Jesko Matthes / 29.05.2020 / 06:15 / Foto: Pixabay / 61 / Seite ausdrucken

Virokratie: Die Wissenschaft und die Kette der Dominosteine

Jetzt, da die Pandemie sich in Deutschland sehr weitgehend als eine ambitionierte Übertreibung erwiesen hat und sich daher auch die Virolokratie ihrem Ende neigt, stehen wir alle vor den Folgen; zuerst vielleicht den gesundheitlichen, bei denen sich die Kollateralschäden als gravierender zu erweisen beginnen als der Primärschaden, dann vor den politischen und zuletzt vor den wirtschaftlichen und finanziellen. Zuletzt? Nicht ganz. Auch die wissenschaftlichen Folgen sind nicht zu vernachlässigen.

Denn seit Ende Februar überließ sich Deutschland der Virologie. Ob dieses Land dabei virologisch oder eher viro-unlogisch gehandelt hat, sich beraten und regieren ließ, ist eine offene Frage. Doch erste Antworten zeichnen sich ab. So gab es da Experten, die meinten, den zunächst eklatanten Mangel an Schutzmaterialien mit Theorien über die nicht luftgebundene Übertragung des Coronavirus oder die Unwirksamkeit von Atemschutzmasken konterkarieren zu müssen, alles flankiert auch vom Virologen Christian Drosten; und es gab einen NRW-Ministerpräsidenten, der fröhlich Karneval feiern ließ, einen Bayrischen Ministerpräsidenten, der mitten in der frühen Exponentialphase der Erkrankung am Sonntag Kommunalwahlen abhalten ließ, um am Montag den Katastrophenfall ausrufen zu lassen – und dann gab es einen kompletten Lockdown des Landes, der nun quasi achselzuckend mit dem schiefen Mantra von der „schwersten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg“ abgetan werden soll, so als wäre Corona der Feind eines vor Überspanntheit zusammenbrechenden Vierten Reichs von lauter – mittlerweile maskierten – Volksgenossen.

Und so verhalten sie sich auch, von der Politik bis hin zu den normenkonformen Bürgerinnen und Bürgern, die sich wenigstens irgendwie gerettet fühlen sollen, warum und von wem auch immer. Drosten, Laschet und Söder können es nicht gewesen sein; ob die Virologen und Politiker es waren und nicht doch eher die Epidemiologen und Infektiologen in den Gesundheitsämtern, das bleibt die vorläufig offene Frage. Und Jens Spahn mit seiner gelassenen Einschätzung vom Januar hätte am Ende recht behalten. Die aufgesetzte Einigkeit beginnt jedenfalls zu bröckeln, teils tun sich tiefe Risse auf, und sie erreichen den Boulevard, den Gehsteig der Bürgerinnen und Bürger. Und gerade nicht dort sind die Abstandsregeln der Höflichkeit zuerst und längst unterlaufen worden, mit allen seltsamen Nebenerscheinungen.

Hinein in den wissenschaftlichen Infight

Man ging schon zuvor gern in den wissenschaftlichen Infight und tut es jetzt nur umso vehementer. Und das ist nötig und richtig; nur findet es jetzt eben nicht mehr in der staubigen Bibliothek eines virologischen Instituts statt. Man hat sich exponiert – und reagiert nun empfindlich. Allen voran Christian Drosten. Das ist das Risiko der Prominenz. Wer sich derartig öffentlich macht, macht sich auch angreifbar.

Wir alle – die Mediziner, zu denen ich zähle, voran – schwammen und schwimmen noch in einem Meer der Unwissenheit. Warum brach manche europäische Region unter der Krankheitslast zusammen, und andere Regionen nicht? Ist die Übertragung von Corona durch Kinder so gravierend wie bei der echten Grippe, der Influenza? Was also bedeutet der Umgang mit Corona für den Umgang mit künftigen „Erkältungswellen“? Werden wir das Land jetzt jedes Frühjahr „schließen“? Welche Apologeten der Beschränkung werden uns diese Maßnahmen und Zustände weiter schön reden? Welche Einschränkungen der Meinungs-, Versammlungs- und Bewegungsfreiheit werden uns bleiben, werden wir uns gefallen lassen? Wird das Infektionsschutzgesetz nun bis zum Sanktnimmerleinstag über dem Grundgesetz stehen? Ist jeder, der der Regierung auch nur an dieser Stelle widerspricht, ab sofort ein Verschwörungstheoretiker?

Das ist die consecutio temporum, die Kette der Dominosteine, die fallen, wenn harmlose Wissenschaftler sich exponieren; und damit geraten sie in die Schusslinie des öffentlichen Interesses; wohl verdient und völlig zu Recht, denn man hörte und hört auf sie und bleibt auf sie angewiesen. Aber doch bitte nicht auf Einzelne! Wo blieb denn das Robert-Koch-Institut, wo waren und sind denn die Epidemiologen, Sozialmediziner, Kinderärzte, Psychologen? Sie waren alle da! Daher, vor allem, wo und von wem in der Politik sind sie denn gehört worden?

Insofern sollen die Herren Virologen sich nun beruhigen oder nicht. Auf jeden Fall sollen sie sich dorthin begeben, wohin sie gehören; ins Labor zum Forschen, ins Institut zum Publizieren und in den Hörsaal zum Lehren. Sie sollen Studentinnen und Studenten ausbilden, auch sollen sie Ärzte wie mich weiterbilden und ihre Studien statistisch sauber erarbeiten – und sich der Kritik offen und ohne das Verhalten der Mimose oder gar der beleidigten Leberwurst stellen, auch der Kritik, die aus nicht wissenschaftlichen Kreisen kommt, denn ihre Auffassungen hatten und haben erhebliche Auswirkungen auf das Leben aller. Die Kollateralschäden, für die auch sie nun Verantwortung tragen, werden uns auf Jahrzehnte beschäftigen. Das nennt man Nachhaltigkeit. Und eben nicht „viel Zoff um nichts“.

Das ist die Verantwortung, die auch Christian Drosten bereitwillig übernommen hat. Das ist Teil jener Aufmerksamkeit, die er verdient und wohl, wenn auch nicht nur, genossen hat. Aus dieser Verantwortung und dieser Aufmerksamkeit wird niemand über Nacht entlassen, auch nicht wegen guten Willens, auch nicht Christian Drosten.

Zu den Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.

Jesko Matthes ist Arzt und lebt in Deutsch-Evern.

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Leserpost

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Frances Johnson / 29.05.2020

@ Leo Hohensee: “Erinnerung an Tamiflu in 2 verschiedenen Ausführungen, eine für Insider und eine für Sonstige!” Tamiflu ist ein Medikament, das auch seine Geschichte hat. Ihre Formulierung jedoch bezieht sich eher auf die Impfung.

Erich Gennat / 29.05.2020

@Frances Johnson a.a.O. - Also, wir leben seit über zehn Jahren in Süditalien. Meine Frau, unser Sohn in Deutschland, fünf hiesige Bekannte (alles Italiener mit üblich-viel Verwandtschaft im ganzen Land) kennen niemanden, der etwa am Virus erkrankt oder gar verstorben ist. Sie haben immer nur davon gehört: Im Fernseh oder über “die Schwester der Schwägerin von der Gemüseverkäuferin im Supermarkt ...” Die Mutter einer anderen Bekannten ist mit ihren gesegneten 96 Jahren zwar neulich gestorben, und eigentlich aber hat sie nach langer Pflege einfach aufgehört zu leben, ohne Virus. Das Virusmärchen lief vor Jahrzehnten schon einmal als “Spinne in der Yucca-Palme”.

B. Kurz / 29.05.2020

Auch ein Herr Drosten hätte wissen können, dass er nur solange in Amt und Würden ist, wie er der Gottkanzlerin nützlich sein kann. Wenn er lästig wird, ist er zum Abschuss freigegeben oder sie läßt sich selbst dazu herab. Nun weiß er’s eben.  //  @ Herr Hohensee u. HaJo Wolf:  ich teile ihre Meinung und bin angesichts unserer Ohnmacht regelrecht verzweifelt, weshalb ich auch schon so eine Idee des gemeinsamen Widerstands hatte. Andererseits gibt es schon viele solche Gruppierungen, die nur gebündelt werden müssten. Ich nenne nur die Partei von Dr. Schiffmann (Widerstand 2020) oder das Bürgerforum HalloMeinung, wo ich seit Jahresbeginn versuche, einen kleinen Beitrag zum Widerstand zu leisten.  // @ anci barlovits : Ich hätte nicht gedacht, dass in Spanien auch solche Irre rumlaufen. Es wurde wahrscheinlich weltweit was ins Trinkwasser gemischt. Ätsch, ich bin ein Verschwörungstheoretiker!  Trotzallem: Frohe Pfingsten für alle Gleichgesinnten.

J. Breitenbach / 29.05.2020

Bitte nicht Ursache und Wirkung vertauschen. Erstens ist die Pandemie in Deutschland vergleichsweise glimpflich abgelaufen, was aber nicht an dem Erreger selbst liegt, sondern daran, daß sich die meisten Bewohner des Landes von sich aus vernünftig verhalten haben, ehe es der Politik in den Sinn gekommen ist, dies auch mit Nachdruck zu fordern, um Schaden von Dritten abzuwenden; das ist ein wenig wie im Straßenverkehr: die meisten sehen ein, daß man angepaßt fahren sollte, die Radarfallen sind für die Uneinsichtigen, die andere in Gefahr bringen. Die Pandemie als Übertreibung zu bezeichnen, geht jedenfalls an der Realität vorbei, zumal sie sich beispielsweise in den USA gerade NICHT wie eine saisonale Grippe verhält, die nach vier Monaten wieder abebbt. Es wäre schön, wenn auch Autoren mit medizinischem Fachhintergrund nicht auf das Vorsorgeparadox hereinfielen. Zweitens haben wir keine “Virolokratie”. Die prominenten Virologen wie Prof. Drosten machen kein Geheimnis daraus, daß sie Ratschläge aus rein virologischer Sicht geben und nicht aus epidemiologischer oder volkswirtschaftlicher Perspektive. Es ist die ureigenste Aufgabe der Politik, solche widerstrebenden Perspektiven zu gewichten und unter einen Hut zu bringen. Das ist das gleiche Tagesgeschäft wie bei der Verteilung von begrenztem Budget, wenn unterschiedliche Lobbyverbände sagen, wie wichtig jeweils die von ihnen vertretenen Gruppen sind. Wenn die Regierung eine Politik betreibt, die die Besitzer großer Vermögen verschont, wird auf der “Achse” schließlich auch nur selten der Vorwurf der Plutokratie laut.

Karla Kuhn / 29.05.2020

“Denn seit Ende Februar überließ sich Deutschland der Virologie.”  Das ist SO nicht richtig, IN ERSTER LINIE haben die allermeisten Politiker, vor alle ALLE MP, voran MP SÖDER, wie die Kaninchen vor der Schlange, auf MERKEL gestarrt.  Es wäre die DRINGENDE Aufgabe, sogar PFLICHT von Merkel gewesen ALLE Aussagen vom “Promi” Virologen Drosten, zumal der ja schon bei der Schweinegrippe daneben lag, von ANDEREN HOCHKARÄTIGEN VIROLOGEN,  EPIDEMIOLOGEN überprüfen zu lassen. PROF. BHAKTI hat sich in einem öffentlichen YOUTUBE Aufruf an Frau Merkel gewandt, allerdings OHNE ERFOLG. Hätte Frau Merkel DIESEN PROFESSOR und noch viele andere hochkarätige Wissenschaftler , vor allem auch PROF. PÜSCHEL zu einem wissenschaftlichen Team zusammengebracht, wäre das ganze Desaster nicht passiert. Vor allem hätten die angeblichen CORONATOTEN OBDUZIERT werden müssen, was aber VERHINDERT wurde.  WARUM kann ich nur spekulieren,  WOLLTE ES MERKEL NICHT ?? Wollte diese Frau Deutschland UNBEDINGT an den Rand des Ruins bringen ?? Am 03.02.2020 hat sie ja in Davos großmundig verkündet: “.....vor uns liegen TRANSFORMATIONEN von gigantischem, historischem Ausmaß.....” Abgesehen davon, daß das für mich der PURE GRÖßENWAHN ist, kommt mir der Gedanke, daß diese Frau die Corona"krise” dazu benutzt hat,  die TRANSFORMATION von “GIGANTISCHEM” Ausmaß sofort in die Tat umzusetzen. DROSTEN war vielleicht ihr williger Helfer, die ALLEIN VERANTWORTLICHE ist FRAU MERKEL, gefolgt von den MP ALLER Bundesländer, deren PFLICHT es gewesen wäre ALLES zu hinterfragen! SÖDER, sogar noch gestern !! MASKENPFLICHT solange bis ein IMPFMITTEL gefunden ist, nicht zu fassen !!  Max Liebermann hatte zwar andere Gedanken als er seinen berühmten Spruch gesagt hat aber der paßt hervorragend auch zu dieser Situation !

Leo Hohensee / 29.05.2020

@Andreas Rochow - hallo Herr Rochow, Sie haben meine volle Zustimmung. beste Grüße

HaJo Wolf / 29.05.2020

@ Hjalmar Kreutzer: natürlich hat Drosten nicht die Maßnahmen wie Mundschutz, Kontakt erbot, Lockdown usw beschlossen, aber er und sein dummes Geschwätz sind die Basis, auf der Merkel freudig den Knüppel der Diktatorin ergriffen hat.  Er ist genau so verantwortlich wie das RKI und die ganze Politikerbagage. Dass neben der unnötigen Außerkraftsetzung verfassungsmäßiger Rechte jetzt auch noch durch den föderalistische Schwachsinn unterschiedlichster Regelungen das Gleichheitsprinzip verletzt wird, ist der Tropfen, der eigentlich das Fass zum Überlaufen bringen müsste. Statt dessen rennt das tölpelhafte Volk weiter den Rattenfängern und der Führerratte Merkel hinterher. DAS ist unbegreiflich. Ein Aufstand, eine Revolution gegen diese Staats- und Volksfeinde wäre angebracht, passieren wird nichts. Warum starten wir hier, Autoren und Leser, nicht eine Widerstandsbewegung? Von alleine wird sich nichts ändern, im Gegenteil, Merkel und Co werden weiter die Transformation der Freiheit zum Totalitären Sozialismus vollziehen. Die letzten Wochen kommen mir vor wie eine Übung der Merkelkratie, wie weit sie ohne Widerstand gehen kann…

Leo Hohensee / 29.05.2020

@Andi Nöhren - hallo Herr Nöhren, Sie schreiben: -  “Damit wird auch wieder einmal die große Unfähigkeit der Politiker deutlich, die sich von solchen Showmans beeindrucken und beeinflussen lassen.” - Das stimmt nur halb. Nach meiner Meinung trifft das nur zu für solche Politiker, die schon in Merkels Hinterteil drin stecken, zuerst hatten die wirklichen Entscheider die ihnen passenden Wissenschaftler ausgesucht und “beauftragt” und ihnen den Showman-status verliehen! So wird ein Schuh draus. Also oben ansetzen! Die ganzen willfährigen, vielleicht angstverstrahlten Sonstigen, hoffen heute noch mit auf eine zweite Welle damit sie nicht dastehen wie die Schädiger, die sie sind.

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