Cora Stephan / 18.07.2024 / 06:00 / Foto: John Morgan / 19 / Seite ausdrucken

Von ganz unten: Der Trump-Vize über seine Herkunft

J. D. Vance, der designierte Vize von Donald-Trump, ist im US-Rustbelt aufgewachsen. Sein Bestseller "Hillbilly Elegy" (2016) erzählt die bedrückende und ungemein lesenswerte Geschichte seiner Jugend in der verarmten weißen Unterschicht. Und ein Rat für Deutschland steckt auch drin.

J. D. Vance, Running Mate von Donald Trump bei der Präsidentschaftswahl im November, wird erst Vizepräsident und nach der Amtszeit Trumps der nächste Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika sein. Und das wird dem Land guttun. 

Ich kann mich natürlich irren. Doch wenn er immer noch denkt und fühlt wie damals, als er „Hillbilly Elegy“ schrieb, ein Bestseller aus dem Jahr 2016, dann ist er ein Glücksgriff. Denn er stammt aus jener Region in den USA, die man „Fly-Over-Country“ nennt und wo Hillary Clintons „Bedauernswerte“ zuhause sind, die man, wie sie fand, einfach vergessen sollte. Er kommt aus dem „Rust Belt“, aus einer Stadt in Ohio, als einer der Millionen weißen Amerikaner mit schottischen oder irischen Wurzeln. Amerikaner nennen sie Hillbillies, Rednecks oder White Trash. „Ich nenne sie Nachbarn, Freunde, und Familie.“ Im Grunde seines Herzens sei er immer noch ein schottisch-irischer Hillbilly.

Dass Olaf Scholz bei der Lektüre geweint hat, kann ich nachvollziehen. Das Buch, das J. D. Vance im Alter von um die 30 Jahren schrieb, ist kein Roman und auch kein Sachbuch, man nennt soetwas wohl „Memoir“, und es ist harte Kost. Das Personal: Drogenabhängige wie seine Mutter, hoffnungslos Verarmte, seelisch Ver- und Gestörte und physisch oder emotional missbrauchte Kinder. Alles Menschen, die er dennoch liebe. 

Kaum zu glauben, eigentlich. Und dennoch ist das der bestimmende Ton: keine Opferlitanei, keine Schuldzuweisung an „die Gesellschaft“, kein verständnisheischendes Pathos, sondern die Geschichte einer Selbstermächtigung – und die Anstiftung dazu. 

Der Vater verließ Mutter und Sohn schon früh, die Mutter hatte eine Beziehung nach der nächsten, alle scheiterten. Meistens im lauten Streit, das Geräusch von klirrendem Glas und umgestürzten Möbeln ließ J. D. und seine Schwester im Bett zittern und weinen. Keiner ihrer Männer taugte als Vaterfigur für den Jungen. 

Faszinierende Studie eines fremden Stammes

Rettung boten lediglich die Großeltern, Mamaw, die das Hab und Gut der Familie bis zum Mord verteidigen würde, und Papaw, zeitweise alkoholabhängig, der mit dem Jungen Mathematikaufgaben übte. J. D. wuchs in Middletown auf, einst mit florierender Industrie, wo man die Hillbillies nicht gerade begrüßte: sie waren zwar weiß, aber irgendwie anders. Sie brachten eine uralte Familienstruktur mit sich, die nicht funktionierte in einer Welt der Privatheit und Kleinfamilien. Aber die Familie, die die Großeltern dem Jungen boten, half ihm auf dem Weg zur Selbstständigkeit. Ohne solche Stütze müssen viele Kinder auskommen, und manche gehen dabei unter.

Das alles liest sich wie eine faszinierende Studie eines fremden Stammes, und so wurde das Buch wohl zuerst auch aufgenommen: Endlich erklärt uns mal einer, warum Donald Trump bei diesen Leuten so beliebt ist. Doch das war nicht die Absicht des Autors – es hat sich ja herumgesprochen, dass Vance Donald Trump lange für ein Opium des Volkes hielt. Aber es beschreibt eine Seite Amerikas abseits all der Orte, die man zu kennen glaubt, weil sie in Fernsehserien eine Rolle spielen. Und es beschreibt eine Bevölkerung von „Somewheres“, wie David Goodhart schrieb, also von Verwurzelten, über die sich die „Anywheres“ erheben, die überall leben können, auch über den Wolken. Tatsächlich muss man einen Ort wie Middletown verlassen, wenn man dort nicht im Morast der Aussichtslosigkeit verkommen will.

J. D. Vance, nicht mit den besten Schulnoten gesegnet, beschließt, sich bei den Marines zu bewerben. Vielleicht versteht man ihn am besten, wenn man liest, was er dort begriffen hat, bei unerbittlichem Drill: Du kannst weit mehr, als du dir zugetraut hast. Bis dahin verwechselte er mangelnde Anstrengung mit Unfähigkeit, hatte das Gefühl, keine Kontrolle über sein Leben zu haben, hilflos zu sein, „learned helplessness“. Die Marines vermittelten „learned willfulness“: das zu tun, was man will. 

Das ist eine Botschaft, die man auch außerhalb eines soldatischen Drills verstehen kann: lass dich nicht herunterziehen von den Umständen, und mögen sie auch noch so beschissen sein. Und warte nicht darauf, dass der Staat dir hilft. Das hilft nie.

Ein warmer Kern wie ein pochendes Herz

Es ist zum Lachen und zum Weinen, wenn Vance beschreibt, wie er nach dem bestandenen Studium in Yale an einem großen Dinner teilnimmt und, beim Besuch auf der Toilette, seine indischstämmige Frau Usha fragen muss, wofür denn das ganze Besteck gedacht ist, das neben seinem Teller lag. Bei allen Erfolgen bleibt er ein Fremder in einer fremden Welt. Es dürfte hilfreich sein, solche Gefühle zu verstehen – Donald Trump könnten sie fremd sein. 

Das Buch endet mit einer Art Selbstanalyse: Der Hillbilly steckt tief drin in dem womöglich nächsten Vizepräsidenten, der sich in Konfliktsituationen entweder wie eine Schildkröte in seinen Panzer zurückzieht oder explodiert, massive Kollateralschäden im Gefolge. Nun, seit er das Buch schrieb, ist er womöglich älter und weiser geworden. Und „authentisch“ geblieben? Ach, das ganze Leben ist Schauspielerei. Aber in diesem Buch liegt ein warmer Kern wie ein pochendes Herz. 

Was wir von ihm zu erwarten haben? Nun, im Buch gibt es kein fertiges Programm, dazu wurde es nicht geschrieben. Aber womöglich richtet sich der Appell zur Selbstermächtigung auch an Deutschland: 

Bei einer Podiumsdiskussion auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar sagte er über Deutschland: „Sie deindustrialisieren ihr eigenes Land, während sie gleichzeitig sagen, dass Putin um jeden Preis besiegt werden muss. Wenn Putin um jeden Preis besiegt werden muss, dann, liebe deutsche Freunde, hört auf, euer eigenes Land im Namen einer lächerlichen grünen Energiepolitik zu deindustrialisieren.“

Für unsere Rubrik „Achgut zum Hören“ wurde dieser Text professionell eingelesen. Lassen Sie sich den Artikel hier vorlesen.

Cora Stephan ist Publizistin und Schriftstellerin. Viele ihrer Romane und Sachbücher wurden Bestseller. Ihr aktueller Roman heißt „Über alle Gräben hinweg. Roman einer Freundschaft“.

Foto: John Morgan CC BY 2.0 via Wikimedia Commons

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Leserpost

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Erwin Hindemit / 18.07.2024

@Franz Klar, meinten sie ALLE Amis reich machen? Wenn ja, dann träumen sie vom Paradies.Im Kapitalismus wird es immer Verlierer geben, und die Faulen wird es immer geben.Es genügt , die Leistungsträger nicht auszubeuten, und sich um die unverschuldet Armen und Kranken zu kümmern. Vance hat Einblick in Welten, die Trump nicht kennt, es bleibt zu hoffen , dass er aus seiner Erfahrung etwas in die nächste Amtszeit   einbringen kann, und Trump ihn nicht nur zum Wählerfang benutzt.

Bettina Landmesser / 18.07.2024

Es ist ja inzwischen üblich geworden, dass junge aufstrebende Männer in den USA frühzeitig ihre Biographien schreiben. Man denke da an Barak Obama. Vance scheint mir ein machthungriger Opportunist zu sein. Er ist durch Peter Thiel, den Bilderberger, finanziell zum Erfolg geführt worden. Vance ist einer dieser jungen Hoffnungsträger, wie Bundeskanzler Kurz in Österreich, oder Macron, oder Trudeau, oder unser damals junger Phillip Rösler, der nach seinem Ministeramt Geschäftsführer im Weltwirtschaftsforum geworden ist. Von einem Tag zum anderen wird Vance wie ein Stern im Himmel als neuer Hoffnungsträger der ganzen Welt dargestellt. Das ist alles strategisch so geplant gewesen. Wer die Planer hinter der Erscheinung Vance sind, kann man nur vermuten.  Mir ist der Mann unsympathisch.

Thomas Szabó / 18.07.2024

Ich schlug gestern vor die englischsprachige Achse International zu gründen. Ich erweitere meinen Vorschlag. Der Spruch von J. D. Vance zu Schluss ist sehr treffend. Die Achse könnte gute Sprüche von außen über Deutschland publizieren. Wie denken andere über die irre deutsche Politik?

Franz Klar / 18.07.2024

Der Tycoon und der Underdog ... “Ich mach´ sie reich , mach´ du sie schlau” ! Das wird ein voller Erfolg .

Ingo Minos / 18.07.2024

Die übliche schöne Geschichte am Anfang einer steilen politischen Karriere, die von Leuten handelt,  die von ganz unten aus armseligen Verhältnissen stammen. Kennt man von Gerhard Schröder SPD, und die rührselige Geschichten, um seine Mutter, die hart arbeitende Putzfrau war. Kennt man auch von Wowereit SPD. Die arme Mutter von Wowereit war Badewärterin in einem Westberliner Stadtbad und mußte putzen und scheuern. Und dann auch der sogenannte “Joschka” Fischer, der auch von ganz unten kam. Als sie dann Macht hatten, haben sie die ganz unten in den gesellschaftlichen Hierarchien noch tiefer in den Dreck getreten und erbarmungsloser abgezockt, als jemals zuvor in der Geschichte. Olaf Scholz soll beim Lesen der Lektüre von Vance geweint haben? Jeder der Olaf Scholz zutreffend einschätzt und charakterisiert, weiß, daß das gelogen ist. Und wenn, dann waren das Krokodilstränen. Und immer daran denken: Die Wahlkämpfe in den USA sind noch schmutziger, als in Deutschland. Es gab 1988 mal einen “hoffnungsvollen” Präsidentschaftskandidaten namens Gary Hart. Dann wurden allerdings noch rechtzeitig schmutzige Geschichten veröffentlicht, und das war es dann. Aber vielleicht geht es auch anders und das System braucht jemanden, der die kleinen Leute noch kleiner macht. Vance ist ja Absolvent von Yale University. Und da gibt es ja die exklusive Bruderschaft SKULL&BONES;, der ja bekanntermaßen etliche “Größen” US amerikanischer Politik angehören und angehört haben.

Wilfried Cremer / 18.07.2024

Solche Leute braucht es, um die Klimaaffen sanft und friedlich aussterben zu lassen.

F. Bothmann / 18.07.2024

„learned helplessness“ - ein Kernproblem auch unserer deutschen Gesellschaft, die sich gerne in der Empörungskultur nicht vom Sofa erhebt.

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