Busse, Zweiräder, Baustellen-/Landwirtschafts-Fahrzeuge et cetera. Würden die auf elektrischen Antrieb umgestellt, ergäbe dies zahlreiche Risiken und Nebenwirkungen. Hier also die Packungsbeilage. Elektromobilität als vorgeblich vorteilhafteres Antriebskonzept im Vergleich zu Verbrennungsmotoren müsste zunächst  einmal folgende Kriterien erfüllen:

  • Geringerer Energieaufwand
  • Geringerer Ressourcenaufwand
  • Geringere Schadstoffemissionen und Umweltbeeinträchtigung
  • Technisch gute Funktionsfähigkeit und ökonomische Betriebsweise

Die Stromverluste der Leitungen vom Kraftwerk zum Fahrzeug-Akku (minimal ca. 5  Prozent), bei der Akku-Aufladung (minimal ca. 5 Prozent) und der Akku-Entladung während den Fahrzeugstillstandszeiten (minimal ca. 1 Prozent innerhalb einiger Tage) addieren sich zu etwa 10 Prozent. Das ist minimal gerechnet, je nach Konzept der Akkus und den aktuellen  Umgebungsbedingungen können insgesamt (permanent/temporär) höhere Verluste bis über 20 Prozent entstehen. Das ist unvorteilhaft, aber für die weiteren Betrachtungen stellt dies überraschenderweise nicht einmal das eigentliche Hindernis für die Elektromobilität dar.

Im Prinzip sind sowohl Elektro-Fahrzeuge als auch stromerzeugende Kraftwerke gut funktionsfähig; beide Technologien profitieren von Entwicklungen neueren Datums. Kritisch ist einzig die Akku-Technologie, leider ist das Entwicklungspotential unklar. Bei einigen tausend Fahrzeug-Akkus wie zur Zeit, die täglich aufgeladen werden, sind die zusätzlich notwendige Kraftwerkskapazität und die dem Bedarf anzupassende Kraftwerksregelung samt der zu installierenden Stromladeinfrastruktur kein Problem.

Wie sähe es aber aus bei Millionen von Akkus, die täglich aufgeladen werden müssten? Anschaulich und recht „sparsam“ gerechnet, kann man im Überschlag annehmen, dass im Tagesdurchschnitt ein Drittel des oben genannten Gesamt-Fahrzeugbestandes mit 20 kW Durchschnitts-Leistung eine Stunde unterwegs ist („Sparsam“ gerechnet deshalb, da die über drei Millionen Lkw und Busse ein Vielfaches an Leistung brauchen und täglich mehrere Stunden fahren). Die bereitzustellende Gesamtenergie pro Jahr wäre ca.170 TWh (1 T = 1 Tera = 10E12 = 1012); errechnet wie folgt: 21 Millionen x 20 kW x 1 h (Stunde pro Tag) x 365 (Jahrestage) x 1,1 (Ladeverlustaufwand).

Bis zu 60 Kernkraftwerke für 435.000 Schnell-Ladestellen

Ein 1000 MW  (1 M=1 Mega=10E6) Kernkraftwerk (KKW) erzeugt pro Jahr ca. 7,5 TWh; errechnet wie folgt: 1000 MW x 8760 h (Jahresstunden) x 0,85 (durchschnittliche Jahresverfügbarkeit eines KKW). Rechnerisch würde man also über 20 Kernkraftwerke benötigen, um den gesamten Fahrzeug-Akku-Bestand mit Strom aufzuladen. Zweifelsohne machbar, aber folgendes Problem wäre noch zu lösen: „Getankt“ wird nicht gleichmässig über den Tag, sondern vielleicht mit einem Stundendurchschnittsdrittel zwischen 22-7 Uhr, dagegen zwischen 11-12 und 17-19 Uhr mit dem dreifachen Stundendurchschnittswert. Entsprechend würde der Kraftwerksbedarf im Tagesverlauf zwischen 7 und über 60 Kernkraftwerken schwanken.

Angenommen, die  Fahrzeug-Akkus hätten im Schnitt eine Ladekapazität von 60 kWh und eine 'Schnell-Aufladung' würde eine halbe Stunde dauern. Gemäß der hier verwendeten Annahmen wird im Tagesschnitt für 7 Millionen Akkus eine Komplettladung notwendig (ein 60 kWh Akku erlaubt einen 3-stündigen Fahrbetrieb bei 20 kW). Es ergeben sich also 145.000 Schnell-Ladestellen = 7 Millionen / (24 x 2) bei über den Tagesverlauf optimierten Ladeintervallen. Berücksichtigt man aber ein unkoordiniertes Tankverhalten der Fahrzeugfahrer  läge man bei  ca. 435.000 Schnell-Ladestellen. Wäre das nicht ein wenig überambitioniert? Zum Vergleich: Gegenwärtig gibt es ca. 15.000 Tankstellen für Benzin, Diesel und Gas in Deutschland.

Der Jahresverbrauch von Otto- und Diesel-Kraftstoffen ist gegenwärtig bei 50 Millionen Tonnen. Mit dem Heizwert dieser Kraftstoffe bei ca. 12 kWh/kg ergibt sich ein Primärenergieverbrauch von etwa 600 TWh pro Jahr. Der Verbrennungsmotor-Wirkungsgrad in realer Fahrweise dürfte bei 30 Prozent liegen, also ist das vergleichbar mit den oben gerechneten 170 TWh.

In diesen Betrachtungen stecken aber einige nicht geklärte weitere Annahmen und so ist die Übereinstimmung nur als grobe Orientierung zu verstehen. Klar ist, der Verbrennungsmotor-Fahrbetrieb hat insgesamt eine ziemlich schlechte energietechnische Bilanz/Effizienz. Dies liegt aber nicht nur an diesem Motortyp selbst, denn Beschleunigung, Geschwindigkeit, Roll- und Luftwiderstand, Verkehrsverhältnisse, Umweltbedingungen, Wartungszustand und nicht zuletzt die individuelle Fahrweise haben darauf einen merklichen Einfluss.

Wind und Sonne passen leider nicht in den Tank

Wird für den Elektroantrieb die Verbrennungstechnologie vom Fahrzeugmotor in das stromerzeugende Kraftwerk (Öl, Gas, Kohle) verlagert, erreicht man dort zwar höhere Wirkungsgrade und tiefere Emissionen, aber das ist sozusagen nur die „halbe Wahrheit“. Vergleichen müsste man genaugenommen „Äpfel mit Äpfeln“, also zum Beispiel Dieselmotorbetrieb versus Elektro-Antrieb versorgt durch ein Dieselkraftwerk bei sonst gleichen Leistungsdaten des Fahrzeugs. Natürlich unter Berücksichtigung der Stromübertragung vom Kraftwerk zum Fahrzeug-Akku.

Der mit ziemlich hohen Energieaufwand/Emissionen behaftete Verbrennungsmotor-Fahrbetrieb sollte eigentlich Herausforderung sein, alternative Antriebsarten zu entwickeln. Diese Möglichkeit bestand übrigens schon seit dem Beginn des Autoverkehrs Ende des 19. Jahrhunderts. Die Forderungen nach einem Verbot für Verbrennungsmotoren sind schlicht anmaßendes Getöse.

Es wäre im übrigen eine Schnapsidee, stark variierende Stromverbraucher mit Kernkraftwerken zu versorgen; eignen würden sich Kombi-Kraftwerke mit Gas- und Dampfturbinen. Es ist aber anschaulicher mit den Standarddaten heutiger Kernkraftwerke  zu rechnen. Eine Schnapsidee wäre es auch, mit dem Strom von Windturbinen oder der Solarvoltaik die Fahrzeug-Akkus aufzuladen. Bezogen auf die mögliche Stromnennleistung hat der gegenwärtig installierte Windturbinenbestand eine Jahresverfügbarkeit von knapp 20 Prozent mit einem grossen Nord-Süd-Gefälle zwischen Nordsee bei 40  Prozent und Bayern bei gut 10 Prozent.

Natürlich ist die Verfügbarkeit auch von den weiteren Details des Standorts (Berggipfel, Ebene) abhängig und schwankt zudem mit dem Wetter leicht über die Jahre. Die gegenwärtige Solarvoltaik hat eine Jahresverfügbarkeit von nur ca. 11 Prozent (!) bezogen auf die installierte Nennleistung. Auch sie schwankt etwas mit dem Wetter über die Jahre.

Gesellschaftlicher Konsens, dass nachts die Sonne nicht scheint

Sowohl der Strom von Windturbinen als auch derjenige der Solarvoltaik kann über mehrere aufeinander folgende Tage fast komplett ausfallen, was erstaunlich viele Leute verkennen. Immerhin herrscht gesellschaftlicher Konsens, dass nachts die Sonne nicht scheint. Und nebenbei bemerkt, eine Stromerzeugungs-Reserve (zur Akku-Aufladung) aus Fliesswasser-Kraftwerken wie in Norwegen steht in Deutschland naturgegeben nicht zur Verfügung.

Gibt es Reserven im schon bestehenden Kraftwerksbestand? Frei nach Radio Eriwan: „Im Prinzip ja“. Das Total der Jahresstromerzeugung über die vergangenen Jahre beträgt etwas mehr als 600 TWh. Die Tagesstromproduktion ist eine Wellenkurve mit aktuell Mittagshöchstwerten um  80/75 GW und Nachttiefstwerten um 60/50 GW, jeweils im Winter/Sommer (1 G = 1 Giga = 10E9). Mit der Abschaltung von bisher 8 Kernkraftwerken und der Neuinstallation von Windturbinen/Solarvoltaik wurden die planbaren Reserven und die Versorgungssicherheit der Stromproduktion reduziert.

Der Ausblick: Ähnlich wie die sogenannte „Energiewende“ ein Konstrukt fachfremder oder gar Lobby-Organisationen, politischer Parteien und Consultants ist, gibt es ähnliche Anzeichen für eine Politik der "Verkehrswende" – übrigens propagiert von denselben Leuten – bei der Antriebstechnik für die Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren. Gemessen an den Ansprüchen (CO2–Reduktion, ökonomischer und sicherer Betrieb) ihrer Befürworter ist die „Energiewende“ gescheitert. Ein Ziel des Grossteils dieser Gruppierungen wurde allerdings erreicht, die Abschaltung der Kernkraftwerke. Die Elektromobilität hat zweifelsohne brauchbares Potential, aber gravierende Fehlentwicklungen sind in den Händen ideologiegetriebener Leute vorprogrammiert.

Dabei ist die Problemlösung doch schon lange bekannt: Förderung und Ausbau des öffentlichen Verkehrs. Nicht zuletzt in der Abstimmung mit Flächennutzungsplanern, sofern eine seriöse Planung auch erkennbarer Wille der Bundes- und der Landesregierungen wäre und zum Beispiel die nachgeordneten Behörden und Ministerien mit ausreichend Fachpersonal ausgestattet würden. Mehr öffentlicher Verkehr sollte den Strassenverkehr nicht abschaffen, aber deutlich reduzieren.

Dieser „Beipackzettel“ enthält keine neuen Erkenntnisse, beleuchtet dagegen die Zusammenhänge im System von Fahrzeug-Akku, Stromladenetz und Kraftwerk, die sonst wenig betrachtet werden.

Volker Voegele ist promovierter Physiker und lebt in der Schweiz. Er hat über 20 Jahre Berufserfahrung in der Leittechnik für Grosskraftwerke und ist seit vergangenem Jahr pensioniert.

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Axel Balster / 28.08.2017

Angeblich ist ja unsere Kanzlerin auch Physikerin!

Jean Pirard / 28.08.2017

Beim ÖPNV denkt der Autor gewiß an sein Heimatland Schweiz. Der gute Entwicklungsstand des ÖPNV dort muß erst einmal erreicht werden, bis an einen Ausbau zu denken ist. Hier gelingt noch nicht einmal ein zügiger Breitband-Ausbau. Zügig ist nur der Verfall der ÖPNV-Infrastruktur auf dem Land. Es gibt noch eingleisige Strecken die nicht elektrifiziert sind und ...........

Thomas Weidner / 28.08.2017

Na - das Problem mit dem Strommangel ließe sich doch durch die dirigistische - besser sozialistische - Lenkungswirtschaft, sprich Planwirtschaft, leicht lösen:  Der Strom wird zugeteilt. Damit kann jeder Bürger auch noch besser und intensiver überwacht werden.

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