Redaktion / 18.05.2022 / 13:30 / Foto: Európa Pont / 33 / Seite ausdrucken

Viktor Orbán über die EU, die NATO und den Krieg

Viktor Orbáns Politik wird in Brüssel und Berlin zumeist mehr als kritisch gesehen. Auch wenn es um die europäischen Reaktionen auf Putins Angriffskrieg in der Ukraine geht, scheint Orbán eine besondere Rolle einzunehmen. Ungarn hat die bisherigen EU-Sanktionen und Hilfen für die Ukraine unterstützt. Ungarn nimmt viele ukrainische Flüchtlinge auf, aber Ungarn tritt auf die Bremse, wenn es um ein Öl- oder Gas-Embargo gegenüber Russland geht, denn das Land ist von russischer Energie abhängig. Der Ministerpräsident folgt einer eigenen Agenda und die vertritt er öffentlich.

Auf der konstituierenden Sitzung des neuen ungarischen Parlaments am 16. Mai hielt der frisch gewählte Ministerpräsident Viktor Orbán seine Antrittsrede. Er stellt darin die wesentlichen Züge der Politik seiner Regierung für die kommenden Jahre dar. Wir dokumentieren hier den außenpolitischen Teil dieser Rede, in dem Orbán über den ungarischen Standpunkt zum russischen Angriff auf die Ukraine, über die westlichen Sanktionen und über die ungarische Hilfe für die Ukraine spricht. Im Weiteren geht es um das ungarische Verhältnis zum Westen, die ungarische NATO-Mitgliedschaft sowie die Mitgliedschaft und die Ziele Ungarns in der Europäischen Union.

Die Auszüge aus seiner Rede zu lesen, lohnt es sich nicht nur deshalb, weil Orbán hier klare politische Festlegungen trifft und allen Gerüchten über ungarische Unzuverlässigkeit im NATO-Bündnis und den EU-Austrittsgerüchten widerspricht. Vieles erklärt sich auch durch seinen  Blick auf die Welt, auf die Nation und seine von der deutschen Politik grundsätzlich verschiedene Herangehensweise an politische Entscheidungen.

„Ich muss hier an erster Stelle über die Sicherheit Ungarns reden. Der ukrainisch-russische Krieg hält bereits seit 82 Tagen an. Dieser Krieg hätte niemals beginnen dürfen. Es gilt die alte Weisheit der Römer: Man kann nicht gleichzeitig den Anfang und das Ende der Dinge sehen. Das heißt, es ist einfach, einen Krieg zu beginnen, aber schwer, ihn zu beenden. Europa hat zur Zeit keinerlei Mittel zur Handhabung dieses Konflikts in seiner Nachbarschaft. Da die europäischen Führer weder die Kraft, noch die Mittel dafür besitzen, sind sie nun davon überzeugt, dass Russland mit Hilfe der europäischen Sanktionen in die Knie gezwungen werden kann. Das ist auf dem Papier durchaus möglich, und viele Papierpolitiker wedeln mit theoretischen Beweisen dafür herum. Doch egal, wie sehr ich mich anstrenge, mir fällt keine Blockadepolitik ein, die je erfolgreich gewesen wäre. Wogegen mir Fälle bekannt sind, in denen deren Erfinder den Schaden davontrugen. Hoffen und beten wir, dass es diesmal anders kommt.

Ungarn wird im Interesse der europäischen Einheit die Sanktionen nicht verhindern, so lange sie nicht die rote Linie des Schutzes der ungarischen Wirtschaft überschreiten, das heißt, so lange sie nicht die Energiesicherheit Ungarns gefährden. Ungarn ist Mitglied der NATO. Wir haben Ungarn 1999 in das westliche Militärbündnis geführt. Unsere politische Gemeinschaft, die Regierung und ich selbst, halten es für eine existenzielle Frage, dass Ungarn Nato-Mitglied ist. Das ist der sichere Ausgangspunkt, von dem aus wir die Sicherheitsstrategie Ungarns aufbauen. Die NATO ist ein Verteidigungspakt. Wir dürfen der Versuchung nicht nachgeben und vom Territorium der Mitgliedstaaten Angriffsaktionen durchführen. Die NATO darf nicht von einem Verteidigungspakt in ein angreifendes Kriegsbündnis verwandelt werden. Die NATO ist nicht die Entente und darf nicht dazu werden. Die Wichtigkeit unserer NATO-Mitgliedschaft ist noch nie so offenkundig gewesen wie jetzt, während des Ukraine-Krieges. Die Dinge nehmen einen immer schlimmeren Verlauf. Die Russen betrachten den Krieg als eine Aktion, die sie auch ohne den Einsatz von Wehrpflichtigen durchführen können, das heißt, sie können endlos weitermachen. Auf der anderen Seite haben sich die Amerikaner dafür entschieden, mit Hilfe des aus dem 2. Weltkrieg bekannten Leih- und Pachtgesetzes unbegrenzt Kriegsmittel für die Ukraine zu finanzieren. Das ist die denkbar schlimmste Kombination. Deshalb wird der Krieg in unserer Nachbarschaft für lange Zeit mit unfassbar vielen Waffen weitergehen und eine kontinuierliche Bedrohung für Ungarn bedeuten. Die wichtigste Aufgabe des kommenden Jahrzehnts wird es sein, uns aus diesem Krieg rauszuhalten und Frieden und Sicherheit in Ungarn zu sichern.

Das wird nicht leicht sein, denn wir stehen unter ungeheurem internationalen Druck. Wer Waffen liefert, steht nach meiner Auffassung schon mit einem Fuß im Krieg. Wir aber wollen Frieden. Krieg vernichtet, Frieden baut auf. Deshalb wollen wir eine sofortige Waffenruhe und Friedensverhandlungen, und ich kann Ihnen versichern, dass wir bei unserem Standpunkt bleiben werden. Die NATO ist eine Stütze unserer Sicherheit, aber sie wird nicht an unserer Stelle Ungarn verteidigen. In der Not vielleicht, aber an unserer Stelle gewiss nicht. Sehnsucht nach Frieden und guter Wille allein reichen nicht aus. Wenn die Armeen eines Landes schwach und seine Soldaten kampfunfähig sind, wenn ein Volk sich nicht verteidigen will, wird dieses Land als erstes angegriffen. (...)

„Uns ist Gottes Segen wichtig“

In diesem Krieg wurde die Ukraine angegriffen, und Russland ist der Angreifer. Deshalb unterstützen wir die Ukraine, deshalb haben wir die größte humanitäre Hilfsaktion in der Geschichte Ungarns gestartet. Gemessen an unserer Größe haben wir die meisten Flüchtlinge aufgenommen, und wer es brauchte, wurde versorgt. Wir werden die ukrainischen Flüchtlinge weiterhin unterstützen. Dabei spielt es jetzt keine Rolle, welche Rechtsverletzungen die ungarische Minderheit im Vorkarpatenland erleiden musste. Es spielt ebenso keine Rolle, dass sich der ukrainische Präsident in den ungarischen Wahlkampf auf der Seite unserer Gegner eingemischt hat. Die Ukrainer können weiterhin mit Ungarn und der ungarischen Regierung rechnen.

Wegen unseren bestehenden Streitigkeiten mit Brüssel muss ich an dieser Stelle auf die Europäische Union eingehen. Ich möchte in aller Klarheit festhalten, dass Ungarn Mitglied der EU ist, und es in unserem Interesse ist, auch im kommenden Jahrzehnt Mitglied zu bleiben. Es stimmt, dass Brüssel dabei ist, die Souveränität der Mitgliedstaaten, und so auch Ungarns, zurückzudrängen. Es stimmt ebenso, dass die EU bestrebt ist, anstelle des Europa der Nationen ein neues europäisches Imperium, die Vereinigten Staaten von Europa zu errichten. Und es stimmt auch, dass der kulturelle Abstand, ja fast schon die kulturelle Entfremdung zwischen dem westlichen Teil Europas und Ungarn immer größer wird. Das hat damit zu tun, dass wir an den christlichen Fundamenten der europäischen Zivilisation und an den Nationalstaaten glauben, Brüssel jedoch hat diese Ideen aufgegeben. Uns ist Gottes Segen wichtig. Uns ist wichtig, ein Vaterland zu haben, das wir lieben und auf das wir stolz sein können.

Leider trifft auch zu, dass Brüssel Tag für Tag seine Macht missbraucht und uns Dinge aufzwingen will, die schlecht und fremd für uns sind. Im Sinne des Prinzips „leben und leben lassen“ haben wir der EU Angebote zur Toleranz bei der Migration, der Genderpolitik und zuletzt beim Ölembargo unterbreitet. Unsere Toleranzangebote sind zurückgewiesen worden. Wir werden den Schutz der Grenzen trotzdem nicht aufgeben, wir werden den Zaun nicht demontieren, wir werden keine Migranten ins Land lassen. Wir werden unsere Familien beschützen, wir werden keine Genderaktivisten in die Schulen lassen. Bei uns ist der Vater ein Mann, die Mutter eine Frau, und unsere Kinder sollen sie in Frieden lassen. Wir werden den Frieden und die Sicherheit Ungarns beschützen und werden keine wirtschaftlichen Maßnahmen akzeptieren, die die ungarischen Familien ruinieren würden.

Wenn es aber so ist, und es ist so, dann kann man fragen, was wir in der Europäischen Union zu suchen haben. Die Antwort darauf ist: Wir suchen unsere Träume. Die Gemeinschaft der freien und gleichen Nationen. Wir suchen ein Europa, das gottesfürchtig ist, das die Würde der Menschen bewahrt und die Spitzen von Kultur, Wissenschaft und Intellekt erstürmt. Wir sind nicht deshalb Mitglied der Europäischen Union, weil sie ist, wie sie ist, sondern wegen dem, was sie werden könnte. Und so lange wir auch nur die kleinste Chance dafür sehen, werden wir dafür kämpfen, weil dieses Europa die meisten Möglichkeiten und den breitesten Raum für ein unabhängiges und freies Ungarn bietet. Wenn wir das kommende Jahrzehnt betrachten, dann sehen wir Ungarn in der Europäischen Union im entschiedenen Kampf für seine Rechte und auf der Suche nach Verbündeten, um die Union zu erneuern. (...)“

Übersetzt von Krisztina Koenen. Die vollständige Rede finden Sie im Original hier und eine englische Fassung hier)

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Frank Holdergrün / 18.05.2022

“Das hat damit zu tun, dass wir an den christlichen Fundamenten der europäischen Zivilisation und an den Nationalstaaten glauben, Brüssel jedoch hat diese Ideen aufgegeben.” >>>>>> Wie schlicht und ergreifend wahr. Sie fördern den Muezzinruf, ohne auch nur im geringsten zu verstehen, was diese absurde Religion beinhaltet. Die Ungarn kennen das Ganze noch und wissen noch, was z.B. die Knabenlese war. „Tatsächlich muss man sogar von einer parasitären Existenz des osmanischen Staates sprechen, der jahrhundertelang in kaum vorstellbaren Umfang Güter, Menschen und Fachwissen aus den christlichen Ländern ansaugte (zu Sklaven nahm), ohne dafür Bedeutsames zurückzugeben.“ (Klaus Jürgen Bremm in seinem Buch, Die Türken vor Wien) “Eine durch Religionen geteilte Stadt liegt entweder schon in Trümmern oder ist kurz davor.“  (Giambattista Vico)  Ungarn ist schon heute mein Rückzugsort, wenn ich kopftuchfreie Städte sehen will.

Michael Stoll / 18.05.2022

Er will sich nicht in einen Krieg hineinziehen lassen, er will der Wirtschaft nicht schaden, er will die Energiesicherheit nicht gefährden, er glaubt an das christliche Fundament der europäischen Zivilisation und an den Nationalstaat, er will Familien schützen und keine Genderaktivisten in die Schulen lassen, er vertritt genau die entgegengesetzten Positionen unserer Einheitsparteien-Front unter Führung der grünen Khmer. Komisch, dass die Ungarn so anders ticken als unsere “Wählenden” (Idioten-Deutsch, ich weiß. Das Unwort habe ich aus der Qualitäts-Presse abgeschrieben.).

Frank Bitterhof / 18.05.2022

“Wir werden den Frieden und die Sicherheit Ungarns beschützen und werden keine wirtschaftlichen Maßnahmen akzeptieren, die die ungarischen Familien ruinieren würden.” Nun habe ich vergeblich nach dem Wortlaut des ungarischen Amtseids gesucht aber der unseres Bundeskanzlers lautet “Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde.” Schadensabwehr ist also auch bei uns Teil des Amtseids und ich vertrete die Auffassung, dass der Amtseid inhaltlich hinreichend bestimmt ist und den Ermessensspielraum bei sachfremden Erwägungen nicht nur unerheblich einschränkt. Orban macht also konsequent das, woran sich Herr Scholz durch seinen Amtseid gebunden hat und auf dessen Inhalt er ruhig mal bei nächster Gelegenheit hinweisen könnte.

Thomas Schmied / 18.05.2022

Danke für die Veröffentlichung! Wenn ich “EU” höre, verbinde ich damit eher düstere Dinge. Wenn ich allerdings das standhafte Ungarn sehe und Viktor Orbáns Vorstellung von Europa lese, dann fällt mir dazu dieses Bibelwort ein:  “Und das Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht erfasst.” (Johannes 1,5) Köszönöm szépen!

S. Andersson / 18.05.2022

Nicht das der Eindruck ensteht das ich Politiker gut finden könnte .... ganz bestimmt nicht, aber in einigen Punkten hat er nun mal Recht. Gerade was Krieg angeht.  Wo ich bestimmt nicht zustimmen werde ist wenn die EU Genossen sich in meine Sachen mischen wollen und das haben die schon im Übermass gemacht. Die Genossen in Brüssel können wech .... die machen keinen Sinn. Man muss sich sicherlich etwas “neues” aus denken, denn die Politiker haben fertig .... und das haben die selbst zu verantworten ....

Martin Schmitt / 18.05.2022

Ich schwöre bei Gott und Allem was mir heilig ist, ich würde als Deutscher mein eigenes verblödetes, gegendertes Volk bis aufs Blut bekämpfen für diese Menschen in Ungarn, für Menschen die so einen Mann zu ihrem Präsidenten wählen. Ich hätte kein schlechtes Gewissen dabei die bärtigen, bezopften, Babybauchbinden tragenden, linksgrünroten Ökofaschisten, Lastenradfahrenden Bubis meines eigenen Volkes zu eliminieren - für Ungarn, für Europa, für die Freiheit. Mein persönliches Gelöbnis.

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