Das Schicksal der drei israelischen Teen ager, die am Montag tot unweit von Hebron aufgefunden worden sind, sorgt für neue Spannungen im Nahen Osten und erschwert die israelisch-palästinensische Annäherung zusätzlich. Die drei Jugendlichen waren vor zweieinhalb Wochen von Hamas-Aktivisten entführt worden, als sie in der Westbank per Anhalter nach Hause fahren wollten.
Palästinensische Reaktionen auf den Tod der drei Israelis zeigen, wie weit die beiden Völker auseinander sind. In palästinensischen Facebook Einträgen wird der Dreifach-Mord als «erfolgreicher Widerstand» gelobt. Bedenklicher noch ist die Reaktion palästinensischer Mütter auf die Entführung.
Derzeit suchen die israelischen Sicherheitskräfte nach Abu Aisha, der an der Entführung und der Ermordung der drei Jugendlichen beteiligt gewesen sein soll. Abu Aisha hat zwischen Hebron und Jerusalem ein Geschäft, ist verheiratet, hat Kinder. Der israelischen Armee ist er bestens bekannt. Er hat erstens eine Gefängnisstrafe hinter sich, und er hat zweitens einen Bruder, der 2005 ums Leben kam, als er eine Handgranate gegen israelische Soldaten werfen wollte. Er sei von Israel ermordet worden, sagt seine Familie.
«Ehrlich und unschuldig»
Jetzt hätte Amer Abu Aisha, die ihren Sohn Abu vor 33 Jahren auf die Welt gebracht hat, erneut Grund, sich Sorgen um ihren Nachwuchs zu machen. Abu Aisha ist seit der Entführung der drei Israelis untergetaucht. Sie ist zwar fest überzeugt, dass er mit der Entführung nichts zu tun habe. Aber sie wäre stolz auf ihn, falls er die drei israelischen Jugendlichen tatsächlich entführt haben sollte, sagte sie in einem Interview mit dem israelischen Channel 10. Das wäre schliesslich das Resultat ihrer pädagogischen Bemühungen. Sie habe ihre Kinder auf den Grundlagen des Islam erzogen, meinte sie: Ihre Kinder seien religiöse Guys, ehrlich und unschuldig, und ihr Ziel sei es, «dem Islam zum Sieg zu verhelfen». Und dann sagte sie: «Ich werde seine drei Söhne so erziehen, dass sie Märtyrer für den Jihad werden.»
Und das ist der Unterschied: Israel hat während mehr als zwei Wochen unermüdlich und mit grösstem Aufwand nach den Entführten gesucht und damit zu verstehen gegeben, dass niemand aufgegeben wird. Bei den Palästinensern aber preisen sogar Mütter den Märtyrer-Tod ihres Nachwuchses. Eine Kultur, die das Entführen feiert, sei nicht reif für einen eigenen Staat, kommentierte diese Woche Bret Stephens im Wall Street Journal, der früher Chefredaktor der Jerusalem Post war. Das Urteil mag hart sein, zumal die zur Schau gestellten patriotischen Deklarationen durchaus im Widerspruch zu den echten Gefühlen der Mütter sein können. Vielleicht wollen sie sich nach dem Tod eines Sohnes bloss einreden, dass er nicht «umsonst» gestorben sei.
Märtyrer-Sagen als Realität
Und doch: In Interviews mit palästinensischen Müttern von Selbstmord attentätern habe ich wiederholt gehört, dass sie stolz seien auf ihre toten Mär tyrer-Söhne. Ich erinnere mich etwa an Laila im südlichen Gazastreifen, die mich zusammen mit einem Übersetzer im Wohnzimmer empfing. Ihr Sohn war bei einer Attacke auf eine israelische Militärpatrouille ums Leben gekommen. Jetzt hatte sie nur ein Bild von ihm, das von Blumen umrahmt war. Sie sei glücklich, sagte sie mir ins Mikrofon, weil er für eine «gute Sache» gestorben sei. Und sie sei froh für ihn, dass er von Jungfrauen umgeben sei, die ihn – so stehe es geschrieben – verwöhnen würden.
Nach dem Gespräch wollte mein Übersetzer von mir wissen, was ich von der Frau halte. Ich sei entsetzt, sagte ich ihm, dass solche Märchen in der heutigen Zeit noch geglaubt würden. Doch was er darauf antwortete, gab mir noch mehr zu denken: «Das glaubt nicht nur diese Frau, sondern wir alle», sagte er, und als ich von ihm wissen wollte, ob diese Märtyrer-Sagen auch für ihn Realität seien, meinte er klipp und klar, fast schon beleidigt: «Natürlich.»
Ein Gespräch mit dem palästinensischen Psychiater Iyad Zaqout zeigte mir im Frühling 2004, dass ich mit der Annahme, Laila sei eine Ausnahme, in der Tat falsch gelegen hatte. Zaqout hatte in Umfragen ein Jahr zuvor herausgefunden, dass «jeder dritte Knabe in Gaza ein Selbstmordattentat als höchstes Ziel» betrachte (das war 2003, als Gaza noch von israelischen Truppen besetzt war). Die palästinensische Gesellschaft «glorifiziere» Märtyrer: «Sie werden als Heilige und sogar Propheten gepriesen. Eine neue Genera tion von Kindersoldaten wächst heran, die sich nichts sehnlicher wünschen als den Tod fürs Vaterland.»
Einen dieser Kindersoldaten traf ich kurz darauf in Nablus: Hussam Abdo. Er war in der Schule ein Aussenseiter, geistig etwas zurückgeblieben, und er litt unter starken Minderwertigkeitskomplexen. Um sich bei seinen Klassen kameraden beliebt zu machen, riss er Possen und störte den Unterricht mit allerlei Schabernack. Doch damit erreichte er nur, dass er von der Schule gewiesen wurde. In seiner Verzweiflung suchte der kleine Hussam nach einer Möglichkeit, sich bei den Mitmenschen beliebt zu machen. Er liess sich von einer radikalen Gruppe für eine Selbstmordoperation gegen israelische Soldaten einspannen. Das ging zwar – aus seiner Sicht – schief.
Verblüffende Offenheit
Er wurde ertappt, bevor er die Bombe zur Explosion bringen konnte, die auch ihn zerrissen hätte. Seine Mutter war wütend auf ihn und beschuldigte diejenigen, die ihm den Bombengürtel verschafft hatten. Er sei ja noch ein kleiner Junge, der für sich keine Verantwortung übernehmen könne. Auf die Frage, was sie denken würde, wäre er ein paar Jahre älter gewesen, meinte sie hingegen mit verblüffender Offenheit: Wäre er älter als 18 Jahre gewesen, «hätte ich ihn möglicherweise ermuntert, es zu tun».
Seit dem Interview, das vor zehn Jahren in der Weltwoche erschienen ist, hat sich offenbar nichts Grundlegendes an der Einstellung der Mütter zu ihren Märytrer-Söhnen geändert.
Dieser Artikel von Pierre Heumann ist zuerst in der Basler Zeitung vom 2. Juli erschienen.