Der Begriff Wutbürger tauchte auf, als eine merkwürdige Melange aus Linken, Grünen und Bürgerlichen gegen Stuttgart21 auf die Straße ging. Seitdem umgibt den Wutbürger der Nimbus des demokratietauglichen Aufbegehrers, das aus der Mitte der Gesellschaft kommt. Es schwingt Respekt vor dem Mutigen bis Verwegenen mit.
Diese Attribute werden den Pegida-Demonstranten abgesprochen. Wird in ihrem Zusammenhang der Wutbürger angerufen, so kommt der Ruf nicht ohne verunglimpfende Beiwörter aus. „Wutbürger planlos“ heißt es dann oder „Wutbürger zwischen Mob und Mitte“. Nirgends fehlt der Hinweis, dass es bei Pegida dumpfe Ängste sind, die die Menschen auf die Straße treibt.
Bisher sind Massendemonstrationen, die nicht auf dumpfen Ängsten beruhten, unbekannt. Ob es gegen den Nato-Doppelbeschluss, gegen Atomkraft oder gegen das Finanzsystem ging, immer waren massenhaft Ängste im Spiel, ohne dass diese Bewegungen deswegen desavouiert wurden. Bei Pegida jedoch gilt die Angst als eingebildet, haltlos, krude und verwerflich. Dabei wird nicht nur mit zweierlei Maß gemessen, es wird auch geflissentlich übersehen, dass es nun mal die Angst ist, die Menschen eint (oder die Begeisterung, aber dann würde Pegida ins Fußballstadion ausweichen).
Die blanke Anwesenheit von Angst war bisher kein Disqualifikationsgrund für Demonstrationen. Im Gegenteil. Bei Occupy Wall Street wurden die Medien nicht müde, die Ängste der Menschen zu thematisieren und zu frohlocken, dass endlich eine Bewegung gegen die internationalen Finanzmärkte entstanden sei. Aus unerfindlichen Gründen scheinen die friedlichen Pegida-Demonstrationen für viele Journalisten und Politiker eine größere Gefahr darzustellen als Massendemonstrationen, die einen radikalen Systemwechsel fordern und sogar den Begriff „Besetzung“ im Titel tragen. Eine „Schande für Deutschland“ war Occupy Wall Street jedenfalls nie.
Die Wahrheit ist, dass sich Bewegungen wie Occupy Wall Street an die Spielregeln der Medienwelt halten. Sei jung, denke fundamentalistisch, verlange den Systemwechsel und habe hehre moralische Forderungen. Dann - und nur dann - bleibt alles, wie es ist. Das weiß natürlich auch die linksintellektuelle Medienelite, weswegen sie diese Bewegungen mit mehr als nur Wohlwollen begleitet. Merke: solange das System gut funktioniert und sich an neue Bedürfnisse anzupassen vermag, ist der Ruf nach einem Systemwechsel billig und ungefährlich, sei er moralisch auch noch so attraktiv und selbstvergewissernd.
Pegida scheint diese Spielregeln zu verletzen. Es wird die Plötzlichkeit betont, mit der Pegida völlig überraschend aus dem Nichts auftauchte, ganz so als müssten in einer Demokratie erst die Medien und Parteien gefragt werden, bevor sich Menschen zusammenschließen dürfen. Hier scheint ein ungeschriebenes Gesetz der demokratischen Kontrolle verletzt worden zu sein.
Gleichzeitig sind die Parallelen in der Berichterstattung, wie sie bereits über die AfD stattfand, nicht zu übersehen. Erst wird versucht zu verschweigen, dann wird mit den immer gleichen Argumenten gepoltert: rechtsradikal, rechtspopulistisch, kriminell, eben eine „Schande für Deutschland“ (Wolfgang Schäuble über die AfD). Wie sich die Rhetorik wiederholt.
Was natürlich stimmt: Pegida ist mit der Programmatik der AfD ziemlich deckungsgleich. Auch die AfD ist in jene Lücke hineingestoßen, die die große Einmütigkeit in der Parteienlandschaft eröffnet hatte. Wenn es bei etwas so Existentiellem wie der Euro-Rettung nur eine einzige Meinung geben darf, die parteiübergreifend und fast diskussionslos in allen Medien heruntergebetet wird, dann leistet das einem gewissen Misstrauen und Verdruss Vorschub. Hätte man der FDP damals erlaubt, aus der Koalitionstreue auszubrechen und die Stimme des Zweifels und der wirtschaftlichen Vernunft zu sein, die AfD würde es heute nicht geben.
Stattdessen ist die FDP Geschichte. Und die AfD ist schon lange keine Anti-Euro-Partei mehr, sondern hat inzwischen die national-konservativen Themen besetzt, mit denen sich die Pegida-Demonstranten offensichtlich identifizieren können.
Das Aufblühen von Graswurzel-Bewegungen ist nicht auf linke Themen beschränkt, auch wenn es die linksintellektuelle Medienelite gerne so hätte. Die Tea-Party-Bewegung in den USA ist ebenfalls eine Graswurzel-Bewegung und man kann unschwer die Prognose stellen, dass Pegida, AfD und die vielen anderen Bewegungen, die sich ihnen noch zugesellen werden, das Amalgam einer deutschen Tea-Party-Bewegung bilden werden.
Wenn es gut ausgeht.
Vor allem die veränderte Mediennutzung hat zu der Pegida-Bewegung beigetragen. Seit sich das Medienverhalten extrem individualisiert hat und niemand zum gut Unterrichtetsein noch die gedruckten und offiziös ausgestrahlten Medien benötigt, hat sich in vielen Kreisen die Meinung verfestigt, dass die „eigentlichen“ Fakten eh nicht mehr in diesen offiziösen Medien zu finden sind, sondern nur noch im Internet. Facebook tat ein Übriges, um sich mit Gleichgesinnten austauschen und sowohl vernünftige wie auch abstruseste Meinungen unendlich perpetuieren zu können. Hier besitzt Pegida die gleichen Wurzeln wie der Arabische Frühling oder Occupy Wall Street. Allen gemein ist das tiefe Misstrauen gegen den Verbund aus Medien und Politik und die Lust am Eigenmächtigen.
Ob es sich um die Klimaerwärmung, die Energiewende oder die Euro-Rettung handelt, die relevanten Informationen ziehen die Menschen nicht mehr aus den bekannten Medien, sondern sie machen sich zu Jägern und Sammlern im Internet. Hier steht viel mehr Relevantes, Informatives und Hintergründiges als in den Verlautbarungsmedien á la Spiegel, Süddeutscher Zeitung, Zeit oder den Öffentlich-Rechtlichen Sendeanstalten.
Bei der Asylpolitik offenbart sich ein ähnliches Bild. Politik und Medien laufen in die eine Richtung, während die Realität die entgegengesetzte Richtung einschlägt. Scheinbar wenig hilfreiche Bücher wie das von Thilo Sarrazin legen dann den Finger in diesen immer größer werdenden Realitätsspalt und erzielen Millionenauflagen, was einer Abstimmung mit den Füßen gleichkommt. Ähnliches gilt für das Buch „Deutschland von Sinnen“ von Akif Pirincci und die vielen erfolgsverwöhnten politischen Blogs und digitalen Publikationen, zu denen übrigens auch die Achse des Guten zählt.
Kurzum: wer diesen Text liest, ist schon viel näher an Pegida, als er oder sie es vielleicht gerne hätte.
Die Überraschung, dass sich aus diesen Millionen von Buchkäufern und Internetnutzern einige Tausend zu einer neuen Bewegung zusammentun, ist wohlfeil und offenbart, wie wenig Politik und offiziöse Medien ihr Publikum noch einzuschätzen wissen. Das Herunterdünnen auf ein lokales Dresdner Phänomen scheint eher dem Wunsch geschuldet zu sein, aus Pegida möge sich bitte, bitte keine deutschlandweite Bewegung formieren, wiewohl man nur die sozialen Netzwerke verfolgen muss, um zu wissen, dass dies längst geschehen ist.
Überhaupt mag an dieser Stelle die Frage berechtigt sein, welche Aufgabe den Top-down Medien eigentlich zugewachsen ist. Dass sich die Presse als vierte Gewalt im Staate und als Kontrollinstanz der Politik begreift, ehrt sie. Dann ist eine ihrer vornehmlichsten und vornehmsten Aufgaben aber auch, die Politik darüber zu informieren, wie ihr Publikum denkt und fühlt.
Schaut man sich die Berichterstattung zu Pegida an, wird deutlich, dass vor den Informationsgehalt ständig eine Art gut gemeinter Absichtserklärung geschaltet ist, die intellektuell langweilt und in ihrer Durchschaubarkeit verstimmt. Der Leser scheint nicht reif genug zu sein, Informationen kommentarlos aufnehmen zu können. Denn nicht zufällig ist eben diese Absichtserklärung mit der aus der Politik identisch. Es wird versucht, die Bewegung zu demontieren, zu verunglimpfen und an den äußersten rechten Rand zu drängen. Hier macht sich die vierte Gewalt zu einem Büttel eben jener Politik, die sie doch angetreten war zu kontrollieren.
Das hat übrigens nichts mit Gleichschaltung oder Verschwörung zu tun, sondern ist oft einfach der Tatsache geschuldet, dass sich Journalisten in Deutschland weniger dem Bericht, als vielmehr einer staatstragenden Rolle verpflichtet sehen. Ein zu eng gefasstes Verantwortungsgefühl, die Demokratie ständig beschützen zu müssen, führt eben zu dem, was man Verlautbarungsjournalismus zu nennen pflegt. Die Gleichschaltung kommt nicht von oben oder den Mächtigen, sondern liegt allein im moralischen Konsens.
Zu viel Konsens auf der einen Seite führt zu einer merkwürdig infantilen Reaktion auf der anderen. Dem Trotz. Bisher ist es weniger rechtsradikales Gedankengut, Ausländerhass oder Staatsverdruss, was die Pegida-Demonstranten eint, sondern vielmehr ein zur Schau gestellter Trotz. Dieser Trotz, so kann man vermuten, ist im Osten Deutschlands länger gepflegt und stärker ausgeprägt worden als im Westteil. Zudem wurde vor 25 Jahren dieses Gefühl mit einem sagenhaften Erfolgserlebnis verknüpft. Das ist zumindest ein Hinweis darauf, warum AfD und Pegida ihre ersten Erfolge im Osten feiern konnten.
Demokratische Reife entscheidet sich nicht am etwas ungelenk wirkenden Trotzverhalten, sondern bedarf eines anderen Lackmustests, zumindest in Deutschland und dem Rest Europas (ganz anders als in den USA). Es ist der Lackmustest des Antisemitismus. Um in Europa neue Massen hinter sich zu scharen, ist die Bedienung antisemitischer Ressentiments nicht nur ein probates, sondern eben auch ein erfolgreiches Mittel. Hier haben sich die etablierten Parteien in Deutschland auf einen Konsens geeinigt, der nicht hoch genug geschätzt werden kann. Gerade am rechten und linken Rand gibt es diesen Konsens nicht, weswegen neue politische Bewegungen grundsätzlich mit Vorsicht zu genießen sind.
Paart sich das infantile Gefühl des Trotz’ mit dem judenfeindlichen Erbe der Deutschen, haben wir bald eine national-konservative Bewegung, vor der einem grauen kann.
Das aber nur, wenn es schlecht ausgeht.
Markus Vahlefeld betreibt den Blog http://www.der-gruene-wahn.de