Archi W. Bechlenberg / 21.07.2022 / 14:00 / Foto: Chris Hakkens / 21 / Seite ausdrucken

Viva Carlos Santana!

In einer Zeit, als das Radio so gut wie nichts spielte, das uns interessierte, hörten wir im dunklen Keller die erste Platte von Carlos Santana. Ein Moment der Erleuchtung.

Wir hatten in der Stadt diesen Keller, er gehörte zu einer Buchhandlung und war mit ein paar Matratzen ausgelegt. Der wichtigste Gegenstand im Raum war ein Plattenspieler von der Firma Dual, ein olles Ding, nicht einmal Stereo-fähig. Aber das war egal, die Möhre ermöglichte es, Langspielplatten zu hören, und man brachte seine für teures Geld erworbenen 30-cm-Scheiben von zuhause mit, um die Musik darauf mit Anderen zu teilen, chillend auf den Matratzen lümmelnd und oft staunend, was sich so alles tat in der großen weiten Musikwelt.

Es war 1969, da spielte das Radio so gut wie nichts, das uns interessierte. Jedenfalls nicht das „offizielle“ Radio, in dem knödelten vielleicht Gerhard Wendland, Roy Black oder Welcke Möhre, aber Sendungen, in der etwas von den Beatles oder gar den Kinks oder Stones ausgestrahlt wurde, konnte man pro Monat an einer Hand abzählen. Wer auf Tonqualität keinen Wert legte und sich damit zufrieden gab, dass alles wie durch ein Dosentelefon klang, suchte auf dem Transistor Radio Veronica und AFN. Da spielte die Musik.

Wer sich also von Zeit zu Zeit eine LP leisten konnte, brachte sie mit, und dann wurde sie den ganzen Abend (in dem Keller war immer Abend) rauf und runter genudelt. Einmal nun brachte ein Freund – wir nannten ihn Chopper, da er eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Cartoonhund dieses Namens hatte – eine Platte mit. Das Cover war schwarzweiß und zeigte einen großen Löwenkopf, aber wenn man genauer hinsah, erkannte man im Bild deutliche, psychedelische Qualitäten. Chopper war immer etwas besser als wir Anderen informiert, er holte sich regelmäßig im Bahnhofskiosk den Melody Maker und den Musical Express. Und das war wohl auch der Grund, aus dem er Santana kannte.

Drogengeschwängerter Auftritt

Das gleichnamige Debutalbum der Band um Carlos Santana schlug gewaltig ein; vor allem das großartige Jingo, das mit einer fetten Percussion und einer bis dahin nie gehörten, unverwechselbaren Gitarre, deren Saiten der damals 22-jährige Carlos zupfte, wurde zu einem Ohrwurm erster Güte. Wir in der Endphase der Pubertät schwelgenden Jungs – Mädchen trauten sich so gut wie nie in diesen Keller, bis auf eins, aber das wäre eine andere Geschichte – grölten gerne mit und sangen statt des sich wiederholenden „Lo Ba, Ba, Lo Ba, Ba, Lo Ba, Ba, Lo Ba, Lo Ba, Ba, Lo Ba, Ba, Lo Ba, Ba, Lo Ba“ immer „Orgas Mus, Orgas Mus, Orgas Mus" usw. usw. War das geil!

Danach kam „Abraxas“ heraus, die Platte mit dem großartigen Coverbild von Mati Klarwein, und zu „Samba Pa Ti“, dem Schmusesong par excellence, machte mir eine Freundin in spe eine Liebeserklärung. So viele Jahre her, so unvergessen. Es regnete, wir saßen in meinem vom Vater überlassenen Ford 17 M, der eine durchgehende vordere Sitzbank besaß, und auch das ist eine andere Geschichte.

Als „Woodstock“ in die deutschen Kinos kam, konnte man die Santaneros auch quasi-live erleben. Deren Auftritt ging ein in die Annalen der Popmusikgeschichte. Die Band, damals auch in den USA noch weitgehend unbekannt und somit ohne viel Mitspracherecht, wurde im Programmablauf des Tages plötzlich mit einem „Ihr seid gleich dran!“ überrascht. Einige, nicht zuletzt der Frontmann, hatten gerade erst ein paar Meskalinpillen geworfen, da sie nicht wussten, ob sie überhaupt zum Spielen kommen würden, und jetzt sollten sie so vor dem Riesenpublikum auftreten. Santana erzählte später, er habe auf der Bühne, statt Gitarre zu spielen, mit einer riesigen Schlange gekämpft, und wenn man den Auftritt heute sieht, kann man das leicht nachvollziehen.

Einige großartige Platten, aber auch mancher Käse

„We got one more tune for you – Soul Sacrifice“ sagt Carlos das letzte Stück des Wooodstock-Auftritts an, und danach geht die Post ab wie... denken Sie sich etwas sehr lautes, schnelles und geniales aus, vielleicht einen Orgasmus? Egal. Ich zitiere zu Soul Sacrifice einen unter dem Video bei YouTube zu findenden Kommentar: „People always talk about Jimi Hendrix's performance at Woodstock, but this WAS The defining moment. Hispanic, black and white musicians coming together with the perfect storm of musical talent.  Unsurpassed, 52 years later.“ So ist es. Wesentlichen Anteil daran hatte nicht zuletzt der damals 20-jährige Drummer Mike Shrieve, auf den noch eine große Karriere wartete.

Später machte Carlos mit und ohne Band einige großartige Platten, aber auch manchen Käse. Er coverte Peter Greens „Black Magic Woman“ auf „Abraxas“, verzauberte auf Caravanserai mit zugleich komplexer wie rhythmischer Musik, produzierte 1973 in einer Erleuchtungsphase das Album „Love Devotion Surrender“ Guru-Gedudel, zusammen mit John McLaughlin, denn so was war zu der Zeit total angesagt und garantierte gute Verkäufe. In den 2000er Jahren stagnierte die Karriere, aber warum nicht, Kohle war genug da, und jetzt konnte er sich, wenn ihm danach war, in Ruhe eine Pille werfen, ohne dass plötzlich jemand „In fünf Minuten seid ihr dran!“ rief.

Mit Gato Barbieri, eigentlich meinem Saxophongott, aber... nun ja..., spielte Carlos 1977 einen üblen Schmusekitsch mit dem Titel „Europa“ ein, als Wiedergutmachung dann ein paar Jahre später mit John Lee Hooker „The Healer“. Für einige Zeit verlor ich ihn aus den Ohren, lasse aber in letzter Zeit immer mal wieder seine alten Platten auf den Teller. Vor kurzem las ich, er sei ins Krankenhaus geraten, eine Schwäche auf der Bühne. Ich hoffe, das hat sich wieder beruhigt und er ist weiterhin mit und ohne Band aktiv und unterwegs. Gestern wurde der Mann 75.

Foto: Chris Hakkens CC BY 2.0 via Wikimedia Commons

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Wolf Hagen / 21.07.2022

Ich mag Ihre Geschichten, Herr Bechlenberg. Gut, ich bin so einige Jahre jünger, als Sie, aber leider doch schon so alt, dass ich manchmal hemmungslos in alten Erinnerungen schwelge, die heutige Jünglinge und JünglingInnen nicht verstehen. Wenn ich eine Ihrer Geschichten lese, ist es, als würde ich ein altes, verstaubtes Foto-Album aufklappen, während ich alleine auf einem alten und geheimnisvollen Dachboden sitze, auf dem sich plötzlich der Zauber und der Glanz einer längst vergessenen Zeit ausbreiten. Jetzt ist Ihr Musikgeschmack nicht unbedingt der meine, aber das spielt kaum eine Rolle. Wenn ich Ihre Geschichten lese, tauchen vor meinem inneren Auge immer unbeschwerte Bilder auf, mit Personen, an die ich schon jahrelang nicht mehr gedacht habe, oder sie an mich. Dinge, die einmal fürchterlich wichtig und so was von up to date waren und die heute kaum noch jemand kennt. Heute war es die “Teestube”, eine Mini-Disco der Pfadfinder und Messdiener aus meiner Kinder und Jugendzeit. Auch die “Teestube” war in einem Keller, dessen Treppe deutlich zu steil war. Natürlich war sie nur Dienstags und vor Feiertagen geöffnet und das auch nur in der Zeit von 18 und 20 Uhr. Immerhin hatte sie ein rudimentäres DJ-Pult, samt HiFi-Anlage und eine Mini-Theke, wo natürlich kein Alkohol ausgeschenkt wurde. Was dazu führte, dass die älteren Jugendlichen, also die um die 16, immer irgendwo den einen oder anderen “geheimen” Achter-Träger Andreas-Pils (mit Kopfschmerz-Garantie) gebunkert hatten. Personal gab es keines, weder Türsteher, noch DJ, oder Thekenbedienung. Jeder war alles, solange er sich berufen fühlte. Einen Türsteher brauchte auch niemand, alle kamen aus der selben Gegend und kannten sich seit Geburt an, es gab auch nie eine Prügelei, soweit ich mich erinnere. Und wenn, trug man sowas auf der Wiese hinterm Haus aus, was dann eine Mischung aus Rangeln, Schubsen und den ungelenk nachgeahmten “KungFu”-Tricks aus irgendeinem Film, den man mal gesehen hatte, bestand….

H. Merx / 21.07.2022

Da merkt man doch das Alter. Auch mein Vater fuhr eine Badewanne (rot und weiß), samstags BFBS top 20, hochkonzentriert (und bitte nicht stören) Aufnahme mit Start- und Stoptaste auf einem fetten Grundig Tonbandgerät. Aber schön war´s doch. Danke für den Artikel.

Gerhard Bühler / 21.07.2022

Lieber Herr Bechlenberg, ja, so war das damals; was für unbeschwerte Zeiten. Unsere “Badewanne” ( 17M) war hellblau mit weissem Dach; Lenkradschaltung und Sitzbank inclusive.Ein Hoch auf die Praktiker in der damaligen Fahrzeugentwicklung. Und Santana war wirklich ein Renner!

Frank Stricker / 21.07.2022

Ich habe Mitte der Neunziger Carlos Santana mal live in Köln am Tanzbrunnen erlebt. Extra früh dran, erste Reihe, fast Körperkontakt mit dem großen Meister gehabt. Leider war das Konzert nix berauschendes, weil Carlos selber völlig berauscht war. Er wirkte völlig abwesend, seine Marihuana-Fahne hätte man bis Düsseldorf riechen können…..

Hartwig Dorner / 21.07.2022

Sorry,, konnte mit Santana nie etwas anfangen, wobei mich das auch an ein Elvin Bishop Interview erinnert, indem der erklärte, daß Santana kommerziell erfolgreich sein wollte, anstatt einfach Blues zu spielen.

Franz Klar / 21.07.2022

“Es war 2015ff , da spielte das Radio so gut wie nichts mehr , das uns noch interessierte. Jedenfalls nicht das „offizielle“ Radio, in dem knödelten vielleicht “Dlf und die Inforadios” ihr Traumgedusel vom richtigen Leben unterm Regenbogen .Wir hatten im Netz diese Blogs , da herrschte noch einigermaßen der gesunde Menschenverstand ....”( Franz Klar feat. A.W. Bechlenberg ) . So werden 2040ff die Erzählungen ” Opa erzählt vom Wohlstand ” beginnen ....

Peter Jamnig / 21.07.2022

Natürlich fand seinerzeit jeder Santana toll. Wann immer ich mir später seine Stücke angehört habe – nun ja, das Gedudel mit McLaughlin sicher nie mehr – sah ich die Sache ein wenig anders. Ich war überzeugt, dass Santana in seinem früheren Leben Charly Zukerman oder so geheißen haben mochte und einer der vielen unbedeutenden Zupfgeigenhanseln war, die man damals an jeder Straßenecke traf. Ein findiger Marketing-Manager dachte wohl, dass flache Popsongs mit etwas afro-kubanischem Makeup sich bestens verkaufen könnten, nannte den guten Charly fortan Carlos Santana – hatte wahrscheinlich in seiner Jagend mal The Alamo gesehen – und fertig war die neue Kultband. Als Indiz dafür mag gelten, dass Charly’s Spanisch immer so klang, als hätte er es in einem Crash-Kurs auf der Volkshochschule gelernt. Die Schlagwerker waren oK, der Bassist plump und ungelenk in seinem Spiel, der beste Musiker der Truppe wohl der Keyboarder – Greg Rolie, wenn ich mich recht erinnere.

Gisel Schinnerer / 21.07.2022

Danke für die kleine Reise, für mich zurück durch die psychedelischen Schwaden im Zirkus Krone München 1971, unvergesslich ...

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