Im letzten Jahr rezensierte ich das Buch „Kinderfrei statt kinderlos“ der Lehrerin Verena Brunschweiger. Diese plädiert darin in einem ziemlich drastischen Jargon dafür, keine Kinder zu bekommen, weil dies feministisch und außerdem das beste Mittel sei, um gefährliches CO2 einzusparen. Ich erinnere mich daran, dass ich beim Schreiben des Beitrags leise Zweifel daran hegte, ob es richtig sei, dem kleinen Büchlein mit den überspannten Theorien einer bis dato vollkommen unbekannten Autorin mit Ernsthaftigkeit bis zur letzten Zeile zu begegnen. Waren ihre Thesen und Forderungen nicht einfach nur eine effektheischende, kalkulierte Provokation, um sich ins Gespräch zu bringen?
Schließlich sprach Frau Brunschweiger etwa explizit von Hängebusen und Sorgenfalten, die sich Frauen ersparen könnten, wenn sie so vernünftig wären, auf Nachwuchs zu verzichten. Und das als Lehrerin! Stolz rechnete sie außerdem vor, dass man pro eingespartem Kind dem Planeten Erde 9.441 Tonnen CO2 ersparen könnte – bei westlichem Lebensstandard, versteht sich. Darum sei das Kinderkriegen in Entwicklungsländern auch nicht so verwerflich. Konnte man einen derartigen Blödsinn ernst nehmen?
„(Das Buch) ist eine herzlose Abrechnung mit dem Kinderkriegen, einem der natürlichsten Vorgänge des Lebens. Und absolut keine Hilfe für irgendeine Verständigung zwischen verschiedenen Lebensentwürfen. Stattdessen kreiert Brunschweiger neue Feindbilder und spielt die Kinderlosen gegen die Menschen mit Kindern aus“, lautete damals mein Fazit.
Als ich in der Folge beobachtete, dass viele große Medien Verena Brunschweiger und ihre Thesen erstaunlich verständnisvoll aufnahmen und ihr auch in Talkshows kaum Gegenwind entgegenschlug, bekam ich den Eindruck, dass meine Ereiferung beim Verriss des Buches zumindest eine gewisse Berechtigung hatte. Gleichzeitig beobachtete ich mit Unbehagen den radikal geführten Diskurs, weil mir schien, als verschöben sich die Grenzen des Sagbaren in eine sehr bedenkliche Richtung.
Bei Kindern wenigstens ein schechtes Gewissen
Nun ist das Thema Kinderlosigkeit aus Umweltschutz erneut auf dem Tisch. Die ARD erregte kürzlich Aufsehen durch die Frage „Was ist Euch wichtiger? Eigene Kinder oder die Ressourcen der Erde?“ im Rahmen der ARD-Themenwoche.
Ich kann an dieser Stelle keine tiefgreifende Analyse darüber liefern, warum allein diese Frage vollkommen schwachsinnig ist (mit aktuell im Durchschnitt 1,54 Kindern pro Frau in Deutschland dürfte zu hoher Kinderreichtum zu den untergeordneten Problemen dieses Landes gehören, die hohen Geburtenraten afrikanischer Länder – durchschnittlich 4,7 Kinder pro Frau – geben da schon eher Anlass zur Sorge, gleichzeitig hieß es aber beispielsweise kürzlich aus Nigeria, dass dort hinsichtlich der landwirtschaftlichen Produktivität noch viel Luft nach oben sei; Jordan B. Peterson berichtet gar, er hätte im Rahmen seiner UNO-Tätigkeit erfahren, ein Land wie Uganda könnte bei besserer Bewirtschaftung „ganz Afrika“ ernähren).
Stattdessen möchte ich kurz vorstellen, welche merkwürdigen Sprachfetzen die ARD dem geneigten Gebührenzahler als Antworten auf ihre unverschämte Fangfrage liefert.
„Ich glaube nicht, dass Menschen die besten Wesen auf der Welt sind und dass wir uns dafür entscheiden können: Ja, wir retten die Erde und dann tun wir es tatsächlich“, lässt der Clip die Moderatorin und Böhmermann-Sendeplatz-Nachfolgerin Ariane Alter fabulieren. Ihr Fazit: „Deswegen sage ich – mit einem schlechten Gewissen – (sie verzieht das Gesicht) Kinder.“
Na, wenigstens hat sie ein schlechtes Gewissen, wenn sie schon so unverschämt ist, eigene Kinder haben zu wollen!
„Leute, mir sind die Ressourcen der Erde wichtiger“
„Also, ich setz‘ kein Kind auf die Welt, damit ich sage: ‚Bitte hinterlass‘ keinen CO2-Abdruck und bleib nur in deinen vier Wänden“, meint Kollegin Nadia Kailouli. Sie schickt in der längeren Fassung des Videos dann noch hinterher: „Also wenn's so weit kommt, dass wir keine Kinder mehr in die Welt setzen, weil sie dann keine CO2-Abdrücke hinterlassen – das fände ich rein evolutionär sehr schade.“
Carolin Kebekus, ihres Zeichens Komikerin und neuerdings scheinbar Quotenfrau für alle möglichen politisch korrekten Kampagnen, freut sich: „Naja, ich hab ja keine eigenen Kinder. Deswegen kann ich ziemlich cool sein und sagen: ‚Leute, mir sind die Ressourcen der Erde wichtiger.‘“
Moderator Sebastian Meinberg schließt hingegen messerscharf: „Sobald ich eigene Kinder habe, glaube ich, würde ich mich nicht mehr so entscheiden.“
„Lieber nachhaltig leben, als keine Kinder bekommen“, findet Alice Hasters, Autorin des Buches „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten“).
Ich habe immer noch nicht ganz verstanden, was uns die ARD – und damit der verlängerte Arm der Regierung – mit dieser Aktion eigentlich sagen möchte. Es ist schon merkwürdig, wie schnell die seltsame Idee einer einzelnen Autorin als scheinbarer Commonsense in öffentlichen Sendeanstalten präsentiert wird.
„Glücklich, weil ich unfruchtbar bin“
Generell scheinen ARD & Co. das Thema weiblicher Kinderlosigkeit momentan ganz oben auf ihrer Agenda zu haben. Auf Facebook werden mir immer mal wieder Sterilisations-Aufrufe, Pardon, -Berichte des staatlichen Fernsehens angezeigt. Junge und teilweise sehr junge Frauen berichten da mit leuchtenden Augen vom Glück der Sterilisation und mit Leichtigkeit vom Treffen dieser weitreichenden Entscheidung. Die O-Töne verbreiten oft eine Nonchalance, als ginge es darum zu entscheiden, ob man seine Stulle lieber mit Wurst oder mit Käse zu sich nehmen möchte. Seit ein paar Tagen kursiert etwa der SWR-Clip der 33-jährigen Lisa, die über ihre geglückte Sterilisation berichtet.
Der junge ARD- und ZDF-Ableger „funk“ ließ im Frühjahr unter dem Titel „Kein Bock auf Kinder? So what!?“ Frauen, die kaum älter als Anfang oder Mitte 20 zu sein scheinen, von den Freuden der Sterilisation schwärmen: „Jetzt kann ich ein glückliches Leben führen, weil ich einfach unfruchtbar bin“, freut sich Kandidatin Lysann. Pro forma wird in der Mini-Doku noch das Thema der möglichen späteren Reue angeführt: „Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass ich es später bereuen würde, sondern vielmehr dass es mich beruhigt“, meint etwa Testimonial Sarah.
Auch hier überwiegt wie in den vorher angeführten Themenfeldern ein Tonus, der absolut keinen Widerspruch duldet, sondern sich vielmehr gegen einen wirklich freien und unvoreingenommenen Gedankenaustausch zu richten scheint. Und es stellt sich die Frage: Warum hält es der öffentlich-rechtliche Rundfunk für geboten, im Zeitalter der sicheren Verhütungsmethoden eine derart unreflektierte und parteiische Pro-Sterilisations-Kampagne zu fahren? Jeder soll doch für sich selbst entscheiden, ob er Kinder haben möchte oder nicht. Wozu braucht es eine solche Werbung für die Kinderlosigkeit? Was auch immer es ist: Dieser Diskurs behagt mir nicht.