Je gefährlicher der Iran wird, desto zahlreicher werden die deutschen Stimmen, die ein Arangement mit dem Mullah-Regime fordern. Kürzlich warb der langjährige Leiter der Stiftung Wissenschaft und Politik, Christoph Bertram, „Für eine andere Iran-Politik“, die Teheran als „Partner, nicht Gegner“ begreifen sollte. Nun hat sein Nachfolger als Stiftungsdirektor Volker Perthes bei Suhrkamp ein Bändchen vorgelegt, das zwar nicht ganz so plump wie Bertrams Pamphlet daherkommt, in der Sache jedoch den gleichen Ansatz vertritt: „Iran – Eine politische Herausforderung“.
Bereits der Titel suggeriert, erstens, dass die Arbeit Irans an der Atombombe keine militärische Herausforderung für den Westen sei: eine gewagte Behauptung. Er suggeriert zweitens, dass die westliche Politik bisher der Herausforderung durch den Iran nicht gerecht geworden sei. „Ganz anders als bei Diskussionen über andere Länder steht bei Debatten über den Iran … immer die Frage nach der Rationalität dieses Staates und seiner Führung im Vordergrund“, klagt Perthes. Das erklärt er nicht mit der Tatsache, dass die Führung des Staates in der Hand militanter islamistischer Revolutionäre ist, sondern damit, „dass Iran für viele Beobachter ein nahezu unbekanntes Land ist, weshalb Vorurteile leicht Raum gewinnen“: ebenfalls eine gewagte Behauptung.
Schließlich gibt es genügend Berichte aus dem Iran, vom reißerischen Bestseller „Nicht ohne meine Tochter“ bis hin zu den täglichen Auszügen aus iranischen Quellen, die etwa das „Middle East Media Resarch Institute“ (MEMRI) im Internet veröffentlicht, die das irrationale Wesen des Gottesstaates dokumentieren. Eine beliebige Kostprobe, zufällig ausgewählt am Tag, als ich Perthes’ Buch las: In seiner Freitagspredigt vom 15. August 2008 sagte Ayatollah Ahmad Khatami, Mitglied des „Expertenrats“, der den Revolutionsführer wählt: „Die Behauptung, die Zeit sei vorbei, da eine Religion die Welt beherrschen könne, widerspricht dem Koran und der islamischen Tradition. Nicht nur ist diese Zeit nicht vorbei, sondern die islamische Wiedergeburt, deren Zeugen wir sind, bewegt sich in diese Richtung und wird, so Gott will, die ganze Welt erfassen, wenn der Mahdi erscheint.“
Volker Perthes hingegen meint: „Professionelle Beobachter“ (also Perthes) seien sich „weitgehend einig, dass die Islamische Republik Iran ein rationaler oder ‚logisch’ handelnder Akteur ist“ – also ein Nationalstaat herkömmlichen Typus, bei dem man annehmen kann, dass er „Chancen und Risiken abwägt und den eigenen Nutzen zu mehren sucht“ - und sich nicht in selbstmörderische Aktionen stürzt wie etwa einen atomaren Angriff auf Israel. Worauf Perthes diese Gewissheit gründet, bleibt sein Geheimnis, zumal, wie er in einer Fußnote anmerkt, ausländische Diplomaten die Erfahrung machen, dass „ihre iranischen Gesprächspartner offenbar wenige Probleme damit hätten, sie offen anzulügen“. Gegenüber “professionellen Beobachtern” dürften sie auch keine diesbezüglichen Skrupel kennen.
Tatsächlich muss die Frage nach der Rationalität des Regimes immer im Vordergrund jeder Diskussion über das iranische Atomprogramm stehen. Es mag unangenehm sein, dass etwa Indien die Atombombe besitzt. Aber niemand geht ernsthaft davon aus, dass Indien als demokratischer Staat damit mehr will als das Gleichgewicht des Schreckens mit seinem instabilen und unberechenbaren Nachbarn Pakistan aufrechtzuerhalten.
Oder, um ein näherliegendes Beispiel heranzuziehen: Israel besitzt seit über 30 Jahren die Atombombe. Doch wie Christoph Bertram in seinem Iran-Buch immerhin feststellt hat „keiner der arabischen Staaten auf die Atomrüstung durch Israel durch eigene atomare Anstrengungen geantwortet“. Für Bertram ist das ein Beleg dafür, dass auch eine iranische Bombe kein atomares Wettrüsten in der Region auslösen würde. Tatsächlich belegt das Beispiel aber nur, dass die arabischen Staaten, aller hysterischen Rhetorik zum Trotz, die Rationalität Israels und den Abschreckungscharakter der israelischen Bombe anerkennen. Hingegen sind, wie Perthes nicht umhin kann anzumerken, „in den arabischen Golfstaaten die Stimmen lauter geworden, die Iran offen als Bedrohung bezeichnen und die USA sowie den Rest der internationalen Gemeinsachft auffordern, den persischen Nachbarn einzudämmen“. Warum wohl? Weil für die sunnitischen Diktaturen und Halbdiktaturen mit ihren gut ausgebauten Geheimdiensten der Iran „ein nahezu unbekanntes Land“ ist? Oder weil sie sich über die schiitischen Revolutionäre auf der anderen Seite des Golfs keine Illusionen machen, im Gegensatz zu „professionellen Beobachtern“ aus Deutschland?
Hätte der „professionelle Beobachter“ Recht, der „das Klischee von den verblendeten Mullahs“ kritisiert, dann wäre in der Tat eine iranische Atombombe ebensowenig eine Katastrophe wie es die indische ist. Der Meinung ist Perthes denn auch: „Eine iranische Atombombe wäre keine ‚islamische Bombe’, sondern ein Instrument zur Wahrung der nationalen Interessen der Islamischen Republik.“ Und die Wahrung nationaler Interessen – etwa gegen die „hegemonialen Absichten“ der USA in der Region, von denen Perthes spricht – ist ja legitim. Insofern ist sein Buch auch kein ernstzunehmender Beitrag zur Diskussion darüber, wie man eine iranische Atombombe verhindern könne. Denn darum geht es ihm nicht. Auch mit einem atomar bewaffneten Iran – ja gerade mit einem atomar bewaffneten Iran – würden Leute wie er gern ins Geschäft kommen. „2007 nahmen chinesische Exporte in den Iran um mehr als 60 Prozent zu, während deutsche Exporte in den Iran um 14 Prozent abnahmen“, klagt er – Ergebnis der von den USA betriebenen Sanktionspolitik, der sich die Regierung Merkel / Steinmeier widerwillig angeschlossen hat
Leider liefert Perthes aber auch keinen einzigen Beleg für seine These, der Iran sei ein rationaler Akteur. Seine „Analyse“ der politischen Elite besteht darin, die Unterscheidung in „Hardliner, Pragmatiker und Reformer“ zu ergänzen um die „islamo-nationalistische Rechte“, die „Realisten“ und die „Globalisierer“. Das ist nicht Analyse, sondern Geraune. Wie das Kräfteverhältnis zwischen diesen Gruppen aussieht, weiß Perthes ebensowenig zu sagen, wie er den von den Revolutionsgarden beherrschten militär-industriellen Komplex auch nur ansatzweise in seiner Bedeutung erfasst.
Auf Seite 103 steht der wahrscheinlich wichtigste Satz dieses ansonsten höchst überflüssigen Buches: „In Wirklichkeit ist gar nicht so sicher, was der Iran wirklich will.“ Richtig. Warum in Allahs Namen sollte man dann davon ausgehen, dass die iranische Führung nicht meint, was sie sagt, wenn sie von der Wiederkunft des Mahdi faselt, die wahre Globalisierung durch die islamische Weltrevolution propagiert und auf dem Wweg dorthin Israel „aus dem Buch der Geschichte tilgen“ wird?
Warum um Saddam Husseins Willen sollte man jene historische Lektion außer Acht lassen, die sowohl Bertram als auch Perthes referieren, freilich ohne ihre Bedeutung zu erfassen: Als die US-Truppen im April 2003 Bagdad besetzten, beschloss die vor Angst erstarrte Teheraner Führung, die Arbeit an der Atombombe vorerst einzustellen und den Amerikanern ein umfassendes Gesprächsangebot zu unterbreiten, das alle strittigen Themen, von der Unterstützung des Terrorismus bis zum Atomprogramm erfasste. Es mag sein, dass die Bush-Administration aus Hubris hier eine historische Chancen verpasste. Die Lektion aber bleibt so gültig, wie sie leider banal ist: Diktatoren verstehen nur eine Sprache – die der Entschlossenheit. Die Bücher der Politikberater Bertram und Perthes sind dazu angetan, die Entschlossenheit des Westens zu untergraben. Mag den Autoren der Beifall mancher Geschäftsleute gewiss sein; wem es mit der Verteidigung des Westens und seiner Werte gegen die Fieberträume der Mullahs ernst ist, wird solche Bücher dorthin befördern, wo sie hingehören: in den Papierkorb.
Volker Perthes: Iran – Eine politische Herausforderung. edition suhrkamp 2572, 160 Seiten, 9,30 Euro