Als der Kommunismus für viele Intellektuelle und Künstler im Westen noch der heiße Scheiß war, etwa in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts, entstand die Figur des Salonkommunisten. Der großartige Regisseur Erwin Piscator gab ihr Format und Gesicht. Piscator, der die Theater füllte wie damals kaum ein anderer, besaß reichlich Follower. Die allerdings besaßen selten sein Talent.
Dem Typus des Bourgeois, der vor ausverkauften Rängen ordentlich Klassenkampf krachen lassen wollte, gerade so, wie es der „rote Pis“ vormachte (so wurde Piscator von Bewunderern genannt), setzte Bert Brecht mit seinem Gedicht „Der Theaterkommunist“ ein giftiges kleines Denkmal:
Müde der Arbeit
Seines Vaters
Befleckt er die Cafés
Hinter den Zeitungen
Lächelt er gefährlich.
Er ist es, der
Diese Welt zertreten wird wie
Ein Kuhflädchen.
Für 3000 Mark im Monat
Ist er bereit
Das Elend der Massen zu inszenieren
Für 100 Mark im Tag
Zeigt er
Die Ungerechtigkeit der Welt.
Lassen wir beiseite, ob der “arme BB“ (Selbstbeschreibung), wie sein Freund und Vorbild Piscator für eine Weile Großverdiener im Unterhaltungsbetrieb der Weimarer Republik, mit dem Poem auch sich selber ein wenig auf die Schippe nahm. Wohl eher nicht; Selbstironie oder gar -karikatur gehörten nicht zu den Kernkompetenzen des kreativen Augsburgers.
Reif für eine Große Transformation
Auf jeden Fall schuf er mit dem Theaterkommunisten eine langlebige Gestalt. Ungezählte Westarbeiter der Stirn, ob nun Bühnenmänner, Schriftsteller, Journalisten oder Professoren, erwärmten sich seit dem Putsch der Bolschewiki in Petrograd anno 1917, oft fälschlich „Oktoberrevolution“ genannt, für die Ideen des Kommunismus. Hielten die Zeit reif für eine Große Transformation, die den neuen, besseren Menschen gebären sollte. Thomas Mann, George Bernhard Shaw, Theodore Dreiser, André Gide oder der „rasende Reporter“ Egon Erwin Kisch, Letzterer übrigens ein Ahnherr aller Relotiusse, sind nur ein paar Hausnummern am Boulevard der Illusionen.
Manche, wie George Orwell oder Arthur Koestler, fielen vom Glauben ab, als spätestens ab 1936 der mörderische Charakter des Sowjetkommunismus nicht länger zu ignorieren war. Der zeitweise glühende Stalin-Verehrer Brecht schaffte das nie, machte es jedenfalls niemals öffentlich.
Mindert dieser Umstand das Vergnügen beim Lesen von Brechts „Hauspostille“ oder seinen „Gedichten für Städtebewohner“? Njet! Leseprobe: Etliche ziehen fort eine halbe Strasse. Hinter ihnen werden die Tapeten geweissnet. Niemals sieht man sie wieder. Sie essen ein andres Brot, ihre Frauen liegen unter anderen Männern mit gleichem Ächzen.“
1945 ging ein heißer Krieg zu Ende, ein kalter begann. Deutschland wurde geteilt und blieb es. Wer ebenfalls blieb, war der Salonkommunist. Er hätte ein Gendersternchen verdient, denn eine seiner idealtypischen Verkörperungen war eine Frau. Die aus großbürgerlichen Verhältnissen stammende, stets altägyptisch perückte Schriftstellerin Gisela Elsner konnte sich kein Spötter ausdenken, sie war ja realexistent.
Elsner, 1964 „schlagartig bekannt“ (Wikipedia) geworden durch ihren Roman „Die Riesenzwerge“, in dem alles, aber auch alles in Deutschlands Westen irgendwie nazi war, rannte hypernervös und kettenqualmend durch Verlage und Redaktionen, immer nach Vorschüssen heischend für weitere Werke, in denen alles noch viel mehr nazi sein würde. Später wurde sie DKP-Funktionärin, verließ die Partei aber 1989, weil ihr deren „Gorbatschow-Kurs“ missfiel.
Gesellschaftskritik aus der Klischeekiste
Der Salonkommunismus hatte sich schon lange vorher anders kostümiert. Es war der Salonsozi, der ab den späten 1950ern in Medien aufstieg. Im „Spiegel“ natürlich, aber auch in Buchverlagen und Sendeanstalten. Prototyp war der Journalist und Autor Erich Kuby. Aus dem nie geklärten Mord an einer Frankfurter Prostituierten mit dem aparten Namen Rosemarie Nitribitt bastelte er ein angebliches Sittenbild des westdeutschen Kapitalistenmiljöhs. „Das Mädchen Rosemarie“ wurde – vor allem durch Nadja Tiller als laszive Hauptfigur – ein Kinokassenschlager. Nach dem Filmdrehbuch schob Kuby noch einen Nitribitt-Roman nach.
Den Streifen von 1958 kann man auf Youtube anschmecken. Wirtschaftswunderbonzen vögeln reihenweise eine Edelhure, bis diese „zu viel weiß“ und deshalb sterben muss. Gesellschaftskritik aus der Klischeekiste, nichts davon aktenfest, aber bestens verkäuflich. Fortan war Kuby eine große Adresse im Journalismus. In Kollegenrunden näselte er: „Ich brauche nur einen Apfel und eine Zigarette“, ließ dann aber mit kühnen Honorarforderungen sogar generöse Chefredakteure erbleichen.
Man könnte Schränke füllen mit urkomischen Biografien von Salonlinken. Dieser – vor allem westeuropäischen – Spezies war gemein, dass ihre Mitglieder keinen Moment fürchten mussten, nach der erhofften Umwälzung mittellos dazustehen. Leute wie der junge Lyriker Hans Magnus Enzensberger, der ehemalige Linken-Anwalt Otto Schily, der Rowohlt-Lektor Freimut Duve (unter anderem Herausgeber eines Stadtguerilla-Manuals, das angeblich die RAF inspirierte), der Verleger und spätere Linksterrorist Giangiacomo Feltrinelli oder der Che-Guevara-Mitkämpfer Régis Debray – sie alle stammten sämtlich aus betuchten und/oder einflussreichen Familien.
Manche, wie Feltrinelli, hatten ein Vermögen mit linken Schinken gemacht. Andere, wie der Dandy und Dutschke-Freund Gaston Salvatore, besaßen ein feines Näschen dafür, aus welchen Schickimicki-Kreisen Geld für „progressive Projekte“ rauszuleiern war. Geld war ja da. Irgendwo winkte immer eine Dozentur, ein Buchvertrag, eine Herausgeberschaft.
Und heute? Nahezu verschwunden aus dem öffentlichen Diskurszirkus sind die famosen Hochtöner, welche auf opulenten Partys von Seifenkonzern-Erbinnen über den unausweichlichen Zusammenbruch des Spätkapitalismus zu parlieren wussten. Zwar zeigt die Hummerkommunistin Sahra Wagenknecht in Talkshows noch immer gut Haltung und Bein. Doch ihr perfekt symmetriertes Antlitz ist mittlerweile irgendwie erstarrt, genau wie ihre Ansagen.
Der Propagandist der Großen Transformation
Und die notorischen Theaterkommunisten à la Claus Peymann? Waren bereits vor vielen Jahren gerade noch für Satiren von Benjamin von Stuckrad-Barre gut. Längst hat ein anderer Typus von Weltenretter den ollen Salonlinken vom Sofa geschubst. Der Neue ist der Salonklimatist.
Für ihn bricht nicht bloß die westliche Welt entzwei, sondern gleich der gesamte Planet, sofern nicht ruckzuck drastische Umwälzungen erfolgen. Vorsteher dieser Geistesbruderschaft ist der Propagandist der Großen Transformation, Herr Visionär Hans Joachim Schellnhuber vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Er war auch mal Berater der Klimakanzlerin, die sich wie er um die Folgen ihrer Eingebungen kaum sorgen muss. Dass man ihr oder ihm irgendwann den Strom abstellt, ist unwahrscheinlich.
Ebenso wenig dürfte dieses Schicksal Claus Kleber ereilen, bei einem Jahresgehalt von kolportierten 600.000 Demokratieabgabeeinheiten. Kleber rief bereits 2012 in einem Buch quasi den Klimaernstfall aus. Da lief sich Greta Th. schulschwänzertechnisch erst warm.
Auch Siemens-Chef „Joe Kaeser“, bürgerlich Josef Käser, weiß: „Der von Menschen gemachte Klimawandel ist Tatsache und faktisch bewiesen“. Er fordert daher Volle-Kanne-Maßnahmen der Bundesregierung für mehr Klimaschutz. Praktischerweise stellt Siemens jede Menge Klimaretter in Form von schnittigen Windrädern her. Hilfreich wären weitere Subventionen für die Zappelstromgeneratoren, frisch aus dem unerschöpflichen Steuerzahlersäckel.
„Aweful Joe“, wie ihn Angestellte preisen, sackte selber im abgelaufenen Geschäftsjahr 2018/2019 die, wie man in Wirtschaftsblättern zu formulieren beliebt, Vergütung von 14,2 Millionen Euro ein. Notabene: Diese Zahl ist eine menschengemachte Tatsache und faktisch bewiesen. Und wenn die halbe Welt irgendwann dekarbonisiert und deindustrialisiert auf dem ökonomischen Zahnfleisch liefe, weil es Klimaschutz „nun mal nicht zum Nulltarif gibt“ (Kaeser), Papa Joes Familie müsste gewiss nicht darben.
Zum Dank durfte der Philanthrop bei „Maischberger“ auftreten
Auch ein vergleichsweise kleines Einkommenslicht, der „Brigitte“-Hausphilosoph Richard David Precht („Sieht extrem gut aus, aber irgendwie ist ihm das unangenehm“, so das Magazin), macht das „drohende Klimadesaster“ gern zu seinem Thema. Umso lieber, als sich damit gut gegen die AfD punkten lässt. Denn die Partei der Klimaleugner, sagt Precht, „will das Rad der Geschichte zurückdrehen.“
Der knuddelige Gelehrte weiß, wie harmoniebedürftige Frauen in der Klimafrage ticken: „Wenn sich fast alle Experten in der Sache einig sind, rät einem dann nicht die Klugheit, sich nicht mit ein paar zusammengesuchten Informationen aus dem Internet trotzig dagegenzustellen?“
Doch Salonklimatisten tauchen jetzt auch in Zusammenhängen auf, wo man sie unmöglich vermutet hätte. Dirk Rossmann, Gründer einer Drogeriemarktkette mit weltweit fast 4.000 Filialen, verschenkte in einer grandiosen PR-Aktion 25.000 Exemplare von Jonathan Safran Foers’ Buch „Wir sind das Klima! Wie wir unseren Planeten schon beim Frühstück retten können.“ In den Gratis-Genuss der Rettungsschrift kamen auch sämtliche Bundestagsabgeordneten sowie die Vorstände deutscher DAX-Unternehmen. Zum Dank durfte der Philanthrop bei „Maischberger“ auftreten. Im Buch geht es um „extrem wirkungsvolle“ Lösungsansätze wie: „Tierische Produkte nur einmal täglich zur Hauptmahlzeit.“
Am Ende werden alle Menschen Klimatisten sein
Extrem klimafreundlich, weil hektotonnenweise Müll vermeidend, wäre auch diese Maßnahme: Rossmann schmeißt einfach überflüssigen Plunder aus seinen Regalen, also rund die Hälfte des Rossmann-Angebots. Leider versäumte Frau Maischberger, dem Milliardär diesen genialen Klimakniff ans Herz zu legen.
Ach, noch viele, viele Salonklimatisten werden in den Medien aufpoppen und uns mit kleinen und großen Transformationsvorschlägen versorgen. Und die Erde wird ein einziger Salon, in dem unablässig Transformationen bekakelt werden.
Naja, vielleicht nicht die ganze Erde. Aber jener Westflügel, der sich aus geheimnisvollen Gründen nach seiner Abschaffung sehnt.
PS: Muss man erwähnen, dass auch bekannte Mimen und Sangeskünstler sich zuhauf der Klimarettung verschrieben haben? Meine Favoritin aus dieser Zunft ist die Schauspielerin Emma Watson. Sie jettet zu Festivals, Galas und Premieren, um zum Beispiel todschicke Roben aus zu Stoff recycelten Plastikflaschen auf dem Roten Teppich zu präsentieren. So macht Klimatismus Spaß!