Mein lieber Schwan, so lautet ein Ausruf des Erstaunens, der Bewunderung. Der wird eigentlich flächendeckend von jedem verwendet, bei jeder Gelegenheit. So etwa wie "mein lieber Scholli".
Es ist aber einer Berufsgattung vorbehalten, den Ausdruck "schwarzer Schwan" geradezu inflationär zu gebrauchen, seit ihn der Publizist Taleb 2001 das erste Mal als Metapher verwendet hat. Dank großem Erfolg schrieb er dann gleich ein ganzes Buch mit diesem Titel. Gemeint ist damit einfach, dass etwas Unwahrscheinliches oder Überraschendes eingetreten ist.
Das Bild, für Altlateiner, verwendete schon der römische Dichter Juvenil, der es wechselweise mit dem "weißen Raben" in seinen Werken besang. Richtig Fahrt auf nahm der "schwarze Schwan" dann in der großen Finanzkrise von 2008. Denn hier mussten Zukunftsdeuter, Analysten, mit ellenlangen Algorithmen Computer zur Weißglut treibende Wissenschaftler zugeben, dass sie sich mal wieder getäuscht hatten.
Nix war mit der Trennung von Risiko und Rendite, nix mit "Total Return Fonds", nix mit konstanten Gewinnen, unabhängig von Börsenkursen oder der Entwicklung der Wirtschaft. Blöd aber auch, dass dafür Jahr für Jahr und weltweit hunderte von Millionen ausgegeben werden.
Die inzwischen mal wieder mit leisem Glugglug im Abfluss runtergurgeln. Denn es ist nun mal so: Es gibt die Gaußsche Glocke, also die Normalverteilung, die Wahrscheinlichkeitsdichte. Das bedeutet, dass es eher unwahrscheinlich ist, dass ich von einem Auto totgefahren werde, wenn ich aus dem Haus trete. Aber nicht ausgeschlossen. Das soll nun Talibs schwarzer Schwan symbolisieren. Wenn man immer nur weiße Schwäne vorbeischwimmen sieht, könnte man meinen, dass es gar keine schwarzen gibt.
Die Vogelgrippe. Die Schweinegrippe. Oder Sars
Kommt man normalerweise unbeschädigt über die Straße, könnte man vergessen, dass das nicht naturgesetzlich so sein muss. Nun haben früher alle diese Sterndeuter, Untergangspropheten und Crash-Dummys, wenn ihre seherische Kraft leider mal wieder nicht ausreichte, etwas kleinlaut gemurmelt, dass da natürlich etwas "Unvorhersehbares" eingetreten sei. Zum Beispiel, dass sich die Hauspreise in den USA nicht immer und ewig weiter in die Höhe schrauben werden. Unvorhersehbar war das allerdings nur für das teuer bezahlte Analystenpack.
Dumm läuft es mit den Prognosen auch immer, wenn in all diesen Algorithmen und streng wissenschaftlichen Untersuchungen der Finanz- und Wirtschaftswelt ein Ereignis einwirkt, das weder mit den Finanz- noch den Wirtschaftsmärkten zu tun hat. Zum Beispiel die Vogelgrippe. Die Schweinegrippe. Oder Sars.
Sars gehört ebenfalls zur Familie der sogenannten Coronaviren, entwickelte sich zu einer Pandemie und forderte mehr als 1.000 Tote. Am Anfang dieser Epidemie teilten sich die Glaskugelbesitzer, wie meist, in zwei Fraktionen. Die eine sah den nahenden Weltuntergang voraus, die andere beruhigte, dass es schon nicht so schlimm kommen werde. Vor allem, wenn man ihre kostengünstig angebotenen Ratschläge befolge.
Nun ist es aber bei all diesen Analysten so, dass sie mit uns Laien, die über keinerlei seherische Kräfte verfügen, eines gemein haben: Sie sind völlig unbeleckt von vertieften wissenschaftlichen Kenntnissen über Virologie, über die Ausbreitung von Epidemien, über den Umschlag in eine Pandemie.
Nun sollte man sich bei fehlendem Wissen doch vielleicht Ratschläge bei Experten holen. Das ist aber einfacher gesagt als getan. Weil der verantwortungsbewusste Wissenschaftler nur sagt, dass er zurzeit wenig sagen kann, aber unablässig an der Analyse des neusten Sprösslings der Coronaviren forscht. Oder aber, der Virologe sagt, dass er eine weltweite Ausbreitung mit sehr vielen Toten nicht ausschließen kann. Was dann zurechtgeschnitzt wird zur Aussage: Wissenschaftler befürchtet Millionen Tote weltweit.
Warnung vor Hysterie weniger schlagzeilenträchtig
Oder aber, der Wissenschaftler warnt vor übertriebener Hysterie, wie das in der Schweiz beispielsweise Beda Stadler tut. Dem kann man sowohl Fachwissen wie unkonventionelle Meinungen nicht absprechen. Aber eine Warnung vor Hysterie ist natürlich viel weniger schlagzeilenträchtig als die Beschimpfung von jemandem, der angeblich verantwortungslos vor Hysterie warnt. Obwohl, natürlich auch mit aller wissenschaftlichen Vorsicht formuliert, die Mortalität bei diesem mutierten Grippevirus nicht höher zu sein scheint als bei einer "normalen" Grippewelle.
Wer hingegen rein sachlich die wenigen verlässlichen Frühindikatoren für zukünftige Entwicklungen in der globalisierten Wirtschaft anschaut, kann nicht schlagzeilenträchtig über Schwäne-Schwärme, Sonntags-Virologen und Abwiegler schimpfen, die angeblich in Kauf nehmen, dass wir alle demnächst tödlich angesteckt werden.
Abgesehen davon, dass zurzeit niemand weiß, ob dieses Virus die halbe Menschheit dahinraffen wird oder eben nicht, abgesehen davon, dass niemand weiß, ob er aus einem Labor für Biowaffen entsprungen ist oder nicht: Der Messfühler für Frachtraten, also der sogenannte Baltic Dry Index, drehte in seiner Ausformung für Riesentanker ins Negative, der Capesize Index. Zum ersten Mal in seiner Geschichte. Hier werden die Frachtpreise für Superpötte gemessen, die nicht mal durch den Panama- oder Suezkanal passen und deshalb um das Kap Hoorn schippern müssen.
Das ist keine gute Nachricht, weil man in der globalisierten Wirtschaft daraus schließen kann, dass der Bedarf nach Rohstoffen und der Output von Produkten – vor allem von der Werkbank China – dramatisch eingebrochen ist. Mit all den üblen Folgewirkungen in einer vernetzten und verzahnten Supply Chain. Fällt in dieser radikal verschlankten Lieferkette auch nur ein Kettenglied oder ein Zahnrädchen weg, dann knirscht es schnell auch weltweit, breitet sich dieser Geschäftsvirus noch viel schneller als das Coronavirus aus.
Erst so ganz langsam ein gewisses Unwohlsein
Bezeichnenderweise macht sich aber, zumindest in den deutschsprachigen Fachmedien, erst so ganz langsam ein gewisses Unwohlsein breit, welche wirtschaftlichen Auswirkungen das inzwischen auf den putzigen Namen SARS-CoV-2 getaufte Virus hat. Selbst wenn es der "don’t panic"-Fraktion den Gefallen täte und sich irgendwie wieder in Luft auflöste.
Ohne Glaskugel wage ich die kühne Analyse, dass der Ausbruch des Erregers deutlich vorführt, welche Gefahren in der angeblich so heilsbringend weltweit vernetzten und globalisierten Wirtschaft stecken. Die gleichen wie in jeder Monokultur. Wenn es nur noch eine Sorte Bananen oder Tomaten gibt, dann ist der Befall mit einem neuen Schädling fatal.
Das Gleiche gilt offensichtlich auch für die Weltwirtschaft. Statt ständig zwischen "das Ende ist nahe, verrammelt die Türen" und "alles halb so wild" hin und her zu schwanken, gelegentlich mal "mein lieber Schwan" zu murmeln, könnte es doch vielleicht von Interesse sein, welche Möglichkeiten es gibt, solches Ungemach zukünftig zu vermeiden. Natürlich vorausgesetzt, dass wir nicht alle sterben. Aber das wusste schon der große Ökonom Maynard Keynes: on the long run, we are all dead. Langfristig gesehen sind wir alle tot.
Damit machte er sich schon in den 1930er Jahren über die Zunft der Zukunftsvorhersager lustig. Wenn wir nun aber kurzfristig nicht alle tot sind, was könnte man tun? Nun, wenn es ein gültiges Wirtschaftsgesetz gibt, dann dieses: Aufwand und Ertrag müssen in einem gesunden Verhältnis stehen. Zum Aufwand gehören auch Versicherungen. Das sind in der Geschäftswelt die Optionen oder Termingeschäfte.
Durch den Missbrauch in Form von Derivaten im Ansehen schwer beschädigt, können sie auch ihr Gutes haben. Warentermingeschäfte sind zum Beispiel keineswegs die Quelle für die Verteuerung von Lebensmitteln, womit gierige Spekulanten auf Kosten von Hungernden einen Extraprofit einfahren. Im Gegenteil. Wenn der Produzent schon ganz am Anfang und lange vor der Ernte weiß, was er für sein Produkt bekommt, schafft das Handlungssicherheit, und der "Spekulant" nimmt das Risiko, dass seine Preisvorhersage falsch sein könnte.
Aufs Virus bezogen bedeutet das, dass in die Produktionsketten und natürlich auch in private Geldanlagen das Risiko eingepreist gehört, dass solche Aussenwirkungen in der weitgehend als Monokultur existierenden globalen Wirtschaft offensichtlich eine Eintrittswahrscheinlichkeit haben, die weit über null liegt.
Es gibt kaum etwas Irrationaleres als die Börse
Man schließt also eine Versicherungspolice ab, und für das versicherte Risiko hat man eine Prämie zu bezahlen. Tritt der Schadensfall nicht ein, war’s rausgeschmissenes Geld, aber so funktionieren Versicherungen halt. Tritt der Schadensfall ein, der zum Beispiel durch eine Put-Option abgedeckt ist, dient das Geld dazu, die durch den Wegfall eines Zulieferers entstandenen Schäden zu decken. Das gäbe dann auch Luft, mal an das schöne Prinzip von "Fail Safe" zu denken.
Damit wird verhindert, dass ein Flugzeug abstürzt, wenn ein wichtiges System versagt. Indem es einfach noch mal vorhanden ist. Solche Redundanzen mag weder der Flugzeugbauer noch der Warenproduzent. Denn solange nichts passiert, ist das unnötiger Ballast, rausgeschmissenes Geld. Aber das ist Eigenkapital eigentlich auch. Es steht ja deswegen unter Passiven, weil es normalerweise unnütz rumliegt.
Aber überlebenswichtig wird, wenn es bei der Firma kracht. Oder in der Bank. Wenn man nun bedenkt, dass die Investmentbank Lehman Brothers am Tag, als sie bankrott erklärte und damit eine Fastkernschmelze des Finanzsystems auslöste, mehr Eigenkapital hatte als die meisten europäischen Banken, dann hält man plötzlich das neue Virus nicht unbedingt für das größte Problem unserer Zeit.
Die Börse soll angeblich der optimale Marktplatz sein soll, wo umfassend informierte und rational im Eigeninteresse handelnde Teilnehmer ideale Preisfindung betreiben, wobei der Handelspreis immer um den wahren oder inneren Wert kreist. Völliger Quatsch. Es gibt kaum etwas Irrationaleres als die Börse, wo Angst und Gier herrschen, dazu Herdentrieb, und angefeuert wird das vom sogenannten High Frequency Trading, wo Supercomputer klitzekleine Preisunterschiede in Millisekunden ausnützen und damit sich selbst verstärkende Wellen auslösen.
Genau so verhält es sich auch mit dem Corona-Virus. Eigentlich bräuchte es eine Politik der ruhigen Hand, ein paar überschaubare Vorsichtsmaßnahmen, und dann schauen wir mal. Als Impfung gegen panische Schnappatmung: Das Marburg-Virus ist in bis zu 88 Prozent aller Fälle tödlich. Das Ebola-Virus schafft, je nach Typus, 40 bis 98 Prozent Todesrate. Dagegen ist Grippe in jeder Form, Mutation und neuer Gestalt letztlich ein müdes Husten. Bis jetzt.