Viele Experten und Politiker scheinen dem britischen Premierminister Boris Johnson die Schuld an der jüngsten Erscheinungsform der Kulturkriege zu geben, die das angloamerikanische Leben beherrschen. Teile der Medien, von der New York Times bis zum Guardian, behaupten, Johnson wolle über Statuen streiten, um von seinem schlechten Umgang mit der Covid-Pandemie abzulenken. Andere, wie David Lammy von der oppositionellen Labour-Partei, meinen, dass Johnsons Verteidigung der Winston-Churchill-Statue ein bewusster Versuch war, die Kulturkriege anzuheizen, um die fehlenden Erfolge der Konservativen im Bereich der „Rassengerechtigkeit" zu überspielen.
Das sind höchst unaufrichtige Behauptungen. Ist es etwa überraschend, dass ein britischer Premierminister ein Denkmal verteidigt, das der wohl größten modernen Persönlichkeit der Nation gewidmet ist? Außerdem hat Johnson nichts initiiert. Er reagierte lediglich auf eine Bewegung, die ihre Energien auf die Zerstörung der Symbole der Geschichte und Kultur Großbritanniens gerichtet hat. Es bedarf einer ungeheuren Böswilligkeit, um Johnsons defensive Reaktion als einen Versuch zu charakterisieren, einen Kulturkrieg auszulösen.
Doch diejenigen, die auf Johnsons Seite stehen und die Churchill-Statue verteidigen, lassen sich auf das gleiche Spiel mit Schuldzuweisungen ein. Sie behaupten, es seien ihre Gegner, von Black Lives Matter bis zur identitären Linken, die die Kulturkriege begonnen hätten. Auffallend ist, dass keine der beiden Seiten etwas Positives über die Kulturkriege zu sagen hat. Ihrer Charakterisierung als „giftig" durch den altgedienten konservativen Kommentator Charles Moore stimmen praktisch alle Seiten zu. Sie sind sich lediglich in der Frage uneinig, wer an dem Konflikt schuld ist und was er bedeutet.
Die Ursprünge des Kulturkrieges
Ein Grund für die Verwirrung über die Dynamik des Kulturkampfes liegt darin, dass er selten einen explizit konfliktähnlichen Charakter annimmt. Es handelt sich eher um einen stillen Konflikt, der um scheinbar disparate Themen ausgetragen wird – Homo-Ehe, nationale Identität, Euthanasie und so weiter. Es ist kein Krieg zwischen zwei klar definierten Seiten. So betrachtet ist der moderne Kulturkampf ganz anders als der deutsche Kulturkampf des 19. Jahrhunderts, als ein offener Konflikt zwischen Reichskanzler Bismarck und der katholischen Kirche ausgetragen wurde.
Damals, im späten 19. Jahrhundert, handelte es sich beim Kulturkonflikt in Deutschland um ein sehr reales Phänomen. Heute liegen die Dinge anders. Bis vor Kurzem haben die meisten Kommentatoren darauf gepocht, dass die Rede von der Kulturpolarisierung der Kultur übertrieben sei; einige gingen sogar so weit, die Existenz eines Kulturkrieges an sich zu leugnen. Diejenigen, die die kulturelle Politik der 68er anprangerten, wurden oft einfach als rückwärtsgewandte Traditionalisten abgetan. Sie galten als Sozialkonservative, die versuchen würden, ihre Vorurteile zu rechtfertigen, indem sie neue Denk- und Sprechweisen angreifen.
Aber der Kulturkampf ist echt. Historisch gesehen, wurde er in den westlichen Gesellschaften durch einen starken Impuls zur Loslösung der Gegenwart von der Vergangenheit in Gang gesetzt, der an der Wende zum 20. Jahrhundert begann. Dieses Projekt der Befreiung der Gegenwart von den kulturellen Werten der Vergangenheit wurde am deutlichsten von der Progressiven Bewegung in den USA und von den Neuen Liberalen in Großbritannien vorangetrieben. Aber es waren die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs, die diesem Gefühl einen wirklichen Impuls verliehen. Der Krieg hatte nämlich die kulturelle Kontinuität des Westens grundlegend untergraben.
Kulturkrieg gegen die Vergangenheit
Losgelöst von der Vergangenheit war es für die westlichen Nachkriegsgesellschaften schwierig, ein überzeugendes Narrativ zu entwickeln, mit dem sie ihr kulturelles Erbe an junge Menschen weitergeben konnten. Ein Ergebnis dieser Entwicklung war das heute als „Generationenkonflikt" bekannte Phänomen. Es entstand nach dem Ersten Weltkrieg, gerade weil es sich nicht nur um einen Generationenkonflikt handelte, sondern auch um eine kulturelle Kluft – eine Kluft zwischen der Vor- und Nachkriegszeit. In den folgenden Jahrzehnten sollten diese Spannungen zwischen den Generationen als Identitätsproblem wahrgenommen werden.
Einige zeitgenössische Beobachter nahmen sehr bewusst wahr, dass damals ein Kulturkrieg gegen die Vergangenheit geführt wurde. Churchill selbst hat dies in den 1930er Jahren gespürt: „Ich frage mich oft, ob irgendeine andere Generation solch erstaunliche Revolutionen von Fakten und Werten erlebt hat wie die, die wir erlebt haben. Kaum etwas Materielles oder Etabliertes, bei dem ich in dem Glauben aufwuchs, es sei dauerhaft und lebenswichtig, hat Bestand gehabt. Alles, was ich für unmöglich gehalten habe oder was wir als unmöglich beigebracht wurde, ist eingetreten.“
Viele Kommentatoren jedoch waren damals und in den kommenden Jahrzehnten blind für diesen Kulturkonflikt. Sie konzentrierten sich eher auf den ideologischen Konflikt zwischen Kommunismus und Kapitalismus und den Aufstieg des Faschismus statt auf den kulturellen Autoritätsverlust westlicher Werte.
McCarthy als Symbol der moralischen Erschöpfung der Rechten
Ein Grund dafür, dass die westlichen herrschenden Eliten versäumten, dem Verlust ihrer moralischen Autorität entgegenzuwirken, lag in der Schwierigkeit, die sie hatten, dies anzuerkennen. Sie wollten nicht sehen, dass ihre Lebensweise durch ihr innewohnende, mächtige zersetzende Einflüsse geschwächt wurde. In den 1940er und 50er Jahren erkannten selbst konservative Beobachter nicht das Ausmaß des Problems, mit dem ihre Tradition konfrontiert war. Dies wurde während des ersten bedeutenden, expliziten Konflikts im Kulturkampf deutlich: Senator Joseph McCarthys Kampf mit dem Kommunismus und seiner angeblichen Bedrohung der amerikanischen Werte.
Der Aufstieg des McCarthyismus in den USA gilt oft als der Versuch, durch das Schüren antikommunistischer Hysterie politischen Dissens zum Schweigen zu bringen. Es war aber auch ein Versuch, die kulturellen Einflüsse zurückzudrängen, die traditionelle Normen und Werte bedrohten. Der „McCarthyismus in den 1950er Jahren", so der politische Soziologe Daniel Bell, „stellte das Bemühen einiger traditionalistischer Kräfte dar, der Gesellschaft eine einheitliche politische Moral durch Konformität aufzuzwingen, gekoppelt mit einer Ideologie des Amerikanismus und einer virulenten Form des Antikommunismus.“ (1)
Zu dieser Zeit war der McCarthyismus einflussreich, und er schüchterte viele Liberale und Linke ein. Doch es gelang ihm nicht, eine kulturelle Hegemonie zu etablieren. Vor allem bei den Intellektuellen hat McCarthy nie ernsthaft Fuß gefasst und keine kulturelle Glaubwürdigkeit erlangt. Dass der McCarthyismus keine moralische Autorität zu erlangen und zu behalten vermochte, zeigt sich an seinem fast ausschließlich negativen Erbe. Wie ein Kritiker 1997 in Erinnerung rief, wurde McCarthy bald zu einem Symbol der moralischen Erschöpfung der Rechten – und zwar so sehr, dass man sich seiner im Allgemeinen mit kultureller Verachtung erinnert. (2)
„Hoheit über die symbolische Lebenswelt"
McCarthys antikommunistischer Kreuzzug kann als einer der frühesten Versuche (und Fehlschläge) nach dem Zweiten Weltkrieg angesehen werden, traditionelle Werte angesichts ihres raschen Niedergangs wiederzubeleben. Eine der scharfsinnigsten Analysen der McCarthy-Episode stammt von der konservativen Kommentatorin Jeane Kirkpatrick. Kirkpatrick verstand, dass es im McCarthyismus nicht so sehr um Kommunismus ging, sondern um den Kampf um die „Hoheit über die symbolische Lebenswelt". (3) Es ging darum, wer als Schiedsrichter der Kultur dienen dürfe und wessen Erzählung sich durchsetzen würde.
Das Versagen McCarthys, die Stellung zu halten, und der rapide Verfall seines Ansehens implizierten, dass die antikommunistische Ideologie, obwohl sie eine mächtige politische Ressource darstellte, allein nicht in der Lage war, die zersetzenden Folgen des moralischen Verfalls der westlichen Kultur einzudämmen. Kirkpatrick behauptete, dass McCarthys Untergang und der Sieg seiner Kritiker eine „Vorbedingung für den Aufstieg der Gegenkultur in den 1960er Jahren" gewesen sei (4). Während der Begriff „Loyalität" in der McCarthy-Ära nur selten offen hinterfragt wurde, hatte er in den 1960er Jahren einen Teil seines kulturellen Stellenwerts verloren. Antikriegsdemonstranten, Wehrdienstverweigerer und normale Angehörige der Allgemeinheit lehnten Loyalität als unwillkommene Zumutung ab. Wie sich Kirkpatrick erinnerte, waren die „Friedensmarschierer in ihrer Missachtung traditioneller Tabus weitaus aggressiver als die ängstlichen Opfer von Joe McCarthy". Dies, so Kirkpatrick abschließend, „spiegelte die Schnelligkeit wider, in der die Kulturrevolution vorangeschritten war". (5)
Der moralische Niedergang des Westens
Die beiläufige Art, mit der in den 1960er Jahren traditionelle Tabus verhöhnt wurden, zeigte, dass diejenigen, die an traditionellen Werten festhielten, nicht mehr davon ausgehen konnten, über die moralische Hoheit zu verfügen. Dabei spielte der kulturelle Angriff auf die Werte der kapitalistischen Konsumgesellschaft eine bedeutende Rolle. Dieser Angriff sollte jedoch nicht als Ursache, sondern als Katalysator für die Auflösung des Kalter-Krieg-Konsenses über die westlichen Werte gesehen werden. Die innere Zersetzung des Ethos des Kapitalismus hatte viele Jahrzehnte lang gewirkt, und der Mangel an Selbstvertrauen unter den herrschenden Eliten trug zu seinem schwindenden Einfluss bei.
Seit der Zwischenkriegszeit ist es für den Kapitalismus als Gesellschaftssystem immer schwieriger geworden, sich gegenüber seinen Kritikern zu rechtfertigen. Verschärft wurde die Lage noch dadurch, dass konservative und liberale Denker zögerten, sich diesem Problem direkt zu stellen. Das Fehlen einer intellektuell zwingenden, normativen Grundlage für den Kapitalismus bedeutete, dass der Kapitalismus sogar auf dem Höhepunkt des Nachkriegsbooms einer kulturellen Kritik seiner Werte ausgesetzt war. Folglich erlangte der Kapitalismus selbst unter diesen sehr günstigen Umständen nur einen begrenzten Einfluss auf das intellektuelle und kulturelle Leben. Diese Entfremdung des Kapitalismus von seiner eigenen Kultur zeigte sich mit voller Wucht in den späten 1960er Jahren, als viele seiner Werte in einem, wie sich herausstellen sollte, endlosen Kulturkrieg explizit in Frage gestellt wurden.
Irving Kristol, ein führender konservativer Autor, machte 1973 in einem Werk auf den moralischen Verfall der westlichen Kultur aufmerksam: „Seit weit mehr als 150 Jahren warnen uns Sozialkritiker davor, dass die bürgerliche Gesellschaft vom geballten moralischen Kapital der traditionellen Religion und der traditionellen Moralphilosophie lebe und dass, sobald dieses Kapital erschöpft sei, die Legitimität der bürgerlichen Gesellschaft immer mehr in Frage gestellt werden würde.“ (6)
Die Erschöpfung des moralischen Kapitals wurde mit dem Aufkommen der Gegenkultur oder dessen, was ihre Gegner als Protest-Kultur bezeichneten, offensichtlich. Samuel Brittan, ein britischer Ökonom und Journalist, lieferte eine ernüchternde Analyse der Schwierigkeiten des Kapitalismus, eine überzeugende und maßgebliche Darstellung seiner Werte zu liefern. Er schrieb: „Lange Zeit konnte die kapitalistische Zivilisation von diesem feudalen Erbe leben, und die Aura der Legitimität wurde vom Feudalherren auf den Arbeitgeber übertragen, von der mittelalterlichen Positionshierarchie auf die vom Glück des Marktes abgeleitete. Aber dieses feudale Erbe musste zwangsläufig durch den Fackelschein der säkularen und rationalistischen Hinterfragung, die ihrerseits so eng mit dem Aufstieg des Kapitalismus verbunden war, ausgelöscht werden.“ (7)
Brittan war der Ansicht, dass es modernen Politikern und Führern der Mittelschicht an „Glamour" und an den „heroischen Qualitäten" der Führer der Vergangenheit mangelte. Und deshalb sei ihre Autorität über die Massen begrenzt. „Sie werden höchstens unter der strengen Bedingung toleriert, dass sie Ergebnisse bringen", schrieb er. Brittan behauptete, dass „die persönlichen Qualitäten der Mittelklasse-Führer nicht dazu beitragen, jene Zuneigung für die Gesellschaftsordnung zu entfachen, die wahrscheinlich notwendig ist, wenn sie nicht für die unvermeidlichen Drangsale und Enttäuschungen im Leben der meisten Menschen verantwortlich gemacht werden soll.“ (8)
In den 1970er Jahren wurde deutlich, dass die Anhänger der „Protest-Kultur" die Oberhand gewonnen hatten. Daniel Moynihan stellte in einem Momo an Nixon 1970 fest:
„Zweifellos findet in diesem Land ein Kampf statt, wie ihn die Deutschen früher Kulturkampf genannt haben. Die gegnerische Kultur, die fast alle Kanäle der Informationsvermittlung und Meinungsbildung beherrscht, war noch nie so stark wie heute, und soweit ich das beurteilen kann, hat sie die Vertreter des traditionellen Amerika beinahe zum Schweigen gebracht.“
Seit den 1970er Jahren befinden sich die Vertreter des traditionellen Amerikas ständig in der Defensive. Anstatt Debatten zu initiieren und zu versuchen, die Agenda zu bestimmen, sind sie ständig gezwungen, auf den jeweils neuesten Angriff auf ihre Lebensweise zu reagieren. Dieser Kreislauf der defensiven Reaktionen lässt sich bei vielen Themen beobachten, von der Homo-Ehe oder den Transrechten bis hin zu den Vorwürfen eines „Privilegs der Weißen" (white privilege).
Die Lähmung der Traditionalisten
Die pessimistische Diagnose Moynihans und Brittans war unter konservativen Denkern weit verbreitet. Die periodischen Versuche, in den 1970er und 1980er Jahren „Back to basics"-Kampagnen zu fördern, erwiesen sich als außerordentlich ineffektiv. Zu diesem Zeitpunkt versuchten die konservativen und rechten Mainstream-Parteien, sich den Folgen ihrer kulturellen Isolation zu entziehen, indem sie ihre Fähigkeit betonten, wirtschaftlichen Erfolg zu erzielen. Der Höhepunkt dieser Strategie kam in den Thatcher-Reagan-Jahren, als ihr Wirtschaftsliberalismus die Hegemonie über das öffentliche Leben erlangte. Was die Befürworter von Thatcher und Reagan jedoch nicht bemerkten oder anerkannten, war, dass ihre Gegner trotz des Wahlerfolgs ihrer Parteien den Kulturkrieg gewannen. Paradoxerweise gewann während der Thatcher- und Reagan-Jahre das, was als politische Korrektheit bekannt wurde, an Bedeutung und die Identitätspolitik wurde institutionalisiert – zunächst auf dem Uni-Campus und später im öffentlichen und privaten Sektor.
Heute, da die Realität eines Kulturkrieges weithin unumstritten ist, sollte erwähnt werden, dass bis vor Kurzem fast alle Seiten der politischen Kluft zögerten, die Aufmerksamkeit darauf zu lenken. Aus diesem Grund haben die Anhänger der politischen Korrektheit alles daran gesetzt, um zu leugnen, dass es so etwas wie PC gibt. In ähnlicher Weise bestanden die Befürworter der Identitätspolitik bis vor Kurzem darauf, dass Identitätspolitik eine irreführende Erfindung ihrer Gegner sei.
Der Kulturkrieg war für Diskussionen in höflichen Elitekreisen kein geeignetes Thema. Als Patrick Buchanan auf dem Parteitag der Republikaner 1992 seine berühmte Kulturkriegsrede hielt, sah er sich wegen seiner als extrem bezeichneten Rhetorik mit einer Schimpftirade feindseliger Kritik konfrontiert. Sein Aufruf zu den Waffen ging vielen, die der offiziellen Erzählung anhingen, gegen den Strich. Buchanan beharrte darauf, dass Differenzen über Werte weitaus bedeutsamer seien als die Frage, „wer was bekommt" und wirtschaftliche Ressourcen:
„Es geht darum, wer wir sind. Es geht darum, was wir glauben. Es geht darum, wofür wir als Amerikaner stehen. In unserem Land findet ein Religionskrieg um die Seele Amerikas statt. Es ist ein Kulturkrieg, der für die Art von Nation, die wir eines Tages sein werden, ebenso entscheidend ist wie der Kalte Krieg selbst."
Die gegenkulturelle Bewegung war institutionalisiert worden
Seine Anprangerung dessen, was er als Bedrohung für den „American Way of Life“ empfand, zeigte, dass dies nun als Krieg und nicht mehr als parteipolitische Rivalität innerhalb eines gemeinsamen moralischen Universums verstanden wurde. Später erweiterte Buchanan diesen Punkt, indem er den Konflikt, mit dem das Amerika der 1990er Jahre konfrontiert war, dem der Depression zwischen den beiden Weltkriegen gegenüberstellte. Unter Berufung auf Roosevelt, der sagte, dass „unsere gemeinsamen Schwierigkeiten […] Gott sei Dank nur materielle Dinge“ betreffen. Im Gegensatz dazu, so Buchanan, „reicht unser nationaler Streit viel tiefer“.
Bemerkenswert an dieser Rede war nicht nur ihr Inhalt, sondern auch, dass Buchanan sie in der Öffentlichkeit, auf einem großen Parteitag und vor Fernsehkameras hielt. Bis dahin war der Konflikt, auf den Buchanan aufmerksam machte, im Wesentlichen ein stiller gewesen. Dass Buchanans Rede so viel Aufsehen erregte, lag u.a. daran, dass die alten traditionellen Eliten 1992 von ihren Gegnern mehr oder weniger vollständig an den Rand gedrängt worden waren. Die gegenkulturelle Bewegung war institutionalisiert worden, und ihre Vertreter dominierten die Institutionen der Kultur, der höheren Bildung und des öffentlichen Sektors. Seitdem sind auch Unternehmen und der private Sektor unter ihre Herrschaft geraten.
Nachdem sie die Hegemonie gewonnen haben, haben die Mitglieder dieses gegenkulturellen Establishments nun immer weniger Angst, ihre eigenen Werte der übrigen Gesellschaft aufzuzwingen. Aus ihrer Sicht ist Boris Johnson ein elitärer Außenseiter. Seine Verteidigung Churchills erinnert sie daran, dass es noch immer Hindernisse bei der Verwirklichung des Projekts gibt, die Gesellschaft vom Erbe ihrer Vergangenheit zu lösen. Sie bilden jetzt das kulturelle Establishment, und Menschen, die die Statuen von Churchill oder Abraham Lincoln verteidigen wollen, sind ihre kulturellen Widersacher.
Lesen Sie morgen: Warum der Kulturkampf gegenwärtig ein einseitiger Konflikt ist, der auf ein defensives traditionalistisches Ziel gerichtet ist.
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Dieser Beitrag ist zuerst beim britischen Online-Magazin Spiked erschienen. Aus dem Englischen übersetzt von Sabine Beppler-Spahl. Auf Deutsch erschien er zuerst bei Novo Argumente.
Weitere Quellen
(1) Daniel Bell: „The Cultural Contradictions of Capitalism“, Heinemann 1976, S. 77.
(2) Alan Kramer: „Dynamics of Destruction: Culture and Mass Killing in the First World War“, Oxford University Press 2007.
(3) JJ Kirkpatrick: „Politics and the new class“, Society, 16(2), 1979, S. 42.
(4) Ebd., S. 43.
(5) Ebd., S. 44.
(6) Irving Kristol: „Capitalism, Socialism and Nihilism“ in: Public Interest, 31/1973, S. 12.
(7) Samuel Brittan: „The Economic Contradictions of Democracy“ in: British Journal of Political Science, 2/1975, S. 149.
(8) Ebd., S. 149.