Der Iran hat sein Atomwaffenprogramm seit Herbst 2003 ausgesetzt und wird es auch nicht wieder aufnehmen, falls die internationale Gemeinschaft politisch klug gegensteuert. Diese Hauptaussagen des Berichts von 16 US-Geheimdiensten (National Intelligence Estimate, kurz: NIE) über das Atomprogramm des Iran galten als deutliches Zeichen, dass vor allem die CIA nicht bereit ist, der Regierung von US-Präsident George W. Bush einen Vorwand für einen Krieg gegen das Mullahregime zu geben. Doch Kritiker des Berichts fürchten, dass er auch die Chancen schwächt, im Weltsicherheitsrat Sanktionen gegen Teheran zu verhängen - was die Kriegsgefahr schlimmstenfalls vergrößern würde.
So hat am Mittwoch etwa Frankreichs Präsident Nicols Sarkozy argumentiert, indem er in einem Interview darauf hinwies, dass es „keine zivilen“ Gründe für das Atomprogramm gäbe. Die Frage sei lediglich, ob der Iran „militärische Kapazität“ in einem oder in fünf Jahren erreiche. Ein Angriff auf Iran sei weniger aus den USA als von Israel zu erwarten, das „seine Sicherheit wirklich bedroht“ sehe. Ähnliche Warnungen gibt es nach einem Bericht des „Telegraph“ auch in der britischen Regierung. Das NIE unterminiere die Strategie neuer Sanktionen und mache einen Schlag Israels gegen iranische Nuklearanlagen wahrscheinlicher.
Die Kernthesen des NIE werden darüber hinaus auch in ihrer Substanz angezweifelt. Ephraim Kam vom Israelischen Institut für Nationale Sicherheit in Tel Aviv weist darauf hin, dass der Bericht lediglich die Aussetzung eines militärischen Programms im engsten Sinne erwähnt, während die für Atombomben nötige Urananreicherung weitergehe. Verwunderlich an dem NIE ist auch, dass es die weiterlaufende Entwicklung von Mittelstreckenraketen im Iran nicht in Zusammenhang mit einem Atomprogramm bringt, das ab einem bestimmten Grad von einer rein zivilen zu einer militärischen Nutzung umschwenken kann. Prominente Exiliraner in den USA behaupten ohnehin, das Atomwaffenstreben, mit dem Teheran zwischenzeitlich gar nicht hinterm Berg hielt, sei ungebrochen.
Zweifel gibt aber nicht nur in Israel und unter Hardlinern in den USA. Der „Telegraph“ zitiert führende britische Geheimdienstler, die vermuten, ihre US-Kollegen seien an der Nase herumgeführt worden. In dem Wissen, abgehört zu werden, hätten die Iraner die amerikanischen Diensten mit Falschinformationen gefüttert. „Wir sind skeptisch“, wird ein nicht namentlich genannter hochrangiger Geheimdienstvertreter zitiert. Ohnehin seien die US-Dienste ja nicht gerade für brillante Leistungen in dieser Region bekannt, stichelt der Brite weiter. „Im Irak haben sie sich böse verbrannt.“
Der US-Kolumnist Bret Stephens nennt die Interpretation der CIA im „Wall Street Journal“ gar eine „Fantasie“. Er erinnert an ein NIE vom 19. September 1962, in dem es hieß, eine Stationierung sowjetischer Raketen auf Kuba sei „inkompatibel mit der bisherigen sowjetischen Praxis und mit der sowjetischen Politik, die wir derzeit abschätzen“. Einen knappen Monat später entdeckte ein US-Spionageflugzeug sowjetische Raketenbasen auf Kuba.
Kölner Stadt-Anzeiger, 13.12.07