Voll nuklear mit Durchblick

Die Medizin ist ein geheimnisvolles, oder zumindest ein sehr komplexes Thema, in dem Ideologie und ärztliche Rechthaberei großen Schaden anrichten können. Das haben wir erlebt. Andererseits können Logik und wissenschaftliche Bescheidenheit sehr segensreiche Beiträge zum Leben leisten. Von so etwas soll hier die Rede sein. Vielleicht sind Sie selbst schon damit in Berührung gekommen und haben sich gefragt, warum das so viel Krach macht.

Ich möchte mit Ihnen hier über eine sehr komplizierte und sehr nützliche Erfindung reden; weniger, um diese zu erklären, als um Ihnen einen Eindruck zu geben, welch phantastische Leistungen der menschliche Geist und der menschliche Wille vollbringen können, wenn Kompetenz und ehrliche Hingabe vorhanden sind.

Dies wird besonders deutlich im Kontrast zur Welt der Politik, wo durchaus lösbare Vorhaben daran scheitern, dass die Verantwortlichen weder mit dem Willen noch der Kompetenz noch der Moral ausgestattet sind, die zur Bewältigung der Probleme notwendig wären.

Sie wenden vielleicht ein, dass politische Aufgaben nicht mit technisch-wissenschaftlicher Logik zu lösen seien, dass eine Gesellschaft ein „nicht-lineares, komplexes System“ sei und mit Maschinen nicht vergleichbar. Das mag schon sein. Aber gerade deshalb erfordern gesellschaftliche und politische Aufgaben den allerhöchsten Grad an Kompetenz, Pflichtgefühl und den bedingungslosen Willen, den Menschen zu nützen. Wenn diese Tugenden fehlen, dann werden lösbare Aufgaben zu Problemen, Krisen und schließlich zur existenziellen Bedrohung.

Um so eindrucksvoller aber ist es, wenn alles stimmt, wenn alle nötigen Tugenden zusammenkommen. Dann kann der menschliche Geist wunderbare Dinge schaffen, wie etwa diese Maschine.

Geräusche aus der Guillotine

Wenn Sie, lieber Leser, liebe Leserin, schon erwachsen sind, dann spricht die Wahrscheinlichkeit dafür, dass Sie mit besagter Erfindung bereits Bekanntschaft gemacht haben. Erst wird einem alles Metallische abgenommen, dann wird man in einen Tunnel geschoben und darf sich nicht bewegen. Von der MTA kommt die freundliche Aufforderung: „Bleiben Sie jetzt bitte ganz entspannt, es dauert nicht lange, nur dreißig Minuten.“

Als wäre das nicht schon schlimm genug, so werden wir in dieser halben Stunde auch noch mit Geräuschen beschallt, wie sie eine Guillotine von sich gibt, wenn der Henker versucht, das verklemmte Fallbeil mit einem Schmiedehammer freizuschlagen.

Die Rede ist von Magnetresonanztomographie (MRT), einem Verfahren zur Erforschung des Inneren von menschlichen Körpern. Ursprünglich nannte man es NMR = Nuclear Magnetic Resonance. Der Begriff „Nuclear“ machte die Maschine aber noch furchterregender, als sie ohnehin schon war. Also gab man ihr einen harmlosen, wenn auch wenig eleganten Namen.

Einblick in uns selbst

Aber auch mit dem neuen Namen ist das Verfahren voll „nuklear“. Und das kommt so: Der menschliche Körper besteht ja zu beträchtlichen Teilen aus Wasser und – pardon – aus Fett. Beide Substanzen beinhalten Wasserstoff. Dessen Atome bestehen, wie alle Atome, aus einem oder mehrere Elektronen und einem Kern. Letzterer ist beim Wasserstoff sehr übersichtlich, er besteht im Gegensatz zu den anderen Elementen aus nur einem einzigen Teilchen, einem „Proton“.

Von diesen einzelnen Protonen tragen wir einige Kilogramm mit uns herum, mehr oder weniger gleichmäßig im Körper verteilt. Wenn wir die genaue Verteilung dieser Protonen abbilden könnten, dann würden wir Organe und Knochen sehen, ohne den Körper aufzuschneiden. Und alles wäre in dreidimensional und viel genauer, als auf einem altmodischen Röntgenbild, das ja nichts anderes ist, als ein blasser Schattenwurf unserer Innereien.

Vielleicht glauben Sie jetzt, dass nur die Verteilung von Wasserstoff, bzw. von Wasser und Fett in unserem Körper wenig aufschlussreich sei. Aber Hallo, auch in einem Weltatlas, der uns nichts als die Verteilung von Wasser und Land zeigt, können wir sofort die griechischen Inseln und Dänemark erkennen und wir können messen, wie breit die Straße von Gibraltar ist. Und so könnten wir auch einen Atlas vom Inneren unseres Körpers erstellen.

Jetzt wird’s kompliziert

Die erwähnten Protonen müssten uns jetzt nur verraten, wo sie sich aufhalten; aber dazu kann man sie überreden.

Protonen ähneln Spielzeug-Kreiseln. Falls Sie Ihre Kindheit mit anderen Dingen verbracht haben: Hier können Sie sehen, wie das geht. Sie erkennen, dass sich das Ding einerseits um die eigene Achse dreht, aber dann, ab und zu, mit einer anderen Drehzahl auch noch um eine andere, unsichtbare Achse. Ersteres nennen wir „Spin“, letzteres „Präzession“, oder besser „Wabern“. Ein Proton hat den Spin eingebaut, er ist Teil seines Wesens; das Proton dreht sich immer und überall – ganz ohne Schnur. Das Wabern aber tritt nur in bestimmten Situationen auf.

Etwa, wenn man einen Magneten an das Proton hält und es gleichzeitig mit Radiowellen beschallt. Wenn Magnetfeld und Radiowellen nun in einem ganz bestimmten Verhältnis stehen, dann fängt das Proton an zu wabern. Wenn man die Radiowellen dann abschaltet, dann wabert das Proton noch etwas weiter und sendet dabei seinerseits eine kurze Radiowelle aus. Diese kann man mit einer Antenne auffangen.

Theorie und Praxis

Das Proton wabert nur, wenn die Stärke des Magnetfeldes und die Frequenz der eingestrahlten Radiowellen präzise aufeinander abgestimmt sind.

Nehmen wir an, wir legen unseren Patienten in ein Magnetfeld, das an jeder Stelle ein bisschen anders ist, dann gibt es genau einen Punkt, wo Frequenz und Feldstärke genau zu einander passen. An diesem Punkt also wabern die Protonen – es werden viele, viele Milliarden sein – und wenn wir die Radiowellen abschalten, dann können unsere Antennen die Signale dieses Waberns noch für einen kurzen Moment auffangen.

Wenn wir jetzt wissen, wo genau im Körper des Patienten dieses passende Magnetfeld geherrscht hat, dann wissen wir auch, wo die Protonen wohnten, die uns das Signal geschickt haben. Vielleicht in einem Äderchen im Gehirn. Jetzt verändern wir unser Magnetfeld so, dass wir den Punkt der Resonanz ganz systematisch auf einer (imaginären!) Ebene verschieben, die durch den Kopf des Patienten gelegt ist.

Für jeden dieser Punkte sammeln wir jetzt die jeweiligen Signale, welche die Antennen uns liefern. Wenn die Protonen an einer Stelle dichter sind als daneben, dann werden die Signale von dort stärker sein als die von nebenan.

Die Stärke der Signale und ihre Position auf besagter Ebene können wir jetzt in einer Graphik darstellen, und voila – wir haben die erste Seite im Atlas unseres Körpers geschaffen. Hier zu sehen sind Seiten aus dem „Erdteil Gehirn“, und wenn Sie im Bild rauf und runter scrollen, dann „blättern“ Sie im Atlas. Was Sie sehen, ist eine drei-dimensionale, scheibchenweise Darstellung, auch „Tomographie“ genannt. Das Gehirn sieht sich selbst, wie in einem Spiegel.

Da ich kein Halbgott in weiß bin, steht es mir nicht an, diese Bilder zu interpretieren. Ich vermute aber, dass die dunkle Kapsel um das kostbare Gehirn den Schädelknochen darstellt. Er ist arm an Fett, Wasser und Protonen und sendet kaum Signale. Anders die darüber liegende helle Kopfhaut, die gut durchblutet ist und vielleicht auch fettreich. Ja, und die Verteilung von Hell und Dunkel im Gehirn selbst kann einem Neurochirurgen verraten, ob, wo und wie er am besten eingreift.

Das ist doch eine ganz nützliche Information, für die man sich schon mal eine halbe Stunde in solch eine Maschine legt, auch wenn sie Krach macht.

Dieser Artikel erschien zuerst auf dem Blog des Autors Think-Again. Sein Bestseller „Grün und Dumm“ ist bei Amazon erhältlich.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Hans-Peter Dollhopf / 24.05.2021

Irgendwann, irgendwo hat jemand im Zusammenhang mit Richard Feynman, er in einer Lecture selbst, oder ein Zeitgenosse in einer Reminiszenz, über ihn oder über Stephen Hawking, keine Ahnung mehr, bemerkt, mit meinen Worten, dass die ursächliche Beherrschung der Basics das Fundament legt zur Beherrschung der ganzen Materie des Faches in Excellenz. Die Pracht und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Umgekehrt die Angelas, Annalenas, Luisas und Gretas mit follow the gremlins.

J.G.R. Benthien / 24.05.2021

Mal wieder ein grosses Dankeschön Herr Dr. Hofmann-Reinecke. Vor allem für den Link, weil man dort praktisch durch das Gehirn »fahren« kann — so etwas habe ich bei meinen Aufnahmen noch nie machen können.

Marcel Seiler / 24.05.2021

Toll!

Emmanuel Precht / 24.05.2021

Mitunter hat die Maschine einen richtig guten Beat hinbekommen. Wohlan…

A. Ostrovsky / 24.05.2021

Schön, dass Sie Technologien auch zur Kenntnis nehmen, die nicht mit Kernspaltung und Neutronenbeschuss zu tun haben. Das ist ja mal eine unerwartete Wendung. Falls Sie die Behauptung, NMR=MRT wäre “voll nuklear” aber dazu verwenden wollen, um Angst vor einer zwar beängstigenden, aber völlig ungefährlichen Diagnose-Technologie zu schüren, wäre es verfehlt. Schade, dass Sie den Unterschied zur CT (Computer-Tomografie) nicht herausgearbeitet haben, wo ja auch ein verharmlosender Name den Umstand verschleiert, dass dort, im gegensatz zur MRT, mit ionisierender Strahlung (stark gebündelter Rüntgenstrahlung) gearbeitet wird, die erst durch die Bewegung der Strahlenquelle (und der daraus resultierenden Kurzzeitigkeit der Belastung auf jeden Kubikmillimeter des Gewebes bezogen) zu einer geringen Gelastung führt.

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Hans Hofmann-Reinecke, Gastautor / 09.03.2024 / 12:00 / 21

Tschernobyls Wölfe: Krebsresistenter dank Strahlung?

Im Sperrgebiet um den Reaktor von Tschernobyl entwickelte sich eine Wolfspopulation mit erhöhter Resistenz gegen die Auswirkungen von Krebs. Im Sperrgebiet um den Reaktor von…/ mehr

Hans Hofmann-Reinecke, Gastautor / 03.01.2024 / 16:33 / 13

Das Desaster von Tokio und das Wunder

Je seltener Desaster werden, desto mehr Aufsehen erregen sie. Die Luftfahrt ist mit täglich 100.000 unfallfreien Flugbewegungen extrem sicher geworden, und so ist die Kollision…/ mehr

Hans Hofmann-Reinecke, Gastautor / 18.12.2023 / 14:00 / 36

Wahnhafte Störungen nationaler Tragweite

Die deutsche Politik zeigt seit Jahren deutliche Symptome wahnhafter Störungen. Entscheidungen entspringen illusorischen Vorstellungen, die jeder sachlichen Beobachtung widersprechen, an denen man dennoch eisern festhält.…/ mehr

Hans Hofmann-Reinecke, Gastautor / 16.12.2023 / 16:00 / 29

Physik und Klimawandel: Die Angst vor der Wahrheit

Ein Physiker, der nichts von Klimawissenschaft versteht, ist nützlicher als ein Klimawissenschaftler, der nichts von Physik versteht. Daran kann auch die COP28 in Dubai nichts ändern.…/ mehr

Hans Hofmann-Reinecke, Gastautor / 04.12.2023 / 15:15 / 26

Die Maßeinheit für Größenwahn

Der geplante Ausbau von Solaranlagen um den Faktor drei wird keine Probleme lösen, aber enorme Einbußen an Lebensqualität mit sich bringen. Widerstand ist aber zwecklos,…/ mehr

Hans Hofmann-Reinecke, Gastautor / 05.09.2023 / 10:00 / 65

Vorschlag zur IAA – das elektrische Perpetuum mobile!

Ein Vorschlag zur IAA, die heute eröffnet wird: Die Versorgung der E-Autos wird dezentralisiert. Zu jeder E-Tankstelle gehören eine Handvoll von Windmühlen, die Austauschbatterien aufladen. Die…/ mehr

Hans Hofmann-Reinecke, Gastautor / 23.06.2023 / 13:00 / 39

Titan und Trieste

Das kleine U-Boot Titan ist auf seiner Tauchfahrt zum Wrack der Titanic in 3.800 Metern Tiefe verunglückt; vermutlich wurde es dort unten vom enormen Druck der Wassermassen…/ mehr

Hans Hofmann-Reinecke, Gastautor / 29.05.2023 / 16:00 / 15

Lithium – Batterie oder Brandsatz?

Das Bestreben, auf kleinem Raum möglichst viel Energie zu speichern, ist nichts anderes als der Bau einer Bombe. Hier Beispiele von Havarien, darunter eine, wie sie…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com