Zur besten Sendezeit strahlt das ARD-Politik-Flaggschiff Kontraste einen Beitrag darüber aus, wie ich in Südafrika um eine Trommel tanze. Warum ist dieses weltbewegende Ereignis so wichtig für sie? Lesen Sie meine Geschichte hinter der Geschichte, wie die öffentlich-rechtliche ARD als verlängerte Werkbank von internationalen Aktivistennetzwerken funktioniert.
Die Interview-Anfrage kam per Internet: „ich arbeite gerade an einem Beitrag zur Debatte um die Ernährungsempfehlungen in Deutschland. Hintergrund ist, dass die DGE empfehlen könnte, den Konsum von Milch und Fleisch deutlich zu reduzieren – aus gesundheitlichen Gründen, aber auch, um das Klima zu schützen… ob Sie bereit wären, in einem Interview Ihre Sicht auf die Dinge zu erläutern.“
Sie erinnern sich: vor ein paar Wochen erregte sich die Republik über laute Gedankenspiele der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, dass die Deutschen vielleicht nur 10 Gramm Fleisch pro Tag essen sollten, also nur eine Currywurst im Monat, laut Bild-Aufmacher vom 30. Mai 2023. Eigenartig fand ich in der Anfrage nur, wie die Milch ins Spiel kam, denn die war bei dem Getöse um die DGE-Currywurst kein Thema. Jedenfalls stimmte ich dem Interview zu.
Der Journalist Silvio Duwe kam mit Kamera- und Tonmann aus Berlin zu mir in die Schweiz, bis hin zu meinem Wohnort. Das ist noch aufwändiger als es sich anhört, denn ein Grenzübertritt bedarf bei dem öffentlich-rechtlichen RBB, dem Heimatsender von Kontraste, einer Sondergenehmigung. Begrüßung am Treffpunkt: kein Druck im Handschütteln, unechtes Lächeln, eigenartige Sonnenbrille, die zur Begrüßung nicht abgenommen wird, und unscheinbare Statur. Meine Frau (Italienerin), die als Zeugin des Gesprächs mitkam, raunte mir zu: „Sehen die vom deutschen Fernsehen immer so verwahrlost aus“?
So weit, so alles normal ÖR
Das Interview dauerte 50 Minuten (Ausschnitt hier, 07:50–09:12). Meine Frau nahm alles separat per Handyvideo auf, als Beweis, falls das Bildmaterial manipuliert würde. Ich war misstrauisch, zu Recht, wie sich dann herausstellte. Wir behandelten viele Sachthemen. Die Verabredung zu Beginn des Gesprächs war: „Wir sind nicht live, das heißt, wenn Sie sich verhaspeln oder auf eine Frage nicht gleich eine Antwort wissen, dann können wir nochmal neu ansetzen." Diese journalistische Grundregel nutzte ich mehrfach im Verlauf des Gesprächs. Das kam mir auch deshalb entgegen, weil ich erst an dem Tag davor aus Südafrika zurückgekehrt war, mit einem mächtigen Durchfall im Gepäck. Zum Zeitpunkt des Interviews hatte ich seit drei Tagen keine Nahrung mehr zu mir genommen und das Herrn Duwe auch mitgeteilt. Rund um Johannesburg war in den letzten Wochen wiederholt die Cholera ausgebrochen. Die Stromversorgung wird von der eigenen Regierung fortlaufend sabotiert, sodass es täglich etwa neun Stunden Stromausfall gibt. In den ärmeren Townships funktioniert die Hygieneversorgung nicht mehr, die Folge ist Cholera. Beklatscht wird das Ganze übrigens unter den Grünen in Europa, weil Südafrika sich von der Kohleverstromung verabschieden würde. Aber das ist eine andere Geschichte.
Drei Tage nach dem Interview wurde gesendet. Der Beitrag begann sofort nach dem Usedom-Krimi mit mehreren Minuten Politikersprech von CSU-Markus Söder, CDU-Oliver Vogt und Freie Wähler-Hubert Aiwanger über grüne Umerziehungspolitik und dass man sich nicht das Essen vorschreiben lassen werde. Dazu eine Einordnung eines Kommunikationswissenschaftlers, Professor Christian Stöcker, wie sehr die Demokratie unter diesen drastischen Verzerrungen und Unwahrheiten im politischen Diskurs leiden würde. Außerdem, damit sich der urbane Zuschauer auch wirklich ekelt, wird das Menü eines bayerischen Volksfestes, auf dem Hubert Aiwanger einen Wahlkampfauftritt hat, ausführlich vorgelesen: Schweinekrustenbraten, Schweinshaxe, Surbraten, Schnitzel, Würstel & Co. Kein Vegetarier in Sichtweite.
So weit, so alles normal ÖR. Doch jetzt wird es seltsam. Auftritt Hauptgeschäftsführer Eckhard Heuser, Milchindustrieverband. Milch? Ging es nicht um Fleisch und Currywurst? Vielleicht, um in der Regie den Bezug herzustellen, treffen sich Heuser und der namenslose Interviewer am Bratwurststand über eine Currywurst mit einem Glas Milch. Im Kontraste-Beitrag wird als nächstes aus einem wissenschaftlichen Video zitiert, das ich vor drei Jahren veröffentlichte, und das von dem Milchverband finanziell unterstützt wurde, mit dem Titel: „Kühe, Milch und Klima“. Wir entfernen uns immer weiter von der Currywurst.
Als PR-Video diffamiert
In dem zitierten Clip, im Kontraste-Beitrag verächtlich als PR-Video diffamiert, stelle ich den geschlossenen Kreislauf der Photosynthese dar: Pflanze nimmt CO2 aus der Luft auf und konvertiert dieses in kohlenstoffhaltigen Zucker, Kuh frisst dieses Gras, verstoffwechselt es und scheidet dann den Kohlenstoff als CO2 wieder in die Luft aus. Also ein geschlossener Kreislauf, der unmöglich eine Klimawirkung haben kann, weil kein neues CO2 entstanden ist. Dieses Video wird im Kontraste-Beitrag von Professor Matin Qaim, Agrarwissenschaftler der Universität Bonn und Spezialist für Palmölproduktion, kommentiert: Dieses Video sei grob irreführend, denn die Kuh fresse ja nicht nur Gras, sondern auch Getreide und Soja. Aha – also die Getreide des Kraftfutters entstehen nicht per Photosynthese? Wie auch immer, zu den folgenden Sequenzen und den darin verbreiteten Desinformationen gäbe es auch noch einiges zu kommentieren, aber wir wollen ja die Sache mit mir als tanzendem Wissenschaftler verstehen. Denn jetzt wird es interessant.
Folgend auf das Milchvideo wird über mich festgestellt, dass ich eine positive Stellungnahme zur CO2-Bilanz des weltgrößten Fleischherstellers JBS verfasst hätte, getextet auf Bilder von elenden Kühen in einem Feedlot-Betrieb. Die Currywurst haben wir mittlerweile weit hinter uns gelassen.
An diesem Punkt des Kontraste-Beitrages fiel bei mir der Groschen. Es gibt ein unter sogenannten Investigativjournalisten weithin beachtetes und auch recht potent finanziertes internationales Aktivistennetzwerk mit dem Namen DeSmog. DeSmog legt Profile über solche Unternehmen, Verbände und Individuen an, die angeblich verhindern würden, dass in der Politik etwas gegen den menschengemachten Klimawandel unternommen wird (hier mehr Informationen über DeSmog). Im Bereich Landwirtschaf, werden nur zwei Personen profiliert, Professor Frank Mitloehner der kalifornischen UC Davis Universität und ich. DeSmog bedeutet übersetzt: Entnebelung.
Und noch eine Unwahrheit
Im Frühjahr 2022 machte eine Analyse von DeSmog weltweite Schlagzeilen, dass besagter weltgrößter Fleischkonzern JBS innerhalb von fünf Jahren seinen Treibhausgas-Ausstoß um 51 Prozent erhöht habe. Diese Analyse wurde anlässlich der JBS-Hauptversammlung von DeSmog verbreitet, vermutlich in dem Versuch, die Aktionäre einzuschüchtern.
Ich hatte in der Tat eine Stellungnahme zu dieser Analyse von DeSmog verfasst und in Umlauf gebracht. In der Stellungnahme hatte ich unzweideutig nachgewiesen, dass diese 51-Prozent-Steigerung ausschließlich auf einem entweder unabsichtlichen oder absichtlichen Rechenfehler beruht und daher die DeSmog-Analyse falsch ist. Die CO2-Bilanz von JBS an sich habe ich gar nicht kommentiert, weder positiv noch negativ. Sie interessiert mich bis zum heutigen Tag nicht. Jedenfalls verdiente ich mir mit dieser Stellungnahme einen seltenen prominenten Platz auf dem Radarschirm von DeSmog.
Als zweites wurde in dem Kontraste-Beitrag über mich festgestellt, dass ich in Brüssel auf einer Konferenz zur Förderung der Viehhaltung gesprochen hätte. Das stimmt nicht. Wahr ist: Die Brüsseler Veranstaltung wurde einberufen anlässlich meiner Ko-Autor-Veröffentlichungen zu „The Societal Role of Meat“ in Animal Frontiers, dem weltweit führenden Wissenschaftsjournal zu diesen Themen, verlegt von der Oxford University Press. Außerdem wurde in Brüssel auch die von mir mit-initiierte Dublin-Deklaration vorgestellt. Die Dublin-Deklaration wurde mittlerweile von fast 1.100 Wissenschaftlern aus der ganzen Welt unterschrieben, die sich damit alle für die wichtige Rolle der Viehzucht für die Ernährung der Menschen und dem Schutz der Ökologie und der Natur aussprechen. Gerade hat auch das prominente Wissenschaftsjournal Nature die Dublin-Deklaration veröffentlicht.
Als Erster um die große Trommel getanzt – na und?
Nun halte ich seit geraumer Zeit fast wöchentlich irgendwo einen Vortrag über die wichtige Rolle von Viehzucht für eine gesunde und ökologisch nachhaltige Ernährung. Warum hat ARD-Kontraste ausgerechnet Brüssel erwähnt? Vermutlich, weil die Dublin-Deklaration ausdrücklich von dem EU-Agrarkommissar Janusz Wojcjiechowski begrüßt und unterstützt wurde. Er entsandte auch seine Kabinettschefin Joanna Stawowy zu der Brüsseler Veranstaltung, um seine Unterstützung der Dublin-Deklaration zu betonen. Ich saß mit ihr auf dem Podium gemeinsam mit drei weiteren Wissenschaftlern. So viel politische Beachtung für meine wissenschaftliche Arbeit ist natürlich ein Problem für DeSmog und muss wohl in Zukunft unterbunden werden.
Und dann der tanzende Wissenschaftler. Ich war in Südafrika anlässlich der jährlichen Generalversammlung des Weltbauernverbandes. Dieser wird von einem unabhängigen Wissenschaftsrat begleitet, der von mir koordiniert wird. Deswegen war ich in Südafrika. Den ganzen Tag hatten wir anstrengende Diskussionsrunden unter den 240 Delegierten aus aller Welt, in denen um wichtige Positionierungen gerungen wurde. Unter anderem diskutierte ich mit dem Direktor für Tierproduktion der Welternährungsorganisation FAO, dem Thailänder Thanawat Tiensin. Wir waren uns einig, dass die Viehzucht unverzichtbar ist, sowohl für die gesunde Ernährung wie für nachhaltige Ökologie. Seitdem von mir mit-organisierten Dublin-Summit im Oktober 2022, den Animal-Frontiers-Veröffentlichungen im April 2023 und der weltweit viel beachteten Unterschriftenaktion von Wissenschaftlern der Dublin-Deklaration, tritt auch die FAO deutlich bestimmter für die Viehzucht auf. Das mag Zufall sein, oder nicht.
Abends gab es dann einen großen Empfang mit für solche Veranstaltungen üblichen lokalen Kulturdarbietungen. Wir bekamen eine Trommel und trommelten Rhythmen. Am Ende sollten wir alle auch tanzen und zufällig ich wurde von den Trommlern aufgefordert, den Anfang zu machen. Also tanzte ich einmal um die große Trommel, bevor alle anderen auch auf die Tanzfläche kamen. Irgend jemand filmte das und postete es auf Twitter. Ich hatte nichts dagegen, warum auch?
Von DeSmog ferngesteuerter Journalist
Über alle diese geschilderten Inhalte, meine hochrangigen Gesprächspartner und wissenschaftliche Veröffentlichungen war der Journalist Duwe informiert. Aber was über mich in der Hauptsendezeit des Politik-Flaggschiff der ARD gesendet wird, ist, wie ich in Südafrika um eine große Trommel tanze.
Dieser ARD-Kontraste-Beitrag wurde nicht für die Zuschauer gemacht, und es ging auch nicht um die Currywurst. Es ging nicht einmal um mich. Es ging darum, ein Signal an den EU-Agrarkommissar zu senden, an die FAO, an den Weltbauernverband und weitere, dass sie sich nicht mit solchen Wissenschaftlern wie mir einlassen sollen. Begleitet werden diese subtilen Drohungen aus den Aktivistennetzwerken auch gerne mal mit angezettelten teuren Rechtsstreitereien oder Cyberattacken. Professor Frank Mitloehner, mein Genosse auf der DeSmog-Liste, wurde letztes Jahr auf der Titelseite der New York Times mit lauter haltlosen Anschuldigungen zerrissen. Geschadet hat das im Wesentlichen der New York Times, nicht Mitloehner.
Ob der von DeSmog ferngesteuerte Journalist Duwe diese Zusammenhänge überhaupt verstanden hat, bezweifle ich. Er ist nur ein Fußsoldat in einer weltweiten Schlacht, die zurzeit tobt. Auf der einen Seite stehen billionenschwere Investoreninteressen, die davon profitieren, wenn weniger Fleisch verzehrt wird. Diese Investoren finanzieren über allerlei Kanäle sehr geschickt eine weltweite Anti-Fleisch-Agenda, für die sich ahnungslose Akteure der grüngesinnten Politik-Medien-Forscherblase leichtfertig einspannen lassen. Einer meiner wissenschaftlichen Mitstreiter, Professor Frederic Leroy aus Brüssel, zeichnet diese Kanäle, Netzwerke und Finanzinteressen akribisch auf.
Auf der anderen Seite dieser Schlacht steht die Mehrzahl von Wissenschaftlern, die zunehmend ihre öffentliche Stimme findet und diesen Unfug der tierlosen Ernährung als solches immer klarer bezeichnet. Zum Beispiel hat Professor Christopher Murray, wahrscheinlich die weltweit führende Autorität zu Gefahrenquellen in Ernährung, sich von der Gruppe von Wissenschaftlern in der ich arbeite, überzeugen lassen, dass keine gesundheitlichen Gefahren beim Verzehr von Fleisch nachgewiesen werden können. Er hat das im Oktober 2022 entsprechend prominent in Nature veröffentlicht.
Journalistische Grundregel gebrochen
Ganz am Ende des Interviews fragt mich der Journalist Duwe, ob ich von der Industrie bezahlt werde für das, was ich tue. Mittlerweile leicht fiebrig und nach einer Stunde Interview bei fast 30 Grad Hitze ohne ein Glas Wasser und von den Nachwirkungen der Cholera geschwächt, fiel mir nicht sofort die richtige Formulierung ein. Vereinbarungsgemäß bat ich darum, diese Frage nicht gleich zu beantworten, sondern mir Zeit zu geben, um die richtige Antwort zu finden.
Natürlich hat der Journalist Duwe diese Vereinbarung der journalistischen Grundregeln gebrochen und genau diese Szene gesendet, wissend um meinen geschwächten gesundheitlichen Zustand und wissend, dass ich die Frage später dann auch ohne zu stocken beantwortet hatte. Ein Fußsoldat eben, der sich naiv in den Dienst der jeweilig vorherrschenden utopischen Ideologien stellen lässt, um ein bisschen Heldentum für sich beanspruchen zu können. Ahnungslose Täter, wie es sie zu allen Zeiten und in allen Kulturen gab und gibt. Aber in Deutschland dürfen sie mittlerweile bei den öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern zur Hauptsendezeit arbeiten.
Prof. Dr. Peer Ederer ist Wissenschaftler und Unternehmer. Als Wissenschaftler forscht, unterrichtet und publiziert er über Innovation, Technologien, Humankapital und Wirtschaftswachstum, insbesondere in Bezug auf die globale Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie.
2019 hat er eine Reihe zu „Fleischirrtümern“ auf der Achse des Guten veröffentlicht. Sie sind hier, hier, hier, hier und hier nachlesbar.