Von Parteien im Staat zum Parteienstaat

Eine passiv-aggressive Verstummung ist im Gange, dumpfe Resignation breitet sich in der Bevölkerung aus. Das alles hat sich in den letzten Jahren schleichend durchgesetzt und ist politisch gewollt. Der deutsche Parteienstaat zeigt seine dunklen Seiten.

Gelegentlich bekommen wir Zuschriften von Lesern, die bemängeln, dass wir zwar die beklagenswerten Zustände in Deutschland und Europa richtig beschreiben würden, aber die Frage offenbliebe, wie man sich konkret gegen diese Missstände und Zumutungen wehren könne; was geschehen müsse, um Abhilfe zu schaffen. Wir verstehen das: Zuweilen verzweifeln Menschen, wenn sie zu lange auf Unzumutbarem herumkauen, das einfach nur bitter schmeckt. Sie wollen das in ihren Augen Allerschlimmste verhindern und fragen uns nach Möglichkeiten der Artikulation und Sammlung. Diese Menschen sind zunehmend ungeduldig und nahe der Kompromisslosigkeit. Andere wiederum haben schon resigniert, ziehen sich im Gefühl der Machtlosigkeit zurück, verstummen und sind frustriert, dass die „offene“ Gesellschaft sie nicht anhören will und diffamiert. Das alles hat sich in den letzten Jahren schleichend durchgesetzt und ist politisch gewollt. Der deutsche Parteienstaat zeigt seine dunklen Seiten.

Eine passiv-aggressive Verstummung ist im Gange, dumpfe Resignation breitet sich in der Bevölkerung aus. In Erwartung der Folgen von Preissteigerungen, Firmenpleiten, Arbeitslosigkeit, Kälte und Mangel hat sich ein Klima der Freudlosigkeit über das Land gelegt. Es gibt jedoch zahlreiche Menschen, die regelmäßig auf die Straße gehen und demonstrieren, aber man hört fast nichts davon in den „Leitmedien“. Eine verunsicherte Republik im Dauerzustand der Sorge um die Zukunft ist der neue Status quo. Während kritische Bürger von der Politik ignoriert oder gegängelt werden, formieren sich die Reihen derer immer geschlossener, die der Staatsapparat mit Beraterverträgen, Kampagnengeldern, Zuschüssen und Kommunikationsbudgets, Projekt- und Kontrollaufträgen alimentiert.

Die ideologisch linientreue Klientel sammelt sich im warmen Nest der Staatsquote. Der Staat ist unterdessen parteiisch geworden. Die Parteien sind vollends als Funktionselemente in ihn diffundiert, haben die Gewaltenteilung unterwandert und üben von dort Herrschaft aus. Wenn die Staatsgewalten (Legislative, Exekutive und Judikative) von politischen Parteien bestimmt werden, ist das Parteienherrschaft, wo eigentlich unabhängige Gewalten herrschen und sich gegenseitig kontrollieren sollten.

Protagonisten des Niedergangs machen besinnungslos weiter

Obwohl das Selbstverständnis der Parteien als staatstragend verstanden wird, werden wir dennoch mit inkompetenten Politikern konfrontiert, die in einer langanhaltenden Schönwetterphase deutscher Nachkriegsgeschichte und auf den aufsteigenden Wachstumskurven des Wohlstands nach oben gespült wurden, aber zunehmend nur über Erfahrungswerte aus dem eigenen Parteiapparat verfügen. Diese in der Wirtschaftsrealität des Landes nie beheimateten Karrieristen können dem aktuellen Dauer-Krisenmodus nicht standhalten. Sie versagen zwangsläufig, weil ihnen das intellektuelle und ökonomische Handwerkszeug für den Umgang mit schicksalhaftem Krisengeschehen vor dem Hintergrund juristischer, volkswirtschaftlicher und ethischer Anforderungen fehlt.

Viele von diesen Politikern haben die Zustände selbst gefördert, an denen sie heute scheitern. Man misstraut solchen „Eliten“ und traut ihnen nichts zu – vor allem keine zukunftsträchtige Energiepolitik und keine krisenfeste Wirtschaftspolitik, die dem Wohlstand nachhaltig und seriös verpflichtet ist. Auch keine Politik, die genuin deutsche Interessen oder die der „kleinen Leute“ vertritt, ist zu erwarten. Aber die Protagonisten des Niedergangs machen besinnungslos weiter.

Manche Leser sind regelrecht enttäuscht, dass wir keine Formeln für die Frage „Und jetzt?“ parat haben – als gäbe es eine Art journalistische Verpflichtung, die Kritik an den Zuständen mit dem Plan für die Systemänderung als inhaltliche Klammer abzuliefern. Aber dieses Junktim existiert nicht, da es um Journalismus geht. Die notwendigen Lösungen liegen in der Verantwortung der Politik und der Wähler. Auch wenn mancher jetzt ausrufen würde, dass genau das die Mutter aller Probleme sei und man das Ganze umstürzen müsse, sollten wir lediglich an unsere Rolle als unideologische und möglichst unparteiische Chronisten und Kritiker erinnern. Diese sind nicht minder wichtig und sie werden rar. Deshalb sind wir nicht nur keine Aktivisten, sondern können und wollen es auch nicht werden.

Wir müssen feststellen, dass es zum Erhalt des gegenwärtigen Parteienstaats genügend Mitmenschen zu geben scheint, die die herrschenden Zustände bevorzugen, sie für gut oder zumindest tolerierbar halten, sei es, weil sie fest überzeugt, verblendet, manipuliert oder schlicht ahnungslos sind – vielleicht auch alles zusammen. Auch metaphorische Begriffsmonster wie die „Große Transformation“ aus dem Munde des Polit-Personals machen sie nicht stutzig. Es ist relevant: Wer darf bestimmen, wo es langgeht? An der mehrheitlich gewählten Politik kann man erst wieder zur nächsten freien, demokratischen Wahl etwas ändern, oder etwa nicht? Hat sich die Demokratie vielleicht so oft gehäutet, dass keine Substanz mehr da ist?

Der Parteienstaat alimentiert seine eigene Lobby

In postdemokratischen Zeiten verhärtet sich illegitimer Machtanspruch und bedarf keiner Mehrheitsverhältnisse mehr. Die Tendenzen sehen wir überall da, wo das „Wohl des Volkes“ mit partei-ideologischen Mitteln als moralistischer Überwurf verhandelt wird, mit betreutem Denken, Gesinnungs-Ethik und Bevormundung. Wo die Meinungsbildung Mitteln staatlicher Beeinflussung und Repression ungeschützt ausgesetzt ist, entsteht keine offene Gesellschaft, sondern das Gegenteil.

Vorbote des vollendeten Parteienstaats ist die Kontrolle der Information. Deutschland ist da „sehr gut“ aufgestellt, denn es leistet sich eines der weltweit teuersten öffentlich-rechtlichen Rundfunksysteme, das seine konstitutionelle Verpflichtung zur Ausgewogenheit ignoriert und stattdessen politische Hofberichterstattung und Volkserziehung betreibt.

Es werden darüber hinaus hunderte Steuermillionen in Institutionen, Stiftungen und Privatunternehmen gesteckt, die die „Wahrheit“ betreuen und Fakten einer gesinnungstechnischen Prüfung unterziehen. Diese geprüfte „Wirklichkeit“ wird dann mit Labeln versehen, die dem Leser wie an der Fleischtheke signalisieren sollen, ob die Informationen in geistiger Bodenhaltung oder Freilandkultur entstanden sind. Das alles ist natürlich keine staatliche Zensur, sondern nur die Dienstleistung gesinnungseifriger Politikerklärer... So alimentiert der Parteienstaat seine eigene Lobby und betreibt nebenbei viele kleine Wahrheitsministerien in den Redaktionsstuben der Republik.

Eigentlich steht im Grundgesetz über die Aufgabe der Parteien, dass sie bei der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken, und nicht, dass sie diese Willensbildung über staatliche Institutionen betreiben sollen. Sie tun es trotzdem. Nur vereinzelt regt sich Kritik an der Überformung unseres Staates zum Parteienstaat. Das Problem ist, dass den Bürgern der Vorgang einer schleichenden Vereinnahmung aller systemrelevanten Gewalten und Medienträger durch die Parteien nicht ins Bewusstsein rückt und sich nicht als gesellschaftliche Gefahr darstellt.

Wikipedia schreibt zum „Parteienstaat“:

„Der Volks- oder Gemeinwille wird damit vor allem von den politischen Parteien geprägt. Den Parteien [Anm.: Dem Parteienstaat] wird eine ausgeprägte Selbstbedienungsmentalität der Parteien und Parteipolitisierung des Beamtentums nachgesagt, zudem die Bildung eines Kartells der Parteieliten – eine 'politische Klasse', die nur aus selbstsüchtigen Gründen an der Systemerhaltung interessiert ist. Nicht wenige deuten dies als 'Verfallserscheinung der Republik' und als demokratiewidriges Emporkommen eines fast 'absolutistischen Caesarismus des oder der Parteiführer'. In Deutschland gilt der Marsch der Parteien durch die Institutionen des Staates als besonders bedenklich, sie haben es sich mit staatlichen Geldern komfortabel eingerichtet.“

 

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Foto: Illustration Rudolf Wildermann

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giesemann gerhard / 15.10.2022

@Okko tom B.: Wie macht Präsident Putin das? Russische Verfassung hin oder her. Im GG steht jedenfalls nichts von einer Begrenzung der Amtszeit des Bundeskanzlers. Gut, die BRD ist auch keine Präsidentialdemokratie mit fast schon diktatorischen Vollmachten des Präsidenten wie die USA, Frankreich und Russland. Vive la différence!

Bernd Michalski / 15.10.2022

Heute mal relativ klar formuliert, das gilt es zu loben. ;-) ___ Aber nein, was wie Versagen aussieht, ist Absicht. Deutschland SOLL zugrunde gerichtet werden: Wohlstand, Demokratie, Freiheit – soll alles weg. Das ist schon seit einigen Jahren meine Wahrnehmung der grünen Politik. Etwas überrascht bin ich nur, dass 80% der Parteienlandschaft das fröhlich erregt unterstützen, so pessimistisch war ich bis vor relativ kurzem nicht. Man lernt dazu. ___ Richtig und wichtig ist die Feststellung, dass die grundgesetzliche Gewaltenteilung inzwischen faktisch ausgehebelt ist. Damit ist der Rechtsstaat, als zentrale Säule eines nicht-totalitären Gemeinwesens, massiv gefährdet. Zustände wie in USA und UK drohen auch hier: der Justizapparat als Büttel des Politregimes zur Ausschaltung kritischer Stimmen. ___ Beim Thema “Wir sind ja schließlich nur Journalisten” machen Sie sich aber doch einen schlanken Fuß, gell. Es verlangt keiner, dass Sie eine Partei gründen, auch wenn Dirk Maxeiner mit dem Thema spaßeshalber gespielt hat. Der Vorwurf vieler Leser ist aber, dass Sie sich faktisch an der Ausgrenzung und Tabuisierung der AfD beteiligen und damit eine denkbare politische Perspektive faktisch behindern. Das ist durchaus eine Frage an Ihre journalistische Haltung, oder? Sie scheinen panische Berührungsangst zu haben gegenüber allem, was nach „Populismus“ riecht. ___ Im übrigen ist eine energiepolitische Rettung des Abendlands schwer denkbar, wenn Sie den offiziösen Russlandhass vorbehaltlos, fast fanatisch unterstützen, wozu Sie sich in Person vor wenigen Monaten bekannt haben, als Linie der Herausgeber. Das ist natürlich Ihr Recht, wohlgemerkt, aber dann müssen Sie auch damit leben, dass sehr viele Leser das als überaus enttäuschend empfinden.

Günter Schaumburg / 15.10.2022

Zwei Amazonen auf der Achse: Sabine Schönfeld und Sabine Schönfelder. Beide vom gleichen Stamm? Egal. Beide logisch und stilistisch auf höchstem Niveau! Hut ab!

Günter Schaumburg / 15.10.2022

Prächtig, Frau Schönfelder, prächtig!

Bernd Oberegger / 15.10.2022

Sehr geehrter Herr Nicolay, Menschen schreiben, dass ihnen die Beschreibung der unsäglichen Zustände nicht ausreicht. Sie fordern mit recht die Benennung von Lösungen. Im weiteren Verharren wird es aber keine Lösung geben. Die Parteien CDU/CSU und SPD waren einmal staatstragend. Nun sind sie mit dem grünen Raureif einer 15%-Partei überzogen, die einen Industriestaat stranguliert. Dies konnte nur geschehen, weil es zu einem Totalversagen der großen Parteien gekommen ist. Machtgier mit Idiotie gepaart. Der vermeintliche Hoffnungsträger der CDU, Merz, redet sich um Kopf und Kragen. Die FDP landet bald verdient in der Ausnüchterungszelle. Das in Not geratene Volk wird bald Lösungen einfordern. Weiteres Geschwafel können sich die “Parteien” ersparen.

Rainer Irrwitz / 15.10.2022

Autsch! Herr Nicolay, alleine für das Titelbild landen sie bald im QZ [Quarantänezentrum] der HYPO [Hygiene Polizei]. Auf ihre gestreifte Jacke wird wahrscheinlich ein grosses “R” aufgenäht (Reitschusterling). Aber keine Angst, Pfizer hat dann schon eine “Behandlung” für Subjekte wie Sie parat. Und wenns nicht wirkt wird man Sie Klimaneutralisieren, auch gut, oder? (wenigstens für die Chinesen, die können dann noch 0,2 sec. länger das Klima belasten)

Steffen Huebner / 15.10.2022

“Nun dürfte es Amtlich sein. Nord Stream 1 und 2 werden nicht repariert. Bereits letzte Woche stimmte man im EU-Parlament über das weitere Verfahren mit den beiden Pipelines ab. Ohne großes Aufsehen beschloss man dort einfach die Aufgabe, mitverantwortlich sind CDU/CSU, SPD, Grüne FDP und Freien Wähler Stimmten für die dafür. Das bedeutet: weiter steigende Gaspreise und weitere Deindustrialisierung Deutschlands und Europas.— Bernhard Zimniok, Europa-Abgeordneter der AfD, berichtete in einem Video über die Abstimmung und die versuchte Vertuschung durch Brüssel.”  (Wochenblick.at)

Andreas Huber / 15.10.2022

Ich stimme ja zu, daß dieses System völlig verkommen, weil korrupt, und dysfunktional ist. Wenn es aber doch Alternativen gibt, weshalb nehmen dann meine Mitmenschen in hoher Zahl immer noch an politischen Wahlen teil? “Immer das selbe tun, und dabei andere Ergebnisse erwarten, ist ...”

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